Dienstag, 21. Januar 2025

Eine Brandverhütungsschau führt fast zur Nutzungsuntersagung (Teil 1)

Bei einem recht kleinen Anbieter sozialer Leistungen in Schleswig-Holstein kam es in der zweiten Jahreshälfte von 2024 zu Verhandlungen über die Erhöhung der Vergütungssätze. Während der Verhandlungen wurde die Frage nach der wirtschaftlichen Tragfähigkeit dieses Leistungserbringers gestellt. Das ist schon ein wenig verwunderlich. Wenn man aber weiß, wie sehr die Arbeit dieses Anbieters vom Idealismus geprägt ist und weniger von kaufmännischem Kalkül, könnte es auf einige “Bescheidenheit” hindeuten in Vergütungskalkulationen – aber das weiß man nicht.

Vermutlich wurde im Laufe der Gespräche bemerkt, dass es nach wie vor Schwierigkeiten mit dem lange geplanten Neubau des Wohnhauses gibt. Auch wurde eine anstehende Brandverhütungsschau für das alte sanierungsbedürftige Wohnhaus offenbar erwähnt. Dass es von da an zu einer wahren Eskalation bis kurz vor Heiligabend führte, hatte wohl niemand geahnt.

 

Vor der Brandverhütungsschau

Einige Zeit vorher hatte dieser Leistungserbringer schon ein Wohnhaus neu gebaut, in dem ambulante Fachleistungen auf Stundenbasis geleistet werden. Die Fachleistungen richten sich dabei an Menschen mit sehr unterschiedlichen Unterstützungsbedarfen. Die Bedarfe reichen von einigen Stunden im Monat bis hin zu mehreren in der Woche. Am zweiten (historischen Kern-) Standort betrieb man eine besondere Wohnform, die allerdings einen enorm hohen Instandsetzungs- und Modernisierungsbedarf aufweist, und eigentlich durch einen Neubau ersetzt werden sollte. Die Planungen befanden sich zwar über viele Jahre im Gange, doch so richtig was realisieren wollte sich da anscheinend gar nichts – die Gemeinde behauptete zwischenzeitlich, dass es nicht bei ihnen liegen würde.

Die im alten Gebäude lebenden Menschen haben teils sehr schwierige Erfahrungen machen müssen. Die Altersstruktur reicht von jungen Erwachsenen bis hin zu Senioren und kann demzufolge als gemischt bezeichnet werden. Statt einer Beschäftigung oder sonstigem Tätigwerden, wie zum Beispiel in einer Tagesförderstätte, besteht ein Angebot der Tagesförderung vor Ort (siehe unten mehr zum sogenannten Zwei-Milieu-Prinzip).

Eine ständige Nachtwache braucht es im Wohnhaus nicht, stattdessen steht eine “In-House” Nachtbereitschaft für alle Fälle bereit. Bekannt ist zudem, dass die Vergütung des Personals am TVÖD (Sozial- und Erziehungsdienst) orientiert ist. Träger der beiden Standorte ist eine gemeinnützige GmbH, die gem. § 267 Abs. 1 HGB zu den kleinen Kapitalgesellschaften zählt und ihre Berichte nur hinterlegen muss.

Das Problem kam so richtig ins Rollen, als eine Brandverhütungsschau im Gebäude der besonderen Wohnform stattfand. Da man bis dato fest mit dem Neubau rechnete, die Angelegenheit sich allerdings “wie immer” sehr hinzog, hatte man nicht mehr viel in die Sicherung des Gebäudes investiert – und das rächte sich.

 

Nach der Brandverhütungsschau

Anfang Dezember ging der Bericht des Experten von der Feuerwehr ein, am folgenden Tag sollte noch eine Anhörung beim Landkreis erfolgen. Da offenbar auf Ebene der Behörden auch eine Information an die Vertretung des Leistungsträgers ging, kündigte diese prompt die Leistungsvereinbarung ganz im Sinne eines “Gefahr im Verzug". Gefahr im Verzug bedeutet, dass sofort gehandelt werden muss, um Schaden zu verhindern – auch wenn eine andere Stelle zuständig wäre. Unterschieden wird dabei zwischen einer “erheblichen Gefahr” und der “gegenwärtigen Gefahr”. Im ersten Begriff ist von einer Bedrohung auszugehen, im zweiten Begriff hat das schädigende Ereignis bereits stattgefunden oder wird “mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit beginnen”. Die Anhörung beim Landkreis war nun der letzte Schritt im Verfahren zur Nutzungsuntersagung und das hätte das Aus für die Heimstatt der dort lebenden Menschen bedeutet.

