Schon im Sommer 2021 wurde im Hintergrund der Verhandlungen um
eine Lösung für die Zukunft der Eingliederungshilfe in Schleswig-Holstein
seitens der Leistungsträger mit einer Rechtsverordnung „gedroht“, wenn sich die
Leistungserbringer-Seite nicht den Forderungen beugen würde – das ist
zugegebenermaßen streng formuliert, aber immer wieder gerieten die
Verhandlungen ins Stocken. Und wenn etwas ins Stocken gerät, muss man manchmal
etwas deutlicher werden.
Diese Deutlichkeit zeigte sich nun, als ein Entwurf einer
solchen Rechtsverordnung verschickt wurde. Alle Verbände sollten hierzu Stellung
nehmen, und das taten sie – ziemlich heftig, und es kann sogar noch sehr viel „windiger“
werden. Wahrscheinlich wird diese Rechtsverordnung den Entwurfs-Modus nicht
überstehen, weil sie m.E. gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstößt.
Vielleicht soll sie es auch gar nicht, sondern die Verhandlungspartner kräftig
aufrütteln und zurück zum Verhandlungstisch bugsieren.
Die Grundlage für so eine Rechtsverordnung
In § 131 SGB IX hatte der Bundesgesetzgeber Bestimmungen
zu den Rahmenverträgen (Landesrahmenverträge zwischen Leistungsträgern und
Leistungserbringern) über die Erbringung von Eingliederungshilfe-Leistungen
verfasst. Mithilfe dieser Rahmenverträge sollen nämlich die Vergütungs- und Kostenbestandteile
(Abs. 1 Nr. 1), Merkmale für die Gruppenbildung der anspruchsberechtigten Menschen
/ Leistungsberechtigte (Nr. 2), Leistungspauschalen für diese Gruppen und
abgeleitet aus den Vergütungsbestandteilen (Nr. 3), Abgrenzungskriterien für
die Kostenbestandteile bei WfbMs (Nr. 4), Personalrichtwerte /
Personalschlüssel (Nr. 5), Grundsätze und Maßstäbe für die Wirtschaftlichkeit
und Qualität einschließlich der Wirksamkeit der Leistungen usw. (Nr. 6) sowie
das Verfahren zum Abschluss von Vereinbarungen überhaupt (Nr. 7) geregelt
werden.
Dies mit der Regelung soll landeseinheitlich erfolgen,
damit es keinen Wust von Vertragsgrundlagen gibt und plötzlich die
verschiedenen Verbände (z.B. Diakonie, Paritätischer und Private Anbieter)
unterschiedlich bedient werden. Alle sollen die gleichen Voraussetzungen haben
können, und dennoch auf Ebene der einzelnen Leistungserbringer individuelle Besonderheiten
verhandeln dürfen – damit ergibt sich nicht nur eine bunte Landschaft an
verschiedenen Leistungsangeboten, die Leistungsberechtigten (Verbraucher)
können ihren Vorlieben nachgehen und die Leistungserbringer ihr Recht auf
Berufsfreiheit ausleben.
In Abs. 2 wurde darüber hinaus im Zuge des BTHGs dafür
gesorgt, dass die Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen bei der
Erarbeitung und Beschlussfassung der Rahmenverträge mitwirken sollten. Damit
wurde der Partizipation dieses Personenkreises, der eine besondere Stärkung erfahren
sollte („Nicht ohne uns über uns“), endlich Tür und Tor geöffnet; bis dato
verhandelten nur die öffentliche Hand und die sozialen Unternehmen die
Grundsätze der Leistungserbringung aus – von Selbstbestimmung keine Spur.
In Abs. 4 verfasste der Bundesgesetzgeber dazu noch das
Druckmittel der Rechtsverordnung. Würde nach Ablauf einer Frist von sechs
Monaten „nach schriftlicher Aufforderung durch die [jeweilige] Landesregierung
[eines Bundeslandes]“ ein Rahmenvertrag nicht zustande kommen, könnten die
Inhalte dazu per Rechtsverordnung bestimmt werden.
Die Ermächtigung für so eine Rechtsverordnung
In Schleswig-Holstein kam es schon im Jahr vor dem neuen
SGB IX, in 2019 und somit vor Inkrafttreten des BTHGs, zu einem entsprechenden
Rahmenvertrag (manchmal auch mit LRV-SH abgekürzt) zur Erbringung von
Leistungen der Eingliederungshilfe. Beteiligte waren die Kreise und kreisfreien
Städte des Bundeslandes, das Land Schleswig-Holstein selber sowie die
Vereinigungen der Leistungserbringer in Schleswig-Holstein (dazu gehören unter
anderem die AWO, Arbeitsgemeinschaft Privater Heime, BPA, Caritas, Diakonie,
Paritätischer Wohlfahrtsverband und noch viel mehr). Darüber hinaus konnten die
Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderung (dazu gehörte auch die Lebenshilfe
SH) mitwirken und Ihre Vorstellungen einbringen. Und, was meines Erachtens
angesichts der aktuellen Entwicklungen sehr bedeutsam geworden ist, in der
Präambel wurde herausgestellt, dass „auftretende Probleme bei der Umsetzung des
Rahmenvertrags in partnerschaftlicher Zusammenarbeit […] gelöst werden“.
Mit Problemen hatte man gerechnet und die
partnerschaftliche Lösungsbereitschaft angestrebt. Darüber hinaus setzte man
sich eine Kündigungsmöglichkeit für diese Vereinbarung, so dass man ab dem
31.12.2021 sogar Bestandteile neu verhandeln konnte. Es gab zwar
Schwierigkeiten in den Verhandlungen, aber dann hätte man die als ungenügend
erachteten Vereinbarungsbestandteile freikündigen können.
