Mittwoch, 27. Februar 2019

Sprache formt Denken - Oder: Fragen, die die Leistungserbringung verbessern sollen

Kommunikation ist keine leichte Angelegenheit. Sie findet nicht nur auf verschiedenen Ebenen statt, sie beruht sehr auf einer Perspektive. Erst wenn man diese Perspektive wechselt, kann man die Bedürfnisse des Gegenübers besser verstehen und darauf eingehen.

Begriffe und Bezeichnungen sind vielleicht schon mal ein Anfang. Will man aber den Menschen wirklich verstehen, muss man Fragen stellen und zuhören. Zuhören wiederum verlangt natürlich eine Rückmeldung und Umformulierung, um sicher zu gehen, dass man verstanden hat. Ein solches Vorgehen fördert. Und Förderung ist letztlich die Grundlage der Arbeit, weil diese Hilfe zur Eingliederung aus den Menschen unabhängige, selbstbestimmte Teilhaber am Leben in der Gemeinschaft machen soll.


Sprache formt Denken

Menschen mit Behinderung werden häufig einfach nur als hilflos und unselbständig betrachtet. Und das ist aus Sicht der Leistungsmenschen natürlich verständlich, weil der Wettbewerb und die ständige Konkurrenz zu einem schnellen, effektiven und entscheidungsfreudigen Handeln zwingen. Das ist die Normalität, in der die Leistungsmenschen leben – und die anderen eben nicht.

Problem ist hier aber nun, dass eine solche, zugegebenermaßen sehr egozentrische Sicht, keine echte Kommunikation entstehen lässt zwischen den Leistungsmenschen und allen anderen. Um wirklich ein Verstehen zu erreichen, muss man sich auf die andere Person einlassen und versuchen, ihre Sprache zu sprechen. Am besten ist es sogar, wenn man die Perspektive wechselt und versucht, die Dinge aus der Sicht der anderen Person  wahrzunehmen.

„Sprache formt Denken“ – habe ich an irgendeiner Stelle erfahren. Von daher kann man sich vielleicht damit helfen, indem man die früher gedankenlos verwendeten Begriffe mal austauscht („Behinderte“) und den Weg frei macht für völlig neue Einsichten.

Vor wenigen Jahren zum Beispiel wurde der Begriff „Assistenz“ zum neuen Standard und löste „Betreuung“ aus vielen Verträgen und Formularen ab. Um dann noch den zwischen den Berufsgruppen mit zwei- oder dreijähriger Ausbildung zu unterscheiden, den „Nichtfachkräften“ und „Fachkräften“, verwendete man die „Assistenzfachkraft“. Nun etablieren sich mehr und mehr andere Bezeichnungen, die zeigen, wie ernst man es damit nimmt: Begleiter, Förderer und  Fördergebende, Unterstützer und Unterstützende.


Fragen braucht es, um die zu Unterstützenden kennenzulernen

Warum nicht auch noch Fragen stellen an die dienstleistungsnehmenden Menschen (!), um aus ihren Antworten sich und seine Arbeitsleistung reflektiert zu bekommen?

-          Fragen deine Unterstützenden, wie es dir geht und hören sie dann auch zu?
-          Fragen deine Unterstützenden, was sie tun können?
-          Fragen deine Unterstützenden, was du brauchst?

Das Wichtigste an diesen Fragen ist, der Fragesteller muss sich Zeit nehmen und sich damit dem Gegenüber öffnen. Diese Hinwendung erlaubt es dann, dass Kommunikation entsteht, weil man sich zuhört und weil man um ein Verstehen bemüht ist.

-          Reden deine Unterstützenden über dich und bist du dann dabei und kannst was sagen?
-          Reden deine Unterstützenden über die Dinge, die du gut kannst?

Es wird naturgemäß in der sozialen Dienstleistung über die Menschen gesprochen. Und es werden Entwicklungsberichte geschrieben, Anträge gestellt und Protokolle geführt. Aber zu wissen, dass andere über einen sprechen, kann beunruhigen und stören. Darum braucht es ein Zutrauen und Vertrauen, damit die Akzeptanz für ein solches „Gerede“ entsteht. Erst mit einer solchen Akzeptanz können gemeinsam mit Leistungsträgern und Leistungserbringern Förderpläne besprochen werden.


Fragen braucht es, um die zu Unterstützenden zu fördern

Selbstbestimmung ist das große Ziel. Ein Mensch, der wirklich selbst bestimmen kann, gewinnt auf einmal eine Freiheit, die neue Wege öffnet und Erfahrungen verschafft. Erst solche Neuerungen führen zu einer echten Förderung und – ganz besonders – zu einer Unabhängigkeit.

-          Bestimmst du über dein Geld und was gekauft werden soll für dich?
-          Bekommst du Post in deinem eigenen Briefkasten?
-          Entscheidest du über dein Zimmer?

Wer über Geld verfügen kann, soll es auch einsetzen dürfen. Geld verleiht den Menschen eine „Wirtschafts-Kraft“ und macht sie zu Teilhabern im Wirtschaftsleben – sie werden mit Geld plötzlich „ermächtigt“. Wer Post erhält, wird von anderen wahrgenommen und nimmt am Leben in der Gemeinschaft teil. Das eigene Zimmer, ein sehr persönliches Refugium und Schutzraum, darf von niemand anderem eingerichtet oder ohne Erlaubnis der dort lebenden Person betreten werden, weil das ansonsten wirklich eine despektierliche Fremdbestimmung darstellt.

-          Kannst du mit Freunden über deine Träume, Wut und Sorgen sprechen?
-          Kannst du mit jemanden über deinen Wunsch nach Zärtlichkeit sprechen?

Auch Menschen mit sehr starken Einschränkungen haben Wünsche und Ängste, Hoffnungen und Probleme. Und sie brauchen ein Ventil, um den inneren Druck auszugleichen. Freunde können dabei wichtige Unterstützer sein, die professionellen Unterstützenden allerdings auch. Zudem zeigt es sich immer mehr, wie wichtig das Erleben von Zärtlichkeit ist, damit ein gesundes und normales Leben geführt werden kann. Genau dies jedoch stößt noch heute auf große Bedenken und Vorbehalte. Hier muss viel gesellschaftliche Akzeptanz passieren, was somit ein Mehr an sozialpädagogischer Gesellschaftsarbeit verlangt.

Es braucht diese Fragen, um eine Wahrnehmung zu erzeugen. Mit den Antworten entsteht ein Wissens-Fundus, den man weiterverwenden kann für die Ermittlung von Unterstützungsbedarfen. Wenn diese Bedarfe bekannt sind, können Angebote unterbreitet werden. Der Staat muss dann auch nicht mehr Strukturen schaffen, um Ressourcen anzubieten, die sowieso nicht gewünscht werden.

Dialog zwischen den Menschen schafft den Sozialraum, in dem man sich gegenseitig unterstützt.

CGS



PS:

„du“ und „dein“ wird kleingeschrieben, weil das Förmliche für viele Menschen nicht mehr begreifbar ist.


Noch ein PS:

Das Thema ist gigantisch. Wer sich ein wenig mehr damit befassen möchte, hier gibt es einen hörenswerten Podcast, in dem an einer Stelle auch die „Leichte Sprache“ erwähnt wird.

Deutschlandfunk
Reihe: Hörsaal
Podcast vom 24.2.2019






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