Die Verhandlungen sind im vollen Gange, kann man wohl sagen.
Die Hamburger Sozialbehörde und die Verbände suchen nicht nur einfach ein
Gespräch, sie sprechen schon über die ersten Zahlen und unterbreiten handfeste
Vorschläge. Gerade weil es sehr viel Unsicherheit gibt zu den weiteren
Kostenentwicklungen bei den Sach- und Personalkosten, braucht es eine intensive
Abstimmung und eine differenzierte Vorgehensweise. Der Leistungsbereich der
besonderen Wohnformen (besWF, ehemals als klassisch-stationäre Behindertenhilfe
betitelt) ist dabei ein gutes Beispiel, weil es hier um eine ganze Bandbreite
an Kostenarten gibt. Hinzu kommt dann auch noch, dass in Hamburg ein ganz
eigenartiges Kalkulationsmodell erfunden wurde, was schon ein hohes Maß an
Effizienz mit sich bringt: man muss Steigerungsraten verhandeln und nicht
einzelne Kostenarten inhaltlich begründen.
Und doch wird man sich an der einen oder anderen Stelle im Klein-Klein
verstricken können. Auch Steigerungsraten müssen begründet werden. Ein paar
weitere Überlegungen…
+++ Nachtrag vom 18.11.2022 +++
Es engt sich jetzt kräftig ein bei den gegenseitigen Angeboten.
Man ist sich jedenfalls erheblich näher gekommen sowohl bei den Personalkosten
als auch bei den Sachkosten. Die Leistungserbringer verzichten auf den
Nachholeffekt / Basiskorrektur bei den Sachkosten, sie bekommen dafür eine
etwas höhere Steigerung bei den Personalkosten durchgeboxt. Wen es da nun stört,
der muss jetzt noch ganz kurzfristig zu Nachverhandlungen gem. § 127 Abs. 3 SGB
IX auffordern. Ansonsten wird es eine Steigerung bei den Personalkosten um etwa
10 % geben (inkl. Basiskorrektur), bei den Sachkosten liegt die Anhebung bei über
7 % für 2023. Darüber hinaus will man das Verfahren in Bezug auf
Einmalzahlungen ein wenig verfeinern.
Das bedeutet, dass mehr denn je „nachhaltig“ gehandelt
werden muss bei den Leistungserbringern: d.h. Stellenbewirtschaftung, Ausdünnen
von akkumulierten Mehrarbeitsstunden, Kündigung und Neuverhandlung von
Verträgen, die sich gerade erst verteuert haben.
+++
Sachkosten sind zu steigern, aber wie?
Bei den Sachkosten könnte man den Energiekostenanteil
herausnehmen und das Übrige um die im Herbstgutachten / Gemeinschaftsdiagnose prognostizierten
4,5 % anheben (S. 42). Die Energiekosten würden dann trägerindividuell zu
vereinbaren sein, da es bei den Leistungserbringern sehr uneinheitliche
Kostenentwicklungen gibt (25 bis 500 %). Würde man dagegen alles zusammen und
pauschal erhöhen wollen, müsste die Steigerung 8,8 % betragen – auch wieder
ganz gemäß dem Herbstgutachten / Gemeinschaftsdiagnose.
Was bei dem Ganzen nun noch fehlt, ist eine Klärung, wie
mit den bisherigen Kostensteigerungen (im noch laufenden Jahr) umgegangen
werden soll (§ 127 Abs. 3 SGB IX). Im Herbstgutachten / Gemeinschaftsdiagnose
wurde die durchschnittliche Inflation für 2022 mit 8,4 % errechnet. Genau
dieser Wert müsste nun zuerst einmal in die Rechenblätter aufgenommen werden,
damit dann darauf die neue Teuerung von 8,8 % (oder bei Trennung nur die 4,5 %
plus Energieanteil) aufgesetzt werden kann (Zinseszinseffekt). Es gibt zurzeit auf
Ebene der Verhandelnden zwar eine Bereitschaft dazu, einen förmlichen Beschluss
gibt es momentan nicht.
Das Bundeskabinett beschloss dagegen kürzlich eine
Soforthilfe im Dezember zum Erlass einer Abschlagszahlung bzw. in Höhe eines
Zwölftel des Jahresverbrauchs für die Letztverbraucher (Link zur
Pressemitteilung unten). Dazuzählen werden auch „Bestimmte Einrichtungen aus
den Bereichen Soziales, medizinische Versorgung und Pflege sowie Bildung /
Wissenschaft / Forschung“ (Nr. 12, FAQs; über den Link). Besondere Wohnformen
müssten ebenfalls dazu gehören, auch wenn sie im neuen Sprachgebrauch nicht
mehr als Einrichtungen bezeichnet werden – eine Rehabilitation findet dort ja
nicht statt. Würde es keinen Einschluss geben, würde ein Überschreiten der
Grenze beim Jahresverbrauch von „1,5 Mio. kWh Gas“ ganz sicher in vielen Fällen
passieren. Es kann also sein, dass das Gesetz keine Klarstellung an dem Punkt
mit dem Begriff „Einrichtungen = besondere Wohnformen“ vorsieht. Umso wichtiger
wäre es von daher, dass sich der örtlich zuständige Leistungsträger zur
Übernahme der Kostenüberschreitungen bekennt.
