Montag, 10. Oktober 2022

Vergütungen für 2023 verhandeln – ein paar Überlegungen

 

Haben Sie schon Ihren Wunsch nach einem Anstieg bei den Vergütungen dem Leistungsträger mitgeteilt? Wenn nicht, dann mal los. Hier ein paar Gedanken-“Schnipsel” vom eigenen Schreibtisch.


Personalkosten im TVöD sind eigentlich schon gestiegen

Die Personalkosten werden steigen. Gerade im öffentlichen Dienst wird es unter dem Motto “Zusammen geht mehr…” in der Tarifrunde 2023 für rund 2,3 Mio. Beschäftigte von Bund und Kommunen um ein deutliches Mehr beim Gehalt gehen. Zurzeit müssen die Gewerkschafter ihre Forderungen ein wenig konkretisieren, aber schon am 11.10.2022 wird die Bundestarifkommission dazu etwas entscheiden.

Nicht zu vergessen ist, dass es am 1.7.2022 eine Tarifeinigung im Sozial- und Erziehungsdienst gab, die sich durchaus als sehr üppig erwiesen hat. Die damaligen Steigerungen konnten von vielen Leistungserbringern in ihren Vergütungsverhandlungen zum Jahresanfang nicht vorausgesehen werden. Da der Kostenanstieg in dieser Größenordnung dennoch nicht als “wesentlich” eingestuft werden kann, gibt es somit keine Grundlage für Nachverhandlungen.

Die Personalkosten machen im Setting einer besonderen Wohnform, ehemals stationäre Einrichtung, rd. 70 % der Kosten aus. In einem Nachrichtendienst wurde die Forderung der Gewerkschaft VERDI mit 15 Prozent über 12 Monate mindestens kolportiert, aber das war zu dem Zeitpunkt ja noch gar keine Pressemeldung der Gewerkschaft. Diesen Wert jetzt schon zu verwenden, wäre schwierig, lieber ein paar Tage warten. Der Arbeitgeberverband wird sich übrigens erst im Anschluss positionieren. Ob es dann schon ein Gegenangebot gibt, ist eher zweifelhaft.

Sachkosten und Mieten in Zeiten von Inflation

Die Sachkosten wiederum sind dank der hohen Inflationsraten von mittlerweile 10 % ggü. dem Vorjahr exorbitant hoch ausgefallen. Das "Herbstgutachten" geht für das kommende Jahr von einer Inflation in Höhe von 8,8 % aus. Andere Fachleute taxieren die Inflation für 2023 auf 8,0 % (Euroraum dagegen 8,3 %) und 2024 auf 7,2 % (Euroraum dann nur noch 5,2 %). Man kann diese Einschätzung aus der Gemeinschaftsdiagnose von daher als belastbar und begründet ansehen.

Vor einem Jahr noch titelte man seitens der Bundesregierung, dass die Wirtschaft sich auf dem “Wachstumspfad” befinden würde. Im Untertitel hieß es: “Im nächsten Jahr rechnet die Bundesregierung mit einer Steigerung des Bruttoinlandsprodukts von 4,1 Prozent. 2021 wird ein Wachstum der Wirtschaft von 2,6 Prozent erwartet.” Und weiter: “Die deutsche Wirtschaft habe dann schon zum Ende des ersten Quartals 2022 die Leistungsstärke auf dem Niveau vor der Corona-Pandemie erreicht, so Bundeswirtschaftsminister Altmaier.” Zur Inflation wurde sogar das hier gesagt: “In der Herbstprojektion erwartet die Bundesregierung Inflationsraten von 3,0 % im Jahr 2021, 2,2 % im Jahr 2022 und 1,7 % im Jahr 2023.” – Man darf nicht vergessen: vor einem Jahr gab es noch keinen Ukraine-Krieg, und (fast) alle gingen noch von einem “Soft Landing” bei den anstehenden Entscheidungen zum Leitzins der Notenbanken aus.

Die Investitionskosten werden sich, wenn sie mit dem Preisindex gekoppelt sind, ebenfalls um die hohe Inflationsrate steigen. Und vermutlich dann sogar auf dem Niveau verharren,  wenn eine Rückentwicklung zwischen Mieter und Vermieter vertraglich nicht vereinbart worden ist.

