Freitag, 25. September 2015

Grenzen des Kompromiss-Modells (Teil 2, Serie AG Kalkulation)

Es gibt verschiedene Formen von Kalkulationsmodellen, mit denen in einer Arbeitsgruppe „AG Kalkulation“ der Vertragskommission (VK SGB XII) die pauschalen Fortschreibungssätze erarbeitet werden. Im ersten Teil dieser Mini-Serie wurde beschrieben, wie auf einfache Weise ein Kompromiss erzielt werden kann. Im jetzigen zweiten Teil habe ich die Parameter verändert, um aufzuzeigen, wo die Grenzen des Kalkulationsmodells liegen. Im dritten Teil folgen dann die Kritik und Fazit.

Im ersten Teil dieser Mini-Serie hatte eine „AG Kalkulation“ (Arbeitsgruppe, Arbeitskreis) einen Auftrag aus der „VK SGB XII“ (Vertragskommission), einen Interessenausgleich zu finden. Vorrangig ging es um die Einführung einer neuen Leistungsstufe (oder Hilfebedarfsgruppe), bei der die Seite der Leistungsträger eine Reduzierung des Gesamtbudgets erwartete (5 %). Dagegen verlangte die Seite der Leistungserbringer, dass zuerst einmal der Kostenanstieg refinanziert wird (6 %). Beide Seiten sahen dennoch die Notwendigkeit, eine differenzierte Ausgestaltung von Leistungsformen zu vereinbaren.

Um nun beiden Seiten gerecht zu werden, erarbeitete die AG Kalkulation ein simples Kompromiss-Modell, dessen Ergebnis als Beschlussvorlage zurück zur VK gelangen sollte.

Soweit so gut.

Doch was für ein Ergebnis erhält man, wenn statt eines Anteils von 5 % für niedrigschwellige Leistungen ein Anteil von 20 % anzusetzen ist; also wie ändern sich dann die Zahlen?

Neues Beispiel:

Ausgangspunkt ist zuerst einmal ein Verständnis für die Belange der anderen Seite und Konsens. Differenzierte Leistungsformen werden allgemein als eine notwendige Erweiterung des Angebotes betrachtet, um personenzentrierte, bedarfsdeckende Leistungen zu erbringen. Die Steigerung der Kosten um 6 % wird als unausweichlich und angemessen angesehen, so dass an dieser Stelle ebenfalls kein weiterer Bedarf an Erläuterungen besteht. Von daher beschließen beide Seiten, dass zwei Budgets im Umfange von 80 % für die fachpädagogischen Leistungen und 20 % für die niedrigschwelligen Leistungen gebildet werden.

Rechnerisch ergibt sich bei einem Anteil der niedrigschwelligen Leistungen am Gesamtbudget von 20 % eine Reduzierung des Budgets um 15 %, sofern weiterhin ¼ des bisherigen Stundensatzes für diese niedrigschwelligen Leistungen anzusetzen ist. Dabei spielt es zuerst einmal keine Rolle, ob man die verlangte Anhebung um 6 % vorher oder nachher berechnet – 85 Prozentpunkte mal Faktor 1,06 sind nun mal identisch mit 106 Prozentpunkten mal Faktor 0,85.

Doch eine Aufteilung, die sich rein anhand der Bewilligungen orientiert, d.h. im Verhältnis 80:20 erfolgt, berücksichtigt nicht den tatsächlichen Ressourcen-Einsatz. Von daher muss ein Angebot der Leistungsträger, das Teil-Budget von 80 Prozentpunkten um den Faktor 1,06 anzuheben auf 84,80 Prozentpunkte zurückgewiesen werden. Erst wenn man Klarheit darüber hat, wie sich die Kosten bei dem geänderten Ressourcen-Einsatz ergeben, dürfen die Verhandlungen weitergeführt werden.

Bei den niedrigschwelligen Leistungen wäre es dagegen entsprechend der Absenkung des dafür vorgesehenen Stundensatzes auf ¼ des neuen Stundensatzes für die fachpädagogischen Leistungen erwartungsgemäß zu einer Reduzierung gekommen. Vorausgesetzt, dass allgemeiner Konsens besteht, hätte das Teil-Budget sich von 20 Punkten (d.h. 20 %) auf 5,30 Punkte vermindert (20 x ¼ x Faktor 1,06 = 5,30).

Ausgehend von einem solchen Stand der Verhandlungen, würde das neue Gesamtbudget 84,80 + 5,30 = 90,10 Prozentpunkte betragen bzw. wäre es zu einer Absenkung gegenüber dem Vorjahresbudget um 9,90 % gekommen. Zwar sind in diesen Rechnungen die Kostensteigerungen von 6 % enthalten, doch die tatsächlichen Kosten des Ressourcen-Einsatzes in jeder Leistungsform bleiben unbekannt.

Um nun doch zu einem Abschluss zu kommen, könnte man die Vorjahres-Budgets pro Leistungserbringer einmalig festschreiben und in den kommenden Jahren schrittweise absenken. Eine solche Streckung über mehrere Jahre ist auch als Konvergenzphase bekannt. Bei einer solchen Vorgehensweise verhindert man sofortige, einschneidende Maßnahmen im Leistungsangebot (im Jahr der Umstellung). In den Folgejahren könnten (theoretisch) die einzelnen Leistungserbringer ihre Kostenstrukturen anpassen. Dagegen wären von der Absenkung ausgenommen die dann anstehenden, aber noch nicht bekannten Tarifabschlüsse.

Es ist jetzt schon erkennbar, dass das Kompromiss-Modell schnell an seine Grenzen stößt. Ein einfacher Interessenausgleich gelingt nur dann, wenn das, was sich ändern soll, einen relativ geringen Umfang einnimmt. Bei einem Anteil von 5 % für niedrigschwellige Leistungen können beide Parteien schnell einen Kompromiss finden, weil der nachfolgende Anpassungsprozess tragbar und schnell umsetzbar ist. Die Festschreibung eines Vorjahres-Budgets mit der Aussicht auf spätere, leichte Anpassungen findet eher Akzeptanz, wenn eine gewisse Steuerbarkeit und Planbarkeit damit einhergeht. Dagegen benötigt ein Einschnitt von beispielsweise 20 % viel mehr Zeit, damit dauerhafte Absenkungen von den Leistungsträgern verkraftet werden. Ohne eine langfristige Konvergenzphase würde die Angebotslandschaft von Leistungserbringern nur so ausgedünnt werden – ob das im Sinne der Sozialpolitik ist?

CGS





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