Wenn aus den Kindern endlich Erwachsene werden, werden sie flügge und ziehen aus. Kinder mit Behinderung möchten das vielleicht auch ganz gerne, aber das Wie stellt sich als eine sehr hohe Hürde dar – nicht nur für die Kinder selbst, die Eltern haben ebenfalls so ihre Bedenken.
Klar, da gibt es
zum einen die Eltern, die einfach nur klammern und nicht loslassen können. Sie
sehen in den Kindern noch die kleinen hilflosen Wesen, manche von ihnen haben
ja immerhin mit diversen Einschränkungen zu kämpfen, so dass sie stets als „hilflos“
gelten. Und dann wieder sind unter diesen Hilflosen sogar richtig „Wilde“, die
es kaum erwarten können, ihr Leben endlich selbstbestimmt anzupacken ohne die
nervigen Eltern.
Wie geht man also
vor? – Seit geraumer Zeit machen Wohnprojekte die Runde. Eltern und Zugehörige
der Herangewachsenen mit Einschränkungen organisieren sich und „ein Leben nach
dem Elternhaus“.
Und darum geht es
im folgenden Beitrag.
Die ersten Überlegungen
Das fing eigentlich en
passant an (frz. im Vorbeigehen), hört man. Eltern saßen zusammen und
besprachen vielleicht die ständigen Probleme in Schule oder beim Sport. Da
fragt eine, wie das denn so sein wird mit dem Auszug aus dem (lieben)
Elternhaus. In einem Wohnheim natürlich, oder so, kam es dann zurück. Das mit
dem Wohnheim ist so eine Sache, muss man allerdings erwidern (zur Geschichte am
besten einmal unter Wikipedia nachlesen). Seit der Reform der
Eingliederungshilfe gibt es formal diese stationären Einrichtungen nicht mehr,
sondern man spricht nun von einer besonderen Wohnform; besonders deswegen, weil
es sich nicht um eine eigene Wohnung handelt, sondern um Räumlichkeiten, die für
diesen Personenkreis „zur Erbringung von Leistungen nach Teil 2 des Neunten
Buches [Eingliederungshilfe] allein oder zu zweit ein persönlicher Wohnraum und
zusätzliche Räumlichkeiten zur gemeinschaftlichen Nutzung nach Satz 3 [in § 42a
Abs. 2 SGB XII] zu Wohnzwecken überlassen werden“ (§ 42a Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB
XII).
Ein konkretes Beispiel für so eine besondere Wohnform ist
eine stationäre Wohneinrichtung, in der eine Gruppe aus sieben oder zwei
Gruppen mit insgesamt zwölf behinderten Menschen leben und ein Unternehmen der
Behindertenhilfe ihre Betreuungsleistungen erbringt. Man spricht dabei von
einer Fachleistung der Eingliederungshilfe und einem Leistungserbringer
einerseits sowie Leistungen zum Wohnen und dem Versorgt-Werden auf der
Grundlage der Sozialhilfe andererseits. Das mag zwar sehr kompliziert klingen,
gerade auch da verschiedene gesetzliche Grundlagen zu beachten sind, doch im
Prinzip geht es um die Begleitung von Menschen mit besonderen Hilfebedarfen.
Eine solche Begleitung kann schon beim Aufstehen und
Fertigwerden beginnen, die Einnahme des Frühstücks und das Anziehen für die
anstehende Fahrt zur Tagesförderstätte, Werkstatt für behinderte Menschen oder
in einem Beschäftigungsprojekt. Die Rückkehr von der Beschäftigung, die
pflegerische Versorgung (in Abgrenzung zur Pflege nach dem SGB XI) sowie das Anbieten
einer Tagesstruktur in Zeiten ohne Betätigung gehören ebenfalls dazu. Und ebenso
die Begleitung in der Nacht, wenn es ganz besondere Herausforderungen zu
meistern gibt. Besondere Wohnformen können allerdings nicht alles, aber sie
sind eine Alternative zu ganz vielen anderen Wohnformen.
