Bei einem recht kleinen Anbieter sozialer Leistungen in Schleswig-Holstein kam es in der zweiten Jahreshälfte von 2024 zu Verhandlungen über die Erhöhung der Vergütungssätze. Während der Verhandlungen wurde die Frage nach der wirtschaftlichen Tragfähigkeit dieses Leistungserbringers gestellt. Das ist schon ein wenig verwunderlich. Wenn man aber weiß, wie sehr die Arbeit dieses Anbieters vom Idealismus geprägt ist und weniger von kaufmännischem Kalkül, könnte es auf einige “Bescheidenheit” hindeuten in Vergütungskalkulationen – aber das weiß man nicht.
Vermutlich wurde im
Laufe der Gespräche bemerkt, dass es nach wie vor Schwierigkeiten mit dem lange
geplanten Neubau des Wohnhauses gibt. Auch wurde eine anstehende Brandverhütungsschau
für das alte sanierungsbedürftige Wohnhaus offenbar erwähnt. Dass es von da an
zu einer wahren Eskalation bis kurz vor Heiligabend führte, hatte wohl niemand
geahnt.
Vor der Brandverhütungsschau
Einige Zeit vorher hatte dieser Leistungserbringer schon ein
Wohnhaus neu gebaut, in dem ambulante Fachleistungen auf Stundenbasis geleistet
werden. Die Fachleistungen richten sich dabei an Menschen mit sehr
unterschiedlichen Unterstützungsbedarfen. Die Bedarfe reichen von einigen
Stunden im Monat bis hin zu mehreren in der Woche. Am zweiten (historischen
Kern-) Standort betrieb man eine besondere Wohnform, die allerdings einen enorm
hohen Instandsetzungs- und Modernisierungsbedarf aufweist, und eigentlich durch
einen Neubau ersetzt werden sollte. Die Planungen befanden sich zwar über viele
Jahre im Gange, doch so richtig was realisieren wollte sich da anscheinend gar
nichts – die Gemeinde behauptete zwischenzeitlich, dass es nicht bei ihnen
liegen würde.
Die im alten Gebäude lebenden Menschen haben teils sehr
schwierige Erfahrungen machen müssen. Die Altersstruktur reicht von jungen
Erwachsenen bis hin zu Senioren und kann demzufolge als gemischt bezeichnet
werden. Statt einer Beschäftigung oder sonstigem Tätigwerden, wie zum Beispiel
in einer Tagesförderstätte, besteht ein Angebot der Tagesförderung vor Ort
(siehe unten mehr zum sogenannten Zwei-Milieu-Prinzip).
Eine ständige Nachtwache braucht es im Wohnhaus nicht,
stattdessen steht eine “In-House” Nachtbereitschaft für alle Fälle bereit.
Bekannt ist zudem, dass die Vergütung des Personals am TVÖD (Sozial- und
Erziehungsdienst) orientiert ist. Träger der beiden Standorte ist eine gemeinnützige
GmbH, die gem. § 267 Abs. 1 HGB zu den kleinen Kapitalgesellschaften zählt und
ihre Berichte nur hinterlegen muss.
Das Problem kam so richtig ins Rollen, als eine Brandverhütungsschau
im Gebäude der besonderen Wohnform stattfand. Da man bis dato fest mit dem
Neubau rechnete, die Angelegenheit sich allerdings “wie immer” sehr hinzog,
hatte man nicht mehr viel in die Sicherung des Gebäudes investiert – und das rächte
sich.
Nach der Brandverhütungsschau
Anfang Dezember ging der Bericht des Experten von der Feuerwehr
ein, am folgenden Tag sollte noch eine Anhörung beim Landkreis erfolgen. Da
offenbar auf Ebene der Behörden auch eine Information an die Vertretung des
Leistungsträgers ging, kündigte diese prompt die Leistungsvereinbarung ganz im
Sinne eines “Gefahr im Verzug". Gefahr im Verzug bedeutet, dass sofort
gehandelt werden muss, um Schaden zu verhindern – auch wenn eine andere Stelle
zuständig wäre. Unterschieden wird dabei zwischen einer “erheblichen Gefahr”
und der “gegenwärtigen Gefahr”. Im ersten Begriff ist von einer Bedrohung
auszugehen, im zweiten Begriff hat das schädigende Ereignis bereits
stattgefunden oder wird “mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in
absehbarer Zeit beginnen”. Die Anhörung beim Landkreis war nun der letzte
Schritt im Verfahren zur Nutzungsuntersagung und das hätte das Aus für die
Heimstatt der dort lebenden Menschen bedeutet.
Jedes Gebäude ist sehr individuell und besonders. Gerade
dann, wenn ein Gebäude als Heimstatt dient für Menschen mit einem hohen
Hilfebedarf, sind auch hohe Anforderungen zu erfüllen. Manchmal sind
Brandschutzanforderungen fast schon “überzogen”. Doch im vorliegenden Fall
hatte es in den zurückliegenden Jahrzehnten keine nennenswerten Verbesserungen
am Gebäude gegeben. Auf Bestandsschutz kann man sich zudem nicht berufen;
Fachleute sprechen davon, dass ein einfacher Zeitablauf, d.h. veraltetes Gebäude,
zum Erlöschen des Bestandsschutzes führt. Die zuständige Behörde wäre dann
sogar bei der Gefahrenabwehr verpflichtet, eine Nutzungsuntersagung nach der
Landesbauordnung auszusprechen.
