Im vorherigen Beitrag
ging es um eine Nutzungsuntersagung, die nach einer Brandverhütungsschau
ausgesprochen wurde. Im November 2024 stellten die Experten von der Feuerwehr eine
Reihe von erheblichen Mängeln in einem Wohnhaus (besondere Wohnform) für
Menschen mit Behinderung fest. Gleich am Anfang Dezember ging der Bericht ein
und sofort kam es zur Anhörung beim Landkreis. Weil aber offenbar auf Ebene der
Behörden zügig die die Vertretung des Leistungsträgers informiert wurde, kündigte
diese Stelle ohne weiteren Aufhebens die Leistungsvereinbarung – ganz im Sinne
eines “Gefahr im Verzugs".
Weil der Anbieter
sozialer Leistungen schnell reagierte und die Mängel beheben konnte, war die
Gefahrensituation gebannt und die Nutzungsuntersagung vom Kreis zurückgezogen.
Die Kündigung der Leistungsvereinbarung blieb allerdings bestehen – ist das
rechtens?
Außerordentliches Kündigungsrecht
In Schleswig-Holstein hatte es seit den Anfängen des Bundesteilhabegesetzes
immer wieder schwierige Verhandlungen gegeben zum Landesrahmenvertrag nach §
131 SGB IX. Übergangsweise erfand man Transfer-, Transformations- und
Interimsvereinbarungen, und zu allem Überfluss schickte das Sozialministerium
des Landes zum Unmut vieler eine Landesverordnung nach § 131 Abs. 4 SGB IX
zeitweise ins Rennen. Im November 2024 war endlich Schluss und ein neuer
Landesrahmenvertrag konnte präsentiert werden. Mit dem Werk ergab sich damit zwar
auch eine Grundlage für neue Leistungsvereinbarungen, wobei man fairerweise
sagen muss, dass in nicht wenigen Fällen bereits andere Leistungserbringer
schon früher umgestellt hatten.
Vielleicht waren es diese Umstände, dass der Leistungsträger
(ein Landkreis vertreten durch eine fast-landesweit tätige
Koordinierungsstelle) in diesem speziellen Fall die zu der Zeit noch nicht
vollzogene Nutzungsuntersagung ausnutzte, um die Kündigung der
Leistungsvereinbarung auszusprechen. Eine gekündigte Leistungsvereinbarung würde
einen Anbieter zum Abschluss einer neuen quasi zwingen, wenn er denn weiterhin
eine auskömmliche Vergütung erhalten möchte.
Die Unverzüglichkeit, die sich da zeigte, lässt vermuten,
dass es sich um eine außerordentliche Kündigung nach § 130 SGB IX handelte.
Liegt eine grobe Verletzung der gesetzlichen oder vertraglichen Verpflichtungen
vor und kann der Leistungsträger nicht mehr an den Vereinbarungen mit dem
Leistungserbringer festhalten, darf außerordentlich gekündigt werden.
In der gesetzlichen Bestimmung dazu sind fünf Beispiele
aufgeführt, wobei die Liste nicht abschließend ist. Das heißt, dass auch andere
Pflichtverletzungen, die zwar nicht aufgeführt sind, jedoch in ihren
Auswirkungen vergleichbar wären, zu einem solchen Handeln führen können. Sind
Leistungsberechtigte geschädigt worden (Nr. 1) oder es liegen gravierende Mängel
in der Leistungserbringung vor (Nr. 2), müsste wahrscheinlich weiter geprüft
werden, ob die Kündigung fristlos erfolgen muss. Das mag vielleicht “herzlos”
klingen, ist aber insofern sehr wichtig, da die Gründe für diese Zustände
zuerst einmal aufgedeckt werden sollten.
