Montag, 23. April 2018

Inklusive Bildung in Deutschland – Weiteres zum Überblick der Friedrich-Ebert-Stiftung

Dieser Überblick der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) ist sehr lesenswert, wie ich befinden muss. Es finden sich darin eine Menge sehr interessanter Informationen zum aktuellen Stand der Inklusiven Bildung in Deutschland. Eine solche Arbeit lädt ein zu weiteren Arbeiten.

Vieles, muss man leider konstatieren, ist hierzulande noch zu machen. Einige Länder haben zwar einen politischen Schwerpunkt gesetzt und schon einiges geschafft, doch bei vielen fehlt noch der Wille. Gerade im Hinblick auf die Zukunftsperspektiven von jungen Menschen mit Behinderungen, die, so wie ihre Altersgenossen, einen Arbeitsplatz auf dem „allgemeinen Arbeitsmarkt“ anstreben, sollte der Schulabschluss ein wesentliches Entwicklungsziel sein. Wenn an dieser Stelle nichts unternommen wird, bleibt für diese (immer größer werdende) Gruppe nur noch die Werkstattbeschäftigung (WfbM) – „größer werdende“ Gruppe deshalb, weil, wie der Vergleich der Förderquoten im Überblick der FES schon zeigt, ein Anstieg zu verzeichnen ist (in Deutschland von 6,0 % im Schuljahr 2008/2009 auf 7,1 % im Schuljahr 2015/2016, Abb. 2).


Inklusion von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf


Die eigentlich „wichtigste“ Kennzahl in diesem Überblick der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) ist nach meinem Dafürhalten der Inklusionsanteil. Dieser Wert zeigt an, in welchem Bundesland der höchste Anteil an inklusiv beschulten Kindern erreicht worden ist. Für den Schuljahrgang 2015/2016 ist es das Bundesland Bremen, welches aus der Liste aller Bundesländer hervorsticht mit einem Anteil von 83,5 %. Mit Abstand folgen dann die übrigen Stadtstaaten Hamburg und Berlin sowie an zweiter Stelle das Bundesland Schleswig-Holstein. Man kann somit feststellen, dass der Besuch einer Regelschule keine Ausnahme darstellt, sondern – fürwahr – die Regel ist.

Weit unterhalb des Bundesdurchschnitts, der übrigens gerade mal 37,7 % ausmacht, befinden sich Hessen und Bayern mit 25,4 % respektive 27,3 %. Hier besucht anscheinend nur jeder vierte Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine Regelschule. Das ist sehr schade, und es überrascht auch wieder, wenn man sich z.B. andere Statistiken über die Wirtschaftskraft dieser Bundesländer ansieht. Es scheint, als ob ein solches Leistungsvermögen sich eben nicht niederschlägt in der Inklusion von Menschen mit Einschränkungen.



Der FES-Überblick benennt eine sogenannte „Exklusionsquote“, welche den Anteil aller Schüler wiedergibt, die eine Förderschule besuchen. Bezieht man den Inklusionsanteil mit ein, kann man mit der Förderquote eine „Inklusionsquote“ errechnen und dazu stellen. Beides zusammen wiederum ergibt den Anteil der Schüler, die einen sonderpädagogischen Förderbedarf aufweisen.

Hessen hat zwar die niedrigste Förderquote überhaupt, doch die Verteilung zwischen Exklusion (d.h. Förderschule) und Inklusion (d.h. Regelschule) ist gravierend: Nur 1,4 % aller Schüler besuchen „trotz“ festgestellten Förderbedarf eine Regelschule; ein Dreifaches, nämlich 4,3 % aller Schüler, besucht dagegen eine Förderschule. Das Gleiche auch in Bayern. In vielen anderen Bundesländern liegt die Diskrepanz „nur“ beim Doppelten. In Bremen und Schleswig-Holstein zeigt sich völlig gegensätzlich ein ganz anderes Verhältnis, wie auch in Berlin, Hamburg und Niedersachsen. Inklusion findet statt – man könnte aber durchaus mehr erwarten.

