Montag, 7. November 2022

Vergütungen für 2023 verhandeln – besWF Hamburg

Die Verhandlungen sind im vollen Gange, kann man wohl sagen. Die Hamburger Sozialbehörde und die Verbände suchen nicht nur einfach ein Gespräch, sie sprechen schon über die ersten Zahlen und unterbreiten handfeste Vorschläge. Gerade weil es sehr viel Unsicherheit gibt zu den weiteren Kostenentwicklungen bei den Sach- und Personalkosten, braucht es eine intensive Abstimmung und eine differenzierte Vorgehensweise. Der Leistungsbereich der besonderen Wohnformen (besWF, ehemals als klassisch-stationäre Behindertenhilfe betitelt) ist dabei ein gutes Beispiel, weil es hier um eine ganze Bandbreite an Kostenarten gibt. Hinzu kommt dann auch noch, dass in Hamburg ein ganz eigenartiges Kalkulationsmodell erfunden wurde, was schon ein hohes Maß an Effizienz mit sich bringt: man muss Steigerungsraten verhandeln und nicht einzelne Kostenarten inhaltlich begründen.

Und doch wird man sich an der einen oder anderen Stelle im Klein-Klein verstricken können. Auch Steigerungsraten müssen begründet werden. Ein paar weitere Überlegungen…

+++ Nachtrag vom 18.11.2022 +++

Es engt sich jetzt kräftig ein bei den gegenseitigen Angeboten. Man ist sich jedenfalls erheblich näher gekommen sowohl bei den Personalkosten als auch bei den Sachkosten. Die Leistungserbringer verzichten auf den Nachholeffekt / Basiskorrektur bei den Sachkosten, sie bekommen dafür eine etwas höhere Steigerung bei den Personalkosten durchgeboxt. Wen es da nun stört, der muss jetzt noch ganz kurzfristig zu Nachverhandlungen gem. § 127 Abs. 3 SGB IX auffordern. Ansonsten wird es eine Steigerung bei den Personalkosten um etwa 10 % geben (inkl. Basiskorrektur), bei den Sachkosten liegt die Anhebung bei über 7 % für 2023. Darüber hinaus will man das Verfahren in Bezug auf Einmalzahlungen ein wenig verfeinern.

Das bedeutet, dass mehr denn je „nachhaltig“ gehandelt werden muss bei den Leistungserbringern: d.h. Stellenbewirtschaftung, Ausdünnen von akkumulierten Mehrarbeitsstunden, Kündigung und Neuverhandlung von Verträgen, die sich gerade erst verteuert haben.

+++

Sachkosten sind zu steigern, aber wie?

Bei den Sachkosten könnte man den Energiekostenanteil herausnehmen und das Übrige um die im Herbstgutachten / Gemeinschaftsdiagnose prognostizierten 4,5 % anheben (S. 42). Die Energiekosten würden dann trägerindividuell zu vereinbaren sein, da es bei den Leistungserbringern sehr uneinheitliche Kostenentwicklungen gibt (25 bis 500 %). Würde man dagegen alles zusammen und pauschal erhöhen wollen, müsste die Steigerung 8,8 % betragen – auch wieder ganz gemäß dem Herbstgutachten / Gemeinschaftsdiagnose.

Was bei dem Ganzen nun noch fehlt, ist eine Klärung, wie mit den bisherigen Kostensteigerungen (im noch laufenden Jahr) umgegangen werden soll (§ 127 Abs. 3 SGB IX). Im Herbstgutachten / Gemeinschaftsdiagnose wurde die durchschnittliche Inflation für 2022 mit 8,4 % errechnet. Genau dieser Wert müsste nun zuerst einmal in die Rechenblätter aufgenommen werden, damit dann darauf die neue Teuerung von 8,8 % (oder bei Trennung nur die 4,5 % plus Energieanteil) aufgesetzt werden kann (Zinseszinseffekt). Es gibt zurzeit auf Ebene der Verhandelnden zwar eine Bereitschaft dazu, einen förmlichen Beschluss gibt es momentan nicht.

