Montag, 14. Mai 2018

Inklusive Bildung und das Kinderrecht auf Bildung

Bald soll die UN-Kinderrechtskonvention Teil des bundesdeutschen Grundgesetzes werden. Einen bedeutenden Abschnitt bildet die Anerkennung des Rechts auf Bildung. Es soll Chancengleichheit bestehen. Leistungen des Staates sollen darauf ausgerichtet sein, den Besuch einer Grundschule zwar zur Pflicht zu machen, der Besuch muss aber unentgeltlich erfolgen können. So etwas kennt man auch aus der Behindertenrechtskonvention, bei der es vorrangig um das Recht auf Gleichbehandlung geht.

Bestehen jetzt zwei verschiedene, sich vielleicht sogar entgegenstehende Konventionen?


Die UN-Konventionen

Am 26.3.2009 trat in Deutschland das Gesetz zur Ratifikation des „Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ in Kraft. Damit konnte der zuvor von vielen Staaten der Welt beschlossene Vertrag über die Rechte behinderter Menschen, die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), übernommen werden. Es dauerte dennoch weitere sieben Jahre, bis mit dem BTHG es hierzulande endlich konkreter wurde.

In diesem Jahr könnte eine weitere UN-Konvention Gesetzeskraft entfalten. Das entsprechende Gesetz ist zwar schon am 5.4.1992 in Kraft getreten, aber dies erfolgte unter Vorbehalt (erinnert ein wenig an die Sache mit dem „Ressourcenvorbehalt“). Der Vorbehalt wurde am 15.7.2010 durch eine Art Rücknahmeerklärung wieder aufgegeben. Was jedoch zu fehlen scheint, ist die Einbindung in das deutsche Grundgesetz, damit die Kinderrechte auch wirklich Teil der bundesdeutschen Verfassung sind. Und dies könnte, wie gesagt, in diesem Jahr geschehen.

"Wir schreiben die Kinderrechte als Kindergrundrecht im Grundgesetz fest." (Quelle: SPD-Bundesfamilienministerin Franziska Giffey in ihrer Regierungserklärung im März 2018)


Das (verschiedene) Recht auf Bildung

Das Recht auf Bildung findet sich in beiden Konventionen. Bildung soll allen zugänglich sein. Es handelt sich um „ein Recht auf der Grundlage der Chancengleichheit“.

Damit wird auch schon das beherrschende Prinzip hervorgehoben: Chancengleichheit. Jeder Mensch hat von Geburt an die gleichen Chancen, kein Kind darf privilegiert werden seitens des Staates. Dieses Prinzip wird damit zu einer Grundlage, auf der die Kinderrechtskonvention fußt und somit selbst zu einer Grundlage wird für alle weiteren Bundes- und Landesgesetze.

So etwas kennt man auch aus der Behindertenrechtskonvention. Das beherrschende Prinzip hier ist das Recht auf Gleichbehandlung (dieses Recht wurde allerdings schon viel früher im Grundgesetz verankert; vgl. Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG, eingefügt am 27.10.1994). Behinderten Menschen stehen die gleichen Rechte zu, sie dürfen nicht ausgesondert und isoliert werden, weil sie eine Behinderung haben. Wenn es diese grundgesetzliche Verankerung gibt, müssen die Bundesgesetze (z.B. SGB IX und AGG) und Landesgesetze (z.B. das Selbstbestimmungsstärkungs-Gesetz des Landes Schleswig-Holstein) dieses Prinzip weiter ausführen.

Bei beiden Konventionen findet sich aber jeweils ein Passus über das Recht auf Bildung (siehe auch unten). In der Behindertenrechtskonvention steht ausdrücklich die staatliche Gewährleistung auf ein „integratives Bildungssystem auf allen Ebenen“ mit der Möglichkeit zum lebenslangen Lernen. Bei der Kinderrechtskonvention soll der Staat alles dafür tun, dass Kinder „unentgeltlich“ eine Grundschule besuchen können. Zudem sollen alle weiterführenden Schulen für die Allgemein- und Berufsbildung „verfügbar“ und „zugänglich“ sein, was auch die finanzielle Unterstützung bei „Bedürftigkeit“ mit einschließt.

