Dieses Gremium hat sich anscheinend Gedanken darüber gemacht, wie der Staat eine effiziente Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum erreichen kann und wie man die sozialen Härten bei steigenden Mieten abgefedert bekommt. Die Empfehlungen haben es in sich.
Im Folgenden soll es aber nicht um das Gutachten gehen. Stattdessen will ich hinterfragen, was man sich so gedacht hat und welcher Zweck mit solchen Vorschlägen verfolgt wird. Da mit dem BTHG eine sehr umfassende Reform der Eingliederungshilfe startete und nun sehr viele Dinge sich verändern, hat mich der Blog-Beitrag interessiert.
Die große Problemlage im
sozialen Wohnungsbau
Das Beratergremium beim Bundesministerium für Wirtschaft und
Energie veröffentlichte jetzt im Juli 2018 ein Gutachten zur Sozialen
Wohnungspolitik in Deutschland. Man versuchte sich Gedanken zu machen über eine
effiziente Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum sowie den Anstieg von Mieten
sozial abzufedern. Bei der Erarbeitung offenbarten sich zwei Problemlagen.
Fachserie 13 Reihe 4
Tabelle 2: Hauptergebnisse der Wohngeldstatistik nach Ländern am 31.12.2016, Seite 16
Zum einen wurde die Fehlbelegung von Sozialwohnungen als ein
großes Problem angesehen. Es ging dabei nicht um den „unerlaubten“ Bezug von
solchen öffentlich geförderten, und dementsprechend billigeren, Wohnungen. Man
sah ein Problem darin, dass viele Mieter zwischenzeitlich ein höheres Einkommen
erzielten und von daher die Einkommensgrenzen überschritten hatten, so dass von
einer Fehlbelegung gesprochen werden konnte (siehe hierzu auch meine Notizen
weiter unten).
Zum anderen wird der Bau von Sozial-Wohnungen mit
öffentlichen Mitteln als eine völlige Fehlpolitik betrachtet. Es wird von einer
Objektsubventionierung oder Objektförderung gesprochen, und es wird kritisiert,
dass die Vermietung im Ermessen der vermietenden Unternehmen passiert. Die
suchen sich nämlich aus dem Pool an (bedürftigen) Mietinteressenten „ …
wahrscheinlich doch diejenigen aus, die ihnen die größere Wahrscheinlichkeit
liefern, die Miete auch immer zahlen zu können. Das heißt, sie werden unter den
Bedürftigen die weniger Bedürftigen bevorzugen, und das kann es doch auch nicht
sein.“ (Friedrich Breyer im Deutschlandfunk, Quellenangabe siehe unten).
So gesehen sind es die Fehlbelegung und das Bevorzugen von
zahlungskräftigen (jedoch gleichzeitig bedürftigen) Mietern, die zu einer
mangelhaften Versorgung mit Wohnraum geführt haben. Es braucht eine Lösung!
Wird der Markt diese Problemlage
lösen können?
Diese beiden Punkte könnten sich erledigen, wenn man den
Markt das machen lässt. Statt das Kapital des Staates in dieser „Objektförderung“
langfristig zu binden, und nichts gegen die Fehlbelegung unternehmen zu können,
ist nicht zielführend. Viel „zielgenauer“ wäre es, so das Beiratsmitglied im
Interview, mittels eines erhöhten Wohngeldes den bedürftigen Menschen zu helfen
– „Subjektförderung“.
Also Schluss mit der Subventionierung von Bauvorhaben und
hin zur Förderung von Bedürftigen. Das klingt sehr sozialorientiert. Und weil
dann der Staat nicht mehr baut, wird der Markt einspringen und die Lücke mit
preisungebundenen Wohnungen füllen.
Um gleich auch eine Anregung für viele Neubauten zu geben,
müsste die Mietpreisbremse zu den Akten gelegt werden. Die sich dann ergebenden
Mietpreissteigerungen würden durch das erhöhte Wohngeld, wie gesagt, „zielgenau“
sozial abgefedert werden.
Warum nicht einen „Zahn zulegen“ und das Ganze konsequent
fortsetzen? Viele Großstädte sind Eigentümerin von Wohnungsunternehmen mit
hohem Immobilienbestand. Warum also nicht alles verkaufen und die Verwaltungen
abschaffen? Man spart sich dann nicht nur die teure Wohnungspolitik mit ihren
vielen, sehr komplizierten Gesetzen (z.B. WoFG), die Kommunen könnten dann endlich
Gelder einnehmen und Schuldenberge abtragen. Ein weiterer Vorteil einer Politik
des Veräußerns wäre es, das Angebot zu erhöhen – und das weiß ja schließlich
jeder, dass ein Über-Angebot schnell die Immobilien-Preise drückt. Und wenn das
konsequent fortgesetzt wird, sinken Mieten und der Staat spart Wohngeld.