Weitere Wohnformen
Aus den ersten Überlegungen entsteht eine Gruppe an interessierten
Eltern, die sich darüber den Kopf zerbrechen, wo die Kinder hinziehen sollen. Neben
der besonderen Wohnform gibt es noch zwei weitere:
Die eigene Wohnung
haben. In Kooperation mit einer Wohnungsbaugenossenschaft errichteten zwei
Leistungserbringer mit unterschiedlicher Klientel einen Apartmenthauskomplex.
Die Vermietung erfolgte mit Unterstützung der kommunalen Fachdienststellen an
den jeweiligen, besonderen Personenkreis. Alle Apartments waren in diesen Fällen
für ein- oder zwei-Personen-Haushalte konzipiert (sog. Pärchen-Wohnen auch für
geistig behinderte Menschen sollte möglich sein). In einer anderen
Konstellation hatte ein Leistungserbringer sogar mehrere Apartments selbst
angemietet, um sie an Menschen mit Hilfebedarf / Leistungsbedarfen zu untervermieten.
Ein solches Vorgehen ist zwar mit wirtschaftlichen Risiken verbunden, aber im
Zusammenspiel mit den Fachdienststellen konnte eine tragfähigere (nicht frei
von Risiken) Lösung gefunden werden. Ebenfalls das Wohnen in Kleinst-Apartments
in Studenten-Wohnheimen mit Betreuung an bestimmten Tagen durch den Dienst
der Behindertenhilfe (Ambulante Begleitung) gibt es.
In einer
Wohngemeinschaft leben. Für die Betreuung sollten in einem Fall Studenten
sorgen, in einem anderen waren es sozialpädagogisch Ausgebildete. Die
Betreuungskräfte bekamen nicht nur Wohnraum im heiß umkämpften Wohnungsmarkt zu
günstigen Mieten, sie wurden sogar für ihren Arbeitseinsatz bezahlt. Wie bei
jeder Wohngemeinschaft muss man sich eine Wohn/Hausordnung und Regeln für das
gemeinsame Zusammenleben geben, man hat gemeinsame Flächen (z.B. Wohnzimmer und
Küche) sowie eigene, private Zimmer (Rückzugsmöglichkeiten).
Die Umsetzung erfordert viel Phantasie und die Mitwirkung
aller Beteiligten – zu den Beteiligten zählen ganz besonders die Menschen, die
dort wohnen werden.
Die Findungsphase
Das wird sich finden, sagte mir ein Vater. Wichtig ist, dass
die Eltern zusammenkommen und einfach mal die Gedanken kreisen lassen. Da könnten
weitere hinzukommen, so ein anderer Vater, weil man schließlich nicht alles
selber machen kann. Folgende Kreise kann das ganze Projekt jedenfalls sozusagen
in seinen Bann ziehen:
Die Kinder, die
da ausziehen werden. Sie muss man hören und mit ihnen das Kommende besprechen. Übergeordnetes
Ziel ist schließlich die Erlangung des Rechts zur „unabhängigen Lebensführung“
(Art. 19 UN-BRK).
Selbst wenn die weiteren Schritte nicht ganz klar sind, man
kann es sichtbar machen. Ein Instrument, was in jüngster Zeit immer mehr an
Beliebtheit gewonnen hat, ist die persönliche Zukunftsplanung (PZP); abgehalten
in Form eines Seminars bei einem Verband ergeben sich da ganz neue Einsichten. Mit
der PZP die Wünsche und Bedürfnisse der Kinder manchmal im wahrsten Sinne des
Wortes aufdecken; und Bildlich dargestellt, entsteht auf diese Weise das erste
Schriftstück in der Findungsphase.
Die Eltern der
Kinder, die da ausziehen. Sie treffen zusammen und wollen alles bereden, aber
im Weiteren treten sowas wie die Aktiven hervor. Sie stellen später die
Kerngruppe dar, die etwas organisiert und vorrangig entscheidet. Die
Nicht-so-Aktiven unterstützen und helfen an mancher Stelle mit: sie agieren vorwiegend
im Hintergrund.
Wichtig ist, die Zielvorstellungen und mögliche Differenzen zu
besprechen. Hilfreich wäre ein Konzept, um eine gemeinsame Grundlage zu
schaffen für beide Parteien. Braucht man ein Haus, muss man jemanden haben, der
es kauft. Müssen Verträge mit Dritten geschlossen werden, bestimmt man am
besten eine Stellvertretung. Mit diesem zweiten Schriftstück erreichen jedenfalls
die Eltern daher nun den Höhepunkt in der Findungsphase.
