Donnerstag, 16. September 2021

Neue Mustervereinbarung zu Leistungen der Eingliederungshilfe in Hamburg – vorerst letzte Fortsetzung

Das Folgende ist eine Fortsetzung früherer Beiträge. Aufgrund der Vielzahl an Themen, die sich so am Rande aufgetan haben, wird es ggf. nur noch eine Notizen-Sammlung geben oder eine Befassung im Detail.

Der Streitpunkt „Koppel-Verträge“ ist möglicherweise vom Tisch. Man besprach sich offenbar in kleinerer Runde und erreichte eine Art „Waffenstillstand“ – soll heißen: die Verbände beraten die (oder das?) jeweilige Mitglied, die Behörde wird mit Fokus auf Fortbestand der Leistungen eine „individuelle Lösung“ versuchen. Der strittige Passus würde damit erhalten bleiben.

Es gibt aber noch keine eindeutige Zustimmung seitens der Verbände. In einem Fall zeigte es sich, dass der Leistungserbringer durchaus koppeln „muss“, weil das wirtschaftliche Interesse als sehr bedeutsam herausgestellt wurde. Gleichzeitig entspricht die Leistungserbringung selber so ganz und gar nicht denen einer besonderen Wohnform.

+++ Nachtrag vom 13.12.2021 +++

Das Thema „gekoppelte Verträge“ ist nach wie vor nicht vom Tisch; im Gegenteil: es gibt wieder Spannungen zwischen den Parteien. Man ist sich zwar einig, dass es einen „Bestandsschutz“ für alte Verträge geben soll, doch was das nun wieder konkret für den/die Leistungserbringer bedeutet, ist nicht geklärt worden. Geklärt ist zumindest der Zeitrahmen, wonach es diese neuen Muster-Vereinbarungen nicht so schnell braucht.

Es gibt nun drei Eskalationsstufen:

Erstens will man eine Protokollnotiz für Einzelfälle auf der „untersten“ Behördenebene versuchen. Wenn das nicht geht, will man zweitens sozialpolitisch argumentieren gegenüber der „oberen“ Behördenebene. Und wenn das auch nicht hilft, will man drittens den Gang vor die Schiedsstelle versuchen. (Die Rollen in dieser Sache scheinen oft zu wechseln).

Vielleicht muss man das nicht so weit tragen. Wenn nämlich eine andere Muster-Vereinbarung, in der eine Vertrags-Kopplung vorgesehen ist, geeint ist, könnte es zu einer gewissen Akzeptanz an eben dieser strittigen Stelle geben. (Das scheinen sich auch Behördenvertreter zu wünschen).

+++


 

Kopplung von Verträgen

Wenn Menschen in einem (persönlichen) Wohnraum leben, bestehend aus Privat-Räumen und Gemeinschaftsflächen, der zusätzlich angeschlossen ist an Flächen, die für die Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe, ist der Zweck des Wohnens eng gekoppelt mit diesen Leistungen. Man sollte dann grundsätzlich von einer besonderen Wohnform sprechen und nicht von einer eigenen Wohnung. Ein weiteres Indiz dafür wäre zudem der Koppelvertrag, in dem sowohl das Wohnen als auch die Betreuungsleistung (pädagogische Begleitung) miteinander verbunden sind. Die Kündigung des einen Vertrags würde unweigerlich zur Kündigung des anderen Vertrags führen (vgl. insbesondere § 1 WBVG; und zusätzlich kann man dann von einer Wohneinrichtung sprechen im Sinne des hamburgischen Landesrechts HmbWBG).

Das WBVG ist ein Verbraucherschutzgesetz. Es ist immer dann anzuwenden, wenn eine Abhängigkeit zwischen den beiden Leistungen des Wohnens (zur Miete) und der Pflege- oder Betreuungsleistung (Fachleistung) vorhanden ist. Diese Abhängigkeit müsste nach dem Gesetz Vertragsbestandteil sein, selbst wenn es dabei zwei unterschiedliche Verträge gibt. Drei separate Kriterien hat man benannt, die eine Kopplung und somit den Zwang zur Anwendung des WBVGs bedeuten (aus § 1 Abs. 2 WBVG):

„1. der Bestand des Vertrags über die Überlassung von Wohnraum von dem Bestand des Vertrags über die Erbringung von Pflege- oder Betreuungsleistungen abhängig ist,

2. der Verbraucher an dem Vertrag über die Überlassung von Wohnraum nach den vertraglichen Vereinbarungen nicht unabhängig von dem Vertrag über die Erbringung von Pflege- oder Betreuungsleistungen festhalten kann oder

3. der Unternehmer den Abschluss des Vertrags über die Überlassung von Wohnraum von dem Abschluss des Vertrags über die Erbringung von Pflege- oder Betreuungsleistungen tatsächlich abhängig macht.

Dies gilt auch, wenn … die Leistungen von verschiedenen Unternehmern geschuldet werden, es sei denn, diese sind nicht rechtlich oder wirtschaftlich miteinander verbunden.“ (Sätze 1 und 2, Fettdruck von mir).

Das bedeutet alles, dass es nicht zwingend um einen konkreten Vertragsgegenstand handelt. Wenn bei einer Gesamtbetrachtung der Eindruck entsteht, dass der eine Vertrag nur deswegen bestehen kann, weil es den anderen gibt, hat man die Kopplung.

