Freitag, 20. Dezember 2019

Plan C, weil es Probleme gibt

Der Systemumbruch kommt, aber es wird ganz schön holprig.

Die Hamburger Sozialbehörde hat jetzt mit Verbänden und einigen Leistungserbringern darüber beraten, was mit einer noch beträchtlichen Anzahl an unbearbeiteten Fällen geschehen soll; beträchtlich deshalb, weil wohl fast jede vierte leistungsberechtigte Person formal nicht umgestellt worden ist auf den SGB IX-Bereich. Die Leistungserbringung ist effektiv davon nicht betroffen, auch wenn man im schlimmsten Fall von einem relativ hohen Zahlungsausfall ausgehen kann. Aber das bezieht sich natürlich nicht auf alle Bewohner eines Einrichtungsträgers.

Im Ergebnis gab es die Verständigung, dass zur Abwendung eines finanziellen Risikos die Hamburger noch im Januar 2020 das bezahlen, was im Dezember 2019 vergütet wurde. Über eine spätere Rückrechnung würde man mögliche Differenzen getilgt bekommen, so dass die Belastungen recht gering ausfallen würden.

Das alles klingt nach einem guten Plan.

Und dann gibt es noch das Thema „Mehrbedarf“, was viele Leistungserbringer offenbar nicht auf dem „Plan“ haben. Ein gemeinschaftliches Mittagessen in einer WfbM, einer Tagesförderstätte oder einem anderen Anbieter tagesstrukturierender Leistungen sollte vorher in einem Nachtrag geregelt sein, damit die Kosten auch übernommen werden können. Stattdessen werden aber ganz andere Themen bearbeitet, die so gar nichts mit der aktuell anstehenden Umstellung zu tun haben.


Plan A war ambitioniert

Eigentlich hatten doch alle so viel Zeit gehabt. Ende 2016 wurde das BTHG verabschiedet mit den verschiedenen Stichtagen, an denen eine Reform-Stufe in Kraft treten würde. Jetzt, am 1.1.2020, passiert eine sehr bedeutende Änderung, die vor allem die Leistungsträger und Leistungserbringer betrifft, denn es geht um das liebe Geld. Die leistungsberechtigten Menschen und – ganz besonders – die rechtlichen Betreuungen wurden dagegen im Vorfeld „nur“ mit Papierkram gefordert.

Zwei Jahre Zeit. Und selbst für diejenigen, die frühzeitig alles angegangen sind, ist es knapp geworden.

Plan A war ambitioniert. Noch vor einem Jahr mussten die Muster-Verträge getextet und die Preise für die einzelnen Leistungen kalkuliert werden. Gleichzeitig wurden Informationsblätter verteilt und Veranstaltungen für die Angehörigen abgehalten. Darüber hinaus brauchte es aber auch Gespräche mit den Menschen, die in den Wohnstätten lebten und von den Einrichtungsträgern betreut wurden: Nichts über uns – ohne uns – Gemeinsam einfach machen.

Das mit den Vertragsmustern zeigte sich überraschend problematisch. Einerseits gab es noch eine große Unsicherheit bei dem Thema Umsatzsteuer für die Lebensmittelversorgung. Viele der Einrichtungsträger sahen dies kritisch und erarbeiteten Koppelverträge, die damit voll dem WBVG unterliegen würden. Somit entstand zwischen den Fachleistung, dem Wohnen und der Versorgungsleistung eine Verbundenheit, die vor der Umsatzsteuer schützen sollte. Zur gleichen Zeit sicherte man auf diese Weise das bisherige Leistungsangebot vertraglich ab, so dass sich die Reform gefühlt auf dem Papier abspielte.


Ein Listenverfahren wurde zum Plan B

Andererseits waren die rechtlichen Betreuer ordentlich gefordert, da sie nun mit Vertrags-Texten zu tun bekamen, die über sehr viele Seiten gingen. Diese Verträge mussten dann noch den Behörden gegeben werden, damit die Kostenübernahme garantiert war. Weil zudem die Einnahmen, zum Beispiel aus einer Rente, unbar geleistet werden sollen, brauchte es jetzt Bankkonten. Und die Differenz zum anerkannten Mehrbedarf (wie bei einer gemeinschaftlichen Verpflegung), sollte von der Grundsicherung ja schließlich irgendwie gezahlt werden; es gab jedoch auch den Wunsch, dass die Rentenstellen und die Grundsicherung gleich alles an die Leistungserbringer zahlen.