Die Betreuer, die
die Kinder begleiten sollen. Eine erste Kontaktaufnahme wäre schon mal ganz nützlich
zu so einer Gruppe, einem Dienst oder größeren, regionalen Anbieter derartiger
Leistungen. Gemeint sind also die Fachleistungen, und nicht so sehr die
Wohnleistungen, auch wenn beides irgendwie miteinander verbunden sein wird.
Die Betreuer tun das nicht für umsonst. Mit der Anbahnung
werden weitere Eckpfeiler gesetzt und die rechtlichen Rahmenbedingungen
herausgestellt. Um dabei mehr Planungssicherheit zu erlangen, braucht es eine
Absichtserklärung, die gegebenenfalls an weitere Stellen (Stakeholder) gehen muss. Was sich damit ergibt, ist das dritte und
wahrscheinlich letzte Schriftstück in der Findungsphase.
Der nächste Schritt bzw. die ersten Gehversuche
Im Prinzip wird man wahrscheinlich mit den drei Wohnformen
außerhalb des Elternhauses beginnen: die besondere Wohnform, die
Wohngemeinschaft oder das eigene Apartment. Und dann bilden sich so langsam die
Akteure heraus, die da irgendwie mitreden werden. Auf jeden Fall offenbart sich
ein Skript, oder Drehbuch, ein Pfad mit Entscheidungspunkten, die abzuarbeiten
sind.
·
Was will das Kind? – Persönliche Zukunftsplanung
als erster Wegbereiter.
·
Wo und Wie wird das Kind leben wollen und können?
– Den passenden Wohnort und das geeignete (barrierefreie) Wohngebäude finden
(Miete oder Finanzierung).
·
Wer soll was machen? – Die Eltern klären das mit
dem Wohnen und lernen die Betreuungsmöglichkeiten vor Ort kennen (Anbahnungen
zur Kommune, einem speziellen Dienst oder Fach-Leistende).
Alles gleichzeitig anzugehen, ist ziemlicher Raubbau an der
eigenen Gesundheit. Sich die Aufgaben einzuteilen und zu verteilen, erfordert
ein gemeinsames Wiedersehen und Besprechen. Dies übernimmt zuerst einmal die
Kerngruppe. Sie wird vermutlich personell klein sein und aus ganz wenigen „Machern“
und „Bestimmern“ bestehen. Die weiteren Detail-Fragen, die es nach den ersten
Gehversuchen zu klären gibt, haben es jedoch teilweise schon in sich.
·
Wenn man nicht mietet sondern kauft, wem soll
das Gebäude gehören? – den Eltern, den Kindern, den investierenden Dritten?
·
Wenn es einem gehört, wie soll das Gebäude betriebsbereit
gehalten werden? – Betriebskosten, Wärme, Strom, Instandhaltung? Wer kümmert
sich (verwaltet das Gebäude)?
·
Wenn es irgendwie Probleme gibt, wer soll
entscheiden dürfen? – Und wie kommt man aus allem wieder raus?
·
Wenn man hier nun organisiert ist, welche
Rechtsform sollten sich die Beteiligten geben? – eine Gesellschaft bürgerlichen
Rechts oder ein Verein? Eine Stiftung oder eine Personengesellschaft mit
besonderen Vertretungs- und Haftungsregelungen? Wenn wir schon von Haftung
sprechen, wäre eine Kapitalgesellschaft nicht doch das Beste?
Vieles muss nicht sofort beantwortet werden, vieles darf man
vertagen; wie gesagt: Es wird sich finden.
CGS
Weitere Quellen:
Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V.
https://www.lebenshilfe.de/informieren/wohnen
WOHN:SINN - Bündnis für inklusives Wohnen e.V.
(letzter Aufruf aller Quellen und Links in diesem Beitrag am
21.11.2023)
Notizen:
1.
