Montag, 27. Januar 2025

Eine Brandverhütungsschau führt fast zur Nutzungsuntersagung (Teil 2)

Im vorherigen Beitrag ging es um eine Nutzungsuntersagung, die nach einer Brandverhütungsschau ausgesprochen wurde. Im November 2024 stellten die Experten von der Feuerwehr eine Reihe von erheblichen Mängeln in einem Wohnhaus (besondere Wohnform) für Menschen mit Behinderung fest. Gleich am Anfang Dezember ging der Bericht ein und sofort kam es zur Anhörung beim Landkreis. Weil aber offenbar auf Ebene der Behörden zügig die die Vertretung des Leistungsträgers informiert wurde, kündigte diese Stelle ohne weiteren Aufhebens die Leistungsvereinbarung – ganz im Sinne eines “Gefahr im Verzugs".

Weil der Anbieter sozialer Leistungen schnell reagierte und die Mängel beheben konnte, war die Gefahrensituation gebannt und die Nutzungsuntersagung vom Kreis zurückgezogen. Die Kündigung der Leistungsvereinbarung blieb allerdings bestehen – ist das rechtens?

 

Außerordentliches Kündigungsrecht

In Schleswig-Holstein hatte es seit den Anfängen des Bundesteilhabegesetzes immer wieder schwierige Verhandlungen gegeben zum Landesrahmenvertrag nach § 131 SGB IX. Übergangsweise erfand man Transfer-, Transformations- und Interimsvereinbarungen, und zu allem Überfluss schickte das Sozialministerium des Landes zum Unmut vieler eine Landesverordnung nach § 131 Abs. 4 SGB IX zeitweise ins Rennen. Im November 2024 war endlich Schluss und ein neuer Landesrahmenvertrag konnte präsentiert werden. Mit dem Werk ergab sich damit zwar auch eine Grundlage für neue Leistungsvereinbarungen, wobei man fairerweise sagen muss, dass in nicht wenigen Fällen bereits andere Leistungserbringer schon früher umgestellt hatten.  

Vielleicht waren es diese Umstände, dass der Leistungsträger (ein Landkreis vertreten durch eine fast-landesweit tätige Koordinierungsstelle) in diesem speziellen Fall die zu der Zeit noch nicht vollzogene Nutzungsuntersagung ausnutzte, um die Kündigung der Leistungsvereinbarung auszusprechen. Eine gekündigte Leistungsvereinbarung würde einen Anbieter zum Abschluss einer neuen quasi zwingen, wenn er denn weiterhin eine auskömmliche Vergütung erhalten möchte.

Die Unverzüglichkeit, die sich da zeigte, lässt vermuten, dass es sich um eine außerordentliche Kündigung nach § 130 SGB IX handelte. Liegt eine grobe Verletzung der gesetzlichen oder vertraglichen Verpflichtungen vor und kann der Leistungsträger nicht mehr an den Vereinbarungen mit dem Leistungserbringer festhalten, darf außerordentlich gekündigt werden.

In der gesetzlichen Bestimmung dazu sind fünf Beispiele aufgeführt, wobei die Liste nicht abschließend ist. Das heißt, dass auch andere Pflichtverletzungen, die zwar nicht aufgeführt sind, jedoch in ihren Auswirkungen vergleichbar wären, zu einem solchen Handeln führen können. Sind Leistungsberechtigte geschädigt worden (Nr. 1) oder es liegen gravierende Mängel in der Leistungserbringung vor (Nr. 2), müsste wahrscheinlich weiter geprüft werden, ob die Kündigung fristlos erfolgen muss. Das mag vielleicht “herzlos” klingen, ist aber insofern sehr wichtig, da die Gründe für diese Zustände zuerst einmal aufgedeckt werden sollten.

Wurde dem Leistungserbringer nach heimrechtlichen Vorschriften die Betriebserlaubnis entzogen (Nr. 3) oder aus anderen Gründen der Betrieb untersagt (Nr. 4), bleibt eigentlich nur die fristlose Kündigung; oder anders gesagt: was zu den unhaltbaren Zuständen geführt hat, ist bekannt und wurde mit der Leitung erörtert, doch es wird sich nichts ändern, so die Annahme. Hat der Einrichtungsträger nicht erbrachte Leistungen abgerechnet (Nr. 5), liegt eine Täuschung vor, die ein Leistungsträger ahnden muss – nicht nur vertragsrechtlich, sondern auch im strafrechtlichen Sinne.

Die Nutzungsuntersagung bei Mängeln im Brandschutz würde vermutlich in das vierte Fallbeispiel fallen. Weil im zweiten Termin vor Ort die Gefahrenlage nicht mehr als erheblich beurteilt und die Nutzungsuntersagung zurückgenommen wurde, wäre die Kündigung aber nicht mehr haltbar.

 

Kündigungsrecht in anderen Verträgen

So ein außerordentliches Kündigungsrecht findet sich im Instrument des Wegfalls bzw. der Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB und betrifft normalerweise das Verhältnis zwischen einem Verbraucher (hier der Leistungsberechtigte) und dem Unternehmen (hier der Leistungserbringer). Vertragsgegenstand wäre das Bewohnen des Gebäudes (Mietwohnen), eventuell mitsamt einigen Versorgungsleistungen und zur Nutzung verfügbaren Einrichtungs- und sonstigen Gegenständen. Vertragsunterlage dafür wäre wiederum ein Mietvertrag über Wohnraum oder sogar ein Wohn- und Betreuungsvertrag. Ist das vertragliche Recht zum Wohnen eng mit der Betreuungsleistung gekoppelt, würden die gesetzlichen Bestimmungen im WBVG vorrangig zu beachten sein. Ein Recht auf Kürzung der Vergütung bei Nicht- oder Schlechtleistung steht dem Verbraucher dann zum Beispiel nach § 10 WBVG zu, ein Recht auf fristlose Kündigung bei Unzumutbarkeit nach § 11 Abs. 3 WBVG.