Von einer Kopplung kann man jedoch nicht sprechen, wenn die vermietende Partei „ausschließlich die Erbringung von allgemeinen Unterstützungsleistungen wie die Vermittlung von Pflege- oder Betreuungsleistungen, Leistungen der hauswirtschaftlichen Versorgung oder Notrufdienste zum Gegenstand hat.“ (§ 1 Abs. 1 S. 3 WBVG).

 

Ein Leistungserbringer mit einem besonderen Angebot

Bei einem Leistungserbringer war es allerdings so, dass pädagogische Leistungen erbracht wurden zu festen Zeiten oder nach individueller Absprache. Zu den anderen Zeiten befand sich kein Personal in den Wohn- und Gemeinschaftsräumen. Die hauswirtschaftliche Versorgung konnten die Klienten selbst erledigen. Vermieter der Wohngemeinschaft war gleichzeitig der Leistungserbringer. Von daher kann man durchaus eine Kopplung unterstellen bzw. müsste der Leistungserbringer darlegen, warum es das nicht sein soll – und das geht irgendwie nicht.

Eine Entkopplung würde ein wirtschaftliches Risiko darstellen, so der Leistungserbringer, weil die eigenen Strukturen nicht darauf ausgelegt sind, die Vermieter-Rolle kostendeckend zu leisten; das bewahrheitet sich übrigens immer wieder, dass ein kleiner Immobilien-Bestand mit der sogenannten Verwaltungskostenpauschale nicht wirtschaftlich gemanagt werden kann: es braucht schon einen Mindestbestand, um den Skalierungseffekt zu erreichen („Economies of Scale“).

Vorrangiges Ziel ist, da sind sich alle Seiten einig, dass durch diesen einen Fall die neue Muster-Vereinbarung nicht weiter aufgehalten wird. Ein „formalschwieriges“ Leistungsangebot sollte im Wege einer einvernehmlichen Vereinbarung den Konflikt entschärfen, wobei natürlich dann alle Beteiligten sich dazu bekennen, dieses Leistungsangebot „baldmöglichst“ anzupassen – sei es in Richtung der Muster-Vereinbarung WMA/WMAS oder besondere Wohnformen. Weil man das individuelle Wunsch- und Wahlrecht des Leistungsberechtigten höher bewertet, und dieser nun mal das besondere Leistungsangebot in Anspruch nehmen will, wird die Vertragskopplung geduldet.

Das ist bislang nur ein bekanntgewordener Sachverhalt. Gibt es vielleicht noch andere?

 

Weitere Prüfungspunkte

Ein Wechsel zur besonderen Wohnform wäre vielleicht eine gute Lösung. Doch dann stellt sich die nächste Frage, inwieweit es schon einen Pflege-Bedarf gibt bei den Leistungsberechtigten in dieser Einrichtung (Pflege-Leistungen: Behandlungspflege, Grundpflege). Gerade im ambulanten Setting würde jeglicher Pflegebedarf von einem Dritten übernommen werden müssen, die pädagogische Leistungserbringung (EGH) bliebe davon unberührt. Ein Leistungserbringer, der so etwas also nicht anbieten möchte, könnte bei pflegerischen Bedarfen sofort auf die Pflege- / Krankenkasse verweisen.

Und dann noch einmal zu der Sache mit der Kopplung. Selbst wenn der Leistungserbringer bestätigt, dass es keine Kopplung gibt, wäre das wirklich so? In den Mietverträgen über Wohnraum könnte an diesen Stellen eine Kopplung, und sei es nur unbewusst, entstehen:

  • Die Mieträume enthalten einen Passus zu Fachleistungsflächen, und der Mieter übernimmt eine Pflicht.
  • Der Mietvertrag wird nicht exklusiv zum BGB-Vertrag gemacht.
  • Die Miete / der Mietzins enthält neben der Nennung von Nettokaltmiete, Betriebs- und Heizkosten-Vorauszahlungen bzw. einer Warmmiete noch einen anderen Kostenbestandteil; Ausnahme das Service-Entgelt im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 3 WBVG.
  • Die Beendigung des Mietverhältnisses nimmt Bezug auf einen anderen Vertrag (z.B. Versorgungsleistungen), wenn dieser Vertrag mit der Betreuungsleistung befasst wurde. Ein Service-Vertrag im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 3 WBVG wäre damit nicht gemeint.
  • Die Haftung des Mieters beschränkt sich nicht allein auf den Wohnraum-Mietvertrag; sonstige Leistungen oder weitere Schäden im Vertragstext würden aber kein Indiz sein für eine Kopplung.

Eine verpflichtende Überleitung der Mietzahlung von der Grundsicherung / Direktleistungen der Sozialbehörde wäre keine Kopplung.

Und zum Schluss: In der Anbahnung darf es zwar einen Hinweis auf die Betreuungsleistungen geben, aber, wie schon vorher immer wieder gesagt, das Anmieten darf von diesen anderen Leistungen abhängig gemacht werden.

CGS

 

 

 

Das hier ist keine Rechtsberatung oder Aufforderung zur Vornahme eines Rechtsgeschäftes. Der Beitrag stellt nur meine Sicht auf die Dinge dar. Und eine solche Sicht kann sich immer noch ändern. Brauchen Sie rechtliche Unterstützung, wenden Sie sich an die zuständigen Behörden, Sozial- und Betroffenenverbände oder rechtskundige Dritte. Lesen Sie bitte ebenfalls die Hinweise zum Rechtsstatus der Webseite, Urheberrechtsbestimmungen und Haftungsausschluss sowie die Datenschutzerklärung.

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