Bald soll die
UN-Kinderrechtskonvention Teil des bundesdeutschen Grundgesetzes werden. Einen
bedeutenden Abschnitt bildet die Anerkennung des Rechts auf Bildung. Es soll
Chancengleichheit bestehen. Leistungen des Staates sollen darauf ausgerichtet
sein, den Besuch einer Grundschule zwar zur Pflicht zu machen, der Besuch muss
aber unentgeltlich erfolgen können. So etwas kennt man auch aus der
Behindertenrechtskonvention, bei der es vorrangig um das Recht auf
Gleichbehandlung geht.
Bestehen jetzt zwei
verschiedene, sich vielleicht sogar entgegenstehende Konventionen?
Die
UN-Konventionen
Am 26.3.2009 trat in Deutschland das Gesetz zur
Ratifikation des „Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“
in Kraft. Damit konnte der zuvor von vielen Staaten der Welt beschlossene
Vertrag über die Rechte behinderter Menschen, die
UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), übernommen werden. Es dauerte dennoch
weitere sieben Jahre, bis mit dem BTHG es hierzulande endlich konkreter wurde.
In diesem Jahr könnte eine weitere UN-Konvention
Gesetzeskraft entfalten. Das entsprechende Gesetz ist zwar schon am 5.4.1992 in
Kraft getreten, aber dies erfolgte unter Vorbehalt (erinnert ein wenig an die
Sache mit dem „Ressourcenvorbehalt“). Der Vorbehalt wurde am 15.7.2010 durch
eine Art Rücknahmeerklärung wieder aufgegeben. Was jedoch zu fehlen scheint,
ist die Einbindung in das deutsche Grundgesetz, damit die Kinderrechte auch
wirklich Teil der bundesdeutschen Verfassung sind. Und dies könnte, wie gesagt,
in diesem Jahr geschehen.
"Wir schreiben
die Kinderrechte als Kindergrundrecht im Grundgesetz fest." (Quelle: SPD-Bundesfamilienministerin
Franziska Giffey in ihrer Regierungserklärung im März 2018)
Das (verschiedene)
Recht auf Bildung
Das Recht auf Bildung findet sich in beiden Konventionen.
Bildung soll allen zugänglich sein. Es handelt sich um „ein Recht auf der
Grundlage der Chancengleichheit“.
Damit wird auch schon das beherrschende Prinzip
hervorgehoben: Chancengleichheit. Jeder Mensch hat von Geburt an die gleichen
Chancen, kein Kind darf privilegiert werden seitens des Staates. Dieses Prinzip
wird damit zu einer Grundlage, auf der die Kinderrechtskonvention fußt und
somit selbst zu einer Grundlage wird für alle weiteren Bundes- und
Landesgesetze.
So etwas kennt man auch aus der
Behindertenrechtskonvention. Das beherrschende Prinzip hier ist das Recht auf
Gleichbehandlung (dieses Recht wurde allerdings schon viel früher im
Grundgesetz verankert; vgl. Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG, eingefügt am 27.10.1994).
Behinderten Menschen stehen die gleichen Rechte zu, sie dürfen nicht
ausgesondert und isoliert werden, weil sie eine Behinderung haben. Wenn es
diese grundgesetzliche Verankerung gibt, müssen die Bundesgesetze (z.B. SGB IX
und AGG) und Landesgesetze (z.B. das Selbstbestimmungsstärkungs-Gesetz des
Landes Schleswig-Holstein) dieses Prinzip weiter ausführen.
Bei beiden Konventionen findet sich aber jeweils ein Passus
über das Recht auf Bildung (siehe auch unten). In der
Behindertenrechtskonvention steht ausdrücklich die staatliche Gewährleistung
auf ein „integratives Bildungssystem auf allen Ebenen“ mit der Möglichkeit zum
lebenslangen Lernen. Bei der Kinderrechtskonvention soll der Staat alles dafür
tun, dass Kinder „unentgeltlich“ eine Grundschule besuchen können. Zudem sollen
alle weiterführenden Schulen für die Allgemein- und Berufsbildung „verfügbar“
und „zugänglich“ sein, was auch die finanzielle Unterstützung bei
„Bedürftigkeit“ mit einschließt.
