Die Hamburger
Sozialbehörde hat jetzt mit Verbänden und einigen Leistungserbringern darüber
beraten, was mit einer noch beträchtlichen Anzahl an unbearbeiteten Fällen
geschehen soll; beträchtlich deshalb, weil wohl fast jede vierte
leistungsberechtigte Person formal nicht umgestellt worden ist auf den SGB
IX-Bereich. Die Leistungserbringung ist effektiv davon nicht betroffen, auch
wenn man im schlimmsten Fall von einem relativ hohen Zahlungsausfall ausgehen
kann. Aber das bezieht sich natürlich nicht auf alle Bewohner eines
Einrichtungsträgers.
Im Ergebnis gab es
die Verständigung, dass zur Abwendung eines finanziellen Risikos die Hamburger noch
im Januar 2020 das bezahlen, was im Dezember 2019 vergütet wurde. Über eine
spätere Rückrechnung würde man mögliche Differenzen getilgt bekommen, so dass
die Belastungen recht gering ausfallen würden.
Das alles klingt
nach einem guten Plan.
Und dann gibt es
noch das Thema „Mehrbedarf“, was viele Leistungserbringer offenbar nicht auf
dem „Plan“ haben. Ein gemeinschaftliches Mittagessen in einer WfbM, einer
Tagesförderstätte oder einem anderen Anbieter tagesstrukturierender Leistungen
sollte vorher in einem Nachtrag geregelt sein, damit die Kosten auch übernommen
werden können. Stattdessen werden aber ganz andere Themen bearbeitet, die so
gar nichts mit der aktuell anstehenden Umstellung zu tun haben.
Plan A war ambitioniert
Eigentlich hatten doch alle so
viel Zeit gehabt. Ende 2016 wurde das BTHG verabschiedet mit den verschiedenen
Stichtagen, an denen eine Reform-Stufe in Kraft treten würde. Jetzt, am
1.1.2020, passiert eine sehr bedeutende Änderung, die vor allem die
Leistungsträger und Leistungserbringer betrifft, denn es geht um das liebe Geld.
Die leistungsberechtigten Menschen und – ganz besonders – die rechtlichen
Betreuungen wurden dagegen im Vorfeld „nur“ mit Papierkram gefordert.
Zwei Jahre Zeit. Und selbst für
diejenigen, die frühzeitig alles angegangen sind, ist es knapp geworden.
Plan A war ambitioniert. Noch
vor einem Jahr mussten die Muster-Verträge getextet und die Preise für die
einzelnen Leistungen kalkuliert werden. Gleichzeitig wurden Informationsblätter
verteilt und Veranstaltungen für die Angehörigen abgehalten. Darüber hinaus
brauchte es aber auch Gespräche mit den Menschen, die in den Wohnstätten lebten
und von den Einrichtungsträgern betreut wurden: Nichts über uns – ohne uns –
Gemeinsam einfach machen.
Das mit den Vertragsmustern
zeigte sich überraschend problematisch. Einerseits gab es noch eine große
Unsicherheit bei dem Thema Umsatzsteuer für die Lebensmittelversorgung. Viele
der Einrichtungsträger sahen dies kritisch und erarbeiteten Koppelverträge, die
damit voll dem WBVG unterliegen würden. Somit entstand zwischen den
Fachleistung, dem Wohnen und der Versorgungsleistung eine Verbundenheit, die
vor der Umsatzsteuer schützen sollte. Zur gleichen Zeit sicherte man auf diese
Weise das bisherige Leistungsangebot vertraglich ab, so dass sich die Reform gefühlt
auf dem Papier abspielte.
Ein Listenverfahren wurde zum Plan B
Andererseits waren die
rechtlichen Betreuer ordentlich gefordert, da sie nun mit Vertrags-Texten zu
tun bekamen, die über sehr viele Seiten gingen. Diese Verträge mussten dann
noch den Behörden gegeben werden, damit die Kostenübernahme garantiert war.
Weil zudem die Einnahmen, zum Beispiel aus einer Rente, unbar geleistet werden
sollen, brauchte es jetzt Bankkonten. Und die Differenz zum anerkannten
Mehrbedarf (wie bei einer gemeinschaftlichen Verpflegung), sollte von der
Grundsicherung ja schließlich irgendwie gezahlt werden; es gab jedoch auch den
Wunsch, dass die Rentenstellen und die Grundsicherung gleich alles an die
Leistungserbringer zahlen.