Die Hamburger Sozialbehörde erkannte schnell, dass die weitere Bearbeitung in den Fachstellen stockte und führte als gutgedachte Alternative ein Listenverfahren ein über die noch offenen Verträge mit den Klienten (sozusagen Plan B). Ende November zeigte es sich allerdings, dass noch viele Anträge und Angaben schlichtweg fehlten bzw. noch nicht eingearbeitet werden konnten. Und das sollte auch nicht verwundern, da die ersten WBVG-Verträge im Sommer 2019 beim Grundsicherungsamt unterzeichnet eingingen (und das hätte bedeutet, dass pro Monat rund 1.500 Fälle zu bearbeiten gewesen wären).

In einem kürzlich stattgefundenen Treffen zwischen der Behörde, den Verbänden und verschiedenen Leistungserbringern (Trägerbudget-Nehmer) wurde nun mitgeteilt, dass noch 1.800 Fälle nicht umgestellt sind auf das neue Verfahren. Das ist eine verhältnismäßig hohe Anzahl: Zum 31.12.2018 erhielten nämlich rund 8.000 Menschen in stationären Einrichtungen Eingliederungshilfe-Leistungen. Von daher muss man von einer Ausfallquote in Höhe von 22,5 % sprechen.

Das verlangt nach einem Plan C.


Plan C soll das Gelingen bringen

Die Bundesregierung hatte schon vor einiger Zeit erkannt, dass bei den leistungsberechtigten Menschen zwischen dem ersten Geldeingang (Einnahmen) und ihrer Pflicht zur Bezahlung der vertraglichen Leistungen ein mehrwöchiger Zeitraum liegen kann. Man beschloss daraufhin, dass diese Finanzierungs- oder Renten-Lücke eine sozialrechtliche Notlage darstellt und deswegen ausnahmsweise noch die volle Kostenübernahme durch die Grundsicherung erfolgen kann; also nicht einfach nur die Differenz, sondern auch in Höhe der zu erwartenden Einnahmen eine nicht-rückzahlbare Sozialhilfe geleistet wird (Angehörigen-Entlastungsgesetz).

Die Hamburger Sozialbehörde geht einen Schritt weiter und garantiert die Zahlung einer Vergütung in Höhe der Dezember-Zahlung bei denjenigen Leistungsberechtigten, die noch als unbearbeitete Fälle gelten per 19.12.2019. Man kann sagen, dass bei diesen 1.800 Fällen im Januar 2020 alles wie gehabt verlaufen wird, als ob die Reformstufe erst im Februar 2020 passieren soll. Und das schließt ebenfalls mögliche Barbeträge ein, auf die ein leistungsberechtigter Mensch noch im Vormonat einen Anspruch hatte. Leistungserbringer sind von daher gefordert, die Überweisungen gleich zum Jahresanfang zu prüfen und mögliche Barbeträge weiterzuleiten

Wenn das den Hamburgern passiert ist, wie ist es dann bei den vielen anderen Leistungsträgern im Lande? An dieser Stelle sollten sich Leistungserbringer selbst fragen, ob man nicht mit Bankeinzügen von den Konten der leistungsberechtigten Menschen etwas warten sollte. Wenn Bankkonten nicht gedeckt sind und es dann zu Abweisungen durch die kontenführenden Institute kommt, wer trägt die Kosten?

Doch damit nicht genug. Die Hamburger Sozialbehörde möchte unbedingt vermeiden, dass Leistungserbringer aufgrund dieser besonderen Situation wirtschaftlich abgestraft werden (was schon nach einem Plan D klingt). Sollte es hier zu einer finanziellen Notlage der Einrichtungsträger kommen, will man schnell unterstützen. Es wird zwar erwartet, dass schon einen Monat später alle offenen Fälle umgestellt sind (könnte knapp werden) und man dann Rückrechnungen vornehmen kann. Ein finanzielles Risiko für die Leistungserbringer soll vorsichtshalber abgefedert werden. 

Von den 1.800 Fällen, über die berichtet wurde, verteilen sich 500 auf die vier großen Trägerbudget-Nehmer. Bei einem von diesen würde ein Anteil von 125 Menschen (500 verteilt auf 4) und dem Ausfall der Grundsicherungsleistungen für das Wohnen und die Versorgung von etwa 500 Euro pro Person durchaus (beachtlich erscheinende) 62.500 Euro ausmachen. Weil jedoch das vereinbarte Monatsbudget 3,1 Mio. Euro beträgt, ist das finanzielle Risiko nach meinem Dafürhalten recht überschaubar.


