Vieles, muss man
leider konstatieren, ist hierzulande noch zu machen. Einige Länder haben zwar einen
politischen Schwerpunkt gesetzt und schon einiges geschafft, doch bei vielen
fehlt noch der Wille. Gerade im Hinblick auf die Zukunftsperspektiven von
jungen Menschen mit Behinderungen, die, so wie ihre Altersgenossen, einen
Arbeitsplatz auf dem „allgemeinen Arbeitsmarkt“ anstreben, sollte der
Schulabschluss ein wesentliches Entwicklungsziel sein. Wenn an dieser Stelle
nichts unternommen wird, bleibt für diese (immer größer werdende) Gruppe nur
noch die Werkstattbeschäftigung (WfbM) – „größer werdende“ Gruppe deshalb,
weil, wie der Vergleich der Förderquoten im Überblick der FES schon zeigt, ein
Anstieg zu verzeichnen ist (in Deutschland von 6,0 % im Schuljahr 2008/2009 auf
7,1 % im Schuljahr 2015/2016, Abb. 2).
Inklusion von
Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf
Die eigentlich „wichtigste“ Kennzahl in diesem Überblick
der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) ist nach meinem Dafürhalten der
Inklusionsanteil. Dieser Wert zeigt an, in welchem Bundesland der höchste
Anteil an inklusiv beschulten Kindern erreicht worden ist. Für den
Schuljahrgang 2015/2016 ist es das Bundesland Bremen, welches aus der Liste
aller Bundesländer hervorsticht mit einem Anteil von 83,5 %. Mit Abstand folgen
dann die übrigen Stadtstaaten Hamburg und Berlin sowie an zweiter Stelle das
Bundesland Schleswig-Holstein. Man kann somit feststellen, dass der Besuch
einer Regelschule keine Ausnahme darstellt, sondern – fürwahr – die Regel ist.
Weit unterhalb des Bundesdurchschnitts, der übrigens
gerade mal 37,7 % ausmacht, befinden sich Hessen und Bayern mit 25,4 %
respektive 27,3 %. Hier besucht anscheinend nur jeder vierte Schüler mit
sonderpädagogischem Förderbedarf eine Regelschule. Das ist sehr schade, und es
überrascht auch wieder, wenn man sich z.B. andere Statistiken über die Wirtschaftskraft
dieser Bundesländer ansieht. Es scheint, als ob ein solches Leistungsvermögen
sich eben nicht niederschlägt in der Inklusion von Menschen mit
Einschränkungen.
Der FES-Überblick benennt eine sogenannte
„Exklusionsquote“, welche den Anteil aller Schüler wiedergibt, die eine
Förderschule besuchen. Bezieht man den Inklusionsanteil mit ein, kann man mit
der Förderquote eine „Inklusionsquote“ errechnen und dazu stellen. Beides
zusammen wiederum ergibt den Anteil der Schüler, die einen sonderpädagogischen
Förderbedarf aufweisen.
Hessen hat zwar die niedrigste Förderquote überhaupt,
doch die Verteilung zwischen Exklusion (d.h. Förderschule) und Inklusion (d.h.
Regelschule) ist gravierend: Nur 1,4 % aller Schüler besuchen „trotz“ festgestellten
Förderbedarf eine Regelschule; ein Dreifaches, nämlich 4,3 % aller Schüler,
besucht dagegen eine Förderschule. Das Gleiche auch in Bayern. In vielen
anderen Bundesländern liegt die Diskrepanz „nur“ beim Doppelten. In Bremen und
Schleswig-Holstein zeigt sich völlig gegensätzlich ein ganz anderes Verhältnis,
wie auch in Berlin, Hamburg und Niedersachsen. Inklusion findet statt – man könnte
aber durchaus mehr erwarten.