Das Bundeskabinett beschloss dagegen kürzlich eine Soforthilfe im Dezember zum Erlass einer Abschlagszahlung bzw. in Höhe eines Zwölftel des Jahresverbrauchs für die Letztverbraucher (Link zur Pressemitteilung unten). Dazuzählen werden auch „Bestimmte Einrichtungen aus den Bereichen Soziales, medizinische Versorgung und Pflege sowie Bildung / Wissenschaft / Forschung“ (Nr. 12, FAQs; über den Link). Besondere Wohnformen müssten ebenfalls dazu gehören, auch wenn sie im neuen Sprachgebrauch nicht mehr als Einrichtungen bezeichnet werden – eine Rehabilitation findet dort ja nicht statt. Würde es keinen Einschluss geben, würde ein Überschreiten der Grenze beim Jahresverbrauch von „1,5 Mio. kWh Gas“ ganz sicher in vielen Fällen passieren. Es kann also sein, dass das Gesetz keine Klarstellung an dem Punkt mit dem Begriff „Einrichtungen = besondere Wohnformen“ vorsieht. Umso wichtiger wäre es von daher, dass sich der örtlich zuständige Leistungsträger zur Übernahme der Kostenüberschreitungen bekennt.

Energiekosten wären anders zu behandeln?

In einem MPK-Beschluss nach Besprechung mit dem Bundeskanzler vom 2.11.2022 wurden viele Entscheidungen verkündet, aber diese betrafen unter anderem Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, Verbraucher / Privathaushalte und sogenannte KMU-Unternehmen. Was einige Verbandsvertreter vermissten, war die Nennung von sozialen Einrichtungen und Diensten (z.B. besWF und WfbMs). Sofern es nur ein Missverständnis ist und der Schutzschirm sich auch über die sozialen Leistungserbringer aufspannt, würde die Notwendigkeit zur hohen Steigerung der Sachkosten verloren gehen.

Diese Soforthilfe jedenfalls wäre eine Entlastung für die Leistungsanbieter und würde eigentlich anzurechnen sein auf die noch zu vereinbarenden „bisherigen Kostensteigerungen“; konkret wäre es dann so, dass die zuvor genannten „8,4 %“ abzuschmelzen wären. Rechenwege kann man sich zur Genüge ausdenken, damit alle Seiten zufriedengestellt wären.

Dass man mit den Energiekosten einen Sonderweg geht, wäre durchaus angebracht. Der bisherige „Aufschrei“ vieler sozialer Dienste und Verbände, dass sich die Kosten verfünffacht oder sogar verzehnfacht hätten, muss man sich vor dem seinerzeitigen Spitzenwert am Strommarkt denken. Damals erreichte die Megawatt-Rate über 1000 Euro. Heute wird für den Futures-Kontrakt zum Januar 2023 „nur“ noch 400 Euro verlangt und für den Januar 2024 sind es 420 Euro (Baseload). Was die Beschaffungskosten für Gas anbelangt, hat es ebenfalls eine Senkung gegeben (z.B. vom 26.10. mit 210 Euro sind es am 3.11.2022 133 Euro geworden – ein Drittel weniger) zum 1.1.2023, für den 1.1.2024 werden momentan 107 Euro gefordert.

Das zeigt aber, wie sehr die Energiepreisentwicklung zu einer dauerhaften Verwerfung führt.

Personalkosten könnten auch stark ansteigen?

