Freitag, 26. Februar 2021

Wenn der KdU-Wert neu ermittelt wird, steigt oder fällt die Grundsicherung

In so manchem Landkreis in Schleswig-Holstein ist der KdU-Wert in 2020 neu ermittelt worden und war in einigen wenigen Regionen überraschend hoch oder niedrig. Der Zuschlag nach § 42a Abs. 6 SGB XII im Zusammenspiel mit § 113 SGB IX müsste also ein ganz anderer sein, so die Feststellung.

Das hört sich erst einmal kryptisch an. Bei diesem Zuschlag handelt es sich um einen Betrag, den ein Leistungsberechtigter benötigen würde, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. In manchen besonderen Wohnformen sind die Kosten des Unterhaltes (KdU) nämlich höher im Vergleich zum Ortsüblichen, weil sich vielleicht – aus historischen Gründen – ein Bewegungsbad in den Kosten der Fläche befindet. Da die Leistungen der Grundsicherung allerdings gedeckelt sind, übernimmt die Eingliederungshilfe diese Über-Aufwendungen in Form eines Zuschlags. Der Zuschlag geht in die Fachleistungs-Vergütung ein.

Jetzt aber ist ein neuer Wert festgestellt worden, und die Leistungsträger brauchen diesen Zuschlag nicht mehr bezahlen. Bezahlen sollen stattdessen die Leistungsberechtigten. Doch dafür braucht es einen Ausgleich über die Grundsicherung – ein wenig kompliziert.

 

Die Angemessenheit um 25 % übersteigend

Mit der Reform der Eingliederungshilfe erfand man eine Regelung, mit der die Kosten der Unterkunft, die von den Grundsicherungsleistungen nicht abgedeckt werden, zur Eingliederungshilfe übergehen. Übersteigen diese Kosten die Angemessenheitsgrenze um 25 % und wenn diese „wegen der besonderen Bedürfnisse der Menschen mit Behinderungen erforderlich [sind]“, werden sie als Zuschlag in der Vergütung der Fachleistungen eingerechnet (§ 113 Abs. 5 S. 1 SGB IX). Mit anderen Worten: ein Leistungsberechtigter bekommt maximal die Grundsicherung und das, was ortsüblich ist für Wohnraum, die Eingliederungshilfe übernimmt den Rest.

Bei diesen unangemessenen Kosten der Unterkunft kann es sich zum Beispiel um Sonderleistungen handeln, die man im früher in den Einrichtungen verbaut hatte (z.B. Bewegungsbäder, rollstuhlgerechte Bäder, Therapieräume). Sie waren fachlich anerkannt und pflegerisch erforderlich, ja sogar mit den zuständigen Leistungsträgern als betriebsnotwendige Anlagen abgestimmt (vgl. dazu auch § 76 SGB XII alte Fassung). Hätte es jetzt einen ungeregelten Übergang gegeben, hätten diese Sonderleistungen von den dort wohnenden Menschen entweder selbst bezahlt werden müssen oder sie hätten ausziehen müssen in etwas „billigeres“ (aber dafür „ortsüblich“).

Von daher heißt es in § 42a SGB XII:

(Abs. 6) Übersteigen die Aufwendungen für die Unterkunft nach Absatz 4 den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang und hat der für die Ausführung des Gesetzes nach diesem Kapitel zuständige Träger Anhaltspunkte dafür, dass ein anderer Leistungsträger diese Aufwendungen ganz oder teilweise zu übernehmen verpflichtet ist, wirkt er auf eine sachdienliche Antragstellung bei diesem Leistungsträger hin. Übersteigen die tatsächlichen Aufwendungen die Angemessenheitsgrenze nach Absatz 5 Satz 3 um mehr als 25 Prozent, umfassen die Leistungen nach Teil 2 des Neunten Buches auch diese Aufwendungen.

Und im Teil 2 des Neunten Buches (ganz genau § 113 SGB IX) heißt es:

(Abs. 5) In besonderen Wohnformen des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches werden Aufwendungen für Wohnraum oberhalb der Angemessenheitsgrenze nach § 42a Absatz 6 des Zwölften Buches übernommen, sofern dies wegen der besonderen Bedürfnisse des Menschen mit Behinderungen erforderlich ist. Kapitel 8 ist anzuwenden.