Statt das viele Staatsgeld auf Jahrzehnte in Sozialbauten zu
binden, lieber den Bedürftigen ein höheres Wohngeld zuwenden und den Markt
machen lassen.
Ein solcher Lösungsweg als
Sackgasse?
Diese Sache mit der Fehlbelegungsabgabe ist eine
Fehlpolitik gewesen. Die Bundesländer erhielten vor langer Zeit zwar die
Möglichkeit, eine solche „Straf“-Abgabe zu erheben, um die
„Fehlsubventionierung im Wohnungswesen“ (vgl. dazu AFWoG) abzubauen, doch die
Umsetzung bereitete Schwierigkeiten. Der Verwaltungsaufwand soll seinerzeit immens
gewesen sein, so dass es sich einfach nicht „bezahlt“ machte. Zudem gab es
anscheinend auch den Wegzug der „Besserverdiener“, so dass sich dies nachteilig
auf die Sozialstruktur im Wohngebiet auswirkte.
Schaut man sich die Regelungen zur Berechnung der
Einkommensgrenzen an (§§ 20 bis 24 WoFG), dann begegnet einem ein richtiger
Paragraphen-Dschungel. Es liegt nahe, dass in einem derartigen System Fehler
entstehen, die dann aufwändig und rechtssicher gelöst werden müssen.
Wäre der Rückzug des Staates aus dem (sozialen)
Wohnungsbau in dem Fall die Lösung? – Wohl kaum. Schon gar nicht, wenn der
Privat-Sektor die so entstehende, weitere Bedarfslücke nicht füllen kann;
„weitere“ Bedarfslücke deswegen, weil noch immer, trotz öffentlich-geförderter
Bauvorhaben, zu wenige Neubaumaßnahmen entstehen. Was sich dagegen immer wieder
zeigt, ist eine Konzentration von Bauvorhaben der Privatwirtschaft fast
ausschließlich im Hochpreissegment – verständlich, denn so etwas bringt
Rendite.
Der private Wohnungsneubau bedient den Bedarf an
Gewinnmaximierung, aber nicht den Bedarf an bezahlbarem Wohnraum. Ohne den
sozialen Wohnungsbau würde die Verknappung zunehmen, so dass der Mangel an günstigeren
Mietwohnungen zu einer deutlichen Verteuerung führen würde. Die einzige
Alternative für Wohnungssuchende wären dann Eigentumswohnungen.
Das Beratergremium plädiert für ein höheres Wohngeld. Mit
einem aufgestockten Wohngeld, was ja immerhin eine Sozialleistung bedeutet (vgl.
§§ 26 und 68 Nr. 10 SGB I), wären selbst hochpreisige Mietwohnungen verfügbar
für bedürftige Menschen. Klingt nach sozialer Gleichberechtigung. Aber geht es da
noch um die Versorgung von unterstützungsbedürftigen Haushalten mit
„angemessenen Wohnraum“ oder soll vorrangig etwas ganz anderes verfolgt werden?
Auch diesen Gedanken könnte man konsequent fortsetzen und fragen, ob es dann
noch einen Unterschied geben soll zwischen einer Wohnung in bester Lage und
einer anderen an einer vielbefahrenen Hauptverkehrsstraße. Mit Verwirklichung sozialer
Gerechtigkeit und sozialer Sicherung steht dieser Vorschlag nicht im Einklang (vgl.
§ 1 Abs. 1 SGB I).
Wie es nun
weitergehen wird?
Die regierenden Parteien hatten im Koalitionsvertrag an
vielen Stellen eine „Wohnraumoffensive“ beschrieben. Ziel ist es, ein
lebenswertes Wohnen zu ermöglichen, in dem u.a. für den sozialen Wohnungsbau 2
Mrd. Euro vorgesehen sind (Zeilen 569 und 570 im Koalitionsvertrag zur 19.
Legislaturperiode), der Mietanstieg gedämpft werden soll (Zeile 574) und eine Anpassung
des Wohngelds an die individuellen Lebensbedingungen geschieht (Zeile 576) –
was den letzten Punkt anbelangt, mit Anpassung kann natürlich auch eine
Absenkung gemeint sein.
So schnell wird sich womöglich aber nichts ändern. Es
zeigt sich ganz aktuell eine Aufgeschlossenheit bei Leistungsträgern und
Leistungserbringern, Wohnraum für Menschen mit besonderen und
unterschiedlichsten Bedarfen bereit- und herzustellen. Auf vielen Ebenen findet
eine lösungsorientierte Zusammenarbeit statt. Es werden Ideen eingebracht und
umgesetzt, die man wirklich als „Wohnraumoffensive“ bezeichnen kann – eine
Offensive, die eher im Verborgenen passiert.