Wurde dem Leistungserbringer nach heimrechtlichen
Vorschriften die Betriebserlaubnis entzogen (Nr. 3) oder aus anderen Gründen
der Betrieb untersagt (Nr. 4), bleibt eigentlich nur die fristlose Kündigung;
oder anders gesagt: was zu den unhaltbaren Zuständen geführt hat, ist bekannt
und wurde mit der Leitung erörtert, doch es wird sich nichts ändern, so die
Annahme. Hat der Einrichtungsträger nicht erbrachte Leistungen abgerechnet (Nr.
5), liegt eine Täuschung vor, die ein Leistungsträger ahnden muss – nicht nur
vertragsrechtlich, sondern auch im strafrechtlichen Sinne.
Die Nutzungsuntersagung bei Mängeln im Brandschutz würde
vermutlich in das vierte Fallbeispiel fallen. Weil im zweiten Termin vor Ort
die Gefahrenlage nicht mehr als erheblich beurteilt und die Nutzungsuntersagung
zurückgenommen wurde, wäre die Kündigung aber nicht mehr haltbar.
Kündigungsrecht in anderen Verträgen
So ein außerordentliches Kündigungsrecht findet sich im
Instrument des Wegfalls bzw. der Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB
und betrifft normalerweise das Verhältnis zwischen einem Verbraucher (hier der
Leistungsberechtigte) und dem Unternehmen (hier der Leistungserbringer). Vertragsgegenstand
wäre das Bewohnen des Gebäudes (Mietwohnen), eventuell mitsamt einigen
Versorgungsleistungen und zur Nutzung verfügbaren Einrichtungs- und sonstigen
Gegenständen. Vertragsunterlage dafür wäre wiederum ein Mietvertrag über
Wohnraum oder sogar ein Wohn- und Betreuungsvertrag. Ist das vertragliche Recht
zum Wohnen eng mit der Betreuungsleistung gekoppelt, würden die gesetzlichen
Bestimmungen im WBVG vorrangig zu beachten sein. Ein Recht auf Kürzung der Vergütung
bei Nicht- oder Schlechtleistung steht dem Verbraucher dann zum Beispiel nach §
10 WBVG zu, ein Recht auf fristlose Kündigung bei Unzumutbarkeit nach § 11 Abs.
3 WBVG.
Ein Leistungsträger tritt insofern ein in das Schuldverhältnis,
wenn es um die Verschaffung von Sachleistungen zum Zwecke der
Eingliederungshilfe geht. Das mit dem Wohnen und Versorgt-Werden gehört nicht
dazu, auch wenn aufgrund einer Kappungsregelung in § 42a Abs. 6 SGB XII ein die
Angemessenheitsgrenzen übersteigender Aufwand den Leistungen nach Teil 2 des
SGB IX zugeschlagen wird. Die Wahrnehmung von Rechten aus den Wohnmietverträgen
steht ihm jedenfalls nicht zu, da diese
Verträge nicht die Fachleistungen betreffen. Die Fachleistungen sind in einer
Leistungsvereinbarung zwischen Leistungsträger und Leistungserbringer bestimmt
worden – und genau diese Sachleistungen hat der Leistungsträger dem
Leistungsberechtigten zu verschaffen (Sachleistungsverschaffungsprinzip).
Hat es eine schwerwiegende Veränderung der Umstände gegeben,
die zur Grundlage des Mietvertrags gehören, und eine Anpassung des Vertrages
nicht möglich ist bzw. ist ein Festhalten am unveränderten Vertrag für eine
Partei unzumutbar, kann die Kündigung erklärt werden (§ 11 Abs.3 WBVG, § 313 Abs.
3 Satz 2 BGB). Doch im vorliegenden Fall konnte der Unternehmer die Störung der
Geschäftsgrundlage abwenden.
Kündigen der Leistungsvereinbarung
Natürlich ist ein Leistungsträger verpflichtet, die
richtigen Sachverhalte entsprechend seinem Prüfungsrecht festzustellen.
