Samstag, 19. März 2016

Die ASMK zum Vorhaben BTG

Die Reform der Eingliederungshilfe soll voranschreiten. Im vergangenen Jahr beendete die Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz (AG BTG) ihre Zusammenkünfte. Ihre Ergebnisse finden sich jetzt auf der Webseite http://www.gemeinsam-einfach-machen.de/.

Geht es nun weiter?

Der Zeitplan scheint ein wenig aus der Spur gekommen zu sein. Die Gesetzesvorlage sollte ursprünglich im Januar 2016 ins Kabinett gebracht werden, zum 1.7.2016 dann die Verkündigung mit möglicherweise späterem In-Kraft-Treten (vgl. auch meinen Beitrag vom 25.7.2014). Noch im Ergebnisprotokoll der 91. Konferenz der Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder (91. ASMK), die am 26. und 27. November 2014 in Mainz stattfand, hielt man ein In-Kraft-Treten zum 1.1.2017 für möglich (vgl. auch meinen Beitrag vom 22.2.2015). Ein Jahr später, auf der 92. ASMK, die am 18./19. November 2015 (Ergebnisprotokoll, Seite 11) abgehalten wurde, spricht man eher von einem „Vorhaben“ und man „erwartet“ einen Gesetzentwurf.

Was da so erwartet wird, haben die Mitglieder der Konferenz dann wie folgt beschlossen (kursive Schrift):

1. Stärkung von Autonomie und Selbstbestimmung der auf Leistungen der Eingliederungshilfe angewiesenen Menschen durch partizipative Bedarfsfeststellung und Leistungsorganisation, Personen- und Wirkungsorientierung der Fachleistungen sowie die Möglichkeit von Geldpauschalleistungen.

Letzter Punkt ermöglicht dem Leistungsträger, die Bedarfsdeckung über Geldpauschalen dem Leistungsberechtigten zu überlassen. Dies klingt nach Befähigung und Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und Eigenregie. Es klingt aber auch nach etwas, was schon erprobt und normiert ist: Das persönliche Budget (vgl. § 57 SGB XII).

Man könnte auch glauben, dass sich der Leistungsträger ein wenig aus der Verantwortung zu ziehen versucht, in dem er den leistungsberechtigten Menschen zwar die Geldmittel gibt, für die Bedarfsdeckung aber nicht mehr sorgen muss. Durch die Befähigung des Menschen, als Verbraucher mit Wirtschaftskraft aufzutreten, sollen Leistungsanbieter um diese „potenten“ Kunden werben und gegeneinander in Konkurrenz treten. Doch das geht nur, wenn Märkte und Angebotsstrukturen bestehen und Angebot mit Nachfrage zusammenfällt.

2. Ermöglichung einer qualifizierten ergänzenden Beratung, die als eine von den Leistungsträgern und Leistungserbringern unabhängige Beratung durchgeführt werden soll und dem Prinzip des Peer Counseling Rechnung trägt,

Ein Vorschlag, der schon seit Jahren immer wieder diskutiert wird und von den Leistungsträgern kritisch gesehen wurde. Früher sollten Beratungsbüros von den Trägern der Einrichtungen geschaffen und betrieben werden, doch die Finanzierung sollte aus öffentlichen Mitteln erfolgen. Hier, so die berechtigte Kritik, hätten sich die Träger ihre „eigene“ Kundschaft geschaffen.

3. Inklusive Systementwicklung, d.h. Stärkung und Ertüchtigung der Regelsysteme, z.B. Grundsicherung, soweit möglich, Eintritt der weiterhin nachrangigen Eingliederungshilfe soweit nötig,

Was bedeutet das „soweit nötig“? In diversen Entscheidungen des Bundessozialgerichts (z.B. Urteil vom 15.11.2012, Az. B 8 DO 10/11 R, Abgrenzung der Aufgaben zwischen pädagogischer Arbeit und Sozialhilfe) zeichnete sich ab, dass die Verantwortung für eine inklusive Leistung immer den jeweiligen Bereichen obliegt und die Eingliederungshilfe nur für die Hilfen zur Teilhabe nach § 54 SGB XII verantwortlich ist. Wird es jetzt dazu kommen, dass die Eingliederungshilfe tatsächlich die behinderungsbedingten Mehrkosten übernimmt und damit eine echte Teilhabe ermöglicht? Und wo sind die Grenzen?

4. Verbesserungen beim Einkommens- und Vermögenseinsatz, insbesondere für erwerbstätige Menschen mit hohem Assistenzbedarf und ihre Ehe- und Lebenspartner,

Noch immer müssen erwerbstätige Menschen mit Behinderung (vgl. § 19 Abs. 3 SGB XII), wenn sie Eingliederungshilfe beziehen, ihr Einkommen und Vermögen einsetzen (vgl. 11. Kapitel SGB XII). Dies gilt auch für diejenigen, deren Einkommen unter den Einkommensgrenzen liegen (vgl. § 88 SGB XII). Es werden ihnen zwar ein einheitlicher Grundbarbetrag und ggf. auch Zusatzbarbeträge gewährt, doch eine Rücklagenbildung insbesondere für höherwertige Anschaffungen ist ihnen mit solchen Mitteln nicht möglich.

Es wird sehr wahrscheinlich keine wesentlichen, grundlegenden Änderungen an dieser Systematik geben, doch schon mit geringen Verbesserungen und Erleichterungen kann echte Selbstbestimmung geschaffen werden. Wenn Menschen mit Behinderung einen Teil ihres Einkommens und Vermögens für höherwertige Anschaffungen oder Freizeitmaßnahmen verwenden können, ist mehr Teilhabe am Leben in der Gesellschaft möglich.

