Donnerstag, 6. September 2018

Die Zukunft der Sozialen Wohnungspolitik wird in Frage gestellt

Ausgangspunkt für den heutigen Beitrag ist die kritische Auseinandersetzung in einem Blog zur aktuellen Sozialpolitik (Verlinkung siehe unten). Der Betreiber des Blogs befasst sich mit einem Gutachten und Stellungnahmen eines Beratergremiums beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie zur sozialen Wohnungspolitik. 

Dieses Gremium hat sich anscheinend Gedanken darüber gemacht, wie der Staat eine effiziente Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum erreichen kann und wie man die sozialen Härten bei steigenden Mieten abgefedert bekommt. Die Empfehlungen haben es in sich. 

Im Folgenden soll es aber nicht um das Gutachten gehen. Stattdessen will ich hinterfragen, was man sich so gedacht hat und welcher Zweck mit solchen Vorschlägen verfolgt wird. Da mit dem BTHG eine sehr umfassende Reform der Eingliederungshilfe startete und nun sehr viele Dinge sich verändern, hat mich der Blog-Beitrag interessiert.


Die große Problemlage im sozialen Wohnungsbau

Das Beratergremium beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie veröffentlichte jetzt im Juli 2018 ein Gutachten zur Sozialen Wohnungspolitik in Deutschland. Man versuchte sich Gedanken zu machen über eine effiziente Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum sowie den Anstieg von Mieten sozial abzufedern. Bei der Erarbeitung offenbarten sich zwei Problemlagen.

Zum einen wurde die Fehlbelegung von Sozialwohnungen als ein großes Problem angesehen. Es ging dabei nicht um den „unerlaubten“ Bezug von solchen öffentlich geförderten, und dementsprechend billigeren, Wohnungen. Man sah ein Problem darin, dass viele Mieter zwischenzeitlich ein höheres Einkommen erzielten und von daher die Einkommensgrenzen überschritten hatten, so dass von einer Fehlbelegung gesprochen werden konnte (siehe hierzu auch meine Notizen weiter unten).

Zum anderen wird der Bau von Sozial-Wohnungen mit öffentlichen Mitteln als eine völlige Fehlpolitik betrachtet. Es wird von einer Objektsubventionierung oder Objektförderung gesprochen, und es wird kritisiert, dass die Vermietung im Ermessen der vermietenden Unternehmen passiert. Die suchen sich nämlich aus dem Pool an (bedürftigen) Mietinteressenten „ … wahrscheinlich doch diejenigen aus, die ihnen die größere Wahrscheinlichkeit liefern, die Miete auch immer zahlen zu können. Das heißt, sie werden unter den Bedürftigen die weniger Bedürftigen bevorzugen, und das kann es doch auch nicht sein.“ (Friedrich Breyer im Deutschlandfunk, Quellenangabe siehe unten).

So gesehen sind es die Fehlbelegung und das Bevorzugen von zahlungskräftigen (jedoch gleichzeitig bedürftigen) Mietern, die zu einer mangelhaften Versorgung mit Wohnraum geführt haben. Es braucht eine Lösung!


Wird der Markt diese Problemlage lösen können?

Diese beiden Punkte könnten sich erledigen, wenn man den Markt das machen lässt. Statt das Kapital des Staates in dieser „Objektförderung“ langfristig zu binden, und nichts gegen die Fehlbelegung unternehmen zu können, ist nicht zielführend. Viel „zielgenauer“ wäre es, so das Beiratsmitglied im Interview, mittels eines erhöhten Wohngeldes den bedürftigen Menschen zu helfen – „Subjektförderung“.

Also Schluss mit der Subventionierung von Bauvorhaben und hin zur Förderung von Bedürftigen. Das klingt sehr sozialorientiert. Und weil dann der Staat nicht mehr baut, wird der Markt einspringen und die Lücke mit preisungebundenen Wohnungen füllen.

Um gleich auch eine Anregung für viele Neubauten zu geben, müsste die Mietpreisbremse zu den Akten gelegt werden. Die sich dann ergebenden Mietpreissteigerungen würden durch das erhöhte Wohngeld, wie gesagt, „zielgenau“ sozial abgefedert werden.

Warum nicht einen „Zahn zulegen“ und das Ganze konsequent fortsetzen? Viele Großstädte sind Eigentümerin von Wohnungsunternehmen mit hohem Immobilienbestand. Warum also nicht alles verkaufen und die Verwaltungen abschaffen? Man spart sich dann nicht nur die teure Wohnungspolitik mit ihren vielen, sehr komplizierten Gesetzen (z.B. WoFG), die Kommunen könnten dann endlich Gelder einnehmen und Schuldenberge abtragen. Ein weiterer Vorteil einer Politik des Veräußerns wäre es, das Angebot zu erhöhen – und das weiß ja schließlich jeder, dass ein Über-Angebot schnell die Immobilien-Preise drückt. Und wenn das konsequent fortgesetzt wird, sinken Mieten und der Staat spart Wohngeld.