 

Den Zuschlag wegmachen

In Schleswig-Holstein hatte man es nun nicht geschafft, rechtzeitig einen BTHG-konformen Landesrahmenvertrag nach § 131 SGB IX (LRV) zu schaffen. Man bediente sich einer Übergangslösung namens Transfervereinbarungen, in denen die neuen Fachleistungs-Vergütungen festgeschrieben wurden für die Jahre 2020 und 2021. Ende des Jahres 2021 soll es dann einen neuen LRV geben. Diese Fachleistungs-Vergütung ergibt sich zuerst einmal aus den Gesamtkosten gemäß Kalkulation abzüglich der Kosten der Unterkunft (KdU) und den Regelsatz-Anteilen (RBS). Zu diesem Zweck hatte man die KdU unterteilt in die Investitionsaufwendungen, Nebenkosten für Wohnen (z.B. Abschreibungen und Instandhaltungsaufwand) sowie anderen Nebenkosten des Wohnens (z.B. Verwaltungsaufwendungen, Wirtschafts- und Versorgungsdienste). Dies geschah überwiegend pauschal anhand von 80-20-Verteilungen hier und dort im Kalkulationsblatt; wie gesagt, es ging um eine Übergangslösung.

Die Summe der KdU wurde jetzt mit den durchschnittlich angemessenen Aufwendungen einer Warmmiete eines Einpersonenhaushalts im Landkreis verglichen, wobei diese Aufwendungen noch einmal mit einem Aufschlag von 25 % versehen wurden – man kann also von 125 % des Ortsüblichen sprechen. Überstieg die Summe der KdU diese Angemessenheitsgrenze von 125 %, wurde dieser Rest der Eingliederungshilfe zugeordnet und erhöhte somit die Fachleistungs-Vergütung. In den Transfervereinbarungen notierte man diesen Wert, so dass es jetzt klar war, um wie viel die Vergütung zu hoch ausfallen würde.

Nochmal: In einer nun stattgefundenen Neu-Feststellung des Ortsüblichen konnte gesehen werden, dass es eigentlich diesen Zuschlag nicht hätte geben müssen. Da zudem die Eingliederungshilfe voll zulasten der Kommunen geht, ergibt sich damit eine Einsparungsmöglichkeit. Und in der Konsequenz heißt es, dass der Zuschlag weg kann.

 

Den Zuschlag umverteilen

Das schleswig-holsteinische Sozialministerium, in dem die Daten zum Ortsüblichen gesammelt und aufbereitet wurden, erkannte man es auch, dass durch die Wegnahme des Zuschlags auf der einen Seite, an anderer Stelle eine Deckungslücke ergeben würde. Ein Leistungserbringer müsste, um seine Kosten gedeckt zu bekommen, eine Kostenerhöhung beim Leistungsberechtigten durchsetzt – nach § 9 WBVG ist dies aber schon vor langer Zeit geschehen.

§ 9 WBVG, Entgelterhöhung bei Änderung der Berechnungsgrundlage

(1) Der Unternehmer kann eine Erhöhung des Entgelts verlangen, wenn sich die bisherige Berechnungsgrundlage verändert. Neben dem erhöhten Entgelt muss auch die Erhöhung selbst angemessen sein. Satz 2 gilt nicht für die in § 7 Absatz 2 Satz 2 bis 4 genannten Fälle. Entgelterhöhungen aufgrund von Investitionsaufwendungen sind nur zulässig, soweit sie nach der Art des Betriebs notwendig sind und nicht durch öffentliche Förderung gedeckt werden.

(2) Der Unternehmer hat dem Verbraucher die beabsichtigte Erhöhung des Entgelts schriftlich mitzuteilen und zu begründen. Aus der Mitteilung muss der Zeitpunkt hervorgehen, zu dem der Unternehmer die Erhöhung des Entgelts verlangt. In der Begründung muss er unter Angabe des Umlagemaßstabs die Positionen benennen, für die sich durch die veränderte Berechnungsgrundlage Kostensteigerungen ergeben, und die bisherigen Entgeltbestandteile den vorgesehenen neuen Entgeltbestandteilen gegenüberstellen. Der Verbraucher schuldet das erhöhte Entgelt frühestens vier Wochen nach Zugang des hinreichend begründeten Erhöhungsverlangens. Der Verbraucher muss rechtzeitig Gelegenheit erhalten, die Angaben des Unternehmers durch Einsichtnahme in die Kalkulationsunterlagen zu überprüfen.