Die Hamburger Sozialbehörde
erkannte schnell, dass die weitere Bearbeitung in den Fachstellen stockte und
führte als gutgedachte Alternative ein Listenverfahren ein über die noch
offenen Verträge mit den Klienten (sozusagen Plan B). Ende November zeigte es sich
allerdings, dass noch viele Anträge und Angaben schlichtweg fehlten bzw. noch
nicht eingearbeitet werden konnten. Und das sollte auch nicht verwundern, da
die ersten WBVG-Verträge im Sommer 2019 beim Grundsicherungsamt unterzeichnet
eingingen (und das hätte bedeutet, dass pro Monat rund 1.500 Fälle zu
bearbeiten gewesen wären).
In einem kürzlich
stattgefundenen Treffen zwischen der Behörde, den Verbänden und verschiedenen
Leistungserbringern (Trägerbudget-Nehmer) wurde nun mitgeteilt, dass noch 1.800
Fälle nicht umgestellt sind auf das neue Verfahren. Das ist eine
verhältnismäßig hohe Anzahl: Zum 31.12.2018 erhielten nämlich rund 8.000 Menschen
in stationären Einrichtungen Eingliederungshilfe-Leistungen. Von daher muss man
von einer Ausfallquote in Höhe von 22,5 % sprechen.
Das verlangt nach einem Plan C.
Plan C soll das Gelingen bringen
Die Bundesregierung hatte schon
vor einiger Zeit erkannt, dass bei den leistungsberechtigten Menschen zwischen
dem ersten Geldeingang (Einnahmen) und ihrer Pflicht zur Bezahlung der
vertraglichen Leistungen ein mehrwöchiger Zeitraum liegen kann. Man beschloss
daraufhin, dass diese Finanzierungs- oder Renten-Lücke eine sozialrechtliche
Notlage darstellt und deswegen ausnahmsweise noch die volle Kostenübernahme
durch die Grundsicherung erfolgen kann; also nicht einfach nur die Differenz,
sondern auch in Höhe der zu erwartenden Einnahmen eine nicht-rückzahlbare
Sozialhilfe geleistet wird (Angehörigen-Entlastungsgesetz).
Die Hamburger Sozialbehörde
geht einen Schritt weiter und garantiert die Zahlung einer Vergütung in Höhe
der Dezember-Zahlung bei denjenigen Leistungsberechtigten, die noch als
unbearbeitete Fälle gelten per 19.12.2019. Man kann sagen, dass bei diesen
1.800 Fällen im Januar 2020 alles wie gehabt verlaufen wird, als ob die
Reformstufe erst im Februar 2020 passieren soll. Und das schließt ebenfalls
mögliche Barbeträge ein, auf die ein leistungsberechtigter Mensch noch im
Vormonat einen Anspruch hatte. Leistungserbringer sind von daher gefordert, die
Überweisungen gleich zum Jahresanfang zu prüfen und mögliche Barbeträge
weiterzuleiten
Wenn das den Hamburgern
passiert ist, wie ist es dann bei den vielen anderen Leistungsträgern im Lande?
An dieser Stelle sollten sich Leistungserbringer selbst fragen, ob man nicht
mit Bankeinzügen von den Konten der leistungsberechtigten Menschen etwas warten
sollte. Wenn Bankkonten nicht gedeckt sind und es dann zu Abweisungen durch die
kontenführenden Institute kommt, wer trägt die Kosten?
Doch damit nicht genug. Die
Hamburger Sozialbehörde möchte unbedingt vermeiden, dass Leistungserbringer
aufgrund dieser besonderen Situation wirtschaftlich abgestraft werden (was
schon nach einem Plan D klingt). Sollte es hier zu einer finanziellen Notlage
der Einrichtungsträger kommen, will man schnell unterstützen. Es wird zwar
erwartet, dass schon einen Monat später alle offenen Fälle umgestellt sind
(könnte knapp werden) und man dann Rückrechnungen vornehmen kann. Ein
finanzielles Risiko für die Leistungserbringer soll vorsichtshalber abgefedert
werden.
Von den 1.800 Fällen, über die berichtet wurde, verteilen sich 500 auf
die vier großen Trägerbudget-Nehmer. Bei einem von diesen würde ein Anteil von
125 Menschen (500 verteilt auf 4) und dem Ausfall der Grundsicherungsleistungen
für das Wohnen und die Versorgung von etwa 500 Euro pro Person durchaus
(beachtlich erscheinende) 62.500 Euro ausmachen. Weil jedoch das vereinbarte
Monatsbudget 3,1 Mio. Euro beträgt, ist das finanzielle Risiko nach meinem
Dafürhalten recht überschaubar.
Planloses Handeln und ein ganz anderer Plan
Auch wenn es jetzt eher wie ein
„planloses Handeln“ aussieht, alle Seiten wollen, dass die Systemumstellung
gelingt. Die Hamburger Sozialbehörde hatte schon vor längerer Zeit versucht,
das eigene Personal aufzustocken und seine Organisation zu verbessern.