Planloses Handeln und ein ganz anderer Plan

Auch wenn es jetzt eher wie ein „planloses Handeln“ aussieht, alle Seiten wollen, dass die Systemumstellung gelingt. Die Hamburger Sozialbehörde hatte schon vor längerer Zeit versucht, das eigene Personal aufzustocken und seine Organisation zu verbessern. Gleichzeitig musste aber ein neues Programm (auf SAP-Basis) eingeführt werden, was die Tätigen unter starkem Druck setzte. Vieles blieb über Monate liegen. Die Leistungserbringer waren ebenfalls enorm gefordert, wobei, wie man mittlerweile sagen muss, viele sich auf Themen stürzten, die so gar nichts mit der jetzigen Umstellung zu tun hatten. Bei einigen wurden die personellen Ressourcen gar nicht aufgestockt, so dass schon seit einiger Zeit ein erheblicher Rückstau eintritt. Gerade im Bereich der Verwaltung wird das Abarbeiten noch lange andauern – ja sogar „echtes“ Geld kosten, da viele Dinge unerledigt bleiben.

Alles hat seinen Preis.

In Schleswig-Holstein wurde vor kurzem bekannt, dass viele Leistungserbringer diese Fragen gar nicht stellen. Stattdessen diskutiert man nach wie vor eine Idee, wonach die Grundsicherungsämter und Rentenstellen Direktzahlungen vornehmen sollen an die Banken der Leistungserbringer. Dies muss sehr kritisch gesehen werden, weil dem Sinn und Zweck des BTHG damit nicht entsprochen wird. Darüber hinaus „mutieren“ die Leistungserbringer auf einmal zu Treuhandanstalten, die das nicht gebrauchte Geld dann wie ein „Taschengeld“ bzw. analog zum Barbetrag gem. § 27b SGB XII auszahlen müssen – so wie früher, könnte man entgegnen.

Es würde juristisch gehen, so die Verbandsseite. Aber der Leistungsberechtigte muss diesen Wunsch gegenüber der leistenden Behörde bekannt geben. Er wird dann allerdings zum Bittsteller „degradiert“, nicht mehr zum gleichberechtigten Wirtschaftssubjekt. Die Einrichtung nimmt von dem empfangenen Geld, was sie braucht. Sie leitet nur das weiter, was sie nicht braucht. Solche Konstruktionen sollten sich auf wenige Einzelfälle beschränken und nicht zur Regel gemacht werden. Gerade beim Geld können Menschen mit Behinderung eine Aufwertung des Selbst erfahren, die sie weiter bringt und den Hilfebedarf schmälert.


Nicht Geplantes

Genau aus diesem Grund sollten Träger von Einrichtungen auch differenzierte Leistungspauschalen anbieten. Wollen Bewohner sich vielleicht selbst versorgen, sollen sie es mit dem eigenen Geld ausprobieren; übrigens müssen sie es sowieso, wenn sie eine WfbM oder eine Tagesförderstätte besuchen. Gemäß BMAS-Rundschreiben vom 28.10.2019 zum Punkt „Mehrbedarf bei gemeinschaftlicher Mittagsverpflegung“ wurde klar herausgestellt, dass durch die Teilnahme an einem Gemeinschafts-Mittagessen die voraussichtlichen Kosten von 3,40 Euro pro Arbeitstag als Mehrbedarf anerkannt werden (vgl. § 42b Abs. 2 S. 2 SGB XII-neu).

Was es dafür ausdrücklich braucht, ist eine eigene vertragliche Ausgestaltung mit der WfbM, der Tagesförderstätte oder dem Anbieter einer tagesstrukturierenden Maßnahme. Fehlt es daran, wird nicht das vorgenannte Entgelt als angemessen anerkannt, sondern der übliche Satz für eine hauswirtschaftliche Eigenversorgung. Die vertragliche Regelung in einem WBVG-Vertrag mit einem Anteil für die Lebensmittelversorgung wäre in dem Sinne kein Tatbestand für die Annahme eines berechtigten Mehrbedarfs (vgl. auch BT-Drucksache 18/9522, Seiten 213 und 327).

Wie sich leider immer wieder zeigt, haben einige Vertreter von Leistungserbringern so etwas überhaupt nicht geplant. Werkstätten und die anderen Anbieter müssen nun schnellstens eine Ergänzungsvereinbarung zur Änderung des bestehenden Vertrags herstellen, damit eine Pflicht zur Zahlung eines Aufwands aus der Versorgung bzw. der Teilnahme an einem gemeinschaftlichen Mittagessen abgeleitet werden kann. Die rechtlichen Betreuer müssten dann wiederum diese Unterlage dem Fachdienst für Grundsicherungsleistungen vorlegen, um den Mehrbedarf anerkannt und auch bezahlt zu bekommen. Solange es aber an einer solchen Unterlage fehlt, fehlt es irgendwo am Geld.

CGS





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