Statt das viele Staatsgeld auf Jahrzehnte in Sozialbauten zu binden, lieber den Bedürftigen ein höheres Wohngeld zuwenden und den Markt machen lassen.


Ein solcher Lösungsweg als Sackgasse?

Diese Sache mit der Fehlbelegungsabgabe ist eine Fehlpolitik gewesen. Die Bundesländer erhielten vor langer Zeit zwar die Möglichkeit, eine solche „Straf“-Abgabe zu erheben, um die „Fehlsubventionierung im Wohnungswesen“ (vgl. dazu AFWoG) abzubauen, doch die Umsetzung bereitete Schwierigkeiten. Der Verwaltungsaufwand soll seinerzeit immens gewesen sein, so dass es sich einfach nicht „bezahlt“ machte. Zudem gab es anscheinend auch den Wegzug der „Besserverdiener“, so dass sich dies nachteilig auf die Sozialstruktur im Wohngebiet auswirkte.

Schaut man sich die Regelungen zur Berechnung der Einkommensgrenzen an (§§ 20 bis 24 WoFG), dann begegnet einem ein richtiger Paragraphen-Dschungel. Es liegt nahe, dass in einem derartigen System Fehler entstehen, die dann aufwändig und rechtssicher gelöst werden müssen.

Wäre der Rückzug des Staates aus dem (sozialen) Wohnungsbau in dem Fall die Lösung? – Wohl kaum. Schon gar nicht, wenn der Privat-Sektor die so entstehende, weitere Bedarfslücke nicht füllen kann; „weitere“ Bedarfslücke deswegen, weil noch immer, trotz öffentlich-geförderter Bauvorhaben, zu wenige Neubaumaßnahmen entstehen. Was sich dagegen immer wieder zeigt, ist eine Konzentration von Bauvorhaben der Privatwirtschaft fast ausschließlich im Hochpreissegment – verständlich, denn so etwas bringt Rendite.

Der private Wohnungsneubau bedient den Bedarf an Gewinnmaximierung, aber nicht den Bedarf an bezahlbarem Wohnraum. Ohne den sozialen Wohnungsbau würde die Verknappung zunehmen, so dass der Mangel an günstigeren Mietwohnungen zu einer deutlichen Verteuerung führen würde. Die einzige Alternative für Wohnungssuchende wären dann Eigentumswohnungen.

Das Beratergremium plädiert für ein höheres Wohngeld. Mit einem aufgestockten Wohngeld, was ja immerhin eine Sozialleistung bedeutet (vgl. §§ 26 und 68 Nr. 10 SGB I), wären selbst hochpreisige Mietwohnungen verfügbar für bedürftige Menschen. Klingt nach sozialer Gleichberechtigung. Aber geht es da noch um die Versorgung von unterstützungsbedürftigen Haushalten mit „angemessenen Wohnraum“ oder soll vorrangig etwas ganz anderes verfolgt werden? Auch diesen Gedanken könnte man konsequent fortsetzen und fragen, ob es dann noch einen Unterschied geben soll zwischen einer Wohnung in bester Lage und einer anderen an einer vielbefahrenen Hauptverkehrsstraße. Mit Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherung steht dieser Vorschlag nicht im Einklang (vgl. § 1 Abs. 1 SGB I).


Wie es nun weitergehen wird?

Die regierenden Parteien hatten im Koalitionsvertrag an vielen Stellen eine „Wohnraumoffensive“ beschrieben. Ziel ist es, ein lebenswertes Wohnen zu ermöglichen, in dem u.a. für den sozialen Wohnungsbau 2 Mrd. Euro vorgesehen sind (Zeilen 569 und 570 im Koalitionsvertrag zur 19. Legislaturperiode), der Mietanstieg gedämpft werden soll (Zeile 574) und eine Anpassung des Wohngelds an die individuellen Lebensbedingungen geschieht (Zeile 576) – was den letzten Punkt anbelangt, mit Anpassung kann natürlich auch eine Absenkung gemeint sein.

So schnell wird sich womöglich aber nichts ändern. Es zeigt sich ganz aktuell eine Aufgeschlossenheit bei Leistungsträgern und Leistungserbringern, Wohnraum für Menschen mit besonderen und unterschiedlichsten Bedarfen bereit- und herzustellen. Auf vielen Ebenen findet eine lösungsorientierte Zusammenarbeit statt. Es werden Ideen eingebracht und umgesetzt, die man wirklich als „Wohnraumoffensive“ bezeichnen kann – eine Offensive, die eher im Verborgenen passiert.