Gleichzeitig musste aber ein neues Programm (auf SAP-Basis) eingeführt werden,
was die Tätigen unter starkem Druck setzte. Vieles blieb über Monate liegen. Die
Leistungserbringer waren ebenfalls enorm gefordert, wobei, wie man mittlerweile
sagen muss, viele sich auf Themen stürzten, die so gar nichts mit der jetzigen Umstellung
zu tun hatten. Bei einigen wurden die personellen Ressourcen gar nicht
aufgestockt, so dass schon seit einiger Zeit ein erheblicher Rückstau eintritt.
Gerade im Bereich der Verwaltung wird das Abarbeiten noch lange andauern – ja sogar
„echtes“ Geld kosten, da viele Dinge unerledigt bleiben.
Alles hat seinen Preis.
In Schleswig-Holstein wurde vor
kurzem bekannt, dass viele Leistungserbringer diese Fragen gar nicht stellen.
Stattdessen diskutiert man nach wie vor eine Idee, wonach die
Grundsicherungsämter und Rentenstellen Direktzahlungen vornehmen sollen an die
Banken der Leistungserbringer. Dies muss sehr kritisch gesehen werden, weil dem
Sinn und Zweck des BTHG damit nicht entsprochen wird. Darüber hinaus „mutieren“
die Leistungserbringer auf einmal zu Treuhandanstalten, die das nicht gebrauchte
Geld dann wie ein „Taschengeld“ bzw. analog zum Barbetrag gem. § 27b SGB XII
auszahlen müssen – so wie früher, könnte man entgegnen.
Es würde juristisch gehen, so
die Verbandsseite. Aber der Leistungsberechtigte muss diesen Wunsch gegenüber
der leistenden Behörde bekannt geben. Er wird dann allerdings zum Bittsteller
„degradiert“, nicht mehr zum gleichberechtigten Wirtschaftssubjekt. Die
Einrichtung nimmt von dem empfangenen Geld, was sie braucht. Sie leitet nur das
weiter, was sie nicht braucht. Solche Konstruktionen sollten sich auf wenige
Einzelfälle beschränken und nicht zur Regel gemacht werden. Gerade beim Geld
können Menschen mit Behinderung eine Aufwertung des Selbst erfahren, die sie
weiter bringt und den Hilfebedarf schmälert.
Nicht Geplantes
Genau aus diesem Grund sollten
Träger von Einrichtungen auch differenzierte Leistungspauschalen anbieten. Wollen
Bewohner sich vielleicht selbst versorgen, sollen sie es mit dem eigenen Geld ausprobieren;
übrigens müssen sie es sowieso, wenn sie eine WfbM oder eine Tagesförderstätte
besuchen. Gemäß BMAS-Rundschreiben vom 28.10.2019 zum Punkt „Mehrbedarf bei
gemeinschaftlicher Mittagsverpflegung“ wurde klar herausgestellt, dass durch
die Teilnahme an einem Gemeinschafts-Mittagessen die voraussichtlichen Kosten
von 3,40 Euro pro Arbeitstag als Mehrbedarf anerkannt werden (vgl. § 42b Abs. 2
S. 2 SGB XII-neu).
Was es dafür ausdrücklich
braucht, ist eine eigene vertragliche Ausgestaltung mit der WfbM, der Tagesförderstätte
oder dem Anbieter einer tagesstrukturierenden Maßnahme. Fehlt es daran, wird
nicht das vorgenannte Entgelt als angemessen anerkannt, sondern der übliche
Satz für eine hauswirtschaftliche Eigenversorgung. Die vertragliche Regelung in
einem WBVG-Vertrag mit einem Anteil für die Lebensmittelversorgung wäre in dem
Sinne kein Tatbestand für die Annahme eines berechtigten Mehrbedarfs (vgl. auch
BT-Drucksache 18/9522, Seiten 213 und 327).
Wie sich leider immer wieder
zeigt, haben einige Vertreter von Leistungserbringern so etwas überhaupt nicht
geplant. Werkstätten und die anderen Anbieter müssen nun schnellstens eine
Ergänzungsvereinbarung zur Änderung des bestehenden Vertrags herstellen, damit eine
Pflicht zur Zahlung eines Aufwands aus der Versorgung bzw. der Teilnahme an
einem gemeinschaftlichen Mittagessen abgeleitet werden kann. Die rechtlichen
Betreuer müssten dann wiederum diese Unterlage dem Fachdienst für
Grundsicherungsleistungen vorlegen, um den Mehrbedarf anerkannt und auch
bezahlt zu bekommen. Solange es aber an einer solchen Unterlage fehlt, fehlt es
irgendwo am Geld.
CGS
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Plan C, weil es Probleme gibt