Das Thema Bildung
ist schwierig zu handhaben für Eltern, die schließlich nur das Beste für ihre
Kinder wollen. Eltern von Kindern mit Besonderheiten müssen zudem die
Besonderheiten, die mit der Behinderung der Kinder zusammenhängen, meistern.
Eine große Herausforderung. Die Diskussionen, und wie z.B. der Artikel aus der
SHZ von oben, zeigen, dass man sich sehr unsicher ist über die Beschulung auf
einer sogenannten Regelschule. Die Förderschule wird als Alternative gesehen. Doch
ist sie das wirklich?
Es gibt da viele
Berichte von Kindern, die mit ihren Besonderheiten in der Regelschule einfach
nicht bestehen können und verlieren. Eltern würden gerne den Empfehlungen der
Schulleitungen folgen und die Kinder in die Schutzzone der Förderschule
stecken. Doch das Schulamt sperrt sich – aus haushaltspolitischen Überlegungen?
Es geht doch immerhin um „behinderte“ Kinder, denen vielleicht nie wirklich
geholfen werden kann, warum also noch so viel Aufhebens machen – fragen sich da
viele.
Wenn man aber
Behinderung anders verstehen könnte, würde man vielleicht eine andere
Sichtweise einnehmen können, die sehr viel langfristiger ausgerichtet wird. Das
eigentliche Ziel ist nämlich die Förderung der Selbstbestimmung, damit eine
eigenbestimmte (nicht fremdbestimmte) Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft
gelingt. Oder führen solche Überlegungen in eine Sackgasse?
Verlieren mit der
Inklusion
Weil Förderschulen (Förderzentren) abgeschafft werden, stehen
viele Beteiligte, insbesondere Eltern und Lehrkräfte, dem Inklusions-Prozess insgesamt
sehr skeptisch gegenüber. Wie soll das gut gehen, fragen sie, wenn Kinder mit
Unterstützungsbedarf sich alleine und ohne Hilfe in einer Grundschul-Klasse mit
„35 Mitschülern“ zurechtfinden müssen. Sie verlieren.
Im diesem Beispiel wurde auch noch berichtet, dass sich
eindeutig Anzeichen einer Überforderung zusammen mit Selbstverletzungen
zeigten. Die Mutter musste immer wieder beim Schulamt den Wechsel auf eine
Förderschule verlangen. Selbst die Schulleitung hatte die Mutter bei diesem
Wunsch unterstützt, doch das Schulamt sah das zuerst ganz anders. *)
In der Zeit des Aufenthalts in der Kindertagesstätte, war
vielleicht die Behinderung kein Thema. Doch mit dem Eintritt in die Grundschule
wird die Behinderung zum alles entscheidenden Thema gemacht. Und die Eltern
müssen jetzt eine Entscheidung treffen, wo ihr Kind bald zur Schule gehen soll:
Regelschule oder Förderschule.
Was muss man denken, wenn man sieht, dass die Inklusion
Förderschulen abschafft? Auch wenn sich das Entscheidungs-Problem der Eltern in
Luft auflöst, die öffentlichen Kassen sparen sehr viel Geld, weil nun die
Regelschulen die Arbeit übernehmen müssen. Die frei gewordenen Sonderpädagogen
sollen dagegen nur herumreisen und beraten, aber wirklich etwas leisten können
sie nicht. Es ist eher so, dass die Schulleitungen und Lehrkräfte jetzt völlig
überfordert sind und sich nicht zu helfen wissen. Die Kinder mit ihren
Besonderheiten werden konfrontiert mit einem Leistungsdruck und einer
Erwartungshaltung, mit der sie nicht zurechtkommen können. Sie versagen.
Es ist somit kein Wunder, dass man dieser Sache mit der
Inklusion mit Abwehr gegenübersteht.
Inklusion „richtig“
verstehen
Man tut sich schwer mit diesem Begriff: Inklusion. Im
Artikel aus der SHZ heißt es auch, dass es kein einheitliches Verständnis
darüber gibt, „was genau Inklusion eigentlich bedeutet.“ Zwar geht es bei
dieser UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) um sowas wie Förderung und
Teilhabe, aber ganz besonders geht es doch um den Punkt der „Selbstbestimmung“.
Wenn Förderschulen abgeschafft werden, so die sich daraus ergebende
Schlussfolgerung, gibt es für Kinder mit Einschränkungen keine Alternativen und
demzufolge kann ein selbstbestimmtes Lernen nicht stattfinden. Das heißt also,
sie sind dem Regel-System ausgeliefert.
