Begriffe und
Bezeichnungen sind vielleicht schon mal ein Anfang. Will man aber den Menschen
wirklich verstehen, muss man Fragen stellen und zuhören. Zuhören wiederum
verlangt natürlich eine Rückmeldung und Umformulierung, um sicher zu gehen,
dass man verstanden hat. Ein solches Vorgehen fördert. Und Förderung ist
letztlich die Grundlage der Arbeit, weil diese Hilfe zur Eingliederung aus den
Menschen unabhängige, selbstbestimmte Teilhaber am Leben in der Gemeinschaft
machen soll.
Sprache formt
Denken
Menschen mit Behinderung werden häufig einfach nur als
hilflos und unselbständig betrachtet. Und das ist aus Sicht der
Leistungsmenschen natürlich verständlich, weil der Wettbewerb und die ständige
Konkurrenz zu einem schnellen, effektiven und entscheidungsfreudigen Handeln
zwingen. Das ist die Normalität, in der die Leistungsmenschen leben – und die
anderen eben nicht.
Problem ist hier aber nun, dass eine solche,
zugegebenermaßen sehr egozentrische Sicht, keine echte Kommunikation entstehen
lässt zwischen den Leistungsmenschen und allen anderen. Um wirklich ein
Verstehen zu erreichen, muss man sich auf die andere Person einlassen und
versuchen, ihre Sprache zu sprechen. Am besten ist es sogar, wenn man die
Perspektive wechselt und versucht, die Dinge aus der Sicht der anderen Person wahrzunehmen.
„Sprache formt Denken“ – habe ich an irgendeiner Stelle erfahren.
Von daher kann man sich vielleicht damit helfen, indem man die früher
gedankenlos verwendeten Begriffe mal austauscht („Behinderte“) und den Weg frei
macht für völlig neue Einsichten.
Vor wenigen Jahren zum Beispiel wurde der Begriff „Assistenz“
zum neuen Standard und löste „Betreuung“ aus vielen Verträgen und Formularen
ab. Um dann noch den zwischen den Berufsgruppen mit zwei- oder dreijähriger
Ausbildung zu unterscheiden, den „Nichtfachkräften“ und „Fachkräften“,
verwendete man die „Assistenzfachkraft“. Nun etablieren sich mehr und mehr
andere Bezeichnungen, die zeigen, wie ernst man es damit nimmt: Begleiter,
Förderer und Fördergebende, Unterstützer
und Unterstützende.
Fragen braucht
es, um die zu Unterstützenden kennenzulernen
Warum nicht auch noch Fragen stellen an die dienstleistungsnehmenden
Menschen (!), um aus ihren Antworten sich und seine Arbeitsleistung reflektiert
zu bekommen?
-
Fragen deine
Unterstützenden, wie es dir geht und hören sie dann auch zu?
-
Fragen
deine Unterstützenden, was sie tun können?
-
Fragen
deine Unterstützenden, was du brauchst?
Das Wichtigste an diesen Fragen ist, der Fragesteller
muss sich Zeit nehmen und sich damit dem Gegenüber öffnen. Diese Hinwendung
erlaubt es dann, dass Kommunikation entsteht, weil man sich zuhört und weil man
um ein Verstehen bemüht ist.
-
Reden
deine Unterstützenden über dich und bist du dann dabei und kannst was sagen?
-
Reden
deine Unterstützenden über die Dinge, die du gut kannst?
Es wird naturgemäß in der sozialen Dienstleistung über
die Menschen gesprochen. Und es werden Entwicklungsberichte geschrieben,
Anträge gestellt und Protokolle geführt. Aber zu wissen, dass andere über einen
sprechen, kann beunruhigen und stören. Darum braucht es ein Zutrauen und
Vertrauen, damit die Akzeptanz für ein solches „Gerede“ entsteht. Erst mit
einer solchen Akzeptanz können gemeinsam mit Leistungsträgern und
Leistungserbringern Förderpläne besprochen werden.
Fragen braucht
es, um die zu Unterstützenden zu fördern
Selbstbestimmung ist das große Ziel. Ein Mensch, der
wirklich selbst bestimmen kann, gewinnt auf einmal eine Freiheit, die neue Wege
öffnet und Erfahrungen verschafft. Erst solche Neuerungen führen zu einer
echten Förderung und – ganz besonders – zu einer Unabhängigkeit.
-
Bestimmst
du über dein Geld und was gekauft werden soll für dich?
-
Bekommst
du Post in deinem eigenen Briefkasten?
-
Entscheidest
du über dein Zimmer?
Wer über Geld verfügen kann, soll es auch einsetzen
dürfen. Geld verleiht den Menschen eine „Wirtschafts-Kraft“ und macht sie zu Teilhabern
im Wirtschaftsleben – sie werden mit Geld plötzlich „ermächtigt“. Wer Post
erhält, wird von anderen wahrgenommen und nimmt am Leben in der Gemeinschaft
teil. Das eigene Zimmer, ein sehr persönliches Refugium und Schutzraum, darf
von niemand anderem eingerichtet oder ohne Erlaubnis der dort lebenden Person
betreten werden, weil das ansonsten wirklich eine despektierliche Fremdbestimmung
darstellt.
-
Kannst du
mit Freunden über deine Träume, Wut und Sorgen sprechen?
-
Kannst du
mit jemanden über deinen Wunsch nach Zärtlichkeit sprechen?
Auch Menschen mit sehr starken Einschränkungen haben
Wünsche und Ängste, Hoffnungen und Probleme. Und sie brauchen ein Ventil, um
den inneren Druck auszugleichen. Freunde können dabei wichtige Unterstützer
sein, die professionellen Unterstützenden allerdings auch. Zudem zeigt es sich immer
mehr, wie wichtig das Erleben von Zärtlichkeit ist, damit ein gesundes und
normales Leben geführt werden kann. Genau dies jedoch stößt noch heute auf
große Bedenken und Vorbehalte. Hier muss viel gesellschaftliche Akzeptanz
passieren, was somit ein Mehr an sozialpädagogischer Gesellschaftsarbeit
verlangt.
Es braucht diese Fragen, um eine Wahrnehmung zu erzeugen.
Mit den Antworten entsteht ein Wissens-Fundus, den man weiterverwenden kann für
die Ermittlung von Unterstützungsbedarfen. Wenn diese Bedarfe bekannt sind,
können Angebote unterbreitet werden. Der Staat muss dann auch nicht mehr
Strukturen schaffen, um Ressourcen anzubieten, die sowieso nicht gewünscht
werden.
Dialog zwischen den Menschen schafft den Sozialraum, in
dem man sich gegenseitig unterstützt.
CGS
PS:
„du“ und „dein“ wird kleingeschrieben, weil das Förmliche
für viele Menschen nicht mehr begreifbar ist.
Noch ein PS:
Das Thema ist gigantisch. Wer sich ein wenig mehr damit
befassen möchte, hier gibt es einen hörenswerten Podcast, in dem an einer
Stelle auch die „Leichte Sprache“ erwähnt wird.
Deutschlandfunk
Reihe: Hörsaal
Podcast vom 24.2.2019
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