Samstag, 27. November 2021

Eine Landesverordnung in Schleswig-Holstein macht viel Wind

Schon im Sommer 2021 wurde im Hintergrund der Verhandlungen um eine Lösung für die Zukunft der Eingliederungshilfe in Schleswig-Holstein seitens der Leistungsträger mit einer Rechtsverordnung „gedroht“, wenn sich die Leistungserbringer-Seite nicht den Forderungen beugen würde – das ist zugegebenermaßen streng formuliert, aber immer wieder gerieten die Verhandlungen ins Stocken. Und wenn etwas ins Stocken gerät, muss man manchmal etwas deutlicher werden.

Diese Deutlichkeit zeigte sich nun, als ein Entwurf einer solchen Rechtsverordnung verschickt wurde. Alle Verbände sollten hierzu Stellung nehmen, und das taten sie – ziemlich heftig, und es kann sogar noch sehr viel „windiger“ werden. Wahrscheinlich wird diese Rechtsverordnung den Entwurfs-Modus nicht überstehen, weil sie m.E. gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstößt. Vielleicht soll sie es auch gar nicht, sondern die Verhandlungspartner kräftig aufrütteln und zurück zum Verhandlungstisch bugsieren.

 

Die Grundlage für so eine Rechtsverordnung

In § 131 SGB IX hatte der Bundesgesetzgeber Bestimmungen zu den Rahmenverträgen (Landesrahmenverträge zwischen Leistungsträgern und Leistungserbringern) über die Erbringung von Eingliederungshilfe-Leistungen verfasst. Mithilfe dieser Rahmenverträge sollen nämlich die Vergütungs- und Kostenbestandteile (Abs. 1 Nr. 1), Merkmale für die Gruppenbildung der anspruchsberechtigten Menschen / Leistungsberechtigte (Nr. 2), Leistungspauschalen für diese Gruppen und abgeleitet aus den Vergütungsbestandteilen (Nr. 3), Abgrenzungskriterien für die Kostenbestandteile bei WfbMs (Nr. 4), Personalrichtwerte / Personalschlüssel (Nr. 5), Grundsätze und Maßstäbe für die Wirtschaftlichkeit und Qualität einschließlich der Wirksamkeit der Leistungen usw. (Nr. 6) sowie das Verfahren zum Abschluss von Vereinbarungen überhaupt (Nr. 7) geregelt werden.

Dies mit der Regelung soll landeseinheitlich erfolgen, damit es keinen Wust von Vertragsgrundlagen gibt und plötzlich die verschiedenen Verbände (z.B. Diakonie, Paritätischer und Private Anbieter) unterschiedlich bedient werden. Alle sollen die gleichen Voraussetzungen haben können, und dennoch auf Ebene der einzelnen Leistungserbringer individuelle Besonderheiten verhandeln dürfen – damit ergibt sich nicht nur eine bunte Landschaft an verschiedenen Leistungsangeboten, die Leistungsberechtigten (Verbraucher) können ihren Vorlieben nachgehen und die Leistungserbringer ihr Recht auf Berufsfreiheit ausleben.

In Abs. 2 wurde darüber hinaus im Zuge des BTHGs dafür gesorgt, dass die Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen bei der Erarbeitung und Beschlussfassung der Rahmenverträge mitwirken sollten. Damit wurde der Partizipation dieses Personenkreises, der eine besondere Stärkung erfahren sollte („Nicht ohne uns über uns“), endlich Tür und Tor geöffnet; bis dato verhandelten nur die öffentliche Hand und die sozialen Unternehmen die Grundsätze der Leistungserbringung aus – von Selbstbestimmung keine Spur.

In Abs. 4 verfasste der Bundesgesetzgeber dazu noch das Druckmittel der Rechtsverordnung. Würde nach Ablauf einer Frist von sechs Monaten „nach schriftlicher Aufforderung durch die [jeweilige] Landesregierung [eines Bundeslandes]“ ein Rahmenvertrag nicht zustande kommen, könnten die Inhalte dazu per Rechtsverordnung bestimmt werden.

 

Die Ermächtigung für so eine Rechtsverordnung

In Schleswig-Holstein kam es schon im Jahr vor dem neuen SGB IX, in 2019 und somit vor Inkrafttreten des BTHGs, zu einem entsprechenden Rahmenvertrag (manchmal auch mit LRV-SH abgekürzt) zur Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe. Beteiligte waren die Kreise und kreisfreien Städte des Bundeslandes, das Land Schleswig-Holstein selber sowie die Vereinigungen der Leistungserbringer in Schleswig-Holstein (dazu gehören unter anderem die AWO, Arbeitsgemeinschaft Privater Heime, BPA, Caritas, Diakonie, Paritätischer Wohlfahrtsverband und noch viel mehr). Darüber hinaus konnten die Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderung (dazu gehörte auch die Lebenshilfe SH) mitwirken und Ihre Vorstellungen einbringen. Und, was meines Erachtens angesichts der aktuellen Entwicklungen sehr bedeutsam geworden ist, in der Präambel wurde herausgestellt, dass „auftretende Probleme bei der Umsetzung des Rahmenvertrags in partnerschaftlicher Zusammenarbeit […] gelöst werden“.  

Mit Problemen hatte man gerechnet und die partnerschaftliche Lösungsbereitschaft angestrebt. Darüber hinaus setzte man sich eine Kündigungsmöglichkeit für diese Vereinbarung, so dass man ab dem 31.12.2021 sogar Bestandteile neu verhandeln konnte. Es gab zwar Schwierigkeiten in den Verhandlungen, aber dann hätte man die als ungenügend erachteten Vereinbarungsbestandteile freikündigen können.