Die Förderquoten, also der Anteil der Exklusions- und Inklusionsquote zusammen, ist in den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Hamburg und dem Saarland sehr hoch und weit über dem bundesdeutschen Durchschnitt. Die Gründe dafür sind nun nicht weiter bekannt; es könnte was mit den Begutachtungsrichtlinien zu tun haben, es kann auch andere, vielleicht sogar umweltbedingte Einflussfaktoren geben, oder ganz einfach einen strukturellen Bedarf (z.B. Lehrermangel). Hamburg, wie gesagt, betreibt allerdings eine bessere Inklusions-Politik oder sogar ein „zielführenderes“ Inklusions-Management.


Sonderpädagogische Förderbedarfe und Schwerpunkte


Im FES-Überblick findet sich eine sehr differenzierte Tabelle mit den einzelnen Förderbedarfen und ihrem jeweiligen „inklusiven“ Anteil. Für das Bundesland Schleswig-Holstein zum Beispiel werden Schulkinder mit dem Förderschwerpunkt „Lernen“, dies sind 3,2 % aller Schüler, am ehesten inklusiv beschult (2,6 %), Schüler mit dem Förderschwerpunkt „Geistige Entwicklung“, etwa 1,5 % aller Schüler, dagegen am ehesten in der Förderschule (1,3 %). An dieser Verteilung erkennt man gut, wo die Schwerpunkte liegen.

Bedenkt man dann auch noch den sehr hohen Anteil an Abgängern einer Förderschule ohne mindestens einen Hauptschulabschluss, ist davon auszugehen, dass vielleicht nur die Schüler in den Förderschwerpunkten „Hören“ oder „Körperliche und motorische Entwicklung“ eine Chance auf einen Abschluss haben. Von daher sollte kritisch hinterfragt werden, welche Anstrengungen überhaupt unternommen werden für diese Menschen.



Im Vergleich zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein hinsichtlich der Verteilung bei den Förderbedarfen zeigen sich ganz neue Unterschiede. Wenn nur die prozentualen Gewichtungen bei den ermittelten Förderbedarfen herangezogen werden (Daten aus einer Tabelle 3 im FES-Überblick), sieht man für die Förderschwerpunkte „Sprache“ (13,6 %) und „Emotionale und Soziale Entwicklung“ (15,8 %) für Hamburg relativ hohe Werte, dagegen gibt es einen herausragenden Wert bei der „Geistigen Entwicklung“ (23,9 %) in Schleswig-Holstein. Vermutlich spielen hier die sehr unterschiedlichen Strukturen als Stadtstaat oder Flächenland eine große Rolle: z.B. Ballungsräume, Kinderarmutsrisiko, kurze Wege, Spezial-Institute.


Inklusionsanteil bei Schülern mit dem Förderbedarf Geistige Entwicklung


Es gibt leider immer wieder die Behauptung, dass geistig behinderte Schüler keinesfalls „inklusiv beschult“ werden können. Wie man allerdings im Ländervergleich für genau diese Gruppe von jungen Menschen sehen kann, gelingt Bremen ein Inklusionsanteil von 96,5 % bei diesen Kindern – über alle Förderbedarfs-Gruppen hinweg liegt der Inklusionsanteil bei 83,5 % (erste Grafik).

Alle übrigen Bundesländer folgen mit sehr großem Abstand, wobei Hamburg und Berlin sozusagen auch hohe Anteile erreichen. Ganz am anderen Ende finden sich Mecklenburg-Vorpommern mit 1,7 % und Sachsen-Anhalt mit 1,9 %. Überhaupt befindet sich die Mehrzahl aller Bundesländer unterhalb des Bundesdurchschnitts von 10,7 %, so dass man leider feststellen muss: Geistig behinderte Schüler werden „im Regelfall“ nicht inklusiv beschult.