Es gibt also Ähnlichkeiten, die vermuten lassen, dass die Behindertenrechtskonvention beim Recht auf Bildung eher die deutlichen Vorgaben aus der Kinderrechtskonvention flankiert. Ein behindertes Kind kann seinen Anspruch daraus ableiten und gleichzeitig auf das beherrschende Prinzip der Gleichbehandlung verweisen.


Das Recht auf Bildung kann eingeschränkt werden

An dieser Stelle endet aber auch in der Kinderrechtskonvention die bedingungslose Leistungspflicht des Staates. Geht es um den Zugang zu den Hochschulen, wird darauf abgestellt, dass dies nur „entsprechend“ der individuellen Fähigkeiten geschehen soll. Der bloße Wunsch zum Besuch einer Hochschule reicht somit nicht aus, sondern es muss eine bestimmte Reife bescheinigt werden – eine Barriere, die sich gegen jedermann richtet.

Die Möglichkeit zur Erlangung einer solchen Zugangsberechtigung (Reife) muss offen stehen. Nur dies wäre Chancengleichheit. Doch behinderte Schulkinder brauchen manchmal besondere Hilfe und Unterstützungsleistungen, damit z.B. trotz Verlangsamung, Einschränkungen in der Kommunikation oder fehlenden Orientierungs- oder Mobilitätsfertigkeiten ein Lernen möglich ist. Diese Hilfen sollen gewährleistet werden, gibt es zumindest die Behindertenrechtskonvention vor. Ob das aber auch so in der Praxis umgesetzt wird, ist allerdings zweifelhaft. Selbst wenn also die Rahmenbedingungen vorhanden sind, die gesetzeskonforme Umsetzung passiert leider nicht.

Kinder mit Besonderheiten sehen sich eigentlich nicht als behindert. Und es gibt auch Erwachsene, die ihre Behinderung völlig vergessen. Sie alle werden vielleicht mit ihren Einschränkungen immer wieder konfrontiert und müssen damit zurechtkommen. Aber sie verstehen sich als „normale“ Menschen. Von daher kann die Behindertenrechtskonvention die Rechte der Kinder nicht weiter einschränken, sondern muss sie in ihrer Rechtsausübung bestärken. Eine solche Vorkehrung findet sich in Bezug auf die allgemeinbildenden Schulen, d.h. Grundschulen und weiterführende Schulen. Was dagegen fehlt, ist die Möglichkeit der Bildungs- und Berufsberatung, wie sie verankert worden ist in der Kinderrechtskonvention. Damit würde ein diesbezüglicher Rechtsanspruch bestenfalls im Kindesalter bestehen, ein junger Erwachsener mit Behinderung könnte einen solchen Anspruch nicht mehr erfolgreich durchsetzen.


… und auch ausgeschlossen werden

Gerade weil der Besuch von Grund- und weiterführenden Schulen so ausdrücklich hineinformuliert worden ist, verwandelt sich die Behindertenrechtskonvention an dieser Stelle (Art. 24 Abs. 2 a. UN-BRK) in ein eigenständiges Recht. Es heißt zwar darin, dass ein Kind nicht aufgrund von Behinderung von diesem unentgeltlichen Schulbesuch ausgeschlossen werden kann, doch gerade ein derartiger Text erlaubt den Umkehrschluss, dass ein Ausschluss vom Schulbesuch dann aus anderen Gründen möglich wäre.

Eine Grundschule könnte mithilfe eines Schulreifetests feststellen, ob ein Kind eingeschult oder zurückgestellt werden kann oder sollte. Und wenn eine Schulaufsichtsbehörde befindet, dass dauernde Hilfen nicht gewährleistet werden können, kann diese den Besuch eines geeigneten Förderzentrums bestimmen (vgl. § 21 Abs. 2 SchulG-SH).