Die Förderquoten, also der Anteil der Exklusions- und
Inklusionsquote zusammen, ist in den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern,
Sachsen-Anhalt, Sachsen, Hamburg und dem Saarland sehr hoch und weit über dem
bundesdeutschen Durchschnitt. Die Gründe dafür sind nun nicht weiter bekannt;
es könnte was mit den Begutachtungsrichtlinien zu tun haben, es kann auch
andere, vielleicht sogar umweltbedingte Einflussfaktoren geben, oder ganz
einfach einen strukturellen Bedarf (z.B. Lehrermangel). Hamburg, wie gesagt,
betreibt allerdings eine bessere Inklusions-Politik oder sogar ein „zielführenderes“
Inklusions-Management.
Sonderpädagogische
Förderbedarfe und Schwerpunkte
Im FES-Überblick findet sich eine sehr differenzierte
Tabelle mit den einzelnen Förderbedarfen und ihrem jeweiligen „inklusiven“
Anteil. Für das Bundesland Schleswig-Holstein zum Beispiel werden Schulkinder
mit dem Förderschwerpunkt „Lernen“, dies sind 3,2 % aller Schüler, am ehesten
inklusiv beschult (2,6 %), Schüler mit dem Förderschwerpunkt „Geistige
Entwicklung“, etwa 1,5 % aller Schüler, dagegen am ehesten in der Förderschule
(1,3 %). An dieser Verteilung erkennt man gut, wo die Schwerpunkte liegen.
Bedenkt man dann auch noch den sehr hohen Anteil an
Abgängern einer Förderschule ohne mindestens einen Hauptschulabschluss, ist davon
auszugehen, dass vielleicht nur die Schüler in den Förderschwerpunkten „Hören“
oder „Körperliche und motorische Entwicklung“ eine Chance auf einen Abschluss
haben. Von daher sollte kritisch hinterfragt werden, welche Anstrengungen
überhaupt unternommen werden für diese Menschen.
Im Vergleich zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein hinsichtlich
der Verteilung bei den Förderbedarfen zeigen sich ganz neue Unterschiede. Wenn
nur die prozentualen Gewichtungen bei den ermittelten Förderbedarfen
herangezogen werden (Daten aus einer Tabelle 3 im FES-Überblick), sieht man für
die Förderschwerpunkte „Sprache“ (13,6 %) und „Emotionale und Soziale
Entwicklung“ (15,8 %) für Hamburg relativ hohe Werte, dagegen gibt es einen herausragenden
Wert bei der „Geistigen Entwicklung“ (23,9 %) in Schleswig-Holstein. Vermutlich
spielen hier die sehr unterschiedlichen Strukturen als Stadtstaat oder
Flächenland eine große Rolle: z.B. Ballungsräume, Kinderarmutsrisiko, kurze
Wege, Spezial-Institute.
Inklusionsanteil
bei Schülern mit dem Förderbedarf Geistige Entwicklung
Es gibt leider immer wieder die Behauptung, dass geistig
behinderte Schüler keinesfalls „inklusiv beschult“ werden können. Wie man
allerdings im Ländervergleich für genau diese Gruppe von jungen Menschen sehen
kann, gelingt Bremen ein Inklusionsanteil von 96,5 % bei diesen Kindern – über
alle Förderbedarfs-Gruppen hinweg liegt der Inklusionsanteil bei 83,5 % (erste
Grafik).
Alle übrigen Bundesländer folgen mit sehr großem Abstand,
wobei Hamburg und Berlin sozusagen auch hohe Anteile erreichen. Ganz am anderen
Ende finden sich Mecklenburg-Vorpommern mit 1,7 % und Sachsen-Anhalt mit 1,9 %.
Überhaupt befindet sich die Mehrzahl aller Bundesländer unterhalb des
Bundesdurchschnitts von 10,7 %, so dass man leider feststellen muss: Geistig
behinderte Schüler werden „im Regelfall“ nicht inklusiv beschult.
