Es ist schon
bedrückend, dass eine Vorzeige-Branche, Staat, Gesellschaft und Kunden so
hinters Licht geführt hat. Dass es sogar hierzulande nach dem Mrd.-Bußgeld nun
zu der Verhaftung eines Top-Managers gekommen ist, zeigt die Größe des Problems.
Eine Schonung der Verantwortlichen, wie man es noch aus dem letzten Jahr her
kennt, gibt es nicht mehr.
Aber das war es
dann, was man so hört. In den Medien wird allerhöchstens, so scheint es, über die
sehr spektakulären Ereignisse und Entscheidungen berichtet. Was im Hintergrund
abläuft oder wie verschiedene Gewerbe und Anlieger mit Fahrverboten umgehen
müssen, davon ist nichts zu lesen. Die „Mainstream“-Berichterstatter schenken ihre
Aufmerksamkeit ganz anderen Themen. Von daher werden Leistungsträger,
Leistungserbringer und leistungsberechtigte Menschen in dem Glauben gelassen,
dass es alles nicht so schlimm ist.
Es gibt aber
Analysten, die sich sehr intensiv mit dem Thema auseinandersetzen. Hier nun eine
ganz andere Sicht der Dinge (aus der Sicht des Kapitals).
Fahrverbote
entstehen
Vor einiger Zeit gab es zwei Entscheidungen des
Bundesverwaltungsgerichts, die einiges Aufsehen erregten. Kommunen wurden nun verpflichtet,
ihre Luftreinhaltepläne abzuändern, damit eine „schnellstmögliche Einhaltung
des über ein Jahr gemittelten Grenzwertes“ (beklagte Kommune war Düsseldorf)
bzw. „bei maximal 18 Überschreitungen im Kalenderjahr“ des „gemittelten
Immissionsgrenzwertes … und Stundengrenzwertes“ verschiedener Schadstoffe
eingehalten werden (beklagte Kommune war Stuttgart). Zudem wären beschränkte
Fahrverbote „nicht ausgeschlossen“ (Düsseldorf) oder sogar ein „ganzjähriges
Verkehrsverbot“ (Stuttgart) in Betracht zu ziehen.
Was zu dem Zeitpunkt noch als mögliche Konsequenz
verstanden wurde, ist mittlerweile in Hamburg für bestimmte Straßen Realität
geworden. Und einige andere Großstädte scheinen hier ebenfalls einen gewissen
Handlungsdruck zu verspüren. Bisher wird diese Angelegenheit noch als eine
Aktion mit Symbol-Charakter abgetan, um einerseits den Bürgern ein Gefühl der
Souveränität und den großen Automobil-Herstellern eine Drohkulisse zu
vermitteln. In Hamburg werden aber schon Polizei-Kontrollen durchgeführt, um
die Einhaltung des Diesel-Fahrverbots sicherzustellen.
Probleme ergeben
sich – Lösungen fehlen – Aktivismus breitet sich aus
Zwei Konstellationen, die für die Behindertenhilfe in dem
Zusammenhang relevant sind:
·
Privatpersonen, die auf ein dieselbetriebenes
Fahrzeug angewiesen sind (z.B. Menschen mit einer Nierenschädigung, die ständig
eine Dialyse-Station aufsuchen müssen), brauchen sowas wie Lobby-Arbeit, um
nicht überrollt zu werden von solchen Fahrverboten.
·
Fahrdienste der Behindertenhilfe werden nicht
sofort neue Fahrzeuge einkaufen können, um ihre Klienten aus diesen
Fahrverbots-Zonen abzuholen. Wird es Zuschüsse geben seitens der öffentlichen
Hand oder muss die Eingliederungshilfe Taxipauschalen auszahlen, damit hier
etwas geschieht?
Und wie sieht es mit dem Fuhrpark eines sozialen
Unternehmens aus?
Die Politik distanziert sich immer stärker von der
Autoindustrie (besonders von VW und Daimler), was schon das immens hohe Bußgeld
gegen den VW-Konzern zeigt. Es wird aber auch gegen Ende des Jahres ein Gesetz
in Kraft treten, mit denen Verbraucher an Verbands- und Sammelklagen teilnehmen
können. Mit einer Welle an Klagen wird zwar nicht gerechnet, mit einem solchen
Gesetz schafft man aber eine Grundlage dafür – und mit dem verhängten Bußgeld wurde
ein „Richtwert“ gesetzt.