Mit der Reform der Eingliederungshilfe ergibt sich für
den sozialen Wohnungsbau dann auch noch die Notwendigkeit, einen ganz neuen Typ
Wohnraum zu bauen: barrierefrei und hilfsmittelgerecht. Diese Erkenntnis ist
übrigens nicht neu, sie wird allerdings endlich „wiederbelebt“. Initiativen,
wie z.B. ein Verein für Hilfsmittelberatung, Wohnraumanpassung und
barrierefreie Bauberatung, können einen sehr guten Beitrag dazu leisten, wobei
für die Baubegleitung schon ein Betriebsbeauftragter oder unabhängiger Berater der
Geschäftsführung zugeordnet werden sollte.
Für die leistungsberechtigten Menschen wird sich ebenfalls
nicht viel ändern, weil das Wohngeld nach wie vor geleistet wird – egal nun in
welcher Höhe. Doch die gesetzlichen Betreuer werden einen weiteren Antrag auf unterstützende
Sozialleistungen im Blick behalten müssen.
Was nach der Auseinandersetzung mit diesem Thema für mich
bleibt, ist ein schaler Beigeschmack dieses Beratergremium betreffend. Wirklich
sozial sind die dort vorherrschenden Gedanken keineswegs. Welchem Interesse mit
so einem Papier gedient wird, bleibt ebenfalls unklar. Das ganze gibt einem
schon zu denken, weil mit derartigen Vorstößen der soziale Frieden gestört
werden kann.
CGS
PS:
Es wird demnächst ein weiteres Gutachten geben zu genau
diesen Themen – und zwar vom Sozialverband Deutschland (SoVD). Vielleicht hat
der Blog-Beitrag von Prof. Dr. Sell auch diese Kreise erreicht (der Link weiter
unten).
Quellen:
Aktuelle Sozialpolitik
Informationen, Analysen und Kommentare aus den Tiefen
und Untiefen der Sozialpolitik
Prof. Dr. Stefan Sell
herausgegeben am 29.8.2018
Wissenschaftlicher Beirat
beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
Stand 17.7.2018
Deutschlandfunk
Friedrich Breyer im Gespräch mit Stephanie Rohde
erschienen am 25.08.2018
Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD
Statistisches Bundesamt (Destatis)
Fachserie 13 Reihe 4
Tabelle 2: Hauptergebnisse der Wohngeldstatistik nach Ländern am 31.12.2016, Seite 16
erschienen am 5.10.2017
Barrierefrei Leben e.V.
Verein für Hilfsmittelberatung, Wohnraumanpassung und
barrierefreie Bauberatung
Wikipedia
Kernaussage im Artikel der Wikipedia: „Ziel der Abschaffung der Fehlbelegungsabgabe
war auch, für eine bessere Sozialstruktur in Wohnvierteln zu sorgen.“
Kobinet Nachrichten
veröffentlicht am 5.9.2018 von Franz Schmahl
(letzter Aufruf für alle Links am 6.9.2018)
Notizen:
Die Einkommensgrenzen für eine Wohnberechtigung liegen gem.
§ 9 WoFG für eine Einzelperson bei 12 Tsd. Euro im Jahr (monatlich 1.000 Euro)
und für zwei Personen bei 18 Tsd. Euro (1.500 Euro). Jede weitere Person würde
eine Aufstockung um 4,1 Tsd. Euro (341,67 Euro) bedeuten. Es handelt sich bei
diesen Werten um ein Jahreseinkommen, dass nach ganz besonderen Vorgaben zu
bestimmen ist – man könnte auch von einem angepassten Netto-Einkommen sprechen.
Die Länder können von diesen Werten im Übrigen nach oben abweichen.
Wenn man jetzt verstehen möchte, was diese Einkommensgrenzen
in Brutto bedeuten, muss man die vielen Abzugsbeträge wieder hinzurechnen (vgl.
§§ 20 bis 24 WoFG).
Wohnungsinhabern, die in Folgejahren diese Einkommensgrenzen
überschritten haben, kann nicht gekündigt werden. Kommunen nehmen es hin, dass
„Fehlbeleger“ wohnen bleiben, weil man den Aufwand für die Prüfung, Erhebung
und Verwaltung von Fehlbelegungsabgaben (vgl. § 34 WoFG) als zu hoch
einschätzt. Wie es jetzt wäre, ist nicht bekannt. Was man dagegen gerne sieht
(oder sich rationalisierend einredet), ist eine Verbesserung der Sozialstruktur
in den (öffentlich geförderten) Wohnvierteln, damit es keine Ghettoisierung
gibt (siehe hierzu auch den Artikel in der Wikipedia, Stand 4.9.2018).
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