Samstag, 22. November 2014

Ist der Einrichtungsträger zur Verwahrung von Bewohnergeldern verpflichtet? (Fortsetzung des Themas Barbeträge)

Leistungsberechtigte erhalten, insbesondere diejenigen, welche in stationären Wohneinrichtungen leben und nicht in der Lage sind über eigene Mittel (§ 27 SGB XII) die Kosten der Unterkunft (§ 35 SGB XII) zu decken, einen Barbetrag zur persönlichen Verfügung (§ 27 b SGB XII, vgl. auch meinen Beitrag vom 30.9.2014). Dieser Barbetrag steht nicht den Leistungserbringern zu, sondern er gehört den jeweiligen Bewohnern der Einrichtung.

Zum einen wird dem Leistungsberechtigten der Umgang mit Geld nahe gebracht, zum anderen ermöglicht die freie und uneingeschränkte Verfügung und Verwendung von „eigenem“ Geld die Führung eines selbstbestimmten Lebens. Erst mit der Verschaffung eines solchen Maßes an Verantwortung und Freiheit wird ein Leben in Würde ermöglicht, was ja auch ein geschütztes Grundrecht darstellt (§ 1 Abs. 1 SGB I i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG).

Wenn nun dieser Barbetrag nicht an den Bewohner persönlich ausgezahlt werden kann, z.B. weil dieser aus welchen Gründen auch immer nicht über ein eigenes Konto verfügt, sondern an die Einrichtung, ist die Einrichtung zur Verwahrung bzw. zur Weiterleitung verpflichtet?

Andererseits ist zu bedenken, dass die treuhänderische Verwaltung von Bewohnergeldern in stationären Wohneinrichtungen häufig eine administrative Belastung für die Leistungserbringer bedeutet. Zur treuhänderischen Verwaltung zählt eine eigene Rechnungslegung, die Verwahrung der Gelder, Auszahlungen und Empfang der Beträge. Dies alles muss zügig erfolgen, da jede Verzögerung das Recht auf Selbstbestimmung einschränken und (finanzielle) Abhängigkeiten generieren würde. Bei einer solchen Last, kann ein Träger von stationären Wohneinrichtungen diese treuhänderische Verwaltung ablehnen?


(1.)

Der Bundesgerichtshof musste sich in der Vergangenheit mit dieser Fragestellung auseinandersetzen und kam zu folgendem Ergebnis:

BGH-Urteil vom 2. Dezember 2010 · Az. III ZR 19/10

Streitgegenstand:

Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Beklagten, einer Heimträgerin, die den geistig behinderten Klägern durch den Träger der Sozialhilfe bewilligten monatlichen Barbeträge zur persönlichen Verfügung (§ 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII) entgegenzunehmen, zu verwalten und die Rücküberweisung an den Sozialhilfeträger zu unterlassen.

Der Verweis auf § 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII erscheint mir hier irreführend, da nicht die Differenz zwischen tatsächlichen und angemessenen Kosten zum Streit führten (siehe Fußnote 1), sondern es ging in erster Linie um die Verwaltung der Gelder. Dass dann auch noch in diesem speziellen Fall eine Rücküberweisung an den Sozialhilfeträger stattgefunden hatte, erscheint eher von untergeordneter Bedeutung.

(1.1.)

Ausgangspunkt ist nach Ansicht der mit diesem Fall befassten Gerichte das, was in den Heimverträgen bzw. den Wohnstättenverträgen steht. Zum Beispiel:

Die Hilfe-, Förder- und Betreuungsangebote umfassen insbesondere folgende Leistungsbereiche und beinhalten Leistungen, die sich am individuellen Hilfebedarf orientieren: … (abschließende Aufzählung, eig. Anm.)…  im Bereich „Alltagskompetenzen, lebenspraktischer Bereich“ gibt es die Leistung „Geld verwalten und Geld verwenden“.

Ziel ist es, den Leistungsberechtigten zur Selbständigkeit hinzuführen in Form von Beratung, Assistenz, Unterstützung und / oder Hilfestellung bis hin zur stellvertretenden Ausführung.

Der BGH kritisiert allerdings, dass eine solche Regelung in Heim- oder Wohnstättenverträgen nicht zwingend eine alleinige Verpflichtung des Einrichtungsträgers darstellt. Vielmehr ist nach Ansicht des BGH darauf abzustellen, ob es nach den Besonderheiten des Einzelfalls gem. § 9 SGB XII einen entsprechenden Hilfebedarf gibt (vgl. auch vorgenannte Regelung!).