Man könnte jetzt natürlich einwenden, dass in diesen
Bundesländern ein ausgesprochen hoher Anteil an geistig behinderten Schülern
gegeben ist; z.B. Sachsen-Anhalt mit 20,5 %, aber mit dem zweitschlechtesten
Inklusionsanteil. Eine andere Sortierung der Daten zeigt wiederum, dass dies
nicht der Fall ist.
Den höchsten Anteil an Schülern mit dem Förderbedarf
„Geistige Entwicklung“ weist das Bundesland Thüringen auf, dicht gefolgt von
Schleswig-Holstein.
Selbst wenn man einwenden wollte, dass es sich hier um
ein „vernachlässigtes“ Bundesland aus dem Osten handeln könnte, was ohnehin mit
einer Strukturschwäche zu kämpfen hat, ein solches Argument greift völlig
daneben, weil neben Thüringen auch noch Brandenburg auf dieser Hälfte vertreten
ist. Selbst der kleine Stadtstaat Bremen muss eine über dem Durchschnitt
liegende Förderquote bei diesen Kindern hinnehmen, und trotzdem hat dieser den
höchsten Inklusionsanteil.
Der bundesdeutsche Durchschnitt bei dieser Kennzahl
findet sich genau in der Mitte aller Länder – 8:8 beträgt die Verteilung. Dass
aber der Inklusionsanteil so dermaßen anders ausfällt, spiegelt einen teils
fragwürdigen politischen und gesellschaftlichen Willen in den einzelnen
Bundesländern wider.
Einschränkung im
Politischen erzeugt Einschränkung bei den Menschen
Man kann mit diesen Analysen viel „Über-den-Tellerrand-schauen“
betreiben. Was sich offenbart, ist die politische „Einschränkung“ im Bildungswesen
für Menschen mit Einschränkungen. Entwicklung findet nicht statt, obwohl
eigentlich etwas passieren muss. Mit der Abschaffung von Förderschulen und dem
Herumreisen der sonderpädagogischen Lehrkräfte von Regelschule zu Regelschule
ist es jedenfalls nicht getan. Es muss viel mehr geschehen.
Junge Menschen sollten in jedem Fall mehr Zuwendung und
Aufmerksamkeit erhalten. Wenn sie später ein selbstbestimmtes Leben in der
Gemeinschaft führen sollen, brauchen Sie Unterstützung und Zeit bei ihrer
Bildung. Ideal wäre es, wenn man ihnen eine Lebensperspektive bietet, aus der
sich Motivation und Initiative ergeben (Stichwort: Persönliche Zukunftsplanung,
PZP). Dies kann am besten gelingen, wenn Behinderte und Nicht-Behinderte
miteinander und voneinander lernen – am besten „gemeinsam“ und nicht „einsam“.
Was bleibt, wenn der Mitteleinsatz jetzt schon begrenzt
wird, ist ein Leben in Abhängigkeit. Man hatte mit dem Bundesteilhabegesetz
dagegen auch versucht, die Beschäftigung an einem allgemeinen Arbeitsmarkt zu
verbessern. Damit das gelingt, braucht man eine gewisse Form der beruflichen
Bildung, was wiederum eine allgemeine Bildung voraussetzt.
Mit dem „Budget für Arbeit“ wollte man eine berufliche
Orientierung bieten, damit Jugendliche mit Behinderungen sich wie auch immer im
allgemeinen Arbeitsmarkt etablieren können. Träger von dieser Eingliederungshilfe-Leistung
können auf diese Weise privat-geführte Unternehmen als Arbeitgeber gewinnen und
gleichzeitig neben der Begleitungs-, Betreuungs- und Förderungsarbeit auch noch
einen kleinen Anteil an Beitragszahlungen einholen. Für die
leistungsberechtigten Menschen sicherlich eine Alternative.
Der Einschränkung hier folgt ansonsten die Einschränkung
da.
CGS
Quellen:
Friedrich-Ebert-Stiftung
Valerie Lange
„Inklusive Bildung in Deutschland – Ländervergleich“
siehe dazu auch:
(alle Links: letzter Aufruf am 21.4.2018)
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