Jedes Gebäude ist sehr individuell und besonders. Gerade dann, wenn ein Gebäude als Heimstatt dient für Menschen mit einem hohen Hilfebedarf, sind auch hohe Anforderungen zu erfüllen. Manchmal sind Brandschutzanforderungen fast schon “überzogen”. Doch im vorliegenden Fall hatte es in den zurückliegenden Jahrzehnten keine nennenswerten Verbesserungen am Gebäude gegeben. Auf Bestandsschutz kann man sich zudem nicht berufen; Fachleute sprechen davon, dass ein einfacher Zeitablauf, d.h. veraltetes Gebäude, zum Erlöschen des Bestandsschutzes führt. Die zuständige Behörde wäre dann sogar bei der Gefahrenabwehr verpflichtet, eine Nutzungsuntersagung nach der Landesbauordnung auszusprechen.

Eine Nutzungsuntersagung auszusprechen, ist allerdings kein einfaches Unterfangen. Zuerst einmal muss die konkrete Gefahr definiert werden, was bedeutet, dass bei unveränderter Situation in absehbarer Zeit (hier: die Zeit kurz vor Weihnachten und Silvester) “mit hinreichender Wahrscheinlichkeit” mit dem Schadensfall zu rechnen ist; tatsächlich hatte es in der Zeit in Bamberg und in München (Vincentinum) Feuerwehr-Einsätze in Altenheimen gegeben. Die Darlegungs- und Beweislast obliegt dabei der Baurechtsbehörde und diese muss realistisch auf das Objekt bezogen sein – eine bloße Unterstellung ist also nicht ausreichend.

Die Beschreibung eines Gefahren-Szenarios würde konkrete Faktoren benennen, die eine sehr wahrscheinliche Gefährdung verursachen könnten; im vorliegenden Fall handelte der Einrichtungsträger entsprechend und stellte die Mängel beim Brandschutz ab. Im zweiten Termin vier Wochen später vor Ort bestätigten die Brandschutzexperten des Kreises den Erfolg dieses Handelns; die Gefahrensituation wurde als nicht mehr erheblich angesehen und die zuvor ausgesprochene Nutzungsuntersagung somit hinfällig.

Hätte es eine Nutzungsuntersagung gegeben, hätte der Leistungserbringer die Bewohnung des Gebäudes nicht mehr leisten können. Ein solches Ereignis würde man als einen Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) betrachten, was zu einer außerordentlichen Kündigung der Verträge führen könnte. Das passierte dann ja auch, aber von Seiten der Stelle, die für den Leistungsträger die Leistungsvereinbarungen abschließt und Vergütungen verhandelt.

CGS

 

 

Notizen:

Was ist das Zwei-Milieu-Prinzip?

Das Zwei-Milieu-Prinzip besagt, dass es für Menschen, insbesondere für Menschen mit Behinderungen, wichtig ist, ihren Alltag in unterschiedlichen räumlichen Umgebungen zu erleben. Dies bedeutet, dass sie sowohl in ihrem Wohnumfeld als auch in einer anderen Umgebung, wie z.B. einer Tagesförderstätte oder einem Arbeitsplatz, Zeit verbringen sollten. Dieses Prinzip fördert die Teilhabe und Integration, indem es den Wechsel zwischen verschiedenen sozialen und räumlichen Umfeldern ermöglicht.

Das Zwei-Milieu-Prinzip wird in der Praxis durch verschiedene Maßnahmen umgesetzt, um die Teilhabe und Integration von Menschen mit Behinderungen zu fördern. Zum Beispiel können sie in der Nähe / unmittelbaren Nachbarschaft gelegene Tagesförderstätten oder Werkstätten aufsuchen. Diese Einrichtungen wären natürlich räumlich getrennt, sodass die Bewohner zwischen verschiedenen Umgebungen wechseln können. Externe Arbeitsplätze wären ganz im Sinne des Normalisierungsprinzips die am besten geeignetsten “Milieus”, die es den behinderten Menschen sehr viel mehr ermöglicht, in unterschiedlichsten sozialen Umfeldern tätig zu sein. Durch die Nutzung sozialräumlicher Ressourcen im Gemeinwesen können Menschen mit Behinderungen an verschiedenen Aktivitäten außerhalb ihres Wohnbereichs teilnehmen. Dies fördert ihre Integration und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Erst mit dem zweiten Milieu können Menschen mit Behinderungen vielfältige Erfahrungen sammeln und soziale Kontakte gewinnen, um sich zu entwickeln und ein umfassendes Leben in der Gemeinschaft zu empfinden. Nicht umsonst spricht man in den gesetzlichen Normen auch von einer Teilhabe am Arbeitsleben als eigenständigen Lebensbereich (vgl. §§ 4, 49, 55 und 156 SGB IX sowie die Aufgabe des Trägers der Eingliederungshilfe, Leistungen anhand eines Instruments zur Bedarfsermittlung anzuwenden gem. § 118 SGB IX).