Der Bedarf ergibt sich einerseits aus der jeweiligen aktuellen Lebenssituation des Leistungsberechtigten. Andererseits wird der Hilfebedarf im Gesamtplanverfahren nach § 58 SGB XII festgestellt und im individuellen Hilfeplan verbindlich festgeschrieben. Aus beiden zusammen entsteht die Leistungsschuld, welche vom Leistungserbringer übernommen wird.

Folgerichtig schreibt der BGH:

„Entscheidend ist vielmehr, dass der Anspruch eines Berechtigten auf Leistungen, die sich nach der Besonderheit des Einzelfalls richten (vgl. §Ÿ9 SGB XII), seinem Umfang nach gegenüber dem Leistungsberechtigten festgestellt wird. Hierdurch wird die im Allgemeinen bleibende Zielbeschreibung (d.h. individueller Hilfeplan, eig. Anm.), nach der dem Bewohner im Sinne der Normalisierung eine größtmögliche Selbstbestimmung und Teilhabe ermöglicht werden und sich die Lebensgestaltung an seiner aktuellen Lebenssituation und an seinen Bedürfnissen orientieren soll, auf die im Einzelfall geschuldeten Leistungen konkretisiert und eine Grundlage für den Vergütungsanspruch des Heimträgers geschaffen, hinsichtlich dessen der Sozialleistungsträger ein Kostenanerkenntnis erklärt (vgl. Nr. 3 Abs. 2 der Vereinbarung gemäß § 75 Abs. 3 SGB XII).“ (Rz. 14)

(1.2.)

Der BGH sieht auch im (vorliegenden) Landesrahmenvertrag eine mögliche Verpflichtung zur Verwaltung und Verwahrung von Barbeträgen für die Bewohner. Da Landesrahmenverträge je nach Bundesland unterschiedlich formuliert sein können, kommt es allerdings auf den Einzelfall an.

Angesprochen wurde dabei vom BGH, ob nicht doch im allgemeinen Leistungskatalog, welcher dem Landesrahmenvertrag zugrunde liegt, eine Leistung über den „sachgerechten Umgang mit Geld“ vereinbart worden ist. „Gemessen an diesen Bestimmungen ist eine Pflicht der Beklagten, die Barbeträge der Kläger zu verwalten, in Betracht zu ziehen.“ (Rz. 18)

(1.3.)

Der hat auch untersucht, ob nicht der rechtliche Betreuer, sofern bestellt, in der Pflicht wäre.

Ein Betreuer darf nach § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht für Angelegenheiten bestellt werden, die durch andere Hilfen, bei denen kein gesetzlicher Vertreter bestellt wird, ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können. Die Betreuung umfasst nach § 1901 Abs. 1 BGB nur Tätigkeiten, die erforderlich sind, um die Angelegenheiten des Betreuten rechtlich zu besorgen. …“ (Rz. 24)

Es geht also um die „rechtliche Besorgung“ und nicht um eine tatsächliche „Hilfeleistung“. Der BGH hatte schon vorher erkannt, dass es sich bei der Verwaltung und Verwahrung von Barbeträgen um eine sonstige Betreuungsleistung handelt. Darum folgert er:

Tätigkeiten außerhalb der Besorgung rechtlicher Angelegenheiten gehören insbesondere dann nicht zum Aufgabenbereich eines Betreuers, wenn deren Vergütung durch andere Kostenträger - etwa die Sozialhilfe - geregelt ist. Die faktische Führung des Betroffenen durch Heimpersonal stellt eine andere Hilfe im Sinne des § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB dar, für die ein gesetzlicher Vertreter nicht notwendig ist.“ (Rz. 24)

Der rechtliche Betreuer gerät deswegen nicht in die Pflicht, weil der Leistungsberechtigte „faktisch geführt“ wird durch das Personal der Einrichtung. Aber Ausgangspunkt für die Überlegungen des BGH ist, dass es sich nicht um eine Hilfeleistung handelt, sondern um eine rechtliche Besorgung. Nach meiner Lesart erfolgt hier ein logischer Zirkelschluss.

Die Vermögenssorge ist eine der Aufgaben des rechtlichen Betreuers. Da es sich in diesem Fall um die Frage der Barbetragsverwaltung handelt, würde ich die thematische Nähe zur Vermögenssorge sehen und nicht zur Betreuungsleistung. Denn hätte der BGH diese Annahme nicht getroffen, würde nur das Argument der „faktischen Führung“ alleine stehen; und es gibt noch andere Bereiche, in denen das Heimpersonal bestimmend auf die Lebensführung einwirkt.