Dabei geht es aber nicht um die Rücklagenbildung aus Sozialhilfemitteln, sondern um selbstverdientes Geld oder sogar um ererbtes Vermögen.

5. Einführung eines bundesgesetzlichen Rahmens für ein partizipatives und trägerübergreifendes Bedarfsermittlungs- und –feststellungsverfahren, mit dem System- und Leistungsschnittstellen im Interesse der Leistungsberechtigten überwunden und zu einem wirkungsorientierten Leistungsgeschehen wie aus einer Hand zusammengeführt werden,

Dass es bisher kein solches System gibt, ist äußerst befremdlich und zeigt, wie sehr die Bundesländer die Gefahr einer Kostenexplosion aufgrund berechtigter Bedarfe fürchten. Zeitbedarfe und Qualität der Leistungserbringung sollen offenbar in vergleichbarer und nachvollziehbarer Weise zusammengebracht werden.

6. Vermeidung von Ungerechtigkeiten durch Leistungsunterschiede in den Bundesländern. Die länderspezifischen Spielräume auf Basis bundeseinheitlicher Grundsätze sollen bei der näheren Ausgestaltung und Umsetzung des Teilhaberechts in den Ländern erhalten bleiben,

Welche Überlegungen genau dahinter stecken, müsste man in den Protokollen der Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz nachlesen. Ob behinderte Menschen tatsächlich eine Art von „Ungerechtigkeit“ empfinden oder Leistungen vergleichen, lässt sich derzeit für mich nicht nachvollziehen. Dass es aber weiterhin länderspezifische Sonderwege gibt, muss man voraussetzen, denn Stadtstaaten und Flächenländer haben höchst unterschiedliche Infrastrukturen und Leistungsmöglichkeiten / Bedarfe.

7. Stärkung der Steuerungsfähigkeit des Eingliederungshilfe-Leistungsträgers auf der Strukturebene durch ein personen-, leistungs- und wirkungsorientiertes Leistungserbringungsrecht, mit dem nicht mehr Institutionen gefördert, sondern personenbezogene, qualitätsgesicherte und wirtschaftliche Leistungen generiert und finanziert und sozialraumorientierte, neue Finanzierungswege wie z. B. Budgets ermöglicht werden,

Aus Sicht der Leistungsträger, und die ASMK nimmt naturgemäß genau diese Rolle wahr, ist eine Steuerungsfähigkeit absolute Voraussetzung. Was genau gesteuert werden soll, wenn doch Bedarfsermittlung und Bedarfsfeststellung vereinheitlicht werden sollen (siehe Punkt 5), bleibt unerwähnt. Bei dem Preis der Fachleistungsstunde müssten sich Leistungsträger an die gesetzlichen und höchstrichterlichen Vorgaben halten – eigentlich. Das BSG hatte schon einmal geurteilt, dass trotz externen Vergleichs, die Wirtschaftlichkeit gegeben ist, wenn Personalkosten auf der Basis eines Tarifvertrags zustande gekommen sind. Herausgestellt wurde, dass die Einhaltung der Tarifbindung und die Zahlung ortsüblicher Gehälter dabei immer als wirtschaftlich angemessen zu werten sind (BSG-Urteil vom 29. 1. 2009 - B 3 P 7/08 R).

Neue Finanzierungswege zielen vermutlich auf sogenannte Trägerbudgets, wenn nicht sogar auf Sozialraumbudgets. Berlin hat bereits seine Erfahrungen machen müssen, Hamburg befindet sich gerade jetzt am Ende des zweiten Jahres in Sachen Trägerbudgets.

8. Stärkung der Teilhabe von Menschen mit Behinderung und insbesondere am allgemeinen Arbeitsmarkt. Hierzu gehört u.a. die Verbesserung der Übergänge von der WfbM zu einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung durch das Budget für Arbeit und weitere geeignete Maßnahmen und

9. Lösung der Schnittstellenproblematik, insbesondere zur Kranken- und Pflegeversicherung, im Interesse der Menschen mit Behinderung im Rahmen der Reformprozesse zum Bundesteilhabegesetz und zur Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes.

Mit diesen Eckpunkten soll der Gesetzentwurf zum Bundesteilhabegesetz ausgestattet sein, um durch den Bundesrat zu gelangen. Mit den sich dahinter befindlichen Reformen sollen „Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsreserven über verbesserte Struktur- und Fallsteuerung gehoben werden“. Die Hoffnung besteht, dass sich dadurch „Leistungsverbesserungen“ ermöglichen lassen, wobei doch eher die Ausgabenentwicklung gemeint ist. Dass durch das neue Gesetz nicht noch mehr Kosten entstehen sollen, ist nachvollziehbar. Die Verbände der Menschen mit Behinderungen sehen dies selbstverständlich anders – wohlgemerkt: die oben beschriebenen Eckpunkte resultieren aus der Diskussion der Arbeits- und Sozialminister und Senatoren der Bundesländer.

Einsparungsziel sind 5 Mrd. Euro jährlich bei den Kosten der Eingliederungshilfe. Der Bund soll sich dabei maßgeblich beteiligen und auch in Zukunft einen dynamisierten Beitrag leisten. Wenn Leistungen verbessert werden sollen, dann sind diese, wie auch der Aufbau neuer Strukturen, vom Bund zu finanzieren.

CGS





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