Eine Nutzungsuntersagung auszusprechen, ist allerdings kein
einfaches Unterfangen. Zuerst einmal muss die konkrete Gefahr definiert werden,
was bedeutet, dass bei unveränderter Situation in absehbarer Zeit (hier: die Zeit
kurz vor Weihnachten und Silvester) “mit hinreichender Wahrscheinlichkeit” mit
dem Schadensfall zu rechnen ist; tatsächlich hatte es in der Zeit in Bamberg
und in München (Vincentinum) Feuerwehr-Einsätze in Altenheimen gegeben. Die
Darlegungs- und Beweislast obliegt dabei der Baurechtsbehörde und diese muss
realistisch auf das Objekt bezogen sein – eine bloße Unterstellung ist also
nicht ausreichend.
Die Beschreibung eines Gefahren-Szenarios würde konkrete
Faktoren benennen, die eine sehr wahrscheinliche Gefährdung verursachen könnten;
im vorliegenden Fall handelte der Einrichtungsträger entsprechend und stellte
die Mängel beim Brandschutz ab. Im zweiten Termin vier Wochen später vor Ort
bestätigten die Brandschutzexperten des Kreises den Erfolg dieses Handelns; die
Gefahrensituation wurde als nicht mehr erheblich angesehen und die zuvor
ausgesprochene Nutzungsuntersagung somit hinfällig.
Hätte es eine Nutzungsuntersagung gegeben, hätte der
Leistungserbringer die Bewohnung des Gebäudes nicht mehr leisten können. Ein
solches Ereignis würde man als einen Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB)
betrachten, was zu einer außerordentlichen Kündigung der Verträge führen könnte.
Das passierte dann ja auch, aber von Seiten der Stelle, die für den Leistungsträger
die Leistungsvereinbarungen abschließt und Vergütungen verhandelt.
CGS
Notizen:
Was ist das
Zwei-Milieu-Prinzip?
Das Zwei-Milieu-Prinzip besagt, dass es für Menschen,
insbesondere für Menschen mit Behinderungen, wichtig ist, ihren Alltag in
unterschiedlichen räumlichen Umgebungen zu erleben. Dies bedeutet, dass sie
sowohl in ihrem Wohnumfeld als auch in einer anderen Umgebung, wie z.B. einer
Tagesförderstätte oder einem Arbeitsplatz, Zeit verbringen sollten. Dieses
Prinzip fördert die Teilhabe und Integration, indem es den Wechsel zwischen
verschiedenen sozialen und räumlichen Umfeldern ermöglicht.
Das Zwei-Milieu-Prinzip wird in der Praxis durch
verschiedene Maßnahmen umgesetzt, um die Teilhabe und Integration von Menschen
mit Behinderungen zu fördern. Zum Beispiel können sie in der Nähe /
unmittelbaren Nachbarschaft gelegene Tagesförderstätten oder Werkstätten
aufsuchen. Diese Einrichtungen wären natürlich räumlich getrennt, sodass die
Bewohner zwischen verschiedenen Umgebungen wechseln können. Externe Arbeitsplätze
wären ganz im Sinne des Normalisierungsprinzips die am besten geeignetsten “Milieus”,
die es den behinderten Menschen sehr viel mehr ermöglicht, in
unterschiedlichsten sozialen Umfeldern tätig zu sein. Durch die Nutzung sozialräumlicher
Ressourcen im Gemeinwesen können Menschen mit Behinderungen an verschiedenen
Aktivitäten außerhalb ihres Wohnbereichs teilnehmen. Dies fördert ihre
Integration und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Erst mit dem zweiten Milieu können Menschen mit Behinderungen
vielfältige Erfahrungen sammeln und soziale Kontakte gewinnen, um sich zu
entwickeln und ein umfassendes Leben in der Gemeinschaft zu empfinden. Nicht
umsonst spricht man in den gesetzlichen Normen auch von einer Teilhabe am
Arbeitsleben als eigenständigen Lebensbereich (vgl. §§ 4, 49, 55 und 156 SGB IX
sowie die Aufgabe des Trägers der Eingliederungshilfe, Leistungen anhand eines
Instruments zur Bedarfsermittlung anzuwenden gem. § 118 SGB IX).
Eine interne Tagesstrukturierung anstelle des Besuchs einer
externen Arbeits- oder Beschäftigungsstätte entspricht diesem Konzept zwar
nicht, kann aber in bestimmten Fällen, wie zum Beispiel Klienten in Rente und
solchen mit erheblichen Besonderheiten durchaus gerechtfertigt sein. Ein
solches Angebot wird im Sinne des § 78 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB IX übernommen und
sollte kreative Arbeiten, Sozialraum-Entdeckungen, Sport und Bewegung,
lebenspraktische Aufgaben sowie sonstige Unterstützungen gerade im Hinblick auf
Kontakte zu Auswärtigen beinhalten. In ländlichen Gebieten können Leistungen in
Parks, Gärten, Tierhaltung und Landwirtschaft ein entsprechendes Angebot
darstellen.