(1.4.)

Der BGH stellte sich dann noch die Frage, ob die Barbetragsverwaltung nicht dem Ziel des § 1 SGB XII entgegenläuft. Doch genau weil manche Leistungsberechtigte nicht in der Lage sind, eine eigene Verwaltung der Geldmittel zu organisieren und vorzunehmen, hat der Gesetzgeber in Kenntnis der Problematik es zugelassen, dass auch Fremde, wie z.B. die Einrichtungen, Bargelder der Bewohner verwalten dürfen (vgl. Rz. 26).

Von daher bestimmt der BGH abschließend, dass über die Erforderlichkeit der Verwaltung der Barbeträge der Sozialhilfeträger zu bestimmen hat, da dieser den individuellen Hilfebedarf feststellt. In Rz. 27 steht somit:

Das Berufungsgericht wird daher im weiteren Verfahren zu klären haben, ob die Annahme und Verwaltung der Barbeträge durch die Beklagte vom überörtlichen Sozialhilfeträger individuell als erforderlich festgestellt worden ist (Ÿ3 Nr. 1 Satz 3 der Heimverträge).


(2.)

Hiervon abgesehen bestimmt § 13 HeimG, dass der Träger der Einrichtungen „… nach den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Buch- und Aktenführung Aufzeichnungen über den Betrieb zu machen und die Qualitätssicherungsmaßnahmen und deren Ergebnisse so zu dokumentieren, dass sich aus ihnen der ordnungsgemäße Betrieb des Heims ergibt. Insbesondere muss ersichtlich werden:
10.
die für die Bewohnerinnen und Bewohner verwalteten Gelder oder Wertsachen. …


(3.)

Gänzlich losgelöst von den vorgenannten Überlegungen ergibt sich noch eine weitere Perspektive im Falle einer unverlangten Auszahlung von Barbeträgen an den Leistungserbringer.

§ 812 BGB, Herausgabeanspruch

(1) Wer durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet. Diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn der rechtliche Grund später wegfällt oder der mit einer Leistung nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg nicht eintritt.

(2) Als Leistung gilt auch die durch Vertrag erfolgte Anerkennung des Bestehens oder des Nichtbestehens eines Schuldverhältnisses.

Zu beachten ist, dass die Einrichtung nach diesem Gesetz nur gegenüber dem leistenden Sozialhilfeträger zur Herausgabe verpflichtet ist. Nicht gegenüber dem eigentlichen Empfänger der Leistung – dem Leistungsberechtigten.

Wenn im individuellen Hilfeplan die Barbetragsverwaltung nicht vereinbart ist und die aktuelle Lebenssituation des Bewohners eine solche Betreuungsleistung nicht rechtfertigt, dann könnte die Einrichtung auf die Aufforderung zur Herausgabe warten; sie muss m.E. nicht von sich aus tätig werden, da es sich bei der unverlangten Auszahlung des Barbetrages an die Einrichtung um eine „aufgedrängte Bereicherung“ handelt. Allerdings steht dem wahrscheinlich entgegen, dass durch die Auszahlung an den Leistungserbringer ein Bedarf seitens des Leistungsberechtigten angenommen werden kann.


Als Fazit bleibt festzuhalten, dass es immer auf den individuellen Hilfebedarf ankommt. Nur dieser entscheidet, ob eine Barbetragsverwaltung durch die Einrichtung gerechtfertigt ist. Liegen Zweifel darüber vor, muss eine Klärung seitens des Leistungsträgers erfolgen.

Es kommt vor, dass rechtliche Betreuer kein eigenes Konto für ihre Betreuten einrichten wollen, weil sie einen Hilfebedarf bei der Barbetragsverwaltung vermuten. Eine solche Begründung reicht m.E. nicht aus, stellt aber ein Problem dar für die Einrichtungen. Von daher muss auch hier wieder in der Gesamtplankonferenz der tatsächliche individuelle Hilfebedarf festgestellt werden, um dann ggf. im Wege der verzögerten Herausgabe der unverlangt ausgezahlten Barbeträge eine gemeinsame Linie zu erreichen.

Von daher kann ein Einrichtungsträger lediglich den Versuch unternehmen, die treuhänderische Barbetragsverwaltung abzulehnen, doch argumentiert werden muss immer mit dem individuellen Hilfebedarf des Leistungsberechtigten.


