Sonntag, 12. Januar 2020

Das BTHG im Neuen Jahr und andere Themen

Der Systemumbruch ist da. Und wie erwartet wird es ganz schön holprig.

Bei einigen leistungsberechtigten Personen gab es trotz rechtzeitigem Antrag keine Auszahlung von Grundsicherungsleistungen. Bei anderen wollten sich Leistungserbringer zu Treuhandanstalten machen und die Gelder der Bewohner verwahren. Was nun genau passiert, wird sich erst in den kommenden Wochen so einigermaßen zeigen. Doch schon jetzt kann man sehen, dass die neue Gesetzeslage zu herausfordernd ist.

Einige Neuerungen gibt es mit dem Angehörigen-Entlastungsgesetz, aber auch Altbekannte Probleme mit den Begriffen. In der Tarifgemeinschaft deutscher Länder gibt es einen neuen Tarifbereich speziell für die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst. Von daher ist mit vielen weiteren Fragen aus dem Metier zu rechnen.

Und nach wie vor taucht das Gespenst der „Umsatzsteuer“ auf. Weil man vor einem Monat eine Verständigung erreicht hatte, glauben nun sehr viele, dass es nicht dazu kommen wird. Das kann fatal sein, wenn es denn doch so sein muss. Aber auch in zukünftigen Vergütungsverhandlungen oder Preis-Erhöhungen braucht es gute Kalkulationsgrundlagen.


Grundsicherung ab jetzt – oder doch nicht?

Mit dem Neuen Jahr besteht die Vergütung für ein stationäres Wohnen (vollstationäre Einrichtungen und Wohnstätte) nicht mehr aus den drei Komponenten Maßnahmepauschale, Grundpauschale und Investitionsbetrag, sondern es gibt jetzt Gelder über andere Wege. Für viele Beobachter ist es so eine Art „linke Tasche, rechte Tasche“-Spiel. Aber tatsächlich wird ein System der sozialen Hilfen einheitlicher angewendet und die Menschen mit einem Hilfebedarf werden zu Wirtschaftssubjekten gemacht. Sie sollen sich ihre Leistungen selbst zusammenkaufen und damit selbstbestimmter werden. In einigen Fällen ist das natürlich nicht möglich, aber es gibt sehr viele Leistungsberechtigte, die hier etwas dazugewinnen können.

Es hätte wahrscheinlich schon jetzt, am Monatsanfang, einen Geldfluss geben müssen von den Bank-Konten der Leistungsberechtigten und hin zu den Leistungserbringern; schließlich müssen die ja ihren Ressourcen-Einsatz auch irgendwie bezahlen. Die Grundsicherung deckt aber nicht den gesamten Teil des Lebensunterhalts. Vielmehr soll die Differenz aus den persönlichen Einkünften und dem Lebensunterhalt (inkl. des individuellen Mehrbedarfs) gezahlt werden.

Nur an wen wird ausgezahlt? In einigen Arbeitskreisen gab es die „Idee“, wonach die Grundsicherungsämter oder die Rentenstellen Direktzahlungen vornehmen sollten an die Leistungserbringer. Damit hätte man dem Sinn und Zweck des BTHG zuwider gehandelt, meiner Ansicht nach, und sich, als Leistungserbringer, zu einer „Treuhandanstalt“ gemacht – vermutlich sogar ohne Treuhandvereinbarung.

In Hamburg wiederum zeigte sich eine Vielzahl an noch nicht bearbeiteten Anträgen auf Leistungen aus der Grundsicherung. Zwar hatte die zuständige (oberste) Behörde schnell und transparent über dieses Problem gesprochen, aber es gibt offenbar eine Anzahl an Leistungsberechtigte, für die eine Umstellung auf das neue Leistungssystem gar nicht stattgefunden hat – trotz anderslautender Meldungen.