Ein Leistungsträger tritt insofern ein in das Schuldverhältnis, wenn es um die Verschaffung von Sachleistungen zum Zwecke der Eingliederungshilfe geht. Das mit dem Wohnen und Versorgt-Werden gehört nicht dazu, auch wenn aufgrund einer Kappungsregelung in § 42a Abs. 6 SGB XII ein die Angemessenheitsgrenzen übersteigender Aufwand den Leistungen nach Teil 2 des SGB IX zugeschlagen wird. Die Wahrnehmung von Rechten aus den Wohnmietverträgen steht ihm jedenfalls  nicht zu, da diese Verträge nicht die Fachleistungen betreffen. Die Fachleistungen sind in einer Leistungsvereinbarung zwischen Leistungsträger und Leistungserbringer bestimmt worden – und genau diese Sachleistungen hat der Leistungsträger dem Leistungsberechtigten zu verschaffen (Sachleistungsverschaffungsprinzip).

Hat es eine schwerwiegende Veränderung der Umstände gegeben, die zur Grundlage des Mietvertrags gehören, und eine Anpassung des Vertrages nicht möglich ist bzw. ist ein Festhalten am unveränderten Vertrag für eine Partei unzumutbar, kann die Kündigung erklärt werden (§ 11 Abs.3 WBVG, § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB). Doch im vorliegenden Fall konnte der Unternehmer die Störung der Geschäftsgrundlage abwenden.

 

Kündigen der Leistungsvereinbarung

Natürlich ist ein Leistungsträger verpflichtet, die richtigen Sachverhalte entsprechend seinem Prüfungsrecht festzustellen. Inwiefern sich die strukturellen und sonstigen Verhältnisse gegenüber den früheren Jahren “wesentlich” geändert haben, wäre anhand der Leistungsvereinbarungen zu prüfen. Handelt es sich dabei um alte, fast schon historische Vereinbarungen, vielleicht sogar gespickt mit unwirksamen Klauseln, muss neu verhandelt werden. Stellt man Abweichungen fest, so kann die Anpassung des Vertrags verlangt werden. Sofern eine Anpassung nicht möglich ist oder Änderungen sind nicht zuzumuten, ist die Kündigung des Vertrags möglich (§ 59 Abs. 1 Satz 1 SGB X).

Das Recht auf Vertragsanpassung steht allen Vertragspartnern zu. 

Ein Verlangen auf Vertragsanpassung muss die andere Seite annehmen. Tut sie das nicht, wird die Gegenseite diese Nichtbeachtung eines Rechts gerichtlich einklagen können. Eine Kündigung der Leistungsvereinbarung wäre im Falle der Unzumutbarkeit daher die logische Folge. Doch auch um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen, kann eine Behörde den Vertrag kündigen (§ 59 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Die Kündigung ist zu begründen (Abs. 2 Satz 2 SGB X).

Da die Kündigung dem Leistungserbringer das Recht entzieht, seine Leistungen gegenüber Dritten abzurechnen, können Fachleistungen nicht mehr erbracht werden. Das wiederum bedeutet, dass damit den hilfebedürftigen Menschen der Zugang auf die benötigten Fachleistungen versperrt wird. Die Fachleistung (Sachleistung) muss dennoch verschafft werden „unabhängig vom Ort der Leistungserbringung“ (§ 95 SGB IX). Mit der Kündigung mag zwar die Fachleistung von dem gekündigten Anbieter beendet worden sein, aber ein anderer muss jetzt die Fachleistung zu den Menschen in ihr Lebensumfeld bringen. Dieser Sicherstellungsauftrag findet sich beispielsweise auch im § 1 Abs. 2 und im § 17 Abs. 1 Nr. 2 SGB I. Das Pikante an der Sache ist aber, dass die Nutzung des Gebäudes ein Problem war. Stattdessen wurden die gesetzlichen Betreuer aufgefordert, ihre Menschen in eine andere Stadt zu bringen – teilweise sogar als gastweise Unterbringung, was von einigen öffentlichkeitswirksam nicht „goutiert“ wurde.

Der Landkreis hatte bezüglich der Nutzungsuntersagung eine Anhörung für den Leistungserbringer anberaumt, der Leistungsträger brauchte das nicht, da es nicht um einen Verwaltungsakt ging. In einem Verwaltungsverfahren kann man sich auf den Zwang zur sofortigen Entscheidung aufgrund einer “Gefahr im Verzug” oder dem öffentlichen Interesse berufen (vgl. § 24 Abs. 2 Nr. 1 SGB X). Bei der Leistungsvereinbarung handelt es sich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, so dass die Bestimmungen im Vertragsrecht in Kapitel 8 SGB IX zur Anwendung kommen.

Mit der Rücknahme der Nutzungsuntersagung konnten die Menschen vor Ort bleiben. Ob zwischenzeitlich die Kündigung der Leistungsvereinbarung wieder zurückgenommen wurde, ist unbekannt. Für die Verhandler beim Verband würde dieser Fall vermutlich die Frage aufwerfen, ob es im gerade druckfrischen Landesrahmenvertrag eine Regelung in Bezug auf die Kündigung einer Leistungsvereinbarungen und “der Zeit danach” geben sollte.

CGS

 


Früherer Beitrag vom 21.1.2025:

Eine Brandverhütungsschau führt fast zur Nutzungsuntersagung (Teil 1)

 

 

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