Es gibt also Ähnlichkeiten, die vermuten lassen, dass die
Behindertenrechtskonvention beim Recht auf Bildung eher die deutlichen Vorgaben
aus der Kinderrechtskonvention flankiert. Ein behindertes Kind kann seinen
Anspruch daraus ableiten und gleichzeitig auf das
beherrschende Prinzip der Gleichbehandlung verweisen.
Das Recht auf
Bildung kann eingeschränkt werden
An dieser Stelle endet aber auch in der
Kinderrechtskonvention die bedingungslose Leistungspflicht des Staates. Geht es
um den Zugang zu den Hochschulen, wird darauf abgestellt, dass dies nur
„entsprechend“ der individuellen Fähigkeiten geschehen soll. Der bloße Wunsch
zum Besuch einer Hochschule reicht somit nicht aus, sondern es muss eine bestimmte
Reife bescheinigt werden – eine Barriere, die sich gegen jedermann richtet.
Die Möglichkeit zur Erlangung einer solchen
Zugangsberechtigung (Reife) muss offen stehen. Nur dies wäre Chancengleichheit.
Doch behinderte Schulkinder brauchen manchmal besondere Hilfe und
Unterstützungsleistungen, damit z.B. trotz Verlangsamung, Einschränkungen in
der Kommunikation oder fehlenden Orientierungs- oder Mobilitätsfertigkeiten ein
Lernen möglich ist. Diese Hilfen sollen gewährleistet werden, gibt es zumindest
die Behindertenrechtskonvention vor. Ob das aber auch so in der Praxis
umgesetzt wird, ist allerdings zweifelhaft. Selbst wenn also die
Rahmenbedingungen vorhanden sind, die gesetzeskonforme Umsetzung passiert
leider nicht.
Kinder mit Besonderheiten sehen sich eigentlich nicht als
behindert. Und es gibt auch Erwachsene, die ihre Behinderung völlig vergessen. Sie
alle werden vielleicht mit ihren Einschränkungen immer wieder konfrontiert und
müssen damit zurechtkommen. Aber sie verstehen sich als „normale“ Menschen. Von
daher kann die Behindertenrechtskonvention die Rechte der Kinder nicht weiter
einschränken, sondern muss sie in ihrer Rechtsausübung bestärken. Eine solche
Vorkehrung findet sich in Bezug auf die allgemeinbildenden Schulen, d.h.
Grundschulen und weiterführende Schulen. Was dagegen fehlt, ist die Möglichkeit
der Bildungs- und Berufsberatung, wie sie verankert worden ist in der
Kinderrechtskonvention. Damit würde ein diesbezüglicher Rechtsanspruch
bestenfalls im Kindesalter bestehen, ein junger Erwachsener mit Behinderung
könnte einen solchen Anspruch nicht mehr erfolgreich durchsetzen.
… und auch ausgeschlossen
werden
Gerade weil der Besuch von Grund- und weiterführenden
Schulen so ausdrücklich hineinformuliert worden ist, verwandelt sich die
Behindertenrechtskonvention an dieser Stelle (Art. 24 Abs. 2 a. UN-BRK) in ein
eigenständiges Recht. Es heißt zwar darin, dass ein Kind nicht aufgrund von
Behinderung von diesem unentgeltlichen Schulbesuch ausgeschlossen werden kann,
doch gerade ein derartiger Text erlaubt den Umkehrschluss, dass ein Ausschluss
vom Schulbesuch dann aus anderen Gründen möglich wäre.
Eine Grundschule könnte mithilfe eines Schulreifetests
feststellen, ob ein Kind eingeschult oder zurückgestellt werden kann oder
sollte. Und wenn eine Schulaufsichtsbehörde befindet, dass dauernde Hilfen
nicht gewährleistet werden können, kann diese den Besuch eines geeigneten
Förderzentrums bestimmen (vgl. § 21 Abs. 2 SchulG-SH).
Menschen mit Behinderung sind aber keine andere Art von
Menschen. Wenn Chancengleichheit und Gleichbehandlung höhere Ziele sind, dann muss
Verfügbarkeit und Zugänglichkeit auch für Sachen wie z.B. Bildungs- und
Berufsberatung gegeben sein. Und was die Hochschule betrifft, auch die müsste offen
stehen, wenn, wie bei allen anderen, die entsprechende Fähigkeit (Reife)
vorhanden ist. Stellt sich damit noch die Frage, ob eine Regelung hinsichtlich
der möglicherweise nicht vorhandenen „dauernden Hilfen“, wie im
Landesschulgesetz von Schleswig-Holstein noch vorhanden ist, nicht gegen diesen
Passus in der Behindertenrechtskonvention verstößt.