Die Kosten der Unterkunft sind ein anderer wunder Punkt

Ab dem 1.1.2023 vermindern sich in Hamburg die Leistungen zu den Kosten der Unterkunft (vgl. § 35 SGB XII und § 42a SGB XII) von 488,00 Euro auf 478,00 Euro (100 %) bzw. von 610,00 Euro auf 597,50 Euro (125 %); diese Beträge können woanders wiederum sehr unterschiedlich ausfallen (vgl. dazu auch § 35 Abs. 3 SGB XII und folgende oder § 42a Abs. 7 S. 1 SGB XII). Das bedeutet für die Empfänger von Grundsicherungen in besonderen Wohnformen in Hamburg, dass ein vermietender Leistungserbringer dieser Wohnstätte maximal nur den Betrag der 125%-Grenze einfordern darf. Da Leistungsberechtigte ohnehin das Forderungsschreiben an das Grundsicherungsamt geben müssen, denn schließlich wollen sie das Wohngeld, würde es sich um ein Null-Summen-Spiel handeln.

Würde man als Leistungserbringer die Absenkung nicht fristgerecht nachvollziehen, würde die weiterhin hohe Miete vom Leistungsberechtigten eingefordert werden. Und das würde diesen Personenkreis gewissermaßen unter Druck setzen. Somit muss ohnehin eine Absenkung vonstattengehen, was wiederum einen zeitgleichen Ausgleich bei der EGH-Vergütung erforderlich macht.

Würde man sich der 125%-Grenze nur nähern, braucht es ein Mieterhöhungsverlangen nach § 9 WBVG. Damit kann man sich im Gegensatz zu den Fristen über die Vergütungen allerdings Zeit lassen; statt der drei Monate (siehe folgend) sind es nur vier Wochen (vgl. Abs. 2 S. 4 WBVG), wobei aber vom mietenden Leistungsberechtigten eine Zustimmung eingeholt werden muss (ob konkludent, fiktiv oder schriftlich wäre an anderer Stelle ein Thema).

Zuwarten oder sich auf den Verhandlungsweg machen

Wie auch immer die nächsten Kostensteigerungen in der Wirtschaft aussieht, ein Leistungserbringer, der weiterhin zuwartet, um etwas “Belastbares” anzubieten, wird kostbare Zeit vertun. Nach § 126 Abs. 2 SGB IX kann man erst dann zu den noch strittigen Punkten die Schiedsstelle anrufen, wenn drei Monate nach schriftlicher Aufforderung zu Verhandlungen ins Land gegangen sind. Die 3-Monats-Frist beginnt nach herrschender Meinung nicht zum Monatsanfang, sondern sie ist wörtlich zu nehmen (vgl. dazu Bieritz-Harder in LPK-SGB IX 6. Auflage, S. 628).

Nach Abs. 1 S. 4 sind aber erst dann Nachweise vorzubringen, wenn es von der anderen Partei so verlangt wird. Ein Zuwarten dieser Partei würde zulasten der Frist gehen. Das bedeutet aber nicht, dass damit der Vorteil bei der auffordernden Seite liegt. Die Nachweise müssen “geeignet” sein, was bedeutet, dass man sich beiderseitig verständigen muss über die erforderlichen Unterlagen. Und es bedeutet auch, dass man sich um einen Vertragsabschluss bemüht. Nur über die noch strittigen Punkte wird die Schiedsstelle entscheiden, basierend auf der Mitwirkung der Beteiligten, auf der Grundlage der vorgebrachten Gegenstände.

Für die Personalkosten könnte man die Forderungen der Gewerkschaften vorbringen. Die andere Seite würde dann zwar verlangen, dass man die Auswirkungen nachvollziehbar kalkuliert; nicht alle Bestandteile der Personalkosten werden sich linear verändern. Für die Sachkosten wiederum könnte man auf das Herbstgutachten verweisen, wobei auch hier die andere Seite die neuen Gestehungskosten anhand der vereinbarten Struktur errechnet haben möchte. Einfach so hochrechnen geht nicht. Man muss sich um eine ernsthafte Klärung bemühen, bevor man die Differenzen zur Schiedsstellen-Sache macht.

Kein Weg ist selbstverständlich.

 

CGS

 

 

 

Quellen:

Herbstprojektion 2021 

Herbstprojektion 2022, Gemeinschaftsdiagnose

Die Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2022 wird vom RWI organisiert und am 29. September 2022 veröffentlicht.

 

Pressemitteilung:

Altmaier stellt Herbstprojektion vor:

Veröffentlichung am 27.10.2021; letzter Stand 4.10.2022

 

 

Das hier ist keine Rechtsberatung oder Aufforderung zur Vornahme eines Rechtsgeschäftes. Der Beitrag stellt nur meine Sicht auf die Dinge dar. Und eine solche Sicht kann sich immer noch ändern. Brauchen Sie rechtliche Unterstützung, wenden Sie sich an die zuständigen Behörden, Sozial- und Betroffenenverbände oder rechtskundige Dritte. Lesen Sie bitte ebenfalls die Hinweise zum Rechtsstatus der Webseite, Urheberrechtsbestimmungen und Haftungsausschluss sowie die Datenschutzerklärung.

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