Mittwoch, 27. Januar 2021

Die neue Wirksamkeit ist gar nicht so neu

Das mit der Wirksamkeit ist nicht neu. Natürlich zeichnet die UN-BRK sich dafür verantwortlich, weil man dort im englischen Wortlaut „effective“ (= effektiv; lateinisch effectivus = be-wirkend) verwendet hat. Die Übersetzung ist also richtig, man kann den Deutschsprachigen (und dazu zählen die Schweizer und die Österreicher) hier keinen Vorwurf machen.

Die Idee zur Wirksamkeitsprüfung gab es zumindest schon in 2014, sie war aber noch nicht Gesetz oder vertragliche Grundlage. In einer relativ kleinen Studie wurden Ziele und Ziel-Erreichung bei erwachsenen Menschen mit verschiedenen Einschränkungen untersucht, um die Wirksamkeit in der Eingliederungshilfe messbar zu machen – wenn man etwas als wirksam betrachten will, muss man vorher den Leistungsgrad bestimmbar machen.

Wie immer zeigen sich einige Hürden, die, würde man das mit der Wirksamkeitsprüfung genau nehmen, viel Streit verursachen täten. Die Prinzipien, denen sich die Leistungsträger verschrieben haben und die Leistungserbringer ausleben wollen, stehen im Widerspruch zueinander. Von daher erstaunt es, dass der Teilhabeplan, den die Stadt Hamburg hier eine Lösung parat hält.

 

Schon vor Jahren gab es erste Gedanken zur Wirksamkeit

In einer Arbeits- und Sozialminister-Konferenz (ASMK) vor vielen Jahren (vermutlich 2014) gab es den Vorschlag, eine „zusätzliche Wirksamkeitsprüfung“ neben den bestehenden Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfungen einzuführen. Dies könne mit einem neuen Gesetz zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen geschafft werden (damals sprach man noch von einem Bundesleistungsgesetz, bis es umbenannt wurde zum Bundesteilhabegesetz). Die in den bis dato üblichen Leistungsvereinbarungen gab es zwar die Möglichkeit zur Vornahme von Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfungen, aber eine weitere Prüfungsgrundlage, die die Wirksamkeit der erbrachten (und vergüteten) Leistungen in den Fokus rückte, das war Neuland.

Ergebnisqualität wurde damals wie heute so verstanden, dass eine bestimmte Menge Personal zum Einsatz kommt. Ob der Stelleneinsatz erfolgreich war, wird nicht erforscht. In Prüfungsvereinbarungen zwischen Leistungserbringern und Leistungsträgern finden sich Regelungen zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Qualität (noch bis 2019: § 75 Abs. 3 SGB XII a.F.). Untersuchungsgegenstände sind somit die Leistungsvereinbarungen als Soll-Größen und die Dienstpläne bzw. Stelleneinsatzpläne als Ist-Größen. Wenn die vereinbarten Stellen in den Dienst- und Stellenplänen umgesetzt werden, wird die Einhaltung der Ergebnisqualität angenommen. Zuständig für die Prüfungen sind die Wohn-Pflege-Aufsichten bzw. Heimaufsichten.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) ging dem Vorschlag der ASMK nach und erforschte in einem Projekt, wie ein solches Instrument aussehen müsste (Quelle siehe unten, Projekt-Abschlussbericht aus 2014). Ziel des Projektes „Wie misst man Teilhabe in der Eingliederungshilfe?“ war es, ein „Instrument zur Bestimmung, Umsetzung und Messung von individuell definierter Teilhabe aus Nutzerperspektive zu entwickeln“ (vgl. Kapitel 10, Resümee). Und dabei erkannte man, dass zwischen einer objektiven und subjektiven Teilhabe unterschieden werden muss.

·       Objektive Teilhabe lässt sich anhand von „Teilhabeindikatoren“ messen, das sind z.B. Kennzahlen zum Anteil des Einkommens zur persönlichen Verfügung, Größe der sozialen Netzwerke, Anteil des Zugangs zu persönlichem Wohnraum sowie Größe und Ausstattung des privaten Wohnraums (Aufzählung nicht zwingend abschließend).