Mit der Reform der Eingliederungshilfe ergibt sich für den sozialen Wohnungsbau dann auch noch die Notwendigkeit, einen ganz neuen Typ Wohnraum zu bauen: barrierefrei und hilfsmittelgerecht. Diese Erkenntnis ist übrigens nicht neu, sie wird allerdings endlich „wiederbelebt“. Initiativen, wie z.B. ein Verein für Hilfsmittelberatung, Wohnraumanpassung und barrierefreie Bauberatung, können einen sehr guten Beitrag dazu leisten, wobei für die Baubegleitung schon ein Betriebsbeauftragter oder unabhängiger Berater der Geschäftsführung zugeordnet werden sollte.

Für die leistungsberechtigten Menschen wird sich ebenfalls nicht viel ändern, weil das Wohngeld nach wie vor geleistet wird – egal nun in welcher Höhe. Doch die gesetzlichen Betreuer werden einen weiteren Antrag auf unterstützende Sozialleistungen im Blick behalten müssen.

Was nach der Auseinandersetzung mit diesem Thema für mich bleibt, ist ein schaler Beigeschmack dieses Beratergremium betreffend. Wirklich sozial sind die dort vorherrschenden Gedanken keineswegs. Welchem Interesse mit so einem Papier gedient wird, bleibt ebenfalls unklar. Das ganze gibt einem schon zu denken, weil mit derartigen Vorstößen der soziale Frieden gestört werden kann.

CGS


PS:

Es wird demnächst ein weiteres Gutachten geben zu genau diesen Themen – und zwar vom Sozialverband Deutschland (SoVD). Vielleicht hat der Blog-Beitrag von Prof. Dr. Sell auch diese Kreise erreicht (der Link weiter unten).



Quellen:

Aktuelle Sozialpolitik
Informationen, Analysen und Kommentare aus den Tiefen und Untiefen der Sozialpolitik
Prof. Dr. Stefan Sell


herausgegeben am 29.8.2018


Wissenschaftlicher Beirat
beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie


Stand 17.7.2018


Deutschlandfunk

Friedrich Breyer im Gespräch mit Stephanie Rohde

erschienen am 25.08.2018


Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD
  

Statistisches Bundesamt (Destatis)

Fachserie 13 Reihe 4

Tabelle 2: Hauptergebnisse der Wohngeldstatistik nach Ländern am 31.12.2016, Seite 16

erschienen am 5.10.2017


Barrierefrei Leben e.V.
Verein für Hilfsmittelberatung, Wohnraumanpassung und barrierefreie Bauberatung



Wikipedia

Kernaussage im Artikel der Wikipedia: „Ziel der Abschaffung der Fehlbelegungsabgabe war auch, für eine bessere Sozialstruktur in Wohnvierteln zu sorgen.“


Kobinet Nachrichten

veröffentlicht am 5.9.2018 von Franz Schmahl

(letzter Aufruf für alle Links am 6.9.2018)



Notizen:

Die Einkommensgrenzen für eine Wohnberechtigung liegen gem. § 9 WoFG für eine Einzelperson bei 12 Tsd. Euro im Jahr (monatlich 1.000 Euro) und für zwei Personen bei 18 Tsd. Euro (1.500 Euro). Jede weitere Person würde eine Aufstockung um 4,1 Tsd. Euro (341,67 Euro) bedeuten. Es handelt sich bei diesen Werten um ein Jahreseinkommen, dass nach ganz besonderen Vorgaben zu bestimmen ist – man könnte auch von einem angepassten Netto-Einkommen sprechen. Die Länder können von diesen Werten im Übrigen nach oben abweichen.

Wenn man jetzt verstehen möchte, was diese Einkommensgrenzen in Brutto bedeuten, muss man die vielen Abzugsbeträge wieder hinzurechnen (vgl. §§ 20 bis 24 WoFG).

Wohnungsinhabern, die in Folgejahren diese Einkommensgrenzen überschritten haben, kann nicht gekündigt werden. Kommunen nehmen es hin, dass „Fehlbeleger“ wohnen bleiben, weil man den Aufwand für die Prüfung, Erhebung und Verwaltung von Fehlbelegungsabgaben (vgl. § 34 WoFG) als zu hoch einschätzt. Wie es jetzt wäre, ist nicht bekannt. Was man dagegen gerne sieht (oder sich rationalisierend einredet), ist eine Verbesserung der Sozialstruktur in den (öffentlich geförderten) Wohnvierteln, damit es keine Ghettoisierung gibt (siehe hierzu auch den Artikel in der Wikipedia, Stand 4.9.2018).





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