CGS


Fußnote 1:

§ 35 SGB XII, Unterkunft und Heizung
(2) Übersteigen die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang, sind sie insoweit als Bedarf der Personen, deren Einkommen und Vermögen nach § 27 Absatz 2 zu berücksichtigen sind, anzuerkennen. …


§ 27 SGB XII, Leistungsberechtigte
 (2) Eigene Mittel sind insbesondere das eigene Einkommen und Vermögen. Bei nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern sind das Einkommen und Vermögen beider Ehegatten oder Lebenspartner gemeinsam zu berücksichtigen. Gehören minderjährige unverheiratete Kinder dem Haushalt ihrer Eltern oder eines Elternteils an und können sie den notwendigen Lebensunterhalt aus ihrem Einkommen und Vermögen nicht bestreiten, sind vorbehaltlich des § 39 Satz 3 Nummer 1 auch das Einkommen und das Vermögen der Eltern oder des Elternteils gemeinsam zu berücksichtigen. …

Das bedeutet schlichtweg, dass die Differenz zwischen tatsächlichen und angemessenen Kosten anzuerkennen ist bei Leistungsberechtigten. Eine Berechtigung zum Erhalt von Sozialleistungen ergibt sich u.a. aus § 27 Abs. 1 SGB XII, wonach Personen, die aus eigenen Mitteln ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten können, solche zu gewähren sind.




Quelle:





Freitag, 21. November 2014

Verständigung zum Ausführungsgesetz zur Sozialhilfe und der Finanzierung der Sozialhilfe in Schleswig-Holstein

Nicht jede „Nachricht“ muss beachtet werden. Doch bei dieser bin ich hellhörig geworden, weil ich die Diskussion um die Finanzierung der Integrationsassistenz bzw. Schulbegleitung in Schleswig-Holstein mittlerweile aus persönlichen Gründen verfolge.

Am 13.11.2014 informierte das Sozialministerium in Schleswig-Holstein über eine Verständigung mit den Kommunen des Landes über die Eingliederungshilfe. Dies wurde als „Planungssicherheit“ für Land und Kommunen angepriesen – und solche Lobhudeleien erregen immer mein Misstrauen.

Es geht um ein Ausführungsgesetz zur Sozialhilfe (AG-SGB XII-SH). In diesem Gesetz ist geregelt, wer in Schleswig-Holstein örtlicher oder überörtlicher Träger der Sozialhilfe ist (§ 1), wer wofür sachlich zuständig ist (§ 2), dass ein Ausschuss für die fachliche Weiterentwicklung und Kostensteuerung der Leistungen nach dem 6. Kapitel SGB XII (Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, vgl. auch Verordnung nach § 60 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch) sowie ein Teilhabebeirat mit Leistungserbringern gebildet wird (§§ 3 f., § 13), Übernahme bzw. Finanzierung der Sozialhilfe (§§ 5 f., § 11, § 15), Erfassung von Daten (§ 10), vorläufige Hilfeleistung (§ 12, vgl. auch § 43 SGB I und § 93 SGB XII), Aufsicht und Ermächtigungen (§ 14, § 15 a) sowie die Evaluation der Auswirkungen von bereitgestellten und verteilten Landesmitteln im Rahmen der Finanzierung der Sozialhilfe (§§ 7, 8 und 16).

Ganz besonders diese Arbeit der in § 16 genannten Stelle hat wohl dazu geführt, dass die Landesmittel neu verteilt werden. Was in 2013 verteilt wurde, steht in der noch aktuellen Version des Gesetzes in der Anlage zu § 8 Abs. 1 AG-SGB XII-SH; z.B. hat von den 15 Kreisen und kreisfreien Städten die Stadt Neumünster mit 22.650.710 Euro den niedrigsten Betrag erhalten, Lübeck erhielt dagegen mit  71.385.690 Euro den höchsten Betrag, der Kreis Pinneberg lag dagegen mit 60.782.985 Euro im gehobenen Mittelfeld.

Nach § 7 AG-SGB XII-SH wurden insgesamt 683.003.600 Euro als Landesmittel in 2013 kalkuliert, wobei die anteiligen Nettoausgaben für Leistungen nach dem 6. Kapitel SGB XII außerhalb von Einrichtungen, und dazu würde ich die Schulbegleitung rechnen, mit 17.000.000 Euro lediglich einen relativen Anteil von 2,5 % ausmacht. Diese Gelder werden aber zusätzlich zu den Bundesmitteln nach § 46 a SGB XII zur Finanzierung an die örtlichen Träger der Sozialhilfe geleistet. Von daher kann man jetzt nicht schlussfolgern, dass die Schulbegleitung „nur“ 17 Mio. Euro kostet.