Und noch ein Punkt wird aufgetan: Behinderte Menschen
werden mit nicht-behinderten Menschen konfrontiert. Sie fühlen sich dann erst
recht ausgegrenzt, weil sie nicht mitkommen, so wie die anderen. Sie müssen
sich dementsprechend zwangsläufig als „wertlos“ empfinden. Mit der Inklusion
kann man also nur verlieren. Und von daher werden Förderschulen gebraucht.
Hat man damit die wahre Bedeutung von gesellschaftlicher
Inklusion verstanden? Oder sind es nicht doch Ängste, die mit solchen
Argumenten bedient werden?
Was ist schon
Behinderung
Diese vielen Beschwerden müssen einen schon nachdenklich
machen. Dieses ständige Hinterfragen, was nun das Beste für das Kind ist,
erschwert die Entscheidung und belastet die Eltern – keine Frage.
Es wäre schon aus dem Grund ganz nützlich, wenn es diese
Wahl oder nur eine Alternative geben würde. Früher wurde mal eben bestimmt,
dass ein behindertes Kind in die Anstalt kommen muss – die Förderschule ist
natürlich keine Anstalt, aber sie ist schon ein Sammelplatz für Kinder mit
einer Bandbreite an Besonderheiten und Einschränkungen. Sie ist eben nicht die
regelhafte Grundschule.
Stellt man sich nun die Frage, was Behinderung denn
eigentlich ist, begegnet man schnell der weit verbreiteten Ansicht, Behinderung
ist eine Krankheit. Auch jetzt, bei der Diskussion um ein System der
Bedarfsbemessung im Wege einer Klassifizierung von behinderten Menschen nach
der ICF-Norm, offenbart sich ein eher medizinisches Herangehen an die
wirklichen Bedürfnisse auf Teilhabe bei diesen Menschen. Man unterstellt ein
krankhaftes Abweichen von der Norm, was zu heilen ist.
Da bei behinderten Menschen keine große Aussicht auf
Heilung besteht (es sei denn, es geschieht eine „Reinigung“ – vgl. Markus 1,
Vers 40-45, Luther-Bibel), brauchen Ressourcen nicht zum Einsatz kommen. Wohin
das dann führt, sollte man sich aber mal vorstellen – oder in Geschichtsbüchern
nachlesen. Menschen, die sich einem System unterwerfen müssen, weil sie einem
Verständnis nach Leistungsfähigkeit nicht entsprechen, würden von da an ein
Leben ohne Freiheit, Rechte und – letztendlich auch – Würde führen. Für mich
ein krasser Verstoß gegen unsere Verfassung (Art. 1 GG).
Behinderung muss
anders verstanden werden
Dieses Verständnis nach Leistungsfähigkeit kann sehr
schnell zu unerreichbaren, überfordernden Zielen führen. Das sollte nicht sein.
Eine ganz andere Sicht auf die Dinge kann sich aber dann
erschließen, wenn man Behinderung als eine Einschränkung sieht, die sich aus
Umweltfaktoren ergibt. Ein Beispiel, um das besser zu veranschaulichen, ist der
Rollstuhlfahrer, der die steile Treppe vor dem Schulgebäude überwinden muss.
Ist der Mensch damit unreif für die Schule? Muss die Person auf Bildung
verzichten, nur weil eine von anderen gemachte Barriere den Zugang verwehrt?
Auch geistig behinderte Menschen haben ein Recht auf
Bildung; ja es findet sich sogar ein Bedürfnis nach Bildung. Vielleicht sind es
nicht die Themen, die man „normalerweise“ als eine Schulbildung versteht, doch
ein Wissensdurst ist immer vorhanden. Und mit dem kann man arbeiten und dem
Menschen mit Einschränkungen eine Förderung zugutekommen lassen. Da gibt es
Menschen mit besonderen Begabungen (Stichwort: Inselbegabungen), die zwar in
vielen anderen Lebensbereichen im Wettbewerb mit den Leistungsmenschen
versagen, aber an eben einer Stelle erstaunen sie die selbsternannten Eliten.
