Die Reform der Eingliederungshilfe soll voranschreiten.
Im vergangenen Jahr beendete die Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz (AG BTG)
ihre Zusammenkünfte. Ihre Ergebnisse finden sich jetzt auf der Webseite http://www.gemeinsam-einfach-machen.de/.
Geht es nun weiter?
Der Zeitplan scheint ein wenig aus der Spur gekommen zu
sein. Die Gesetzesvorlage sollte ursprünglich im Januar 2016 ins Kabinett
gebracht werden, zum 1.7.2016 dann die Verkündigung mit möglicherweise späterem
In-Kraft-Treten (vgl. auch meinen Beitrag vom 25.7.2014). Noch im
Ergebnisprotokoll der 91. Konferenz der Ministerinnen und Minister,
Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder (91. ASMK), die am
26. und 27. November 2014 in Mainz stattfand, hielt man ein In-Kraft-Treten zum
1.1.2017 für möglich (vgl. auch meinen Beitrag vom 22.2.2015). Ein Jahr später,
auf der 92. ASMK, die am 18./19. November 2015 (Ergebnisprotokoll, Seite 11) abgehalten
wurde, spricht man eher von einem „Vorhaben“ und man „erwartet“ einen
Gesetzentwurf.
Was da so erwartet wird, haben die Mitglieder der
Konferenz dann wie folgt beschlossen (kursive Schrift):
1. Stärkung von Autonomie und
Selbstbestimmung der auf Leistungen der Eingliederungshilfe angewiesenen
Menschen durch partizipative Bedarfsfeststellung und Leistungsorganisation,
Personen- und Wirkungsorientierung der Fachleistungen sowie die Möglichkeit von
Geldpauschalleistungen.
Letzter Punkt ermöglicht dem Leistungsträger, die
Bedarfsdeckung über Geldpauschalen dem Leistungsberechtigten zu überlassen.
Dies klingt nach Befähigung und Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und
Eigenregie. Es klingt aber auch nach etwas, was schon erprobt und normiert ist:
Das persönliche Budget (vgl. § 57 SGB XII).
Man könnte auch glauben, dass sich der Leistungsträger
ein wenig aus der Verantwortung zu ziehen versucht, in dem er den
leistungsberechtigten Menschen zwar die Geldmittel gibt, für die Bedarfsdeckung
aber nicht mehr sorgen muss. Durch die Befähigung des Menschen, als Verbraucher
mit Wirtschaftskraft aufzutreten, sollen Leistungsanbieter um diese „potenten“
Kunden werben und gegeneinander in Konkurrenz treten. Doch das geht nur, wenn
Märkte und Angebotsstrukturen bestehen und Angebot mit Nachfrage zusammenfällt.
2. Ermöglichung einer qualifizierten
ergänzenden Beratung, die als eine von den Leistungsträgern und
Leistungserbringern unabhängige Beratung durchgeführt werden soll und dem
Prinzip des Peer Counseling Rechnung trägt,
Ein Vorschlag, der schon seit Jahren immer wieder
diskutiert wird und von den Leistungsträgern kritisch gesehen wurde. Früher sollten
Beratungsbüros von den Trägern der Einrichtungen geschaffen und betrieben
werden, doch die Finanzierung sollte aus öffentlichen Mitteln erfolgen. Hier,
so die berechtigte Kritik, hätten sich die Träger ihre „eigene“ Kundschaft
geschaffen.
3. Inklusive Systementwicklung, d.h.
Stärkung und Ertüchtigung der Regelsysteme, z.B. Grundsicherung, soweit möglich, Eintritt der
weiterhin nachrangigen Eingliederungshilfe soweit nötig,
Was bedeutet das „soweit nötig“? In diversen
Entscheidungen des Bundessozialgerichts (z.B. Urteil vom 15.11.2012, Az. B 8 DO
10/11 R, Abgrenzung der Aufgaben zwischen pädagogischer Arbeit und Sozialhilfe)
zeichnete sich ab, dass die Verantwortung für eine inklusive Leistung immer den
jeweiligen Bereichen obliegt und die Eingliederungshilfe nur für die Hilfen zur
Teilhabe nach § 54 SGB XII verantwortlich ist. Wird es jetzt dazu kommen, dass
die Eingliederungshilfe tatsächlich die behinderungsbedingten Mehrkosten
übernimmt und damit eine echte Teilhabe ermöglicht? Und wo sind die Grenzen?
4. Verbesserungen beim Einkommens- und
Vermögenseinsatz, insbesondere für erwerbstätige Menschen mit hohem
Assistenzbedarf und ihre Ehe- und Lebenspartner,
Noch immer müssen erwerbstätige Menschen mit Behinderung
(vgl. § 19 Abs. 3 SGB XII), wenn sie Eingliederungshilfe beziehen, ihr
Einkommen und Vermögen einsetzen (vgl. 11. Kapitel SGB XII). Dies gilt auch für
diejenigen, deren Einkommen unter den Einkommensgrenzen liegen (vgl. § 88 SGB
XII). Es werden ihnen zwar ein einheitlicher Grundbarbetrag und ggf. auch
Zusatzbarbeträge gewährt, doch eine Rücklagenbildung insbesondere für
höherwertige Anschaffungen ist ihnen mit solchen Mitteln nicht möglich.
Es wird sehr wahrscheinlich keine wesentlichen,
grundlegenden Änderungen an dieser Systematik geben, doch schon mit geringen
Verbesserungen und Erleichterungen kann echte Selbstbestimmung geschaffen
werden. Wenn Menschen mit Behinderung einen Teil ihres Einkommens und Vermögens
für höherwertige Anschaffungen oder Freizeitmaßnahmen verwenden können, ist
mehr Teilhabe am Leben in der Gesellschaft möglich.