Stattdessen wird eine Rechtsverordnung (manchmal auch
mit Landesverordnung betitelt oder mit Land-VO abgekürzt) herausgebracht. Und
prompt stellt sich da die Frage, inwieweit das dafür zuständige Sozialministerium
überhaupt ermächtigt ist (Art. 45 Abs. 1 der Landesverfassung von
Schleswig-Holstein in der Fassung vom 2.12.2014). In der Verfassung heißt es
nämlich, dass „die Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung […] nur durch
Gesetz erteilt werden [kann]. Das Gesetz muss Inhalt, Zweck und Ausmaß der
erteilten Ermächtigung bestimmen. In der Verordnung ist die Rechtsgrundlage
anzugeben.“ (Abs. 1).
Das ist zwar in der Land-VO tatsächlich so gemacht
worden, aber dort bezieht man sich eben auf § 131 Abs. 4 SGB IX, in dem wie gesagt
von einem fehlenden Rahmenvertrag die Rede ist – doch einen solchen LRV-SH gibt
es schon seit einiger Zeit.
Die problematischen Regelungen in der Rechtsverordnung
Es finden sich ein Haufen Kritikpunkte, die das weitere
Miteinander behindern werden. Man darf nicht vergessen: beide Seiten könnten
den gesamten oder einfach nur unliebsame Teile des Landesrahmenvertrags
kündigen. Nach § 38 Abs. 2 LRV-SH würde bis zum Abschluss eines neuen LRVs die
Regelungen des gekündigten fortgelten.
Und noch ein formaler Kritikpunkt. Gemäß § 37 LRV-SH
wurde einerseits bestimmt, dass nachträgliche Änderungen und Ergänzungen zu
ihrer Wirksamkeit der Schriftform (der Vertragsparteien) bedürfen. Und sofern
einzelne Bestimmungen ganz oder teilweise unwirksam sind, sind beide Seiten
verpflichtet, eine wirksame Bestimmung im Sinn und Zweck der unwirksam
gewordenen Regelung zu vereinbaren. Weil man in der Präambel auf die UN-BRK
abgestellt hatte und die Interessen der behinderten Menschen verwirklicht haben
wollte, gehen diese Dinge schlichtweg vor.
Die Behauptung der Landesregierung von Schleswig-Holstein,
dass alle Merkmale aus § 131 SGB IX erfüllt sein müssen, es aber nicht sind,
ist zweifelhaft. Einerseits finden sich entsprechende Regelungen im LRV-SH,
andererseits hat es seither eine Vielzahl von Beschlüssen und Schlichtungen
gegeben, die eine Konkretisierung und Akzeptanz mit sich brachten. Woran es dem
Land aber fehlt, ist die Detailtiefe, mit der eine Steuerung der Leistungserbringung
gelingen soll. Im aktuellen Formularsatz für die Vergütungsverhandlungen zur
Leistungserbringung sind verschiedene sehr weitgehende Strukturen und Abfragen
enthalten (Beispiel: Stellenumfang pro Berufsgruppe und im jeweiligen Zeitkorridor
/ Gruppe mitsamt Entgelt-Gruppe und Entgeltstufe sowie Faktoren für
betriebliche Altersversorgung und Zulagen). Man will also nicht nur sehen,
welche Berufe in der pädagogischen Betreuung tätig sind, man will auch gleich
noch den Stundenumfang wissen. Und das könnte bedeuten, dass bei Erkrankung
eines solchen Mitarbeitenden kein anderer Berufszweig eingesetzt werden darf –
oder?
Mit der Land-VO gibt es viele „Ergänzungen“ und sogar ein „Stattdessen“ mit Bezug auf die Vereinbarungen im LRV-SH. Damit greift die Landesregierung in die Vertragsfreiheit der Parteien ein, zu denen ebenfalls die Kommunen gehören. Die Sprache im Text der Rechtsverordnung ist unmissverständlich. Man zielt darauf ab, die ungeliebten Bestandteile des LRV-SH auszuheben und mit eigenen Vorstellungen zu ersetzen, so dass – ganz klar für mich wiederum – der Zweck des § 131 Abs. 4 SGB IX gar nicht angesprochen wird. Oder noch deutlicher ausgedrückt: Es fehlt der Landesregierung eine gesetzliche Grundlage, um so eine Rechtsverordnung schreiben zu dürfen (vgl. Verstoß gegen das rechtsstaatliche Prinzip des Gesetzesvorrangs).
Vielleicht ist das Ganze auch nur ein „Sturm im
Wasserglas“, um die Verhandlungspartner zu einem Umdenken zu bringen. Wenn so
ein Papier derart mangelhaft ist und grob gegen die Rechtsstaat-Prinzipien
verstößt, wird es vermutlich nicht lange Bestand haben. Nichtsdestotrotz könnte
die andere Seite endlich verstehen, dass es an mancher Stelle einen
Entwicklungsschritt braucht.
CGS
Das hier ist keine Rechtsberatung oder Aufforderung zur Vornahme eines Rechtsgeschäftes. Der Beitrag stellt nur meine Sicht auf die Dinge dar. Und eine solche Sicht kann sich immer noch ändern. Brauchen Sie rechtliche Unterstützung, wenden Sie sich an die zuständigen Behörden, Sozial- und Betroffenenverbände oder rechtskundige Dritte. Lesen Sie bitte ebenfalls die Hinweise zum Rechtsstatus der Webseite, Urheberrechtsbestimmungen und Haftungsausschluss sowie die Datenschutzerklärung.
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Eine Landesverordnung in Schleswig-Holstein
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