Wenn es also zu einer Wegnahme des Zuschlags rückwirkend zum 1.1.2021 kommt (oder sogar früher?), wie soll dann diese Differenz gegenüber dem Verbraucher (d.h. dem Bewohner in einer besonderen Wohnform) geltend gemacht werden? – unterstellt, dass sich die Leistungserbringer darauf einlassen, so etwas rückwirkend zu verhandeln, was aber durchaus möglich ist, wenn man sich so manche Meinung auf Verbandsebene anhört.

Es wäre – mit Augen zu – trotzdem möglich, weil man seitens der Grundsicherung diesen Zuschlag dem leistungsberechtigten Menschen auch rückwirkend gewährt, damit dieser das Verlangen seines Vermieters (dem Leistungserbringer) bedienen kann.

Dieses „Linke Tasche. Rechte Tasche“-Spiel erscheint von außen betrachtet völlig sinnlos. Aber nun ist es so, dass die Grundsicherungsleistungen voll und ganz vom Bund erstattet werden, die Eingliederungshilfe aber nicht. Die Verwaltungskosten, die bei dem Geschacherten entstehen sind Sache der Kommune, die Kommunikation mit den gesetzlich bestellten Betreuern dagegen das Vergnügen der Leistungserbringer. Das mag also alles legitim sein, aber die Mitwirkenden werden kein großes Vertrauen in das BTHG gewinnen. Und mal ganz ehrlich: Haben Sie noch den Durchblick?

 

Gibt es noch andere Verlierer?

Vor kurzem hatte eine Kommune schon mal die Auffassung vertreten, dass nur Menschen mit einem Anspruch auf Grundsicherungsleistungen (Kapitel 4 SGB XII) diesen Zuschlag in der Fachleistungs-Vergütung zugebilligt bekommen sollen. Fehlt es an einem Antrag, weil beispielsweise das Einkommen zu hoch ist, geht auch der Anspruch auf die Hilfen nach § 42a Abs. 6 SGB XII verloren.

Diese Sichtweise war aus mehreren Gründen verkehrt. Einerseits hätte ein Sozialhilfe-Träger im Zeitpunkt des Übergangs in die BTHG-Zeit auf die Anspruchssicherung hinwirken müssen, selbst wenn eine Antragstellung versäumt wurde. Andererseits verlangt § 113 SGB IX, dass diese übersteigenden Aufwendungen im Vertragsrecht der EGH-Vertragsparteien zu klären sind. Weil das in Schleswig-Holstein noch fehlt, geht der Anspruch nach § 42a Abs. 6 SGB XII nicht verloren.

Trotzdem würde es Verlierer geben: nämlich die Selbstzahler bzw. solche Leistungsberechtigten, die tatsächlich ein hohes Einkommen haben. Doch weil diese sich gegen das nachträgliche Verlangen nach Erhöhung der Wohnleistungen des Vermieters wehren können, bleibt der Verlust bei dem.

Das alles ist aber noch „graue Theorie“. Es braucht für eine solche Idee zuerst einmal einen Beschluss der Vertragskommission zum LRV. Da diese nicht direkt tagt, wird das Ganze im Umlaufverfahren beschlossen – oder auch nicht. Erst dann werden die Kommunen als Leistungsträger und die einzelnen Leistungserbringer informiert, die sich dann vielleicht besprechen müssen über das weitere Vorgehen. Die Kommunen müssten neue Bescheide erstellen und Rückrechnungen vornehmen bzw. diese von den Leistungserbringern verlangen. Die wiederum müssten per Serienbrief eine Anhebung ihrer Entgelte gegenüber den Bewohnern verlangen und eine Neuberechnung vornehmen. Wenn es dann zu Diskussionen kommt, wird man mit den Fingern auf die anderen zeigen.

CGS

 

 

 

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