Bildung braucht Ressourcen
um Chancengleichheit herzustellen
Die Behindertenrechtskonvention verlangt „individuell
angepasste Unterstützungsmaßnahmen“, damit eine „bestmögliche“ Bildung und
Entwicklung entstehen kann. Und so etwas bedarf wiederum der Schaffung von
ausreichenden Angeboten, weil erst dann an Regelschulen auch Kinder mit
Besonderheiten gut beschult werden können. Die Abschaffung von Förderschulen
wäre für sich genommen eine missachtende Haushaltspolitik auf Kosten der
Menschen, die im Wettbewerb mit sogenannten Leistungsträgern stehen, aber
aufgrund ihrer Einschränkung nicht mithalten können. Der vermehrte Einsatz von
Schulbegleitungen wäre dagegen eine Hilfe, die sich dagegen nicht auf die
Assistenz von Lehrern bezieht, sondern einzig auf die Begleitung der
behinderten Kinder abstellt.
Es müssen also gleichzeitig neue Strukturen vorhanden
sein (nicht erst mit dem Aufbau beginnen!), damit ein Sicherheitsnetz entsteht
für die Kinder mit Förderbedarfen, die eine Regelschule besuchen wollen oder
sollen. Solange das nicht gemacht wird, solange auf die Bedürfnisse der Kleinen
und Schwachen keine Rücksicht genommen wird, kann weder die UN-Konvention zu
den Behindertenrechten noch zu den Kinderrechten eine echte „Chancengleichheit“
gewähren.
CGS
„Behinderte
Schulkinder sehen sich nicht als Behinderte, sondern als Kinder.“
P.S.:
Am 26.4.2018 veröffentlichte der Kinderschutzbund
Schleswig-Holstein einige „Wahlprüfsteine“ zur Kommunalwahl. Neben der
Kostenfreiheit für alle Bildungseinrichtungen verlangt man auch eine gute,
schulische Nachmittagsbetreuung, eine Schularbeiten-Hilfe, ausreichende
Kita-Plätze sowie kostenfreie und ausgewogene Mahlzeiten.
Im Juni ist eine Fachtagung zum Thema „Schulabsentismus“
beim Paritätischen Wohlfahrtsverband (http://www.der-paritaetische.de/)
in Berlin geplant. Auch wenn ein solches Problem anscheinend nichts mit dem
Thema „Inklusive Bildung“ zu tun hat, Kinder, die sich von der Schule
entfernen, brauchen eine sehr individuelle Unterstützung und
Jugendsozialarbeit.
Artikel 24
Behindertenrechtskonvention der UN
|
Artikel 28
Kinderrechtskonvention der UN
|
(1)
Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von
Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der
Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein
integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen mit dem Ziel,
a.
die menschlichen Möglichkeiten sowie das Bewusstsein
der Würde und das Selbstwertgefühl des
Menschen voll zur Entfaltung zu bringen und die Achtung vor den
Menschenrechten, den Grundfreiheiten und der menschlichen Vielfalt zu
stärken;
b.
Menschen mit Behinderungen ihre Persönlichkeit, ihre
Begabungen und ihre Kreativität sowie ihre
geistigen und körperlichen Fähigkeiten voll zur Entfaltung bringen zu
lassen;
c.
Menschen mit Behinderungen zur wirklichen Teilhabe an einer freien
Gesellschaft zu befähigen.
(2)
Bei der Verwirklichung dieses Rechts stellen die
Vertragsstaaten sicher, dass
a.
Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund von
Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden und dass Kinder mit Behinderungen nicht aufgrund von
Behinderung vom unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht oder
vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen werden;
b.
Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie
leben, Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen
Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben;
c.
angemessene Vorkehrungen für die Bedürfnisse des Einzelnen getroffen werden;
d.