Was die Personalkosten anbelangt, sind Einschätzungen ebenfalls sehr schwierig. Einerseits gibt es unterschiedliche Tarifklassen im Hamburger Kalkulationsmodell zu den besonderen Wohnformen (KTD, TV-L und TVöD/AVH), andererseits hat man es mit verschiedenen Laufzeiten der Tarifverträge zu tun (unterjährige Tarifeinigungen und Erhöhungsschritte). Hinzugekommen ist für den Tarif TVöD/AVH, dass die neue Tarifrunde eine Steigerung zum 1.1.2023 verhandelt, die drei Verhandlungstage sich über die Monate Januar, Februar und (Ende) März erstrecken. Das bedeutet somit, dass der Tarifabschluss dann rückwirkend in Kraft tritt. Die Forderungen der Gewerkschaften liegen jedenfalls schon „auf dem Tisch“, man könnte also bereits jetzt miteinander sprechen. Weil es (auch erst) kürzlich da eine Neuerung gab, wird sich eine mögliche andere Lösung bald anbieten.

Im TVöD-Bereich wurde eine allgemeine Steigerung von 10,5 %, mindestens aber 500 Euro monatlich pro Entgeltgruppe und Stufe gefordert. Je nach Fachkräfte-Mix könnten sich daraus effektiv Steigerungsraten von 14 bis 17 % ergeben. Diese Prozentsätze lassen sich nun nicht auf den Wert in der Tarifklasse insgesamt anwenden (ca. 67 Tsd. Euro). Wenn man (pauschal) von einem Anteil in Höhe von etwa 80 % ausgeht, den diese Entgeltbestandteile an den Personalkosten ausmachen bzw. auf den sich diese Steigerung auswirken könnte, würden sich weiterhin recht hohe 11,2 bis 13,6 % ergeben.

Der TV-L erhöht sich wiederum zum 1.12.2022 um 2,8 %, aber auf der Grundlage von tariflichen Vereinbarungen vom 29.11.2021. Die Laufzeit dieses Tarifvertrags beträgt 24 Monate, so dass damit erst zum 1.10.2023 eine neue Steigerung kommen würde. Überlegungen dazu mag es vielleicht geben, aber Erhöhungssätze sind bislang nicht verlangt worden. Man wartet sicherlich die Verhandlungen im TVöD ab, und dann könnte es quasi zu einer Nachholung oder Aufholung kommen; d.h. die sich dann ergebende Spreizung würde wieder eliminiert und zusätzlich die bis dato erlebte Zurückhaltung wenigstens per Einmalzahlung entschädigt werden.

Sonderzahlungen im Einkommenssteuergesetz ausnutzen?

Was vielleicht bei den Personalkosten eine Rolle spielen könnte, ist diese Sache mit der „Sonderzahlung von 3.000 Euro“, die von einem Arbeitgeber an die Beschäftigten steuer- und sozialabgabenfrei gezahlt werden können (vgl. § 3 Nr. 11c EStG). Derartige Einmalzahlungen kommen den Beschäftigten voll und ganz zugute, wären aufgrund der Anerkennung zur Wirtschaftlichkeit von Tarifverträgen aber nicht vergütungsfähig sein, weil sie eben nicht tariflich vereinbart worden sind; es gibt derzeit keine Grundlage im Tarif. Wenn die Tarifparteien dagegen eine Sondervereinbarung treffen, könnte es vergütungsrelevant werden. In einem anderen Tarifbereich wird genau darüber schon verhandelt. Von daher würde diese Sonderzahlung / Einmalzahlung einen Teil der gewerkschaftlichen Forderungen kompensieren helfen.

In Zeiten von hoher Unsicherheit wird man meiner Ansicht nach kurzfristig agieren müssen. Das bedeutet für Vergütungen, dass man befristete Zuschläge einrechnet, um diese dann bei Rückkehr in „ruhigeres Fahrwasser“ wieder zurückzunehmen oder auslaufen zu lassen.

Und auch, wenn das jetzt alles nur für Hamburg besprochen wurde, in anderen Bundesländern wird es die gleichen Probleme geben.