Was aber nun als „wesentliche Änderung“ in der Pressemitteilung herausgestellt worden war, bezieht sich auf den Verteilungsmechanismus der vorgenannten Landesmittel; dazu heißt es: „Wesentliche Änderung im neuen AG-SGB XII ist die Neuregelung des Finanzierungs-systems. Nach der bisherigen Regelung finanzierte das Land vorwiegend stationäre Leistungen, die Kommunen ambulante Leistungen der Sozialhilfe. Künftig beteiligt sich das Land an allen Ausgaben der örtlichen Träger der Sozialhilfe. …“

Nach meinem Verständnis ändert sich lediglich die Höhe der Beteiligung des Landes in „prozentualer Höhe“, aber nicht mehr nach einem eindeutig sächlichen Kriterium (nicht zu verwechseln mit der sächlichen Zuständigkeit in § 2; hier müsste man die beabsichtigte Änderung des Gesetzes kennen).

Weiter heißt es: „Den örtlichen Trägern werden mit dem Entwurf des AG-SGB XII, der jetzt zügig ins Gesetzgebungsverfahren gehen soll, 2015 somit rund 652 Mio. Euro zur Verfügung stehen.“ Das erscheint mir nun deutlich weniger als noch in 2013 an Landesmitteln bereitgestellt wurden!

Auch hier sollte man nicht voreilig eine Kürzung unterstellen, sondern die Gesetzesänderung prüfen und sehen, ob tatsächlich weniger Landesmittel an die Kreise und kreisfreien Städte ausgezahlt werden. Immerhin wurden in 2013 die Maßnahmen zur strukturellen Verbesserung der Teilhabeplanung (9 Mio. Euro) und der Koordinierungsaufwand (2 Mio. Euro) nicht dazu gezählt, so dass die Abweichung zu 2013 nicht mehr 31 Mio. Euro sondern „nur“ 20 Mio. Euro ausmacht.

Abschließend bleibt noch festzuhalten, dass man lt. Pressemitteilung noch einen „gemeinsamen Steuerungskreis Sozialhilfe“ einrichten will, der dann eine „landesweit einheitliche Umsetzung der Leistungsgewährung im Interesse der Menschen mit Behinderungen gewähren“ soll. Befürchtet man, dass die Kreise und kreisfreien Städte uneinheitlich bei der Leistungsgewährung vorgehen? So etwas gab es in der Tat, als nach dem LSG-Beschluss zur Schulbegleitung einige Kreise die Leistungsgewährung ablehnten und andere das Verfahren der Vorjahre wenigstens um ein weiteres Schuljahr verlängerten.

CGS


Quelle:

 „Sozialministerin Alheit: Verständigung zur Eingliederungshilfe mit Kommunen erzielt – wichtiger Schritt für Planungssicherheit der Kommunen und Land“ (Medieninformation vom 13.11.2014)


Freitag, 14. November 2014

Zum Kurzgutachten einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zur Fragestellung, welche Umsatzrendite erzielt werden sollte um nachhaltig wirtschaften zu können

Rendite und Sozialhilfe? Wie kann das gehen? Dürfen gemeinnützige Unternehmen überhaupt einen Gewinn erwirtschaften?

Häufig genug wird sozialen Unternehmen in Vergütungsverhandlungen der Vorwurf gemacht, sie würden auf Kosten der Sozialhilfe Gewinne machen. In der Tat weisen einige Kapitalgesellschaften in ihren jährlichen Rechnungslegungsberichten einen Jahresüberschuss aus, der, wenn sie gemeinnützig sind, regelmäßig den Gewinnrücklagen zugeführt wird. Wenn dieselben Unternehmen dann höhere Vergütungen fordern, weil die prospektiven Gestehungskosten gestiegen sind, fühlen sich Sozialhilfeträger „an der Nase“ geführt und verweigern die Verhandlungen. Stattdessen verlangt man, dass Gewinnrücklagen eingesetzt werden, bis eine Verlustsituation eintritt – jetzt schon höhere Vergütungen zu fordern, sei unangemessen.


(1)

Vergütungen müssen immer für die Zukunft verhandelt werden, da nach § 77 Abs. 1 Satz 1 SGB XII „nachträgliche Ausgleiche“ nicht zulässig sind. Einrichtungsträger müssen von daher immer so kalkulieren, dass sie voraussichtlich mit den erzielten Einnahmen auskommen. Ist dies nicht der Fall, geht dies zu ihren Lasten – Unternehmerrisiko!