Was diese Themen anbelangt, damit sind jetzt nicht diese
„lebenspraktischen Kenntnisse“ gemeint. Auch Nicht-Behinderte sollten in
solchen Fertigkeiten trainiert werden, weil „da draußen“ schwer verständlich
und unüberschaubare Handy-Tarife und Kredit-Verträge auf Kundenfang warten. Mit
vielen bunten Bildern und lauter Musik wird geworben, nur das, worauf es beim
Abschluss eines Vertrages ankommt, hat kein junger Mensch gelernt. Auch sie,
diese „normalen“ Menschen müssen im Wettbewerb mit den anderen sich durchsetzen
und es schaffen, sonst gehen sie unter und werden zu „Kanonenfutter, Stimmvieh
und Kulis“.
Wettbewerb als
Leitkultur
Unser Wirtschaftssystem und das Leben in der Gemeinschaft
basieren auf dem Wettbewerbs-Gedanken; auch wenn Kinder nicht gegeneinander
antreten müssen, sie sind mit einem Lehrplan konfrontiert. Und dieser Lehrplan wird
zum absoluten Maß aller Dinge erhoben; ja er muss in einer bestimmten Zeit
erfüllt werden. Kann ein solches Ziel nicht erreicht werden, wäre eine weitere
Schulbildung auch nicht mehr angemessen oder notwendig.
Beim zieldifferenten Lernen fehlt es dagegen an der
Möglichkeit zum Vergleich. Wenn jedes Kind sein eigenes Lern-Tempo ausleben kann,
dürfen sich auch verlangsamte Kinder mehr Zeit nehmen für die Bildung. Das
Lernen folgt einem eigenen Tempo – statt hinterher zu laufen und das Ziel trotzdem
nicht zu erreichen, sollte gelten: Der Weg ist das Ziel – Nimm Dir die Zeit,
die Du brauchst.
Wettbewerb als Leitkultur stellt für Kinder mit
Einschränkungen ein System der Benachteiligung dar, könnte man sagen. Doch es
findet sich dank dieses Wettbewerbs eine ganz neue Perspektive, die man nutzen
kann. Behinderte Kinder erleben natürlich eine Benachteiligung gegenüber
anderen, weil sie sich ihrer Einschränkung hin und wieder bewusst sind. Aber eine
solche Einschränkung ist nicht Teil ihrer ständigen Selbstwahrnehmung. Vielmehr
erleben sie, wie die anderen Kinder etwas tun können, haben oder machen. Und
sie wollen es ebenso!
Damit kann man arbeiten und etwas fördern, was
Entwicklung darstellt hin zu einem Leben in Selbstbestimmung.
Förderschulen
erhaltenswert?
Könnten das nur Förderschulen leisten?
Der Artikel aus der SHZ jedenfalls erwähnt eine Studie in
Nordrhein-Westfalen, in der „fast 90 Prozent aller Eltern, die ein Kind mit
besonderem Förderungsbedarf haben, für den Erhalt der Sonderschulen“ sind.
Solche Zitate muss man schon hinterfragen, weil häufig sinnverkürzende Aussagen
gemacht werden. Was aber Förderschulen wirklich wert sind, lässt sich (zum
Glück oder Unglück) pauschal nicht beurteilen. Sie stellen schon eine
Alternative dar, ohne die es in einem System des Wettbewerbs und der Eliten
nicht gehen würde. Man könnte sie als Schutzzonen betrachten, in denen sich
manche Menschen einfach sicherer und gut aufgehoben fühlen können. Von daher
kann man diese Daseinsberechtigung ihnen nicht absprechen.
Doch wie sich schon in dem Überblick der
Friedrich-Ebert-Stiftung zeigte (vgl. Beitrag vom 20.4.2018), liegt der bundesdeutsche
Durchschnitt der Abgänger von Förderschulen „ohne mindestens einen
Hauptschulabschluss“ bei 71,2 %. Die Bandbreite umfasst dabei Werte von 56,6 %
(Saarland) bis 95,1 % (Schleswig-Holstein). Man muss zwar eine sogenannte
Exklusionsquote hierzu berücksichtigen, um diese Zahlen besser zu verstehen,
doch im Kern lässt sich dennoch daraus ableiten, dass die Zukunft der Kinder,
die eine Förderschule besuchen sollen, recht vorhersagbar wird. Ohne
irgendeinen Schulabschluss wird der Grad der persönlichen Abhängigkeit für
diese Kinder sehr hoch bleiben. Und damit bringt man eine sehr langfristige
Perspektive ein, die es schwer macht, das jetzt vorhandene, vorübergehende
Bedürfnis nach einer Schutzzone höher zu bewerten.