Inwiefern sich die strukturellen und sonstigen Verhältnisse gegenüber den früheren
Jahren “wesentlich” geändert haben, wäre anhand der Leistungsvereinbarungen zu
prüfen. Handelt es sich dabei um alte, fast schon historische Vereinbarungen,
vielleicht sogar gespickt mit unwirksamen Klauseln, muss neu verhandelt werden.
Stellt man Abweichungen fest, so kann die Anpassung des Vertrags verlangt
werden. Sofern eine Anpassung nicht möglich ist oder Änderungen sind nicht
zuzumuten, ist die Kündigung des Vertrags möglich (§ 59 Abs. 1 Satz 1 SGB X).
Das Recht auf Vertragsanpassung steht allen Vertragspartnern
zu.
Ein Verlangen auf Vertragsanpassung muss die andere Seite
annehmen. Tut sie das nicht, wird die Gegenseite diese Nichtbeachtung eines
Rechts gerichtlich einklagen können. Eine Kündigung der Leistungsvereinbarung wäre
im Falle der Unzumutbarkeit daher die logische Folge. Doch auch um schwere
Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen, kann eine Behörde
den Vertrag kündigen (§ 59 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Die Kündigung ist zu begründen
(Abs. 2 Satz 2 SGB X).
Da die Kündigung dem Leistungserbringer das Recht entzieht,
seine Leistungen gegenüber Dritten abzurechnen, können Fachleistungen nicht
mehr erbracht werden. Das wiederum bedeutet, dass damit den hilfebedürftigen
Menschen der Zugang auf die benötigten Fachleistungen versperrt wird. Die
Fachleistung (Sachleistung) muss dennoch verschafft werden „unabhängig vom Ort
der Leistungserbringung“ (§ 95 SGB IX). Mit der Kündigung mag zwar die
Fachleistung von dem gekündigten Anbieter beendet worden sein, aber ein anderer
muss jetzt die Fachleistung zu den Menschen in ihr Lebensumfeld bringen. Dieser
Sicherstellungsauftrag findet sich beispielsweise auch im § 1 Abs. 2 und im §
17 Abs. 1 Nr. 2 SGB I. Das Pikante an der Sache ist aber, dass die Nutzung des
Gebäudes ein Problem war. Stattdessen wurden die gesetzlichen Betreuer
aufgefordert, ihre Menschen in eine andere Stadt zu bringen – teilweise sogar als
gastweise Unterbringung, was von einigen öffentlichkeitswirksam nicht „goutiert“
wurde.
Der Landkreis hatte bezüglich der Nutzungsuntersagung eine
Anhörung für den Leistungserbringer anberaumt, der Leistungsträger brauchte das
nicht, da es nicht um einen Verwaltungsakt ging. In einem Verwaltungsverfahren
kann man sich auf den Zwang zur sofortigen Entscheidung aufgrund einer “Gefahr
im Verzug” oder dem öffentlichen Interesse berufen (vgl. § 24 Abs. 2 Nr. 1 SGB
X). Bei der Leistungsvereinbarung handelt es sich um einen öffentlich-rechtlichen
Vertrag, so dass die Bestimmungen im Vertragsrecht in Kapitel 8 SGB IX zur
Anwendung kommen.
Mit der Rücknahme der Nutzungsuntersagung konnten die
Menschen vor Ort bleiben. Ob zwischenzeitlich die Kündigung der
Leistungsvereinbarung wieder zurückgenommen wurde, ist unbekannt. Für die Verhandler
beim Verband würde dieser Fall vermutlich die Frage aufwerfen, ob es im gerade
druckfrischen Landesrahmenvertrag eine Regelung in Bezug auf die Kündigung einer
Leistungsvereinbarungen und “der Zeit danach” geben sollte.
CGS
Früherer Beitrag vom 21.1.2025:
Eine Brandverhütungsschau führt fast zur Nutzungsuntersagung (Teil 1)
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Das hier ist keine Rechtsberatung oder Aufforderung zur
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Eine Brandverhütungsschau führt fast zur
Nutzungsuntersagung (Teil 2)