Was viel schwerwiegender angesehen wird, ist die Ablösung
des bisherigen Prüfverfahrens NEFZ. Weil immer mehr die Korrektheit des
technischen Prüfverfahrens hinterfragt wurde, reagierte man jetzt seitens der
EU. Eingeführt werden soll das WLTP-Verfahren zum 1. September 2018, mit dessen
Hilfe realistischere Abgas- und Verbrauchswerte ermittelt werden. Ein Jahr
später will man sogar einen RDE-Test einführen, bei dem anhand des Fahrbetriebs
auf der Straße die „Realität“ gemessen wird. Dies wird sich auf die
Kfz-Steuer-Berechnung auswirken und in vielen Fällen zu deutlichen Erhöhungen
führen.
Es zieht Kreise
Der Verband der Automobilindustrie (VDA) würde eine
Verschiebung beim Termin der Einführung befürworten, weil es jetzt schon zu
erheblichen Engpässen kommt. Man spricht von einem „überhasteten“ Einstieg in
ein Verfahren, dass noch nicht ausgereift ist. Zudem würden die neuen
Testverfahren auch für benzinbetriebene Autos und sogar
Plug-In-Hybrid-Fahrzeuge gelten.
Einer Beispielrechnung des VDA ergibt z.B. für ein Auto
mit Ottomotor und 1.400 ccm Hubraum einen Anstieg bei der Kfz-Steuer um 45 %
(134 Euro statt 92 Euro). In anderen Berichten werden Steigerungen von 20 %
alleine bei dem zugrunde zu legenden Verbrauch für fast alle Fahrzeuge
vorausgesehen. Die neuen Prüfverfahren werden sicherlich die überwiegende
Mehrheit an Fahrzeughalter treffen.
Aber es sind nicht nur die Kosten für die Fahrzeughalter.
Weil es an einer ausreichenden Infrastruktur mangelt, d.h. es gibt nicht
genügend Prüfstände und kaum entsprechend geschultes Personal, wird es
Verzögerungen geben.
Über Verzögerungen bei der Auslieferung von Neuwagen bis
hin zu einer kompletten Herausnahme einiger Modelle aus dem Angebot gibt es
bereits bei einigen deutschen Herstellern. Vielleicht wird dies nicht so sehr
an Kundschaft kosten, aber die hohen Investitionen in der Modellentwicklung und
dem Marketing sind verloren. Ein technisches Umrüsten wird es nicht geben.
Gegenüber einem namhaften Wirtschaftsmagazin gab ein Sprecher vom
Automobilhersteller Daimler sogar zu, dass es sich einfach „nicht lohnt“
(Quellenangabe siehe unten).
Sehr weite Kreise
Diese Angelegenheit betrifft eher die vielen
Luxusmodelle. Gleichzeitig fordern die jetzigen Besitzer von dieselbetriebenen
Fahrzeugen ein kostenfreies Umrüsten. Sie sind zweifach betroffen: vom Wertverlust
und von den Fahrverboten. Den Wertverlust wird man vielleicht hinnehmen müssen,
was aber ein großes Problem darstellt, sind die Fahrverbote.
Man könnte in manchen Fällen ja ein Software-Update
durchführen lassen, was eine Lösung zu sein scheint; zumindest wird dies in
vielen Beiträgen so kolportiert. Doch ob mit diesem Update eine wirkliche
Fehlerbehebung erfolgt, muss bezweifelt werden. Es gibt wohl Befürchtungen,
wonach mit dem Update „Langzeitschäden“ am Motor zu befürchten sind (siehe
hierzu auch den Beitrag in der Wikipedia zum Stichwort „Abgasskandal“). Und es
könnte sogar sein, dass mit dem Update eine weitere Haftung für den bestehenden
Sachmangel nicht mehr fortbestehen wird.