Ein Schulsystem, welches ein verlangsamtes Lernen
erlaubt, wäre vielleicht nicht verkehrt (z.B. das Kurssystem an amerikanischen
High-Schools und Colleges). Wenn das vorhandene Schulsystem viel durchlässiger
wäre und den Wechsel jederzeit unterstützen würde, bräuchte es Förderschulen
wahrscheinlich nicht. Schaut man sich zudem die aktuelle Nachrichtenlage rund
um den „Deutschen Schulpreis 2018“ an, zeigt sich erneut, dass Inklusiver
Schulunterricht keine Sackgasse ist. Es
wird gefördert durch gutes Fordern.
Sofern Inklusion tatsächlich stattfinden soll, müssen
sich die Ressourcen natürlich neu verteilen bzw. sich danach orientieren, wo es
Kinder mit besonderem Unterstützungsbedarf gibt. Vielleicht müssen
Förderschulen Bestandteil einer Regelschule werden, damit an diesen Orten nun
auch Schutzzonen entstehen können. Der Weg hin zu wirklicher Teilhabe am Leben
in der Gemeinschaft ist jedenfalls „holprig“ und lang – es ist halt keine
(Daten-) Autobahn.
Aber dieser Weg führt nicht in eine Sackgasse, sondern in
ein selbstbestimmtes Leben.
CGS
*) =
Dieses Beispiel ist jetzt nicht belegt, sondern entstammt
aus dem „Hören-Sagen“. Aber es gibt eine ähnliche Erfahrung im eigenen Umfeld,
so dass diese Geschichte als plausibel erachtet werden darf.
Doch in einem anderen Fall an einer GGS in
Schleswig-Holstein (kommunaler Träger) befinden sich 20 Schüler in einer
sogenannten „I-Klasse“ der Sekundarstufe 1, davon mehrere mit verschiedenen
Förderbedarfen. Das Lernverhalten ist sehr gut, es gibt keine Berichte über
Störungen. Eine besonders gute Ressourcenausstattung liegt allerdings nicht vor
– auch hier wird um bessere Ausstattung und mehr Zeit eines Sonderpädagogen
„gerungen“.
Im gleichen Bezirk hatte das zuständige Schulamt einen Antrag auf Verschiebung der Einschulung um ein Jahr abgewiesen mit einer Begründung, die sich nicht auf den Antrag bezog.
Im gleichen Bezirk hatte das zuständige Schulamt einen Antrag auf Verschiebung der Einschulung um ein Jahr abgewiesen mit einer Begründung, die sich nicht auf den Antrag bezog.
In Schleswig-Holstein gibt es einen Ressourcenvorbehalt
beim Besuch einer Regelschule. Die Schulaufsichtsbehörde kann nach Anhördung
und Beratung der Eltern über eine Zuweisung zu einem geeigneten Förderzentrum
(Förderschule) entscheiden (§ 21 Abs. 2 SchulG-SH).
Weitere Quelle:
Deutscher Schulpreis 2018
(letzter Aufruf am 20.5.2018)
Zitate von der Webseite:
„Jede Schülerin und
jeder Schüler verlässt die Martinschule mit einem Abschluss – für Jugendliche
mit Handicap, die an anderen Schulen häufig kein Zeugnis erhalten, gibt es
einen schulinternen ‚Abschluss‘“
„Inklusion ist
anstrengend, aber sie lohnt sich“, sagt Professor Michael Schratz,
Erziehungswissenschaftler von der Universität Innsbruck und Sprecher der Jury
des Deutschen Schulpreises. „Während manche die Inklusion für gescheitert
erklären, beweist die Martinschule mit ihrem außergewöhnlichen Inklusionsmodell
das Gegenteil: Hier lernen alle Kinder und Jugendlichen erfolgreich unter einem
Dach – ganz gleich ob mit oder ohne Handicap, Förderbedarf oder besonderer
Begabung. Dabei nimmt sich die Martinschule auch der schwierigen Fälle an, bei
denen es durchaus körperlich zugehen kann. Wir brauchen solche Schulen, die
davor nicht zurückschrecken und dieser Herausforderung mit guten Konzepten
begegnen.“
Eigene Beiträge zum Überblick der Friedrich-Ebert-Stiftung
vom 20.4. und 21.4.2018
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Inklusion mit oder ohne Förderschule?
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