Eine interne Tagesstrukturierung anstelle des Besuchs einer externen Arbeits- oder Beschäftigungsstätte entspricht diesem Konzept zwar nicht, kann aber in bestimmten Fällen, wie zum Beispiel Klienten in Rente und solchen mit erheblichen Besonderheiten durchaus gerechtfertigt sein. Ein solches Angebot wird im Sinne des § 78 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB IX übernommen und sollte kreative Arbeiten, Sozialraum-Entdeckungen, Sport und Bewegung, lebenspraktische Aufgaben sowie sonstige Unterstützungen gerade im Hinblick auf Kontakte zu Auswärtigen beinhalten. In ländlichen Gebieten können Leistungen in Parks, Gärten, Tierhaltung und Landwirtschaft ein entsprechendes Angebot darstellen.

Das Konzept des Zwei-Milieu-Prinzips wurde maßgeblich von Fachleuten im Bereich der Behindertenhilfe und Rehabilitation entwickelt. Es basiert auf den Prinzipien der Inklusion und Teilhabe, die in verschiedenen gesetzlichen und fachlichen Rahmenwerken verankert sind; das Bundesteilhabegesetz hat als Änderungsgesetz hierbei eine Reform der Sozialgesetzbücher IX und XII bewirkt.

Einflussreiche Beiträge kamen von Organisationen und Experten, die sich intensiv mit der Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen auseinandersetzen. Dazu gehören beispielsweise die Spastikerhilfe Berlin eG und andere Einrichtungen, die sich für personenzentrierte Ansätze und die Integration in den Sozialraum einsetzen.

 

Was heißt Nutzungsuntersagung?

In Schleswig-Holstein finden sich Regelungen zur Nutzungsuntersagung von Wohnstätten für Menschen mit geistiger Behinderung in verschiedenen Rechtsnormen. Eine wichtige Grundlage bildet die Landesbauordnung Schleswig-Holstein (LBO), insbesondere § 79, der die Nutzungsuntersagung regelt.

Gemäß § 79 der Landesbauordnung Schleswig-Holstein (LBO) können verschiedene Gründe eine Nutzungsuntersagung rechtfertigen. Zu den gravierenden Gründen zählen insbesondere:

1. Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung: Wenn die Nutzung einer Wohnstätte eine unmittelbare Gefahr für die Bewohner oder die Allgemeinheit darstellt, kann eine Nutzungsuntersagung ausgesprochen werden.

2. Baurechtswidrige Nutzung: Wenn die Nutzung der Wohnstätte nicht den baurechtlichen Vorschriften entspricht, beispielsweise wenn keine entsprechende Genehmigung vorliegt oder die Nutzung gegen Auflagen verstößt.

3. Mängel im Brandschutz: Unzureichende Brandschutzmaßnahmen, die das Leben und die Gesundheit der Bewohner gefährden könnten, sind ein weiterer wichtiger Grund.

4. Hygienische Mängel: Schwerwiegende hygienische Mängel, die die Gesundheit der Bewohner beeinträchtigen könnten, können ebenfalls zu einer Nutzungsuntersagung führen,

Diese Gründe dienen dem Schutz der Bewohner und der Allgemeinheit und sollen sicherstellen, dass Wohnstätten sicher und den gesetzlichen Anforderungen entsprechend genutzt werden. Damit dies so ist, gibt es mit der Brandverhütungsschau ein Verfahren.

Die Brandverhütungsschau wird von den zuständigen Behörden der Kreise oder kreisfreien Städte durchgeführt. Diese sind verpflichtet, regelmäßig Brandverhütungsschauen in Gebäuden durchzuführen, die in besonderem Maße brand- und explosionsgefährdet sind oder bei denen eine größere Anzahl von Personen gefährdet werden kann.

Brandverhütungsschauen sind in der Regel alle sechs Jahre durchzuführen. Bei festgestellten Mängeln kann die Behörde jedoch auch kurzfristigere Kontrollen anordnen.

Eine Nutzungsuntersagung kann ausgesprochen werden, wenn gravierende Mängel festgestellt werden, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden, wie z.B. unzureichender Brandschutz. Nach Feststellung der Mängel wird der Betreiber der Einrichtung in der Regel schriftlich informiert und zum Beispiel im Falle einer “befürchteten Gefahr” aufgefordert, die Mängel innerhalb einer bestimmten Frist zu beheben. Diese Frist kann je nach Schwere der Mängel variieren.

Der Betreiber hat die Möglichkeit, gegen die Nutzungsuntersagung Widerspruch einzulegen. Der Widerspruch muss innerhalb eines Monats nach Zustellung des Bescheids bei der zuständigen Behörde eingelegt werden.

Wenn aber eine unmittelbare Gefahr für die Bewohner besteht, muss sofort gehandelt werden. In solchen Fällen kann die Behörde eine sofortige Nutzungsuntersagung aussprechen.

Es ist wichtig, dass der Betreiber der Einrichtung schnell handelt, um die festgestellten Mängel zu beheben und die Sicherheit der Bewohner zu gewährleisten. Bei Unsicherheiten oder Fragen sollte der Betreiber sich direkt an die zuständige Behörde wenden.

 

 

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