Sonntag, 19. Januar 2020

Notizen zur Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand

Wenn ein Verwaltungsakt rechtsgültig geworden ist, die Frist zum Widerspruch ist verstrichen, was soll man tun? – Die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand (rechtslateinisch: restitutio in integrum) beantragen.

In einer BSG-Entscheidung aus dem Jahr 2013 ging es um die Frage, ob Zeiten einer erwerbsmäßigen Pflege berücksichtigt werden können in der gesetzlichen Rentenversicherung, obwohl die Fristen zur Beantragung versäumt wurden und ein Leistungsberechtigter innerhalb angemessener Fristen nicht nachgefragt hatte bzw. nicht an die Erledigung seines Auskunftsersuchens erinnert hatte.

Warum aber nun ein Thema für diesen Blog? – Weil sich gerade jüngst wieder zeigt, dass viele Angehörige, die als rechtliche / gesetzliche Betreuer fungieren, einige Dinge versäumt haben. Es könnte nun sein, dass man sich genau mit diesem Rechtsinstitut befassen muss.


Ein behördliches Verfahren zurücksetzen in einen früheren Zustand

Die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand soll ein behördliches Verfahren zurücksetzen in einen früheren Zustand, damit die neuen Erkenntnisse oder Sachgründe trotz Fristversäumnis noch einmal gewürdigt werden können. Die Wiedereinsetzung kann dabei sehr wohl von Amts wegen geschehen, also ohne vorangegangene Antragstellung durch die andere Partei. In der Regel verlangen die vom  behördlichen Verwaltungsverfahren Betroffenen die Wiedereinsetzung und stellen einen Antrag. Die Antragstellung auf Wiedereinsetzung muss allerdings unverzüglich erfolgen, wenn die neuen Erkenntnisse oder Sachgründe bekannt geworden sind bzw. das Hindernis, was zum Fristversäumnis geführt hat, beseitigt wurde oder entfallen ist (Beispiel: Rückkehr aus dem mehrmonatige Urlaub und Kenntnis über den Ablehnungsbescheid der Behörde).

Im Sozialrecht finden sich Regelungen dazu in § 27 SGB X und in § 67 SGG (sogenanntes richterrechtliche Institut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs in den vorherigen Stand). Eine Wiedereinsetzung ist eigentlich nur nach tatsächlicher Pflichtverletzung eines Sozialleistungsträgers möglich (Beispiel: fehlende Rechtsmittelbelehrung). Und es muss natürlich für den Betroffenen sich deswegen ein Rechtsnachteil auf dem Gebiet des Sozialrechts ergeben haben. Mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung soll dann eine neue Amtshandlung ermöglicht werden (BSG-Urteil vom 10.12.2013 – B 13 R 91/11 R, siehe dazu Rd. Nr. 30).

Um eine Pflichtverletzung zu begründen, muss zuerst einmal das Verfahren ermittelt werden. Ergibt sich daraus schließlich die Pflichtverletzung (Beispiel: Beratungsmangel), muss eine Verfahrensrüge ausgesprochen werden. Idealerweise geschieht dies durch ein Gericht, damit eine spätere Instanz darauf aufbauen kann (Rd. Nr. 31).


Keine Verfolgung des Auskunftsersuchens

Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin (Betroffene) erklärt, sie hätte bereits in einem sehr viel früheren Schreiben an die Beklagte (Sozialleistungsträger) um weitere Auskünfte gebeten, aber keine Rückmeldungen erhalten. Das BSG schreibt dazu: "Bei ordnungsgemäßer Behandlung ihres Auskunftsersuchens wäre die Beklagte verpflichtet gewesen, auch zu sonstigen anerkennungsfähigen Zeiten im Zusammenhang mit dem geschilderten Sachverhalt umfassend Auskunft zu geben und dabei auf die Möglichkeiten der Beantragung beitragsloser Berücksichtigungszeiten wegen Pflege hinzuweisen. Das LSG-Urteil enthält jedoch keine Feststellungen dazu, dass diese Anfrage die Beklagte überhaupt erreicht hat." (Rd. Nr. 32).

Von der untergeordneten Instanz wurde lediglich der Vortrag darüber notiert, aber keine weitere Tatsachenerhebung unternommen. Die Beklagte bestritt zwar den (postalischen) Eingang des vorgetragenen früheren Auskunftsersuchens, aber es wurde nicht weiter verfolgt – aus anderen Gründen.

Zwischenfazit:

1.
Anfragen und Anträge sind zu dokumentieren. Dies sollte jetzt aber nicht immer mit einem Einschreiben als Format erfolgen - das wäre sehr übertrieben, müsste aber im besonderen Fall dennoch gemacht werden. Vielleicht reicht es aber auch, wenn die Übersendung per Fax und per Email (zum Beispiel über eine Scan-Mail in der App) vorab erfolgt?

2.
Es musst erinnert werden mit Bezug auf das bereits übersandte, aber noch nicht endbearbeitete Schriftstück.

3.
Eine Beratung muss eingefordert werden, die dann bei fortgesetztem Versäumnis, gerügt werden kann.

Das BSG unternahm dennoch einen Versuch der Wiedereinsetzung, in dem es auf der Grundlage des vorgetragenen, früheren Auskunftsersuchens eine Grundlage für das weitere Verfahren herstellte. Eine (versäumte) umfassende Beratung hätte lediglich das Fehlen eines Rechtsanspruchs zum damaligen Zeitpunkt erbracht, was somit keinen Nachteil ergeben hätte. Ein auf die Zukunft gerichtetes Beraten wäre darüber hinaus nicht möglich gewesen. Von daher wäre eine Wiedereinsetzung zu diesem zurückliegenden Zeitpunkt nicht zielführend und hätte somit keine Verbesserung gebracht.


Zumutbarkeit

Einem Betroffenen ist zuzumuten, dass er seine Anfrage / Antrag wiederholt. Das BSG schreibt dazu: "Ein Betroffener in solcher Lage hat Kenntnis von seinem Informationsdefizit; ihm kann deshalb zugemutet werden, seine Anfrage in angemessener Frist zu wiederholen, zumal er sein Beratungsbegehren gegenüber der Behörde nötigenfalls prozessual durchsetzen kann (BSG SozR 4-1300 § 84 Nr 1 RdNr 24; s auch Schmidt-De Caluwe, Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch, 1992, S 514, der einen Herstellungsanspruch nur bejaht, wenn die versäumte Frist "zwischenzeitlich" - also innerhalb der angemessenen Wartefrist - abgelaufen ist)." (Rd. Nr. 36)

Von daher muss man sagen, dass immer sehr offensiv vorangegangen werden muss bei einer vermissten Rückmeldung seitens eines Sozialleistungsträgers.

CGS



Quellen:

BSG-Urteil vom 10.12.2013 – B 13 R 91/11 R



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