Montag, 25. Juni 2018

„Dieselgate“ und die Behindertenhilfe


Es ist schon bedrückend, dass eine Vorzeige-Branche, Staat, Gesellschaft und Kunden so hinters Licht geführt hat. Dass es sogar hierzulande nach dem Mrd.-Bußgeld nun zu der Verhaftung eines Top-Managers gekommen ist, zeigt die Größe des Problems. Eine Schonung der Verantwortlichen, wie man es noch aus dem letzten Jahr her kennt, gibt es nicht mehr.

Aber das war es dann, was man so hört. In den Medien wird allerhöchstens, so scheint es, über die sehr spektakulären Ereignisse und Entscheidungen berichtet. Was im Hintergrund abläuft oder wie verschiedene Gewerbe und Anlieger mit Fahrverboten umgehen müssen, davon ist nichts zu lesen. Die  „Mainstream“-Berichterstatter schenken ihre Aufmerksamkeit ganz anderen Themen. Von daher werden Leistungsträger, Leistungserbringer und leistungsberechtigte Menschen in dem Glauben gelassen, dass es alles nicht so schlimm ist.

Es gibt aber Analysten, die sich sehr intensiv mit dem Thema auseinandersetzen. Hier nun eine ganz andere Sicht der Dinge (aus der Sicht des Kapitals).

 
Fahrverbote entstehen

Vor einiger Zeit gab es zwei Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, die einiges Aufsehen erregten. Kommunen wurden nun verpflichtet, ihre Luftreinhaltepläne abzuändern, damit eine „schnellstmögliche Einhaltung des über ein Jahr gemittelten Grenzwertes“ (beklagte Kommune war Düsseldorf) bzw. „bei maximal 18 Überschreitungen im Kalenderjahr“ des „gemittelten Immissionsgrenzwertes … und Stundengrenzwertes“ verschiedener Schadstoffe eingehalten werden (beklagte Kommune war Stuttgart). Zudem wären beschränkte Fahrverbote „nicht ausgeschlossen“ (Düsseldorf) oder sogar ein „ganzjähriges Verkehrsverbot“ (Stuttgart) in Betracht zu ziehen.

Was zu dem Zeitpunkt noch als mögliche Konsequenz verstanden wurde, ist mittlerweile in Hamburg für bestimmte Straßen Realität geworden. Und einige andere Großstädte scheinen hier ebenfalls einen gewissen Handlungsdruck zu verspüren. Bisher wird diese Angelegenheit noch als eine Aktion mit Symbol-Charakter abgetan, um einerseits den Bürgern ein Gefühl der Souveränität und den großen Automobil-Herstellern eine Drohkulisse zu vermitteln. In Hamburg werden aber schon Polizei-Kontrollen durchgeführt, um die Einhaltung des Diesel-Fahrverbots sicherzustellen.


Probleme ergeben sich – Lösungen fehlen – Aktivismus breitet sich aus

Zwei Konstellationen, die für die Behindertenhilfe in dem Zusammenhang relevant sind:

·         Privatpersonen, die auf ein dieselbetriebenes Fahrzeug angewiesen sind (z.B. Menschen mit einer Nierenschädigung, die ständig eine Dialyse-Station aufsuchen müssen), brauchen sowas wie Lobby-Arbeit, um nicht überrollt zu werden von solchen Fahrverboten.

·         Fahrdienste der Behindertenhilfe werden nicht sofort neue Fahrzeuge einkaufen können, um ihre Klienten aus diesen Fahrverbots-Zonen abzuholen. Wird es Zuschüsse geben seitens der öffentlichen Hand oder muss die Eingliederungshilfe Taxipauschalen auszahlen, damit hier etwas geschieht?

Und wie sieht es mit dem Fuhrpark eines sozialen Unternehmens aus?

Die Politik distanziert sich immer stärker von der Autoindustrie (besonders von VW und Daimler), was schon das immens hohe Bußgeld gegen den VW-Konzern zeigt. Es wird aber auch gegen Ende des Jahres ein Gesetz in Kraft treten, mit denen Verbraucher an Verbands- und Sammelklagen teilnehmen können. Mit einer Welle an Klagen wird zwar nicht gerechnet, mit einem solchen Gesetz schafft man aber eine Grundlage dafür – und mit dem verhängten Bußgeld wurde ein „Richtwert“ gesetzt.