Umgekehrt erlaubt diese Regelung, dass Einrichtungsträger Überschüsse behalten dürfen: § 77 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sagt nichts über die Unzulässigkeit von Ausgleichen nur bei Verlusten aber doch wiederum bei Überschüssen. Das steht dort nicht!

Die Vertragsparteien verhandeln und können auf Basis der vorgebrachten Argumente abwägen, ob eine Vergütungsanhebung plausibel begründet worden ist. Zum Problem wird es allerdings, wenn sich aufgrund vorjähriger positiver Jahresergebnisse offenkundig ständige Einnahmeüberschüsse herausbilden. Dann muss ein Sozialhilfeträger durchaus skeptisch reagieren, dies gibt ihm aber nicht das Recht, Verhandlungen gänzlich zu verweigern; im Gegenteil: Verhandlungen sind zu führen, weil eine Vertragspartei die andere zu Verhandlungen auffordert (vgl. auch die Bestimmungen in den jeweiligen Landesrahmenverträgen nach § 79 SGB XII). Vielmehr muss die angegangene Vertragspartei kritisch die vorgebrachten Argumente prüfen und dann auf die einzelnen Forderungen inhaltlich eingehen.

Wenn also z.B. der Einrichtungsträger konkrete Forderungen stellt, der Sozialhilfeträger mit Blick auf den vorjährigen Jahresabschluss die Angemessenheit pauschal in Frage stellt und die Verhandlungen nicht führen möchte, dann bleibt nur noch die Anrufung der Schiedsstelle nach § 80 SGB XII. Mangels vorgebrachter konkretisierter Streitpunkte seitens des Sozialhilfeträgers, müsste das Votum eindeutig zugunsten des vortragenden Einrichtungsträgers ausgehen (das sieht in der Praxis manchmal ganz anders aus, aber es gibt wieder ein – für mich – neueres Schiedsstellenurteil, welches nach Umweg über das LSG, seine Entscheidung zugunsten des antragsstellenden Einrichtungsträgers änderte. Der Entscheidungsgegenstand war seinerzeit nicht Bestandteil des eingereichten Schiedsstellenantrags war und somit nicht Befassungsgegenstand. Die Schiedsstelle hätte nur über solche Gegenstände entscheiden müssen, die konkret strittig und im Schiedsstellenantrag als Streitgegenstand benannt worden waren).

Dreh- und Angelpunkt für Fehlbeträge oder Überschüsse waren bislang die Vergütungen, welche die Aufwendungen des Unternehmens überdeckten oder auch nicht. Hinzu kam dann noch eine Auslastungsquote, mit der die Unternehmen mögliche Auslastungsschwankungen kompensiert haben wollten. Während Sozialhilfeträger immer in Richtung einer 100 %igen Auslastung verhandeln wollen, argumentieren Einrichtungsträger damit, dass die Vorhaltung von 100 % der Ressourcen (d.h. Personal, Räumlichkeiten, usw. = Fixkosten) im Jahresdurchschnitt mit einer z.B. 97 %igen Belegung erreicht werden muss. Von daher wurden die Vergütungen um den Faktor 100/97 = 1,03 angehoben. Wenn dann im Jahresverlauf tatsächlich 100 % Auslastung erreicht werden, erzielt der Einrichtungsträger i.d.R. einen Überschuss. Würde die Auslastung z.B. auf 90 % zurückgehen, dann würde diese Verlustsituation aufgrund der o.g. Vorschrift nach § 77 SGB XII zum Unternehmerrisiko zählen: „nachträgliche Ausgleiche sind nicht zulässig“!

Als Zwischenfazit bleibt vorerst festzustellen, dass ein soziales Unternehmen durchaus Gewinne erzielen kann und darf!


(2)

Das Gutachten beginnt seine Analyse damit, dass es eine Entscheidung des Bundessozialgerichtes vom 16.5.2013 (Az. B 3 P 2/12 R) heranzieht. Dort heißt es im zweiten Leitsatz:

 „Soll der mit der Pflegevergütung zu erzielende Gewinn einer Pflegeeinrichtung über die Auslastungsquote gesteuert werden, muss die Quote so realistisch angesetzt sein, dass sie bei ordnungsgemäßer Betriebsführung zu einem angemessenen Überschuss führen kann.“

Es geht zwar vordringlich um ein Unternehmen der Altenpflege, die Systematik der Vergütungsverhandlungen und Kalkulation sind sich so ähnlich, dass viele Fachleute eine Übertragbarkeit auf den Bereich der Eingliederungshilfe für möglich halten.