Menschen mit Behinderungen innerhalb des allgemeinen Bildungssystems die
notwendige Unterstützung geleistet wird, um ihre erfolgreiche Bildung zu
erleichtern;
e.
in Übereinstimmung mit dem Ziel der vollständigen
Integration wirksame individuell
angepasste Unterstützungsmaßnahmen in einem Umfeld, das die bestmögliche
schulische und soziale Entwicklung gestattet, angeboten werden.
(3)
Die Vertragsstaaten ermöglichen Menschen mit
Behinderungen, lebenspraktische Fertigkeiten und soziale Kompetenzen zu
erwerben, um ihre volle und gleichberechtigte Teilhabe an der Bildung und als
Mitglieder der Gemeinschaft zu erleichtern. Zu diesem Zweck ergreifen die
Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen; unter anderem
a.
erleichtern sie das Erlernen von Brailleschrift,
alternativer Schrift, ergänzenden und alternativen Formen, Mitteln und
Formaten der Kommunikation, den Erwerb von Orientierungs- und
Mobilitätsfertigkeiten sowie die Unterstützung durch andere Menschen mit
Behinderungen und das Mentoring;
b.
erleichtern sie das Erlernen der Gebärdensprache und
die Förderung der sprachlichen Identität der Gehörlosen;
c.
stellen sie sicher, dass blinden, gehörlosen oder
taubblinden Menschen, insbesondere Kindern, Bildung in den Sprachen und
Kommunikationsformen und mit den Kommunikationsmitteln, die für den Einzelnen
am besten geeignet sind, sowie in einem Umfeld vermittelt wird, das die
bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet.
(4)
Um zur Verwirklichung dieses Rechts beizutragen,
treffen die Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen zur Einstellung von
Lehrkräften, einschließlich solcher mit Behinderungen, die in Gebärdensprache
oder Brailleschrift ausgebildet sind, und zur Schulung von Fachkräften sowie
Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen auf allen Ebenen des Bildungswesens. Diese
Schulung schließt die Schärfung des Bewusstseins für Behinderungen und die
Verwendung geeigneter ergänzender und alternativer Formen, Mittel und Formate
der Kommunikation sowie pädagogische Verfahren und Materialien zur
Unterstützung von Menschen mit Behinderungen ein.
(5)
Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass Menschen
mit Behinderungen ohne Diskriminierung und gleichberechtigt mit anderem
Zugang zu allgemeiner Hochschulbildung, Berufsausbildung, Erwachsenenbildung
und lebenslangem Lernen haben. Zu diesem Zweck stellen die Vertragsstaaten
sicher, dass für Menschen mit Behinderungen angemessene Vorkehrungen
getroffen werden.
|
(1)
Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes
auf Bildung an; um die Verwirklichung dieses Rechts auf der Grundlage der
Chancengleichheit fortschreitend zu erreichen, werden sie insbesondere
a.
den Besuch
der Grundschule für alle zur Pflicht und unentgeltlich machen;
b.
die Entwicklung verschiedener Formen der
weiterführenden Schulen allgemeinbildender und berufsbildender Art fördern,
sie allen Kindern verfügbar und
zugänglich machen und geeignete Maßnahmen wie die Einführung der
Unentgeltlichkeit und die Bereitstellung finanzieller Unterstützung bei
Bedürftigkeit treffen;
c.
allen entsprechend
ihren Fähigkeiten den Zugang zu den Hochschulen mit allen geeigneten Mitteln
ermöglichen;
d.
Bildungs- und Berufsberatung allen Kindern verfügbar
und zugänglich machen;
e.
Maßnahmen treffen, die den regelmäßigen Schulbesuch fördern und den
Anteil derjenigen, welche die Schule vorzeitig verlassen, verringern.
(2)
Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen,
um sicherzustellen, dass die Disziplin in der Schule in einer Weise gewahrt
wird, die der Menschenwürde des
Kindes entspricht und im Einklang mit diesem Übereinkommen steht.
(3)
Die Vertragsstaaten fördern die internationale
Zusammenarbeit im Bildungswesen, insbesondere um zur Beseitigung von
Unwissenheit und Analphabetentum in der Welt beizutragen und den Zugang zu
wissenschaftlichen und technischen Kenntnissen und modernen
Unterrichtsmethoden zu erleichtern. Dabei sind die Bedürfnisse der Entwicklungsländer
besonders zu berücksichtigen.
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