Mittagessen in Werkstätten ist ein anerkannter Mehrbedarf

Die Mittagsverpflegung in einer Werkstatt oder einer Tagesförderstätte zählt jetzt nicht mehr zu den Leistungen der Eingliederungshilfe. Ein leistungsberechtigter Mensch muss diese Kosten selbst bezahlen – aus dem eigenen Portemonnaie. Aber wenn es bisher keinen Vertrag gegeben hat zwischen Werkstatt / Tagesförderstätte und Leistungsberechtigten (als Verbraucher), wie soll dann dieser Mehrbedarf gegenüber einem Sozialhilfeträger begründet werden? Oder anders gefragt: Aus welchen Mitteln soll die Verpflegung bezahlt werden?

Im BMAS-Rundschreiben vom 28.10.2019 wurde zum Thema „Mehrbedarf bei gemeinschaftlicher Mittagsverpflegung“ festgelegt, dass Kosten von 3,40 Euro pro Arbeitstag als Mehrbedarf anerkannt werden (vgl. § 42b Abs. 2 S. 2 SGB XII-neu). Dazu, wie gesagt, braucht es aber einen eigenen Vertrag. Eine Regelung in einem WBVG-Vertrag mit einem Anteil für die Lebensmittelversorgung wäre demzufolge kein Tatbestand für die Annahme eines berechtigten Mehrbedarfs (vgl. auch BT-Drucksache 18/9522, Seiten 213 und 327).

Weil es um einen Mehrbedarf geht, der „pro Arbeitstag“ geleistet werden muss, wird es entweder ein deutlich höheres Auskunftsersuchen von Behörden an die Werkstätten / Tagesförderstätten geben, oder man pauschaliert. Die Sozialhilfeträger werden wahrscheinlich wissen (und belegt haben) wollen, wie häufig eine Teilnahme an einer Gemeinschaftsverpflegung stattgefunden hat und wie hoch die Zahl der Arbeitstage pro Woche (unter Berücksichtigung von Schließzeiten) beträgt. Mit der Pauschalregelung sind jedoch wirklich nur die üblichen Abwesenheiten gedeckt, bei einer wesentlichen Änderung in den persönlichen Verhältnissen muss der Leistungserbringer eine Mitteilung machen. Gibt es hier bereits ein funktionierendes Berichtsverfahren oder eine Statistik über das „Übliche“?


Angehörigen-Entlastung und die Vermutungsregel

Der Angehörigen-Rückgriff findet nur noch statt, wenn ein Jahreseinkommen die Grenze von 100.000 Euro übersteigt – aber Achtung: Es gibt einen Begriffs-Wirrwarr.

Zum Beispiel wird in § 94 SGB XII ein neuer Absatz 1a eingefügt mit dem Text:

„Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigten gegenüber ihren Kindern und Eltern sind nicht zu berücksichtigen, es sei denn, deren jährliches Gesamteinkommen im Sinne des § 16 des Vierten Buches beträgt jeweils mehr als 100 000 Euro (Jahreseinkommensgrenze).“

Dieser Begriff ist nicht gleichzusetzen mit „Jahresbruttoeinkommen“ oder „steuerliches Einkommen“.

Leider passiert dieser Lapsus nicht nur den Betroffenen-Verbänden (z.B. dem BVKM), sondern auch dem BMAS (siehe hierzu auch: BMAS-Webseite mit den Fragen und Antworten zum Angehörige-Entlastungsgesetz). Und ebenso ist das dem Minister passiert mit der Begriffsverwechslung.

Warum es so kompliziert erscheint, hat etwas mit dem Grundsatz der Leistungsfähigkeit zu tun. So manches Einkommen (noch besser ist es aber, von Einnahmen zu sprechen) ist nämlich steuerlich privilegiert und würde somit nicht unter den Begriff des Brutto-Einkommens fallen. Würde man zudem nur auf das Brutto abzielen, blieben sämtliche Werbungskosten, die zu diesen Einnahmen geführt haben, unberücksichtigt. Eine Person, die trotz hohem Brutto ein vergleichsweise niedriges Netto erzielt, wäre dann unterhaltspflichtig? Was für eine Entlastung wäre das wirklich?

