Diese Sache ist ein
wenig sehr bürokratisch. Aber: Sie „lohnt“ sich!
In Schleswig-Holstein
gibt es eine Regelung zur „Mehrfachbetreuung“ von behinderten Menschen, die in
einer Wohneinrichtung leben (stationäre Einrichtung, klassische
Behindertenhilfe). Es geht jetzt aber nicht um zusätzliches Personal, sondern
um mögliche „doppelte“ Kosten, die mit der Verpflegung dieser Menschen
entstehen können. Das klingt nach einem ordentlichen Maß an Bürokratie und
Verwaltungsarbeit – und man darf sich schon fragen, ob sich das Ganze überhaupt
lohnt.
Zuerst einmal ist es wichtig,
dass man den Sinn des Ganzen hinterfragt. Warum gibt es überhaupt sowas wie
eine Mehrfachbetreuung an einem anderen Ort? Und um wie viel Geld geht es?
Mehrfachbetreuung weil
Zwei-Milieu-Prinzip
In manchen Vergütungsvereinbarungen findet sich seit einigen
Jahren ein Passus über die Mehrfachbetreuung bei stationärer Unterbringung. Hintergrund
ist der, dass in den betreffenden Einrichtungen die Tagesstruktur an einem
anderen Ort stattfinden kann. Beispiele für solche Orte sind Beschäftigungs-
und Arbeitsprojekte, eine Tagesstätte oder sogar eine Werkstatt für behinderte
Menschen, ebenso bekannt als teilstationäre Einrichtungen. Ein Leistungsberechtigter besucht diese an den Werktagen und erhält dort eine Beschäftigung. Seine übrige
Zeit verbringt er dann in der stationären Einrichtung – seinem Heim und
privaten Rückzugsort (Zwei-Milieu-Prinzip).
Mit diesem Zwei-Milieu-Prinzip wird neben dem
Leistungsbereich „Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft“ auch eine „Teilhabe am
Arbeitsleben und Beschäftigung“ sichergestellt (vgl. auch § 4 SGB IX). Das
bisher bekannte Kriterium eines „Mindestmaß an verwertbarer Arbeit“ darf dabei
nicht mehr zur Geltung kommen. Es soll verhindert werden, dass damit ein
Ausschluss der behinderten Menschen von einer Beschäftigung bzw. die
Beschränkung auf Maßnahmen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft stattfindet.
Das Anrecht auf Beschäftigung kann folgerichtig als ein Grundrecht verstanden
werden.
Was nun die Mehrfachbetreuung angeht, hatte man sich in
einer Sitzung der zuständigen Vertragskommission überlegt, dass eine
Rückerstattung von möglicherweise doppelt kalkulierten Lebensmittelkosten
erfolgen muss. Wenn Leistungserbringer sich tagsüber an einem anderen Ort
aufhalten, erfolgt durch die stationäre Einrichtung keine Voll-Verpflegung. Es
gibt zwar ein Frühstück und Abendessen, aber keine Mittagsverpflegung. Die
aufgesuchte, teilstationäre Einrichtung, wie z.B. eine WfbM, wird dagegen die
Mittagsverpflegung stellen, so dass dann eine Rückerstattung wegen
Nicht-Leistung irgendwie erfolgen musste.
Damit diese Möglichkeit zur Kürzung der Vergütung nicht
vergessen wird, musste der Passus in die Vergütungsvereinbarung eingearbeitet
werden und sofort den Betrag ausweisen, der zu erstatten ist.
Berechnung einer Erstattung
Die Koordinierungsstelle soziale Hilfen der schleswig-holsteinischen
Kreise (KOSOZ) trägt in die Vergütungsvereinbarung den Hinweis ein, dass
nunmehr eine Erstattung in Höhe von „40 %“ des vereinbarten Lebensmittelsatzes
erfolgen soll, wenn ein Bewohner dieser Einrichtung eine teilstationäre
Einrichtung (wie z.B. die WfbM oder ein Arbeitsprojekt) aufsucht.
Was den Lebensmittelsatz anbelangte, gibt es nach wie vor
keine einheitliche Größe. In vielen Fällen ist es ein historischer Wert, der
einfach nur fortgeschrieben wurde; nur selten fand eine echte Neukalkulation
statt. Da in früheren Jahren noch dazu ein „Selbstkosten“-Prinzip angewendet
wurde, handelte es sich teilweise um echte Ausgaben auf der Grundlage von
vergangenen Arbeitsweisen und Betreuungssituationen. Mittlerweile gibt es
immerhin den Vergleich mit den Pauschalen in den Regelbedarfssätzen aus Hartz
IV. Für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke sind im Monat 145,04 Euro
vorgesehen, was einem Tagessatz von 4,77 Euro entsprechen würde. Rechnet man
jetzt mit den 40 % weiter und unterstellt 210 Arbeitstage (ohne Urlaubs- und
Krankheitsabwesenheiten), ergibt sich eine Erstattung von 400,68 Euro.
Der Betrag soll nach den Vorstellungen der KOSOZ von der
jeweiligen stationären Einrichtung an die teilstationäre Einrichtung oder den
Leistungsberechtigten selber gezahlt werden. Das Problem an dieser Stelle wäre,
dass es mit den beiden keine Verträge über so etwas gibt. Wer die Erstattung
geltend machen könnte, wäre allerdings der zuständige Leistungsträger. Doch um
eine solche Erstattung wiederum geltend zu machen, braucht es eine
Besuchsstatistik aus der teilstationären Einrichtung.
Ganz schön kompliziert. Es wäre einfacher, wenn der
Lebensmittelsatz bereits gekürzt wäre um die potentiell nicht geleistete
Mittagsverpflegung und dieser Passus dann schlichtweg gestrichen wird. Bei
Vergütungsvereinbarungen über Einrichtungstypen A.I.2 (Position im Katalog der
Einrichtungstypen in Schleswig-Holstein) wäre das grundsätzlich der Fall. Bei
den Einrichtungstypen A.I.3 müsste der Passus jedoch bestehen bleiben, weil
eine solche Konstellation denkbar ist. Wie häufig das nun wirklich der Fall ist,
kann m.W. keiner beziffern.
Würde der Tagessatz einer Vollvergütung bei etwa 100 Euro
liegen, ergibt sich immerhin eine Einsparung von 1 % bei einem
Leistungsberechtigten. Braucht der Verwaltungsmensch für die Herstellung einer
solchen Rückerstattung doch mal 2 bis 3 Stunden (ca. 110 Euro Personalkosten des
Verwaltungsmenschen auf Vollkosten-Basis), wird es knapp, aber die Verwaltung
hätte trotzdem Geld gespart.
Es „lohnt“.
CGS
PS:
Es ist natürlich so, dass noch viel mehr Zeit darauf
verwandt wurde, sich so eine Regelung überhaupt auszudenken, zu formulieren und
zu vereinbaren (auf VK- und Verhandler-Ebenen). Weil es aber bis in alle
Ewigkeit so weitergeht, „lohnt“ es sich.
Und noch ein PS:
Als Leistungserbringer sollte man tunlichst darauf
achten, was man als Vergütungsvereinbarung vorgesetzt bekommt. Wenn schon jetzt
die Kalkulation einen reduzierten Bedarf berücksichtigt hatte, braucht es ein „Zusatzmodul“
für diejenigen Leistungsberechtigten, die z.B. aus Altersgründen aus der WfbM ausgeschieden
sind.
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