Bemerkenswert ist nun der Denkansatz, dass ein Gewinn erzielt werden soll, und zwar „angemessen“ mit Hilfe der „Auslastungsquote gesteuert“ bei „ordnungsgemäßer Betriebsführung“. Die letztgenannten Begriffe sind klar und müssen nicht weiter ausgelegt werden. Was nun zu prüfen gilt ist die Frage der „Angemessenheit“; oder anders die Frage gestellt: Wenn ein Gewinn (wie auch immer) eingeplant werden kann, wie hoch darf dieser Gewinn ausfallen, um als angemessen zu gelten?

Das Gutachten hat nun diese Frage versucht zu klären. Da die Unterlagen vermutlich nur für einen kleinen Leserkreis gedacht sind, wird nachfolgend auf eine passagenweise Wiedergabe verzichtet. Es sollte reichen, wenn man sich die Schlussfolgerung im Ergebnis ansieht und von dort ausgehend verschiedene Überlegungen anstellt.

Im Gutachten wird geschlussfolgert, dass eine Umsatzrendite von „4 %“ als angemessen erachtet werden kann (vgl. Ziff. 10, S. 12 des Gutachtens). Die Umsatzrendite ist eine Kennziffer, die sich aus dem Verhältnis des Jahresüberschusses zu den Umsatzerlösen ergibt. Die Prozentzahl wiederum ergibt sich aus den Überlegungen, dass auch ein gemeinnütziges Unternehmen nachhaltig wirtschaften muss und andere Unternehmen (Branchenfremde Unternehmen wie auch andere Pflegeeinrichtungen) eine entsprechende Rentabilität erzielen. Leider wird der Begriff „nachhaltiges Wirtschaften“ nicht weiter erläutert im Gutachten, wo doch das Fortführungsprinzip („Going Concern“) gemeint ist. Daraus folgt, dass ein auf Dauer ausgerichtetes Überleben des Unternehmens am Markt eine positive Prozentzahl erforderlich macht. Der verwendete Begriff der Nachhaltigkeit wie auch das Fortführungsprinzip korrelieren ganz stark mit dem im Sozialrecht verankerten Begriff der Leistungsfähigkeit (vgl. § 75 Abs. 2 SGB XII).

Problematisch erscheint dagegen die Höhe der als angemessen erachteten Umsatzrendite. Ein soziales Unternehmen wird in der Regel mit einem hohen Anteil an Eigenkapital ausgestattet sein (durchaus 70 bis 80 % der Bilanzsumme). Würde man hier den Vergleich zu privatwirtschaftlichen Banken führen, hätte man die Endpunkte zweier Extreme gegenübergestellt, da Banken notorisch unterkapitalisiert sind mit Eigenkapital (derzeit wird eine Mindestkernkapitalrate von 4,5 % bis 2019 nach Basel III angestrebt).

Wenn man die Annahme trifft, dass soziale Unternehmen lediglich das zwei- oder dreifache der Bilanzsumme als Umsatzerlöse erreichen, dann bedeutet dies bei einer Umsatzrendite von 4 % bei dreifachen Umsatzerlösen und einer EK-Quote von 80 % eine EK-Rentabilität von à 100 * 3 * 4 % / 80 % = 15 %.

Die Deutsche Bank AG erreichte in 2013 mit einem bilanziellen Eigenkapital von 54.719 Mio. EUR bei einer Bilanzsumme von 1.611.400 Mio. EUR in 2013 eine EK-Quote von 3,4 %. Der Jahresüberschuss lag dagegen bei „mageren“ 666 Mio. EUR, was einer EK-Rentabilität von 1,2 % entsprach (Quelle: FWB, Kennzahlenübersicht)

Die Allianz SE schaffte dagegen mit einem bilanziellen Eigenkapital von 50.084 Mio. EUR und einer Bilanzsumme von 711.530 Mio. EUR eine EK-Quote von 7,0 %. Der Jahresüberschuss betrug 5.996 Mio. EUR und das entsprach einer EK-Rentabilität von 11,9 % (Quelle: FWB, Kennzahlenübersicht).

Können gemeinnützige Unternehmen wirklich auf eine Stufe gestellt werden mit profitorientierten, börsennotierten Kapitalgesellschaften? Die propagierte Angemessenheit von „4 % Umsatzrendite“ erscheint im Vergleich zu den beiden o.g. DAX-Schwergewichten eher unangemessen, zumal diese sehr danach bestrebt sind, einen Leverage-Effekt zu erzielen, indem die EK-Quote nach Möglichkeit optimiert wird. Soziale Unternehmen streben dies nicht an.