Stattdessen wird eine Rechtsverordnung (manchmal auch mit Landesverordnung betitelt oder mit Land-VO abgekürzt) herausgebracht. Und prompt stellt sich da die Frage, inwieweit das dafür zuständige Sozialministerium überhaupt ermächtigt ist (Art. 45 Abs. 1 der Landesverfassung von Schleswig-Holstein in der Fassung vom 2.12.2014). In der Verfassung heißt es nämlich, dass „die Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung […] nur durch Gesetz erteilt werden [kann]. Das Gesetz muss Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung bestimmen. In der Verordnung ist die Rechtsgrundlage anzugeben.“ (Abs. 1).

Das ist zwar in der Land-VO tatsächlich so gemacht worden, aber dort bezieht man sich eben auf § 131 Abs. 4 SGB IX, in dem wie gesagt von einem fehlenden Rahmenvertrag die Rede ist – doch einen solchen LRV-SH gibt es schon seit einiger Zeit.

 

Die problematischen Regelungen in der Rechtsverordnung

Es finden sich ein Haufen Kritikpunkte, die das weitere Miteinander behindern werden. Man darf nicht vergessen: beide Seiten könnten den gesamten oder einfach nur unliebsame Teile des Landesrahmenvertrags kündigen. Nach § 38 Abs. 2 LRV-SH würde bis zum Abschluss eines neuen LRVs die Regelungen des gekündigten fortgelten.

Und noch ein formaler Kritikpunkt. Gemäß § 37 LRV-SH wurde einerseits bestimmt, dass nachträgliche Änderungen und Ergänzungen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform (der Vertragsparteien) bedürfen. Und sofern einzelne Bestimmungen ganz oder teilweise unwirksam sind, sind beide Seiten verpflichtet, eine wirksame Bestimmung im Sinn und Zweck der unwirksam gewordenen Regelung zu vereinbaren. Weil man in der Präambel auf die UN-BRK abgestellt hatte und die Interessen der behinderten Menschen verwirklicht haben wollte, gehen diese Dinge schlichtweg vor.

Die Behauptung der Landesregierung von Schleswig-Holstein, dass alle Merkmale aus § 131 SGB IX erfüllt sein müssen, es aber nicht sind, ist zweifelhaft. Einerseits finden sich entsprechende Regelungen im LRV-SH, andererseits hat es seither eine Vielzahl von Beschlüssen und Schlichtungen gegeben, die eine Konkretisierung und Akzeptanz mit sich brachten. Woran es dem Land aber fehlt, ist die Detailtiefe, mit der eine Steuerung der Leistungserbringung gelingen soll. Im aktuellen Formularsatz für die Vergütungsverhandlungen zur Leistungserbringung sind verschiedene sehr weitgehende Strukturen und Abfragen enthalten (Beispiel: Stellenumfang pro Berufsgruppe und im jeweiligen Zeitkorridor / Gruppe mitsamt Entgelt-Gruppe und Entgeltstufe sowie Faktoren für betriebliche Altersversorgung und Zulagen). Man will also nicht nur sehen, welche Berufe in der pädagogischen Betreuung tätig sind, man will auch gleich noch den Stundenumfang wissen. Und das könnte bedeuten, dass bei Erkrankung eines solchen Mitarbeitenden kein anderer Berufszweig eingesetzt werden darf – oder?

Mit der Land-VO gibt es viele „Ergänzungen“ und sogar ein „Stattdessen“ mit Bezug auf die Vereinbarungen im LRV-SH. Damit greift die Landesregierung in die Vertragsfreiheit der Parteien ein, zu denen ebenfalls die Kommunen gehören. Die Sprache im Text der Rechtsverordnung ist unmissverständlich. Man zielt darauf ab, die ungeliebten Bestandteile des LRV-SH auszuheben und mit eigenen Vorstellungen zu ersetzen, so dass – ganz klar für mich wiederum – der Zweck des § 131 Abs. 4 SGB IX gar nicht angesprochen wird. Oder noch deutlicher ausgedrückt: Es fehlt der Landesregierung eine gesetzliche Grundlage, um so eine Rechtsverordnung schreiben zu dürfen (vgl. Verstoß gegen das rechtsstaatliche Prinzip des Gesetzesvorrangs).

Vielleicht ist das Ganze auch nur ein „Sturm im Wasserglas“, um die Verhandlungspartner zu einem Umdenken zu bringen. Wenn so ein Papier derart mangelhaft ist und grob gegen die Rechtsstaat-Prinzipien verstößt, wird es vermutlich nicht lange Bestand haben. Nichtsdestotrotz könnte die andere Seite endlich verstehen, dass es an mancher Stelle einen Entwicklungsschritt braucht.

CGS

 

 

 

Das hier ist keine Rechtsberatung oder Aufforderung zur Vornahme eines Rechtsgeschäftes. Der Beitrag stellt nur meine Sicht auf die Dinge dar. Und eine solche Sicht kann sich immer noch ändern. Brauchen Sie rechtliche Unterstützung, wenden Sie sich an die zuständigen Behörden, Sozial- und Betroffenenverbände oder rechtskundige Dritte. Lesen Sie bitte ebenfalls die Hinweise zum Rechtsstatus der Webseite, Urheberrechtsbestimmungen und Haftungsausschluss sowie die Datenschutzerklärung.

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