Das Konzept des Zwei-Milieu-Prinzips wurde maßgeblich von
Fachleuten im Bereich der Behindertenhilfe und Rehabilitation entwickelt. Es
basiert auf den Prinzipien der Inklusion und Teilhabe, die in verschiedenen
gesetzlichen und fachlichen Rahmenwerken verankert sind; das
Bundesteilhabegesetz hat als Änderungsgesetz hierbei eine Reform der
Sozialgesetzbücher IX und XII bewirkt.
Einflussreiche Beiträge kamen von Organisationen und
Experten, die sich intensiv mit der Verbesserung der Lebensqualität von
Menschen mit Behinderungen auseinandersetzen. Dazu gehören beispielsweise die Spastikerhilfe Berlin eG und andere
Einrichtungen, die sich für personenzentrierte Ansätze und die Integration in
den Sozialraum einsetzen.
Was heißt
Nutzungsuntersagung?
In Schleswig-Holstein finden sich Regelungen zur
Nutzungsuntersagung von Wohnstätten für Menschen mit geistiger Behinderung in
verschiedenen Rechtsnormen. Eine wichtige Grundlage bildet die Landesbauordnung
Schleswig-Holstein (LBO), insbesondere § 79, der die Nutzungsuntersagung
regelt.
Gemäß § 79 der Landesbauordnung Schleswig-Holstein (LBO) können
verschiedene Gründe eine Nutzungsuntersagung rechtfertigen. Zu den gravierenden
Gründen zählen insbesondere:
1. Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung: Wenn
die Nutzung einer Wohnstätte eine unmittelbare Gefahr für die Bewohner oder die
Allgemeinheit darstellt, kann eine Nutzungsuntersagung ausgesprochen werden.
2. Baurechtswidrige Nutzung: Wenn die Nutzung der Wohnstätte
nicht den baurechtlichen Vorschriften entspricht, beispielsweise wenn keine
entsprechende Genehmigung vorliegt oder die Nutzung gegen Auflagen verstößt.
3. Mängel im Brandschutz: Unzureichende Brandschutzmaßnahmen,
die das Leben und die Gesundheit der Bewohner gefährden könnten, sind ein
weiterer wichtiger Grund.
4. Hygienische Mängel: Schwerwiegende hygienische Mängel,
die die Gesundheit der Bewohner beeinträchtigen könnten, können ebenfalls zu
einer Nutzungsuntersagung führen,
Diese Gründe dienen dem Schutz der Bewohner und der
Allgemeinheit und sollen sicherstellen, dass Wohnstätten sicher und den
gesetzlichen Anforderungen entsprechend genutzt werden. Damit dies so ist, gibt
es mit der Brandverhütungsschau ein Verfahren.
Die Brandverhütungsschau wird von den zuständigen Behörden
der Kreise oder kreisfreien Städte durchgeführt. Diese sind verpflichtet,
regelmäßig Brandverhütungsschauen in Gebäuden durchzuführen, die in besonderem
Maße brand- und explosionsgefährdet sind oder bei denen eine größere Anzahl von
Personen gefährdet werden kann.
Brandverhütungsschauen sind in der Regel alle sechs Jahre
durchzuführen. Bei festgestellten Mängeln kann die Behörde jedoch auch
kurzfristigere Kontrollen anordnen.
Eine Nutzungsuntersagung kann ausgesprochen werden, wenn
gravierende Mängel festgestellt werden, die die öffentliche Sicherheit und
Ordnung gefährden, wie z.B. unzureichender Brandschutz. Nach Feststellung der Mängel
wird der Betreiber der Einrichtung in der Regel schriftlich informiert und zum
Beispiel im Falle einer “befürchteten Gefahr” aufgefordert, die Mängel innerhalb
einer bestimmten Frist zu beheben. Diese Frist kann je nach Schwere der Mängel
variieren.
Der Betreiber hat die Möglichkeit, gegen die
Nutzungsuntersagung Widerspruch einzulegen. Der Widerspruch muss innerhalb
eines Monats nach Zustellung des Bescheids bei der zuständigen Behörde
eingelegt werden.
Wenn aber eine unmittelbare Gefahr für die Bewohner besteht,
muss sofort gehandelt werden. In solchen Fällen kann die Behörde eine sofortige
Nutzungsuntersagung aussprechen.
Es ist wichtig, dass der Betreiber der Einrichtung schnell
handelt, um die festgestellten Mängel zu beheben und die Sicherheit der
Bewohner zu gewährleisten. Bei Unsicherheiten oder Fragen sollte der Betreiber
sich direkt an die zuständige Behörde wenden.
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Eine Brandverhütungsschau führt fast zur
Nutzungsuntersagung (Teil 1)