Darum kann man nicht ohne weiteres schlussfolgern, dass eine Umsatzrendite eine bestimmte Höhe haben darf. Wollte man dann daraus weiter folgern, dass Vergütungen mit einem Umsatzzuschlag von „4 %“ oder einer Auslastungsquote von 96 statt 100 % kalkuliert werden müssen, dann geht dies m.E. auch am BSG-Urteil vorbei.


(3)

Das BSG bejaht die Steuerungsmöglichkeit über die Auslastungsquote und verneint die Kalkulation einer Eigenkapitalverzinsung. Beides zusammen wäre auch verkehrt, denn die aktiv vorgenommene EK-Verzinsungskalkulation würde bei einer höheren tatsächlichen im Vergleich zur kalkulierten Auslastungsquote einen sehr hohen „Gewinnzuschlag“ bedeuten. Doch erst einmal die Begründung im Einzelnen:

In Randziffer 26 heißt es:

„…Umgekehrt muss die Pflegevergütung dem Pflegeheim aber auch die Möglichkeit bieten, Gewinne zu erzielen, die ihm iS von § 84 Abs 2 S 5 Halbs 1 SGB XI als Überschuss verbleiben können. Wie diese Gewinnchance zu bemessen ist, hat der Gesetzgeber nicht vorgezeichnet, sondern der Aushandlung der Vertragspartner und im Streitfall der Entscheidung der Schiedsstelle im Verfahren nach § 85 Abs 5 S 1 SGB XI überlassen. …“

Zum Glücke für Pflegeheime gibt es tatsächlich in § 84 Abs. 2 SGB XI einen Passus, wonach es Pflegeheimen gestattet ist, Überschüsse zu erzielen. Warum dies im Bereich der Eingliederungshilfe ausgelassen wurde, bleibt unverständlich.

Weiter heißt es:

„…Dies kann entweder über einen festen umsatzbezogenen Prozentsatz geschehen oder auch - wie
hier - über die Auslastungsquote gesteuert werden; das ist im Grundsatz nicht zu beanstanden. …“

Auf keinen Fall kann es sich um einen Zuschlag handeln. In Randziffer 27 wird entschieden:

„…  Damit hat der Senat - anders als die Klägerin möglicherweise meint - keine besonders zu ermittelnde Rechnungsposition umschrieben, die wie die Gestehungskosten einer Einrichtung zu behandeln wären. Schon mit der Bezeichnung als "Vergütung" ist vielmehr zum Ausdruck gebracht, dass dieser Zuschlag dem Vergütungsinteresse der Einrichtung und damit ihrer Gewinnchance zuzurechnen ist. Das folgt auch aus der Sache selbst, weil der Unternehmergewinn die Kehrseite der unternehmerischen Wagnisse eines Pflegeheimträgers ist: Realisiert sich keines der allgemeinen unternehmerischen Risiken etwa infolge der gesamtwirtschaftlichen Lage, der Nachfrageentwicklung oder von unternehmerischen (Fehl-)Entscheidungen, kann die Einrichtung bei ausreichend
bemessener Pflegevergütung einen ihr verbleibenden Überschuss erzielen (§ 84 Abs 2 S 5 Halbs 1 SGB XI); andernfalls hat sie den Verlust zu tragen (§ 84 Abs 2 S 5 Halbs 2 SGB XI). Muss in der Pflegevergütung schon nach den allgemeinen Grundsätzen Raum sein für die Realisierung von Unternehmensgewinnen, besteht deshalb für weitere Zuschläge zur Abgeltung der mit dem Betrieb von Pflegeeinrichtungen getragenen allgemeinen unternehmerischen Risiken kein Anlass. “

In Randziffer 29 wird dann noch einmal klar gestellt, dass auch etwaige Eigenkapital-Verzinsungen nicht zulässig sind.

Dass das BSG dennoch weiter oben einen „festen umsatzbezogenen Prozentsatz“ als Gewinn anerkannt hat, erscheint m.E. irreführend. Wie sollte so ein Prozentsatz Berücksichtigung finden? Es bleibt nach meinem Dafürhalten nur die Aushandlung einer kalkulatorischen Auslastungsquote unter 100 %, die der Unternehmer dann nach bestem Unternehmertum bis 100 % ausfüllen darf.  

CGS



PS:

Eine interessante Diskussion über dieses Urteil findet sich im Rechtsdienst der Lebenshilfe, Ausgabe 4/2013, S. 179 f.