Was viel schwerwiegender angesehen wird, ist die Ablösung des bisherigen Prüfverfahrens NEFZ. Weil immer mehr die Korrektheit des technischen Prüfverfahrens hinterfragt wurde, reagierte man jetzt seitens der EU. Eingeführt werden soll das WLTP-Verfahren zum 1. September 2018, mit dessen Hilfe realistischere Abgas- und Verbrauchswerte ermittelt werden. Ein Jahr später will man sogar einen RDE-Test einführen, bei dem anhand des Fahrbetriebs auf der Straße die „Realität“ gemessen wird. Dies wird sich auf die Kfz-Steuer-Berechnung auswirken und in vielen Fällen zu deutlichen Erhöhungen führen.


Es zieht Kreise

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) würde eine Verschiebung beim Termin der Einführung befürworten, weil es jetzt schon zu erheblichen Engpässen kommt. Man spricht von einem „überhasteten“ Einstieg in ein Verfahren, dass noch nicht ausgereift ist. Zudem würden die neuen Testverfahren auch für benzinbetriebene Autos und sogar Plug-In-Hybrid-Fahrzeuge gelten.

Einer Beispielrechnung des VDA ergibt z.B. für ein Auto mit Ottomotor und 1.400 ccm Hubraum einen Anstieg bei der Kfz-Steuer um 45 % (134 Euro statt 92 Euro). In anderen Berichten werden Steigerungen von 20 % alleine bei dem zugrunde zu legenden Verbrauch für fast alle Fahrzeuge vorausgesehen. Die neuen Prüfverfahren werden sicherlich die überwiegende Mehrheit an Fahrzeughalter treffen.

Aber es sind nicht nur die Kosten für die Fahrzeughalter. Weil es an einer ausreichenden Infrastruktur mangelt, d.h. es gibt nicht genügend Prüfstände und kaum entsprechend geschultes Personal, wird es Verzögerungen geben.

Über Verzögerungen bei der Auslieferung von Neuwagen bis hin zu einer kompletten Herausnahme einiger Modelle aus dem Angebot gibt es bereits bei einigen deutschen Herstellern. Vielleicht wird dies nicht so sehr an Kundschaft kosten, aber die hohen Investitionen in der Modellentwicklung und dem Marketing sind verloren. Ein technisches Umrüsten wird es nicht geben. Gegenüber einem namhaften Wirtschaftsmagazin gab ein Sprecher vom Automobilhersteller Daimler sogar zu, dass es sich einfach „nicht lohnt“ (Quellenangabe siehe unten). 


Sehr weite Kreise

Diese Angelegenheit betrifft eher die vielen Luxusmodelle. Gleichzeitig fordern die jetzigen Besitzer von dieselbetriebenen Fahrzeugen ein kostenfreies Umrüsten. Sie sind zweifach betroffen: vom Wertverlust und von den Fahrverboten. Den Wertverlust wird man vielleicht hinnehmen müssen, was aber ein großes Problem darstellt, sind die Fahrverbote.

Man könnte in manchen Fällen ja ein Software-Update durchführen lassen, was eine Lösung zu sein scheint; zumindest wird dies in vielen Beiträgen so kolportiert. Doch ob mit diesem Update eine wirkliche Fehlerbehebung erfolgt, muss bezweifelt werden. Es gibt wohl Befürchtungen, wonach mit dem Update „Langzeitschäden“ am Motor zu befürchten sind (siehe hierzu auch den Beitrag in der Wikipedia zum Stichwort „Abgasskandal“). Und es könnte sogar sein, dass mit dem Update eine weitere Haftung für den bestehenden Sachmangel nicht mehr fortbestehen wird.