Menschen mit Behinderung sind aber keine andere Art von Menschen. Wenn Chancengleichheit und Gleichbehandlung höhere Ziele sind, dann muss Verfügbarkeit und Zugänglichkeit auch für Sachen wie z.B. Bildungs- und Berufsberatung gegeben sein. Und was die Hochschule betrifft, auch die müsste offen stehen, wenn, wie bei allen anderen, die entsprechende Fähigkeit (Reife) vorhanden ist. Stellt sich damit noch die Frage, ob eine Regelung hinsichtlich der möglicherweise nicht vorhandenen „dauernden Hilfen“, wie im Landesschulgesetz von Schleswig-Holstein noch vorhanden ist, nicht gegen diesen Passus in der Behindertenrechtskonvention verstößt.


Bildung braucht Ressourcen um Chancengleichheit herzustellen

Die Behindertenrechtskonvention verlangt „individuell angepasste Unterstützungsmaßnahmen“, damit eine „bestmögliche“ Bildung und Entwicklung entstehen kann. Und so etwas bedarf wiederum der Schaffung von ausreichenden Angeboten, weil erst dann an Regelschulen auch Kinder mit Besonderheiten gut beschult werden können. Die Abschaffung von Förderschulen wäre für sich genommen eine missachtende Haushaltspolitik auf Kosten der Menschen, die im Wettbewerb mit sogenannten Leistungsträgern stehen, aber aufgrund ihrer Einschränkung nicht mithalten können. Der vermehrte Einsatz von Schulbegleitungen wäre dagegen eine Hilfe, die sich dagegen nicht auf die Assistenz von Lehrern bezieht, sondern einzig auf die Begleitung der behinderten Kinder abstellt.

Es müssen also gleichzeitig neue Strukturen vorhanden sein (nicht erst mit dem Aufbau beginnen!), damit ein Sicherheitsnetz entsteht für die Kinder mit Förderbedarfen, die eine Regelschule besuchen wollen oder sollen. Solange das nicht gemacht wird, solange auf die Bedürfnisse der Kleinen und Schwachen keine Rücksicht genommen wird, kann weder die UN-Konvention zu den Behindertenrechten noch zu den Kinderrechten eine echte „Chancengleichheit“ gewähren.

CGS

„Behinderte Schulkinder sehen sich nicht als Behinderte, sondern als Kinder.“



P.S.:

Am 26.4.2018 veröffentlichte der Kinderschutzbund Schleswig-Holstein einige „Wahlprüfsteine“ zur Kommunalwahl. Neben der Kostenfreiheit für alle Bildungseinrichtungen verlangt man auch eine gute, schulische Nachmittagsbetreuung, eine Schularbeiten-Hilfe, ausreichende Kita-Plätze sowie kostenfreie und ausgewogene Mahlzeiten.

Im Juni ist eine Fachtagung zum Thema „Schulabsentismus“ beim Paritätischen Wohlfahrtsverband (http://www.der-paritaetische.de/) in Berlin geplant. Auch wenn ein solches Problem anscheinend nichts mit dem Thema „Inklusive Bildung“ zu tun hat, Kinder, die sich von der Schule entfernen, brauchen eine sehr individuelle Unterstützung und Jugendsozialarbeit.


Artikel 24
Behindertenrechtskonvention der UN
Artikel 28
Kinderrechtskonvention der UN
(1)
Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen mit dem Ziel,

a.        die menschlichen Möglichkeiten sowie das Bewusstsein der Würde und das Selbstwertgefühl des Menschen voll zur Entfaltung zu bringen und die Achtung vor den Menschenrechten, den Grundfreiheiten und der menschlichen Vielfalt zu stärken;

b.        Menschen mit Behinderungen ihre Persönlichkeit, ihre Begabungen und ihre Kreativität sowie ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten voll zur Entfaltung bringen zu lassen;

c.        Menschen mit Behinderungen zur wirklichen Teilhabe an einer freien Gesellschaft zu befähigen.