Bevor es mit dem BTHG losging, waren Heime als stationäre
Einrichtungen bekannt. Erwachsene behinderte Menschen wurden dann untergebracht
in Wohngruppen mit sieben, zehn oder vielleicht sogar über zwanzig anderen. In ländlichen
Gebieten finden sich heute sogar noch Gebäudekomplexe mit weit über 100 Wohnplätzen
(die Geschichte dazu ist ernüchtern und gehört meiner Ansicht nach in jeden
Lehrplan). Das wird ganz bestimmt anders, da es nun eine ganz andere
Denkrichtung mit der UN-BRK gibt.
Einige Jahre zuvor hatte sich jedenfalls die Idee mit dem „Sozialraum“
durchgesetzt und analog zur Pflege entstanden ambulante Dienste in der
Behindertenhilfe. Die Betreuung im eigenen Wohnraum wurde als ein Grundpfeiler
verstanden für echte Gleichberechtigung und Teilhabe am Leben in der
Gemeinschaft. Zudem versprach sie billiger zu sein, als wenn ein Leben lang der
Sozialstaat die immer teurer werdenden Einrichtungen finanziert (Stichworte wären:
Einrichtungsfinanzierung und Personenzentrierung); bis heute, kann man behaupten,
ist das eher ein Trugschluss, da es lediglich eine Umverteilung der Kosten von
der Sozialhilfe (SGB XII) weg und in die (neue) Rehabilitation und Teilhabe von
Menschen mit Behinderungen (SGB IX) gegeben hat.
Langfristig wird es günstiger, so die Befürwortenden, weil
die Automatik, mit der behinderte Menschen in die Heime abgeschoben wurden,
nicht mehr gibt. Sie werden als Teil des Sozialraums vom Sozialraum umsorgt.
2.
Beim Immobilien-Erwerb sieht es für Käufer wieder besser
aus. Zwar sind die Hypotheken-Zinsen enorm gestiegen, aber mit den letzten
Zinsanstiegen der Notenbanken kam es nicht erneut zu einer Verteuerung. Natürlich
ist ein Zinssatz von 4 % im Vergleich zu dem von vor zwei, drei Jahren
ausgesprochen teuer, doch so ein Zinsniveau gab es vor fast zwanzig Jahren. Was
es auf jeden Fall braucht, ist eine gute Finanzierungsberatung mit einem
Vergleich über verschiedene Anbieter hinweg.
Nach Meinung einiger Kenner der Märkte ist jetzt ein
Tiefpunkt erreicht, auch wenn es nach wie vor einige Verkäufer in Erinnerung
der Hochpreis-Phase utopische Preisvorstellungen durchsetzen wollen. Verhandeln
wird sich immer lohnen.
Das, was da erspart gespart wurde mit dem Verhandeln, plus
viel Eigenkapital wird benötigt, um ggf. das Wunschobjekt bedarfsgerecht
auszustatten. Da wäre einerseits der energetische Zustand der Immobilie, den
man mit einer Modernisierung bei Dämmung, Heizung oder Fenstern verbessern
muss, andererseits die Erstausstattung mit funktioneller Küche und Badezimmer
(vielleicht sogar ergänzt um bestimmte Hilfseinrichtungen speziell für körperbehinderte
Menschen).
Und was ist, wenn das Geld nicht reicht? – schwierig, aber
nicht unmöglich. Ein Finanzberater wird dazu etwas sagen können. Und dann gibt
es immer noch andere mögliche Quellen: Aktion Mensch, die Kommune, Stiftungen
oder sogar Investoren. Doch das würde eine andere Geschichte sein.
Aktion Mensch, Förderprogramm zu Selbstbestimmtes Wohnen
3.
Deutsche Bundestag
Vor 60 Jahren: Bundestag beschließt Bundessozialhilfegesetz
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2021/kw18-kalenderblatt-bundessozialhilfegesetz-837714
4.
Alle Bilder vom BING Image Creator erzeugt.
Das hier ist keine Rechtsberatung oder Aufforderung zur
Vornahme eines Rechtsgeschäftes. Der Beitrag stellt nur meine Sicht auf die
Dinge dar. Und eine solche Sicht kann sich immer noch ändern. Brauchen Sie
rechtliche Unterstützung, wenden Sie sich an die zuständigen Behörden, Sozial-
und Betroffenenverbände oder rechtskundige Dritte. Lesen Sie bitte ebenfalls
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Eltern organisieren sich zum Wohnprojekt