Energiekosten wären anders zu behandeln?
In einem MPK-Beschluss nach Besprechung mit dem Bundeskanzler
vom 2.11.2022 wurden viele Entscheidungen verkündet, aber diese betrafen unter
anderem Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, Verbraucher / Privathaushalte
und sogenannte KMU-Unternehmen. Was einige Verbandsvertreter vermissten, war
die Nennung von sozialen Einrichtungen und Diensten (z.B. besWF und WfbMs). Sofern
es nur ein Missverständnis ist und der Schutzschirm sich auch über die sozialen
Leistungserbringer aufspannt, würde die Notwendigkeit zur hohen Steigerung der
Sachkosten verloren gehen.
Diese Soforthilfe jedenfalls wäre eine Entlastung für die
Leistungsanbieter und würde eigentlich anzurechnen sein auf die noch zu
vereinbarenden „bisherigen Kostensteigerungen“; konkret wäre es dann so, dass
die zuvor genannten „8,4 %“ abzuschmelzen wären. Rechenwege kann man sich zur
Genüge ausdenken, damit alle Seiten zufriedengestellt wären.
Dass man mit den Energiekosten einen Sonderweg geht, wäre
durchaus angebracht. Der bisherige „Aufschrei“ vieler sozialer Dienste und
Verbände, dass sich die Kosten verfünffacht oder sogar verzehnfacht hätten,
muss man sich vor dem seinerzeitigen Spitzenwert am Strommarkt denken. Damals
erreichte die Megawatt-Rate über 1000 Euro. Heute wird für den Futures-Kontrakt
zum Januar 2023 „nur“ noch 400 Euro verlangt und für den Januar 2024 sind es
420 Euro (Baseload). Was die Beschaffungskosten für Gas anbelangt, hat es
ebenfalls eine Senkung gegeben (z.B. vom 26.10. mit 210 Euro sind es am
3.11.2022 133 Euro geworden – ein Drittel weniger) zum 1.1.2023, für den 1.1.2024
werden momentan 107 Euro gefordert.
Das zeigt aber, wie sehr die Energiepreisentwicklung zu
einer dauerhaften Verwerfung führt.
Personalkosten könnten auch stark ansteigen?
Was die Personalkosten anbelangt, sind Einschätzungen
ebenfalls sehr schwierig. Einerseits gibt es unterschiedliche Tarifklassen im
Hamburger Kalkulationsmodell zu den besonderen Wohnformen (KTD, TV-L und
TVöD/AVH), andererseits hat man es mit verschiedenen Laufzeiten der
Tarifverträge zu tun (unterjährige Tarifeinigungen und Erhöhungsschritte).
Hinzugekommen ist für den Tarif TVöD/AVH, dass die neue Tarifrunde eine
Steigerung zum 1.1.2023 verhandelt, die drei Verhandlungstage sich über die
Monate Januar, Februar und (Ende) März erstrecken. Das bedeutet somit, dass der
Tarifabschluss dann rückwirkend in Kraft tritt. Die Forderungen der
Gewerkschaften liegen jedenfalls schon „auf dem Tisch“, man könnte also bereits
jetzt miteinander sprechen. Weil es (auch erst) kürzlich da eine Neuerung gab,
wird sich eine mögliche andere Lösung bald anbieten.
Im TVöD-Bereich wurde eine allgemeine Steigerung von 10,5
%, mindestens aber 500 Euro monatlich pro Entgeltgruppe und Stufe gefordert. Je
nach Fachkräfte-Mix könnten sich daraus effektiv Steigerungsraten von 14 bis 17
% ergeben. Diese Prozentsätze lassen sich nun nicht auf den Wert in der Tarifklasse
insgesamt anwenden (ca. 67 Tsd. Euro). Wenn man (pauschal) von einem Anteil in
Höhe von etwa 80 % ausgeht, den diese Entgeltbestandteile an den Personalkosten
ausmachen bzw. auf den sich diese Steigerung auswirken könnte, würden sich
weiterhin recht hohe 11,2 bis 13,6 % ergeben.
Der TV-L erhöht sich wiederum zum 1.12.2022 um 2,8 %,
aber auf der Grundlage von tariflichen Vereinbarungen vom 29.11.2021. Die
Laufzeit dieses Tarifvertrags beträgt 24 Monate, so dass damit erst zum
1.10.2023 eine neue Steigerung kommen würde. Überlegungen dazu mag es
vielleicht geben, aber Erhöhungssätze sind bislang nicht verlangt worden. Man
wartet sicherlich die Verhandlungen im TVöD ab, und dann könnte es quasi zu
einer Nachholung oder Aufholung kommen; d.h. die sich dann ergebende Spreizung
würde wieder eliminiert und zusätzlich die bis dato erlebte Zurückhaltung
wenigstens per Einmalzahlung entschädigt werden.