·       Subjektive Teilhabe kann dagegen nicht mit „harten“ Fakten unterlegt werden, da sie von jedem Teilhabeberechtigten individuell bestimmt wird. Es geht also um eine erlebte Teilhabe, und nur die Nutzer können aus ihrer sehr persönlichen Sicht eine Rückbestätigung geben. Und da muss man schon kritisch einhaken und hinterfragen, inwieweit die Rückbestätigung ungefiltert verstanden wird.

 

Schon vor Jahren sah man Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Bevor man irgendetwas misst, muss man sich vorher doch fragen, wie Ziele überhaupt zustande kommen. Teilhabeplanung braucht zuerst einmal ein Miteinander. Gemeinsam verständigt man sich über das anstehende Planungs-Verfahren (Planungsprozess). Dann werden messbare Größen bestimmt (was wiederum sehr an dieses SMART-Gerede in tariflichen Leistungsentgelten erinnert).

Dabei muss man sich zwei entscheidende Dinge veranschaulichen: Wünsche werden zu Zielen gemacht, Zielbestimmende sind in der Regel die Leistungsberechtigten und die Leistungsträger.

Im Projekt-Abschlussbericht wurden ganz anschaulich verschiedene Ziele stichwortartig benannt (S. 33, Tabelle 12). Ein sehr interessanter Aspekt dabei war, dass die siebzig Befragten im Durchschnitt 11 Ziele pro Person nannten (S. 32, n = 886), wobei Frauen die Hälfte mehr an Wünschen hatten als Männer, Großstädter fast doppelt so viele hatten als Dörfler und Kleinstädter.

Nicht immer wurden  Ziele „voll“ erreicht. In einer anderen Analyse mit der Frage nach dem Erreichen der Ziele nach 3 bis 6 Monaten zeigte sich eine Quote an nicht vollständig erreichten Zielen von fast 75 %. Nach einer weiteren Zeit und mit viel Unterstützung konnte diese Quote abgesenkt werden, so dass nur noch 48 % der zu dieser Zeit relevanten Ziele als verfehlt oder nur teilweise erfüllt anzusehen waren (S. 35 bis 38). *)

Diese hohe Quote an Verfehlungen zeigt nach meinem Dafürhalten, dass es eine große Diskrepanz gibt zwischen der Erwartungshaltung der Menschen mit Wünschen (die nun zu Zielen wurden) und der Vermutung der Leistungserbringer, sie schaffen es (aber sie schätzen es dann richtig ein, dass sie es nicht geschafft haben; dazu S. 35: „Aber im Verhältnis ist ersichtlich, dass die Einschätzung des Erfolges eine ähnliche ist, wie vom Projektteilnehmer“). Anspruch und Wirklichkeit: Die weiteren Gründe für diese Diskrepanz können zuerst einmal offen bleiben. Was in jedem Fall bleibt, ist die Gewissheit, dass die Leistungserbringung mit einem hohen Unwirksamkeits-Risiko passiert.

 

Schon vor Jahren entstanden prinzipielle Differenzen

Mit der Reform der Eingliederungshilfe verabschiedete man sich vom Fürsorge-System. Behinderte Menschen sollten teilhaben, teilnehmen und Teil-Sein. Von daher müssen sich die Ziele nach den behinderten Menschen und ihren Wünschen richten, aber nicht bestimmt werden von anderen. Die Leistungserbringung soll sich darauf richten, dass die Menschen möglichst selbstbestimmt und eigenverantwortlich ihre Lebensplanung, Lebensführung und Lebensgestaltung wahrnehmen können. Sie sollen befähigt werden, nicht überrumpelt oder beeinflusst, schon gar nicht fremd-gesteuert (§ 90 Abs. 1 SGB IX).