(2)
Bei der Verwirklichung dieses Rechts stellen die Vertragsstaaten sicher, dass

a.        Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden und dass Kinder mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht oder vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen werden;

b.        Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie leben, Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben;

c.        angemessene Vorkehrungen für die Bedürfnisse des Einzelnen getroffen werden;

d.        Menschen mit Behinderungen innerhalb des allgemeinen Bildungssystems die notwendige Unterstützung geleistet wird, um ihre erfolgreiche Bildung zu erleichtern;

e.        in Übereinstimmung mit dem Ziel der vollständigen Integration wirksame individuell angepasste Unterstützungsmaßnahmen in einem Umfeld, das die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet, angeboten werden.

(3)
Die Vertragsstaaten ermöglichen Menschen mit Behinderungen, lebenspraktische Fertigkeiten und soziale Kompetenzen zu erwerben, um ihre volle und gleichberechtigte Teilhabe an der Bildung und als Mitglieder der Gemeinschaft zu erleichtern. Zu diesem Zweck ergreifen die Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen; unter anderem

a.        erleichtern sie das Erlernen von Brailleschrift, alternativer Schrift, ergänzenden und alternativen Formen, Mitteln und Formaten der Kommunikation, den Erwerb von Orientierungs- und Mobilitätsfertigkeiten sowie die Unterstützung durch andere Menschen mit Behinderungen und das Mentoring;

b.        erleichtern sie das Erlernen der Gebärdensprache und die Förderung der sprachlichen Identität der Gehörlosen;

c.        stellen sie sicher, dass blinden, gehörlosen oder taubblinden Menschen, insbesondere Kindern, Bildung in den Sprachen und Kommunikationsformen und mit den Kommunikationsmitteln, die für den Einzelnen am besten geeignet sind, sowie in einem Umfeld vermittelt wird, das die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet.

(4)
Um zur Verwirklichung dieses Rechts beizutragen, treffen die Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen zur Einstellung von Lehrkräften, einschließlich solcher mit Behinderungen, die in Gebärdensprache oder Brailleschrift ausgebildet sind, und zur Schulung von Fachkräften sowie Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen auf allen Ebenen des Bildungswesens. Diese Schulung schließt die Schärfung des Bewusstseins für Behinderungen und die Verwendung geeigneter ergänzender und alternativer Formen, Mittel und Formate der Kommunikation sowie pädagogische Verfahren und Materialien zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen ein.

(5)
Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass Menschen mit Behinderungen ohne Diskriminierung und gleichberechtigt mit anderem Zugang zu allgemeiner Hochschulbildung, Berufsausbildung, Erwachsenenbildung und lebenslangem Lernen haben. Zu diesem Zweck stellen die Vertragsstaaten sicher, dass für Menschen mit Behinderungen angemessene Vorkehrungen getroffen werden.
(1)
Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf Bildung an; um die Verwirklichung dieses Rechts auf der Grundlage der Chancengleichheit fortschreitend zu erreichen, werden sie insbesondere

a.        den Besuch der Grundschule für alle zur Pflicht und unentgeltlich machen;

b.        die Entwicklung verschiedener Formen der weiterführenden Schulen allgemeinbildender und berufsbildender Art fördern, sie allen Kindern verfügbar und zugänglich machen und geeignete Maßnahmen wie die Einführung der Unentgeltlichkeit und die Bereitstellung finanzieller Unterstützung bei Bedürftigkeit treffen;

c.        allen entsprechend ihren Fähigkeiten den Zugang zu den Hochschulen mit allen geeigneten Mitteln ermöglichen;

d.        Bildungs- und Berufsberatung allen Kindern verfügbar und zugänglich machen;

e.        Maßnahmen treffen, die den regelmäßigen Schulbesuch fördern und den Anteil derjenigen, welche die Schule vorzeitig verlassen, verringern.

(2)
Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Disziplin in der Schule in einer Weise gewahrt wird, die der Menschenwürde des Kindes entspricht und im Einklang mit diesem Übereinkommen steht.

(3)
Die Vertragsstaaten fördern die internationale Zusammenarbeit im Bildungswesen, insbesondere um zur Beseitigung von Unwissenheit und Analphabetentum in der Welt beizutragen und den Zugang zu wissenschaftlichen und technischen Kenntnissen und modernen Unterrichtsmethoden zu erleichtern. Dabei sind die Bedürfnisse der Entwicklungsländer besonders zu berücksichtigen.
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