Dabei geht es aber nicht um die Rücklagenbildung aus
Sozialhilfemitteln, sondern um selbstverdientes Geld oder sogar um ererbtes
Vermögen.
5. Einführung eines bundesgesetzlichen
Rahmens für ein partizipatives und trägerübergreifendes Bedarfsermittlungs- und
–feststellungsverfahren, mit dem System- und Leistungsschnittstellen im
Interesse der Leistungsberechtigten überwunden und zu einem
wirkungsorientierten Leistungsgeschehen wie aus einer Hand zusammengeführt
werden,
Dass es bisher kein solches System gibt, ist äußerst
befremdlich und zeigt, wie sehr die Bundesländer die Gefahr einer
Kostenexplosion aufgrund berechtigter Bedarfe fürchten. Zeitbedarfe und
Qualität der Leistungserbringung sollen offenbar in vergleichbarer und
nachvollziehbarer Weise zusammengebracht werden.
6. Vermeidung von Ungerechtigkeiten durch
Leistungsunterschiede in den Bundesländern. Die länderspezifischen Spielräume auf Basis
bundeseinheitlicher Grundsätze sollen bei der näheren Ausgestaltung und Umsetzung des
Teilhaberechts in den Ländern erhalten bleiben,
Welche Überlegungen genau dahinter stecken, müsste man in
den Protokollen der Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz nachlesen. Ob behinderte
Menschen tatsächlich eine Art von „Ungerechtigkeit“ empfinden oder Leistungen
vergleichen, lässt sich derzeit für mich nicht nachvollziehen. Dass es aber
weiterhin länderspezifische Sonderwege gibt, muss man voraussetzen, denn
Stadtstaaten und Flächenländer haben höchst unterschiedliche Infrastrukturen
und Leistungsmöglichkeiten / Bedarfe.
7. Stärkung der Steuerungsfähigkeit des
Eingliederungshilfe-Leistungsträgers auf der Strukturebene durch ein personen-, leistungs- und wirkungsorientiertes Leistungserbringungsrecht, mit dem nicht mehr Institutionen gefördert, sondern personenbezogene, qualitätsgesicherte und wirtschaftliche Leistungen generiert und finanziert und sozialraumorientierte,
neue Finanzierungswege wie z. B. Budgets ermöglicht werden,
Aus Sicht der Leistungsträger, und die ASMK nimmt
naturgemäß genau diese Rolle wahr, ist eine Steuerungsfähigkeit absolute
Voraussetzung. Was genau gesteuert werden soll, wenn doch Bedarfsermittlung und
Bedarfsfeststellung vereinheitlicht werden sollen (siehe Punkt 5), bleibt
unerwähnt. Bei dem Preis der Fachleistungsstunde müssten sich Leistungsträger
an die gesetzlichen und höchstrichterlichen Vorgaben halten – eigentlich. Das
BSG hatte schon einmal geurteilt, dass trotz externen Vergleichs, die
Wirtschaftlichkeit gegeben ist, wenn Personalkosten auf der Basis eines
Tarifvertrags zustande gekommen sind. Herausgestellt wurde, dass die Einhaltung
der Tarifbindung und die Zahlung ortsüblicher Gehälter dabei immer als
wirtschaftlich angemessen zu werten sind (BSG-Urteil vom 29. 1. 2009 - B 3 P
7/08 R).
Neue Finanzierungswege zielen vermutlich auf sogenannte
Trägerbudgets, wenn nicht sogar auf Sozialraumbudgets. Berlin hat bereits seine
Erfahrungen machen müssen, Hamburg befindet sich gerade jetzt am Ende des
zweiten Jahres in Sachen Trägerbudgets.
8. Stärkung der Teilhabe von Menschen mit
Behinderung und insbesondere am allgemeinen Arbeitsmarkt. Hierzu gehört u.a.
die Verbesserung der Übergänge von der WfbM zu einer sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigung durch das Budget für Arbeit und weitere geeignete Maßnahmen und
9. Lösung der Schnittstellenproblematik,
insbesondere zur Kranken- und Pflegeversicherung, im Interesse der Menschen mit
Behinderung im Rahmen der Reformprozesse zum Bundesteilhabegesetz und zur Einführung des
neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes.
Mit diesen Eckpunkten soll der Gesetzentwurf zum
Bundesteilhabegesetz ausgestattet sein, um durch den Bundesrat zu gelangen. Mit
den sich dahinter befindlichen Reformen sollen „Wirtschaftlichkeits- und
Qualitätsreserven über verbesserte Struktur- und Fallsteuerung gehoben werden“.
Die Hoffnung besteht, dass sich dadurch „Leistungsverbesserungen“ ermöglichen
lassen, wobei doch eher die Ausgabenentwicklung gemeint ist. Dass durch das
neue Gesetz nicht noch mehr Kosten entstehen sollen, ist nachvollziehbar. Die
Verbände der Menschen mit Behinderungen sehen dies selbstverständlich anders –
wohlgemerkt: die oben beschriebenen Eckpunkte resultieren aus der Diskussion
der Arbeits- und Sozialminister und Senatoren der Bundesländer.
Einsparungsziel sind 5 Mrd. Euro jährlich bei den Kosten
der Eingliederungshilfe. Der Bund soll sich dabei maßgeblich beteiligen und
auch in Zukunft einen dynamisierten Beitrag leisten. Wenn Leistungen verbessert
werden sollen, dann sind diese, wie auch der Aufbau neuer Strukturen, vom Bund
zu finanzieren.
CGS
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