CGS

 

 

 

Quellen:

02.11.2022 -Pressemitteilung- Energie

Bundeskabinett verabschiedet Soforthilfe Dezember für Gasund Wärme Soforthilfe Dezember für Gas und Wärme

„Die Bundesregierung hat heute im Kabinett auf Vorlage des Bundeswirtschafts- und Klimaschutzministeriums einen Entwurf für das Soforthilfegesetz für Gas und Wärme auf den Weg gebracht. Haushaltskunden sowie Unternehmen mit einem Jahresverbrauch bis zu 1,5 Mio. kWh sollen hiermit im Monat Dezember spürbar entlastet werden. Mit diesem Vorschlag setzt die Bundesregierung den ersten Teil der Empfehlungen des Zwischenberichts der von der Bundesregierung eingesetzten ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme vom 10. Oktober 2022 um. …

Die Soforthilfe Dezember schafft einen Ausgleich für die gestiegenen Energierechnungen im Jahr 2022 und überbrückt die Zeit bis zur geplanten Einführung der Gaspreisbremse im Frühjahr. Haushalten und kleinere Unternehmen, die über sogenannte Standardlastprofile abgerechnet werden, und weniger als 1.500 Megawattstunden Gas im Jahr verbrauchen wird die Abschlagszahlung im Dezember erlassen.

Konkret entfällt für Letztverbraucher von Erdgas im Dezember 2022 die Pflicht, die vertraglich vereinbarten Voraus- oder Abschlagszahlung zu leisten. Die Abschlagszahlungen im Dezember entfallen. Beträge, die Letztverbraucher dennoch zahlen, sind in der nächsten Rechnung vom Erdgaslieferanten zu berücksichtigen.

Für die Jahresendabrechnung heißt das Folgendes: Die Entlastung wird auf Grundlage von einem Zwölftel des Jahresverbrauchs, den der Lieferant für die Entnahmestelle im September 2022 prognostiziert hatte, sowie des Gaspreises vom Dezember errechnet. …“


Herbstprojektion 2022, Gemeinschaftsdiagnose

Die Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2022 wird vom RWI organisiert und am 29. September 2022 veröffentlicht.

 

Entgelttabellen im TVöD-BT-B-VKA und TV-L (TDL) zum SuE

Tarifvertrag, durchgeschriebene Fassung für den Sozial- und Erziehungsdienst im TVöD-VKA

 (Seite 125 im PDF-Dokument enthält die Tabelle).



Hinweise: 

Die Daten zum Energiemarkt entstammen der EEX vom 3.11.2022.


§ 3 EStG (Stand per 3.11.2022)

„Steuer frei sind

11c.

zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn vom Arbeitgeber in der Zeit vom 26. Oktober 2022 bis zum 31. Dezember 2024 in Form von Zuschüssen und Sachbezügen gewährte Leistungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise bis zu einem Betrag von 3 000 Euro;“

 

 

 

Das hier ist keine Rechtsberatung oder Aufforderung zur Vornahme eines Rechtsgeschäftes. Der Beitrag stellt nur meine Sicht auf die Dinge dar. Und eine solche Sicht kann sich immer noch ändern. Brauchen Sie rechtliche Unterstützung, wenden Sie sich an die zuständigen Behörden, Sozial- und Betroffenenverbände oder rechtskundige Dritte. Lesen Sie bitte ebenfalls die Hinweise zum Rechtsstatus der Webseite, Urheberrechtsbestimmungen und Haftungsausschluss sowie die Datenschutzerklärung.

Hat Ihnen der Beitrag gefallen?

Empfehlen Sie ein//gegliedert weiter oder klicken Sie gleich reihum auf die übrigen Seiten dieses Blogs – ersetzt das Applaudieren und ist ein guter Motivator für mich.

Möchten Sie was sagen?

Schreiben Sie mir eine E-Mail – Ihre Meinung hilft mir, meine Sichtweise neu zu überdenken. Meine E-Mail-Adresse finden Sie auf der Seite Über mich.

 

Vergütungen für 2023 verhandeln – besWF Hamburg