Man könnte jetzt natürlich einwenden, dass in diesen Bundesländern ein ausgesprochen hoher Anteil an geistig behinderten Schülern gegeben ist; z.B. Sachsen-Anhalt mit 20,5 %, aber mit dem zweitschlechtesten Inklusionsanteil. Eine andere Sortierung der Daten zeigt wiederum, dass dies nicht der Fall ist.



Den höchsten Anteil an Schülern mit dem Förderbedarf „Geistige Entwicklung“ weist das Bundesland Thüringen auf, dicht gefolgt von Schleswig-Holstein.

Selbst wenn man einwenden wollte, dass es sich hier um ein „vernachlässigtes“ Bundesland aus dem Osten handeln könnte, was ohnehin mit einer Strukturschwäche zu kämpfen hat, ein solches Argument greift völlig daneben, weil neben Thüringen auch noch Brandenburg auf dieser Hälfte vertreten ist. Selbst der kleine Stadtstaat Bremen muss eine über dem Durchschnitt liegende Förderquote bei diesen Kindern hinnehmen, und trotzdem hat dieser den höchsten Inklusionsanteil.

Der bundesdeutsche Durchschnitt bei dieser Kennzahl findet sich genau in der Mitte aller Länder – 8:8 beträgt die Verteilung. Dass aber der Inklusionsanteil so dermaßen anders ausfällt, spiegelt einen teils fragwürdigen politischen und gesellschaftlichen Willen in den einzelnen Bundesländern wider.


Einschränkung im Politischen erzeugt Einschränkung bei den Menschen

Man kann mit diesen Analysen viel „Über-den-Tellerrand-schauen“ betreiben. Was sich offenbart, ist die politische „Einschränkung“ im Bildungswesen für Menschen mit Einschränkungen. Entwicklung findet nicht statt, obwohl eigentlich etwas passieren muss. Mit der Abschaffung von Förderschulen und dem Herumreisen der sonderpädagogischen Lehrkräfte von Regelschule zu Regelschule ist es jedenfalls nicht getan. Es muss viel mehr geschehen.

Junge Menschen sollten in jedem Fall mehr Zuwendung und Aufmerksamkeit erhalten. Wenn sie später ein selbstbestimmtes Leben in der Gemeinschaft führen sollen, brauchen Sie Unterstützung und Zeit bei ihrer Bildung. Ideal wäre es, wenn man ihnen eine Lebensperspektive bietet, aus der sich Motivation und Initiative ergeben (Stichwort: Persönliche Zukunftsplanung, PZP). Dies kann am besten gelingen, wenn Behinderte und Nicht-Behinderte miteinander und voneinander lernen – am besten „gemeinsam“ und nicht „einsam“.

Was bleibt, wenn der Mitteleinsatz jetzt schon begrenzt wird, ist ein Leben in Abhängigkeit. Man hatte mit dem Bundesteilhabegesetz dagegen auch versucht, die Beschäftigung an einem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verbessern. Damit das gelingt, braucht man eine gewisse Form der beruflichen Bildung, was wiederum eine allgemeine Bildung voraussetzt.

Mit dem „Budget für Arbeit“ wollte man eine berufliche Orientierung bieten, damit Jugendliche mit Behinderungen sich wie auch immer im allgemeinen Arbeitsmarkt etablieren können. Träger von dieser Eingliederungshilfe-Leistung können auf diese Weise privat-geführte Unternehmen als Arbeitgeber gewinnen und gleichzeitig neben der Begleitungs-, Betreuungs- und Förderungsarbeit auch noch einen kleinen Anteil an Beitragszahlungen einholen. Für die leistungsberechtigten Menschen sicherlich eine Alternative.

Der Einschränkung hier folgt ansonsten die Einschränkung da.

CGS



Quellen:

Friedrich-Ebert-Stiftung
Valerie Lange
„Inklusive Bildung in Deutschland – Ländervergleich“

siehe dazu auch:

(alle Links: letzter Aufruf am 21.4.2018)







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