Doch damit entwickelt sich eine Vertrauenskrise, was sich auch an den Verkäufen zeigt. In Deutschland soll der Anteil an Diesel-Fahrzeugen deutlich eingebrochen sein – während in 2015 noch ein Anteil von knapp 50 % verzeichnet wurde, sind es jetzt nur noch etwas über 30 % am Gesamtmarkt (Quelle: Kraftfahrt-Bundesamt und Morgan-Stanley Research im Insight der Commerzbank AG vom 19.6.2018).


Mit Strafen und Abstrafungen

Bisher liefen ja die Geschäfte glänzend und auf den vielen Autoshows sonnte man sich in diesem Glanz (und man erinnere mal das Perfektionsgehabe eines VW-Vorstands auf der IAA 2011). Das Blatt wird sich wenden, weil nun aufgrund der CO2-Flottenvorgaben ab 2020 mit hohen Strafzahlungen in Europa rechnen ist. Es gibt Berechnungen, die hohe Abweichungen der verschiedenen Automarken zu diesen Vorgaben aufzeigen. Es sind zwar nicht nur die deutschen Hersteller, die hier etwas zu befürchten haben, aber es ergibt sich nun ein Abschreibungspotential auf den Restwert bei Leasing-Geschäften der Auto-Banken. Entweder man lässt die Leasingnehmer höhere Beiträge zahlen oder man muss abschreiben, weil die Restwerte nicht mehr eingeholt werden können. Gerade im Vergleich mit künftigen Modellgenerationen oder mit der besser aufgestellten Konkurrenz ergibt sich ein Verlustrisiko, was noch gar nicht richtig qualifiziert werden kann.

Die Politik wird sich stärker der Elektromobilität zuwenden, was die deutsche Automobil-Industrie vor weitere Probleme stellt. Sollte eine E-Auto-Quote verbindlich werden, vielleicht sogar gepaart mit einer Förderprämie, sind Umsatzausfälle vorprogrammiert. Dass es aktuell in Paris mit einem Projekt des „E-Car-Sharings“ nicht geklappt hat, hat andere Gründe. Dass es bei den DHL-Fahrzeugen mit der Reichweite im Winter nicht so geht, ist dagegen ein Problem in der Entwicklungsarbeit. Aber es wird sich da etwas verbessern – und der Hersteller ist kein deutsches Automobil-Unternehmen.

Die Finanzbranche wird diese vielen Faktoren zur Kenntnis nehmen. Vermutlich wird man noch eine Weile investiert bleiben, aber die Risiken sind vorhanden und mit erheblichen Gewinneinbrüchen ist zu rechnen. Wenn die Rating-Agenturen anfangen, den „Outlook“ nicht mehr auf „stable“ zu belassen, beginnt das Abstrafen für die Versäumnisse der Vergangenheit. Dann wird es allerdings sehr wahrscheinlich schon zu spät für ein De-Investieren sein.

Fahrdienste der Behindertenhilfe werden mit den Problemen schon irgendwie zurechtkommen. Der Anstieg der Kfz-Steuern ist nicht wirklich gravierend, die Wertverluste ebenfalls handhabbar. Doch für private Automobil-Besitzer mit Behinderung, die auf ihr Fahrzeug angewiesen sind, ist es ein weiterer „Schlag ins Kontor“. Sie werden Lösungen brauchen, wenn sie durch die Fahrverbote eingeschränkt werden.

Den strombetriebenen Fahrzeugen wird vielleicht nicht die ganze Zukunft gehören. Doch sie stellen eine ernstzunehmende Alternative dar.

CGS




PS – und noch ein Gedanke dazu: 

Derzeit beträgt der Anteil der Automobilhersteller am DAX insgesamt 11,25 % (Daimler, VW und BMW). Wie hart wird es den Index treffen, wenn sich die Bewertungen verschlechtern?


  

Quellen: 

Verband der Automobilindustrie (VDA)
Artikel: Was bedeutet der WLTP für Autofahrer?


Manager Magazin
Ausgabe vom 31.5.2018
Artikel: Diese Modelle können Autobauer nicht mehr liefern
Autoren: Nils-Viktor Sorge und Wilfried Eckl-Dorna


Wikipedia
Artikel: Streetscooter

Artikel: Abgasskandal


(letzter Aufruf für alle Links am 24.6.2018)




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