Freitag, 2. Oktober 2015

Kritik am Kompromiss-Modell (Teil 3, Serie AG Kalkulation)

Es gibt verschiedene Formen von Kalkulationsmodellen, mit denen in einer Arbeitsgruppe „AG Kalkulation“ der Vertragskommission (VK SGB XII) die pauschalen Fortschreibungssätze erarbeitet werden. Im ersten Teil dieser Mini-Serie wurde beschrieben, wie auf einfache Weise ein Kompromiss erzielt werden kann. Im jetzigen zweiten Teil änderte sich der Parameter für den Leistungsumfang. Im dritten Teil folgen nun die Kritik und das Fazit.

Vorrangig ging es um die Einführung einer neuen Leistungsstufe (oder Hilfebedarfsgruppe), bei der die Seite der Leistungsträger eine Reduzierung des Gesamtbudgets erwartete (im ersten Beispiel betrug der Anteil 5 % vom Vorjahres-Budget, im zweiten Beispiel dann 20 %). Dagegen verlangte die Seite der Leistungserbringer, dass zuerst einmal der erwartete Kostenanstieg refinanziert wird (6 %).

Beide Seiten stimmten darin überein, dass eine differenzierte Ausgestaltung von Leistungsformen nötig geworden war (Stichwort: Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe, o.ä.).

Beide Seiten stimmten auch darin überein, dass die Finanzierbarkeit der Leistungserbringung gesichert bleiben muss – in der Praxis hört es dann aber mit der Übereinstimmung auf, denn die Leistungsträger verstehen unter Finanzierbarkeit sinkende Steuereinnahmen und erwarten von den Leistungserbringern einen Finanzierungsbeitrag; umgekehrt erwarten die Leistungserbringer, dass ihre prospektiven Gestehungskosten gedeckt werden, damit auch die Angebotsstrukturen erhalten bleiben. Gerne betont man in solchen Gesprächen auch, dass man sich auch als Fürsprecher der behinderten Menschen versteht, aber solche Äußerungen sind nicht zielführend.

Um doch noch zu einem Abschluss zu kommen, musste ein Interessenausgleich erfolgen. Zuerst wurde ein simples Kompromiss-Modell entwickelt, welches nur im geringen Umfang das alte Leistungsangebot anpasste, gleichzeitig eine Refinanzierung des erwarteten Kostenanstiegs anteilig zusicherte. Zusätzlich stellte man in Aussicht, das neue niedrigschwellige Leistungsangebot auszuweiten bei gleichzeitiger Anpassung der einzelnen, trägerindividuellen Budgets, dabei sollten Bandbreiten ausgenutzt werden, in denen eine Leistungserbringung erfolgte ohne Auswirkungen auf das zu zahlende Budget (Korridorlösung).

Im zweiten Beispiel, mit einem viel höheren Anpassungsbedarf beim Leistungsangebot, sollte die Festschreibung des Vorjahres-Budgets einen kontinuierlichen Anpassungsprozess ermöglichen. Andernfalls hätte die sofortige Umsetzung einen gehörigen Einschnitt für die Leistungserbringer bedeutet, was womöglich die Trägerlandschaft und die damit einhergehenden Angebote verworfen hätte (Konvergenzphase).

Was heißt das nun?

Grundsätzlich müssen beide Seiten ein gemeinsames Ziel formulieren und an den Parametern arbeiten, die so zu ändern sind, damit das gemeinsame Ziel erreicht werden kann. Die richtigen Parameter zu finden ist allerdings entscheidend. In den vorgenannten Beispielen waren es nur zwei, doch es gibt Kalkulationsmodelle mit weit mehr Stellschrauben (vgl. dazu auch meine Diskussion zum Thema Neues Zeitbasiertes Kalkulationsverfahren). Ohne die Akzeptanz des Ziels und der Parameter, wird es auch keine Akzeptanz bezüglich des Ergebnisses geben. Vielmehr werden einzelne Träger, die sich übergangen oder schlecht repräsentiert fühlen, offenen Widerstand leisten und damit den gesamten Entwicklungsprozess gefährden.