Doch damit entwickelt sich eine Vertrauenskrise, was sich
auch an den Verkäufen zeigt. In Deutschland soll der Anteil an
Diesel-Fahrzeugen deutlich eingebrochen sein – während in 2015 noch ein Anteil
von knapp 50 % verzeichnet wurde, sind es jetzt nur noch etwas über 30 % am
Gesamtmarkt (Quelle: Kraftfahrt-Bundesamt und Morgan-Stanley Research im
Insight der Commerzbank AG vom 19.6.2018).
Mit Strafen und
Abstrafungen
Bisher liefen ja die Geschäfte glänzend und auf den
vielen Autoshows sonnte man sich in diesem Glanz (und man erinnere mal das
Perfektionsgehabe eines VW-Vorstands auf der IAA 2011). Das Blatt wird sich
wenden, weil nun aufgrund der CO2-Flottenvorgaben ab 2020 mit hohen
Strafzahlungen in Europa rechnen ist. Es gibt Berechnungen, die hohe
Abweichungen der verschiedenen Automarken zu diesen Vorgaben aufzeigen. Es sind
zwar nicht nur die deutschen Hersteller, die hier etwas zu befürchten haben,
aber es ergibt sich nun ein Abschreibungspotential auf den Restwert bei
Leasing-Geschäften der Auto-Banken. Entweder man lässt die Leasingnehmer höhere
Beiträge zahlen oder man muss abschreiben, weil die Restwerte nicht mehr
eingeholt werden können. Gerade im Vergleich mit künftigen Modellgenerationen
oder mit der besser aufgestellten Konkurrenz ergibt sich ein Verlustrisiko, was
noch gar nicht richtig qualifiziert werden kann.
Die Politik wird sich stärker der Elektromobilität
zuwenden, was die deutsche Automobil-Industrie vor weitere Probleme stellt.
Sollte eine E-Auto-Quote verbindlich werden, vielleicht sogar gepaart mit einer
Förderprämie, sind Umsatzausfälle vorprogrammiert. Dass es aktuell in Paris mit
einem Projekt des „E-Car-Sharings“ nicht geklappt hat, hat andere Gründe. Dass
es bei den DHL-Fahrzeugen mit der Reichweite im Winter nicht so geht, ist
dagegen ein Problem in der Entwicklungsarbeit. Aber es wird sich da etwas
verbessern – und der Hersteller ist kein deutsches Automobil-Unternehmen.
Die Finanzbranche wird diese vielen Faktoren zur Kenntnis
nehmen. Vermutlich wird man noch eine Weile investiert bleiben, aber die
Risiken sind vorhanden und mit erheblichen Gewinneinbrüchen ist zu rechnen.
Wenn die Rating-Agenturen anfangen, den „Outlook“ nicht mehr auf „stable“ zu
belassen, beginnt das Abstrafen für die Versäumnisse der Vergangenheit. Dann
wird es allerdings sehr wahrscheinlich schon zu spät für ein De-Investieren
sein.
Fahrdienste der Behindertenhilfe werden mit den Problemen
schon irgendwie zurechtkommen. Der Anstieg der Kfz-Steuern ist nicht wirklich
gravierend, die Wertverluste ebenfalls handhabbar. Doch für private
Automobil-Besitzer mit Behinderung, die auf ihr Fahrzeug angewiesen sind, ist
es ein weiterer „Schlag ins Kontor“. Sie werden Lösungen brauchen, wenn sie
durch die Fahrverbote eingeschränkt werden.
Den strombetriebenen Fahrzeugen wird vielleicht nicht die
ganze Zukunft gehören. Doch sie stellen eine ernstzunehmende Alternative dar.
CGS
PS – und noch ein Gedanke dazu:
Derzeit beträgt der Anteil der Automobilhersteller am DAX
insgesamt 11,25 % (Daimler, VW und BMW). Wie hart wird es den Index treffen,
wenn sich die Bewertungen verschlechtern?
Quellen:
Verband der Automobilindustrie (VDA)
Artikel: Was bedeutet der WLTP für Autofahrer?
Manager Magazin
Ausgabe vom 31.5.2018
Artikel: Diese Modelle können Autobauer nicht mehr
liefern
Autoren: Nils-Viktor Sorge und Wilfried Eckl-Dorna
Wikipedia
Artikel: Streetscooter
Artikel: Abgasskandal
(letzter Aufruf für alle Links am 24.6.2018)
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