Sonderzahlungen im Einkommenssteuergesetz ausnutzen?
Was vielleicht bei den Personalkosten eine Rolle spielen
könnte, ist diese Sache mit der „Sonderzahlung von 3.000 Euro“, die von einem
Arbeitgeber an die Beschäftigten steuer- und sozialabgabenfrei gezahlt werden
können (vgl. § 3 Nr. 11c EStG). Derartige Einmalzahlungen kommen den
Beschäftigten voll und ganz zugute, wären aufgrund der Anerkennung zur Wirtschaftlichkeit
von Tarifverträgen aber nicht vergütungsfähig sein, weil sie eben nicht
tariflich vereinbart worden sind; es gibt derzeit keine Grundlage im Tarif.
Wenn die Tarifparteien dagegen eine Sondervereinbarung treffen, könnte es
vergütungsrelevant werden. In einem anderen Tarifbereich wird genau darüber
schon verhandelt. Von daher würde diese Sonderzahlung / Einmalzahlung einen
Teil der gewerkschaftlichen Forderungen kompensieren helfen.
In Zeiten von hoher Unsicherheit wird man meiner Ansicht
nach kurzfristig agieren müssen. Das bedeutet für Vergütungen, dass man
befristete Zuschläge einrechnet, um diese dann bei Rückkehr in „ruhigeres
Fahrwasser“ wieder zurückzunehmen oder auslaufen zu lassen.
Und auch, wenn das jetzt alles nur für Hamburg besprochen
wurde, in anderen Bundesländern wird es die gleichen Probleme geben.
CGS
Quellen:
02.11.2022 -Pressemitteilung- Energie
„Die
Bundesregierung hat heute im Kabinett auf Vorlage des Bundeswirtschafts- und
Klimaschutzministeriums einen Entwurf für das Soforthilfegesetz für Gas und
Wärme auf den Weg gebracht. Haushaltskunden sowie Unternehmen mit einem
Jahresverbrauch bis zu 1,5 Mio. kWh sollen hiermit im Monat Dezember spürbar
entlastet werden. Mit diesem Vorschlag setzt die Bundesregierung den ersten
Teil der Empfehlungen des Zwischenberichts der von der Bundesregierung
eingesetzten ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme vom 10. Oktober 2022 um. …
Die Soforthilfe
Dezember schafft einen Ausgleich für die gestiegenen Energierechnungen im Jahr
2022 und überbrückt die Zeit bis zur geplanten Einführung der Gaspreisbremse im
Frühjahr. Haushalten und kleinere Unternehmen, die über sogenannte
Standardlastprofile abgerechnet werden, und weniger als 1.500 Megawattstunden
Gas im Jahr verbrauchen wird die Abschlagszahlung im Dezember erlassen.
Konkret entfällt
für Letztverbraucher von Erdgas im Dezember 2022 die Pflicht, die vertraglich
vereinbarten Voraus- oder Abschlagszahlung zu leisten. Die Abschlagszahlungen
im Dezember entfallen. Beträge, die Letztverbraucher dennoch zahlen, sind in
der nächsten Rechnung vom Erdgaslieferanten zu berücksichtigen.
Für die
Jahresendabrechnung heißt das Folgendes: Die Entlastung wird auf Grundlage von
einem Zwölftel des Jahresverbrauchs, den der Lieferant für die Entnahmestelle
im September 2022 prognostiziert hatte, sowie des Gaspreises vom Dezember
errechnet. …“
Herbstprojektion 2022, Gemeinschaftsdiagnose
Die Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2022 wird vom RWI organisiert und am 29. September 2022 veröffentlicht.
(Seite 125 im PDF-Dokument enthält die Tabelle).
Hinweise:
Die Daten zum Energiemarkt entstammen der EEX vom
3.11.2022.
§ 3 EStG
(Stand per 3.11.2022)
„Steuer frei sind
11c.
zusätzlich zum
ohnehin geschuldeten Arbeitslohn vom Arbeitgeber in der Zeit vom 26. Oktober
2022 bis zum 31. Dezember 2024 in Form von Zuschüssen und Sachbezügen gewährte
Leistungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise bis zu einem
Betrag von 3 000 Euro;“
Das hier ist keine Rechtsberatung oder Aufforderung zur
Vornahme eines Rechtsgeschäftes. Der Beitrag stellt nur meine Sicht auf die
Dinge dar. Und eine solche Sicht kann sich immer noch ändern. Brauchen Sie
rechtliche Unterstützung, wenden Sie sich an die zuständigen Behörden, Sozial-
und Betroffenenverbände oder rechtskundige Dritte. Lesen Sie bitte ebenfalls die
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