Und dann soll eine Vermutungsregel greifen, bei der ein Sozialhilfeträger annimmt, die Einkommensgrenze von 100.000 Euro wird nicht überschritten. Erst wenn „hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten“ der Einkommensgrenze vorliegen, sind weitere Angaben seitens der Leistungsberechtigten bzw. der nach BGB unterhaltsverpflichteten Angehörigen vorzulegen (vgl. § 43 Abs. 3 S. 5 SGB XII und § 60 SGB I). Das LSG Niedersachsen-Bremen erkannte jedenfalls den Sinn dieser Vermutungsregel darin, dass für die Verwaltung eine „Handhabe … zur Verfügung [gestellt wird], um in offensichtlichen Fällen von sehr hohen Einkommen nicht auf Kosten des Steuerzahlers eine ungerechtfertigte Sozialleistung erbringen zu müssen (vgl. Schoch, in: LPK- GSiG, § 2, Rdnr 54)“ (Urteil vom 28.07.2011, Az. L 8 SO 10/09).

Wie sich aber zeigt, wird grundsätzlich vermutet von Sozialhilfeträgern, die Angehörigen verfügen über ein hohes Einkommen. Man soll als Unterhaltsverpflichteter also immer entsprechende Nachweise vorlegen, wie berichtet wird. Ist eine solche Handlungsweise verhältnismäßig und angemessen?


Der Sozial- und Erziehungsdienst im TV-L

In diesem Tarif hat es, genauso wie zuvor im TVÖD, eine Überleitung gegeben in einen eigenen besonderen Tarifbereich. Die Grundlage dafür wurde im letzten Tarifabschluss für 2019 gelegt, nur waren seinerzeit die redaktionellen Verhandlungen nicht abgeschlossen. Die Beschäftigen des Sozial- und Erziehungsdienstes werden nach Erhöhung der Entgelte zum 1. Januar 2020 aus der allgemeinen Entgelttabelle in der Anlage B zum TV-L übergeleitet in eine eigene Tabelle des Sozial- und Erziehungsdienstes (S-Tabelle).

Ein wichtiger Punkt hierbei ist natürlich die Zuordnung einer Tätigkeit zu einer Entgeltgruppe. Aber auch die Einstufung aufgrund der verbrachten Zeit in der bisherigen Entgeltgruppe bzw. die langjährige Berufserfahrung.

Zu den Entgeltgruppen, vergleiche diese Tabellen: Entgelttabellen ab 2020

Zu den Tätigkeitsmerkmalen, vergleiche die Beschäftigungsmerkmale hier: Anlage A des TV-L (Seite 208 f.)


Die Umsatzsteuer steuert noch immer

Zu guter Letzt zeigt sich das Thema „Umsatzsteuer“ immer wieder. Es sollte für „den Fall des Falles“ vorgesorgt werden, um angefallene Umsätze im Bereich des Lebensunterhaltes nachträglich mit einem Steuersatz zu berechnen.

Ein pauschales Vorgehen wäre natürlich möglich, ideal wäre es dagegen, wenn die steuerrelevanten Aufwandskonten rückwirkend und bezogen auf die Einzelbuchungen befreit wären von der Vorsteuer in der Eingangsrechnung. Dieser kann bei Lebensmitteln durchaus 7 %, 10,7 % oder auch 19 % ausmachen. Von daher sollten die Eingangsrechnungen auf entsprechende Aufwandskonten oder mit einem speziellen Steuerschlüssel gebucht werden – der Steuerschlüssel könnte jetzt natürlich „0 %“ ausmachen.

Den Kontenplan ändern. Für neue Konten sorgen, mit denen zwischen dem Bereich der Fachleistung und dem Lebensunterhalt unterschieden werden kann. Das bedeutet weiterhin, dass jede Eingangsrechnung gekennzeichnet werden muss, zu welchem Leistungsbereich sie gehört, damit eine korrekte Zuordnung zu den neuen Konten geschehen kann. Macht man es sich einfach und bucht alles zur Fachleistung, kann bei späteren Verhandlungen über eine Anpassung von Vergütungen ein Leistungsträger die Angemessenheit bezweifeln. Damit die Kalkulationsgrößen stimmen, braucht es richtige Buchungen.

Auch dafür braucht es Fachkräfte.

CGS





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