Im Verhältnis zwischen Leistungsträger und Leistungserbringer erlebt man sehr viel versuchte und dann wieder abgeblockte Fremdsteuerung. Leistungsträger möchten nach dem Minimal-Prinzip die Vereinbarungen nach § 125 SGB IX gestalten. Ressourcen müssen wirtschaftlich und sparsam sein, das Maß des Notwendigen darf nicht überschritten werden. Die Leistungserbringer wehren sich und möchten fachlich Richtiges unternehmen, sich nicht mit Fragen der Wirtschaftlichkeit beschäftigen. Eine Leistung ohne Grenzen, ganz im Sinne eines Maximal-Prinzips (Ökonomisches Prinzip).

Dass die Leistungsberechtigten ihre Lebensziele und Wünsche verwirklicht haben wollen, ist nunmehr eine Selbstverständlichkeit geworden im Denken und Handeln vieler – leider noch nicht aller. In den Teilhabeplänen nach § 19 SGB IX für erwachsene Menschen (Beispiel Hamburg) wird fast prominent auf der zweiten Seite nach dem Willen der leistungsberechtigten Menschen gefragt:

  • Wie und wo ich wohnen will.
  • Was ich den Tag über tun oder arbeiten will.
  • Wie ich Beziehungen mit anderen Menschen gestalten will.
  • Was ich in meiner Freizeit machen will.
  • Was mir sonst noch sehr wichtig ist.

Auf den weiteren Seiten werden „Leitziele“ in allen Lebensbereichen beschrieben und für den Befürwortungszeitraum vereinbart (der Teilhabeplan wird an dieser Stelle zur Zielvereinbarung). Es geht nicht anders, weil nun mal die Menschen einen Plan und ein Lebensziel verfolgen sollen, damit sie sich entwickeln können. Entwicklung schafft Teilhabe.

Auf der letzten Seite findet sich schließlich ein ganz wichtiger Satz, der von den leistungsberechtigten Menschen unterschrieben wird:

Die im Teilhabeplan formulierten Bedarfe, Ziele und Maßnahmen werden von mir unterstützt / können von mir in den folgenden (begründeten) Punkten nicht unterstützt werden…“ (Teilhabeplan § 19 SGB IX, Beispiel Hamburg).

Das Ganze mag zwar eine Zielvereinbarung sein, aber sie richtet sich nicht gegen den Menschen selber. Es wird um seine Unterstützung gebeten, oder es soll gesagt werden, was und warum es nicht unterstützt werden kann. Die Wirksamkeitsprüfung, die vielleicht in späteren Zeiten unternommen wird, hat von daher keine Konsequenzen für die leistungsberechtigten Menschen; und schaut man sich noch die Vereinbarungen nach § 125 SGB IX an, hat sie eigentlich auch keine Konsequenzen für die Leistungserbringer – dazu aber an anderer Stelle (hoffentlich) mehr.

CGS

 

 

Fußnote:

*) = aus dem Abschlussbericht, letzter Absatz, S. 62

„In den Ergebnissen wird deutlich, dass es unterschiedliche Gründe für ein Nichterreichen von Teilhabeanzeigern gibt. Persönliche Motivation, Situationen, Lebensbedingungen verändern sich, Menschen revidieren getroffene Ziele, müssen sich im Auswahlprozess üben, müssen Sicherheit im Prozess gewinnen. Im Projekt wurden folglich auch Ergebnisse gewonnen, in welchem Umfang Teilhabeanzeiger im Durchschnitt nicht funktionieren. Im Einzelfall kann darauf durch einen erneuten Prozess reagiert werden. In der Gesamtheit aller Nutzer zeigt sich bei einer Gesamtschau der nichtgelingenden Unterstützungsprozesse, ob strukturelle Probleme bestehen. Die Projektergebnisse werden hier Hinweise für kritische Ergebnisse liefern können.“

 

Weitere Quellen und Ressourcen:

Projekt Umsetzungsbegleitung Bundesteilhabegesetz
Kontakt über Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V.
Artikel: „Hintergrund – Meilensteine auf dem Weg zum BTHG“

BAGFW Bundesarbeitsgemeinschaft
Herausgegeben 31.5.2014
Projektbericht: „Wie misst man Teilhabe in der Eingliederungshilfe?“

(letzter Aufruf am 23.1.2021)


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