Folgende Möglichkeiten sollte man in Betracht ziehen:

Nicht jeder Leistungserbringer ist gleichermaßen von den Veränderungen in der Angebotsstruktur betroffen. Manche Träger haben eine geringe Exposition, weil z.B. in ihrer Region kaum Bedarfe für niedrigschwellige Angebote vorhanden sind. Sie können nach Überschreiten der gesetzten Bandbreiten Nachberechnungen vornehmen (weil es z.B. eine Überschreitung bei den Mengen gegeben hat). Andere Träger haben eine hohe Exposition und müssten mit weiteren Erlösrückgängen rechnen.

Nicht jeder Leistungserbringer erhält den gleichen Stundensatz (Vergütung). Sehr wahrscheinlich bilden die drei Komponenten Grundpauschale, Maßnahmepauschale und Investitionsbetrag (§ 76 Abs. 2 SGB XII) die zuzuordnenden Kostenarten nicht mehr adäquat ab, weil sie seit langem immer nur pauschal fortgeschrieben und nicht mehr einzeln verhandelt wurden. Mit anderen Worten:  das Verhältnis untereinander stimmt nicht mehr, so dass sich die drei Komponenten „gegenseitig“ ausgleichen bzw. decken müssen.

Nicht jeder Leistungserbringer könnte mit der neuen Angebotsstruktur seine Kosten decken.  Die meisten Vergütungssätze bilden lediglich einen Durchschnitt der Gesamtkosten ab, ohne wirklich das Verhalten der Kosten bei unterschiedlichen Auslastungsgraden zu berücksichtigen. Es gibt Kostenarten, die sich fix, sprungfix oder variabel verhalten, die indirekt oder direkt im Zusammenhang mit der Leistungserbringung stehen.

Nicht jeder Leistungserbringer kann seine Personalstruktur flexibel gestalten. Die Aussprache von betriebsbedingten Kündigungen kann langjährige Gerichtsverfahren nach sich ziehen. Ebenso können Leistungserbringer Personalkosten nicht dadurch senken, dass sie einen Tarifaustritt vollziehen. Der Austritt aus einem Tarifvertrag „friert“ gewissermaßen die Gehälter ein, bewirkt aber keine Kostenreduktion.

Nicht jeder Leistungserbringer kann fachlich einer Entscheidung des Sozialhilfeträgers zur Einführung einer neuen Stufe folgen. Da in wahrscheinlich allen Fällen eine systematisierte Form der Bedarfsbemessung fehlt, wird es immer Kritik an der Ausgestaltung der Stufen geben. Auch bei der Zuordnung der Leistungsberechtigten zu den einzelnen Stufen könnte es Probleme geben, weil nicht der Leistungserbringer den Leistungsberechtigten vor der bewilligenden Stelle vertritt – das ist schließlich Sache des Leistungsberechtigten selber bzw. seines rechtlichen Betreuers.

Nicht jeder Leistungserbringer kann gesellschaftsrechtlich sein Angebot erweitern. Trägerindividuelle Besonderheiten können dem Strukturwandeln entgegenstehen.

Den Strukturwandel zu gestalten heißt, bestehende Leistungsvereinbarungen aufzukündigen und neu zu verhandeln. Dieser Prozess kann sehr viel Zeit veranschlagen und Ressourcen auf allen Seiten dauerhaft binden.

Leistungsvereinbarungen blind aufzukündigen zwingt zwar alle Beteiligten an den Verhandlungstisch, doch tragfähige Lösungen können nicht mit brachialer Gewalt durchgesetzt werden; sie müssen gemeinsam entwickelt und umgesetzt werden.

Fazit:

Allem überzuordnen wäre vorrangig die Frage, ob mit jedem neuartigen Kalkulationsmodell eine personenzentrierte Bedarfsdeckung erfolgt. Vielfach sind Kalkulationsmodelle erschaffen worden, um haushaltspolitische Erwägungen zu berücksichtigen. Wenn Gruppen von Leistungsberechtigten gebildet werden, ist der Ressourceneinsatz über die ermittelten Vergütungen tatsächlich abgedeckt? Oder verhindern die Vergütungssätze gar eine ausreichende, am konkreten Einzelfall auszurichtende Bedarfsabdeckung? Lässt sich über Korridorlösungen eine Vereinfachung erreichen?

Je größer die Verwerfungen auf der Seite der einzelnen Leistungserbringer sein können, desto großzügiger muss mit einer Übergangs- oder Konvergenzphase gearbeitet werden. Nicht zuletzt kann es auch nicht im Sinne der Sozialpolitik sein, die Trägerlandschaft auszudünnen.

CGS




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