Mittwoch, 7. August 2019

BTHG: Mittagessen für Werkstattbeschäftigte - die BAG WfbM übt Kritik

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V. (BAG WfbM) kritisiert den Geldbetrag, der für die tägliche Lebensmittelversorgung der leistungsberechtigten Menschen zur Verfügung stehen soll. Es wird ein Betrag von „3,30 Euro“ täglich genannt, der zu niedrig sein soll, weil er nicht die Mehrkosten beinhaltet, die mit der Zubereitung der Mahlzeit entstehen (d.h. Personal und Miete).

Diese Aussage stützt sich wohl auf Auswertungen innerhalb der Träger-Landschaft, die derzeit einen höheren Betrag ergeben. Für sich alleine betrachtet, ist der genannte Geldbetrag nicht wirklich erklärend. Und ob dieser Geldbetrag gerechtfertigt ist, bleibt an dieser Stelle ungeklärt.

Die in der WfbM tätigen Menschen werden jedenfalls mindestens über Einkünfte in Höhe der Grundsicherungsleistungen verfügen. Mit diesen Geldern müssten sie sich selbst versorgen, und das betrifft nicht nur die Verpflegung in einer WfbM. Von daher stellt sich schnell die Frage, wie teuer die Verpflegung insgesamt und pro Monat sein wird.


Müssen WfbM-Beschäftigte in Zukunft mit weniger Geld auskommen?

Mit der Trennung der bisherigen Komplexleistung „Eingliederungshilfe“ wird es zum 1.1.2020 eine Aufspaltung geben in „gedeckelte“ Leistungen der Grundsicherung nach dem 4. Kapitel SGB XII (Lebensunterhalt) sowie der „reinen“ Eingliederungshilfe als Fachleistung. Das bisherige Angebot an Leistungen soll sich dabei aber nicht ändern. Was sich aber ändert ist die Form der Abrechnung, da nur noch die Fachleistung gegenüber dem Eingliederungshilfe-Träger (Leistungsträger nach SGB IX) in Rechnung gestellt werden soll – natürlich das wieder mit Ausnahmen. Die übrigen in Anspruch genommenen Leistungen, wie zum Beispiel die Versorgung mit Lebensmittel, muss mit dem leistungsberechtigten Menschen als Verbraucher abgerechnet werden.

Dies muss deswegen so erfolgen, weil schließlich der leistungsberechtigte Mensch ein Einkommen und/oder eine Rente bezieht und das wiederum ab dem 1.1.2020 direkt auf sein privates Girokonto ausgezahlt wird. Sollten diese Einkünfte zu niedrig ausfallen, wird zusätzlich eine Grundsicherung vom Sozialhilfeträger ausgezahlt. Von diesem Geld wiederum muss der leistungsberechtigte Mensch als Verbraucher seine Kosten des Lebensunterhaltes bestreiten; zum Beispiel auch das Mittagessen an seinem Arbeitsplatz, was eine WfbM sein kann, bezahlen.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V. (BAG WfbM) weist in einer Stellungnahme vom 13.5.2019 darauf hin, dass in Zukunft der Grundsicherungsempfänger nur noch einen Betrag von täglich „3,30 Euro (Stand 2019…)“ zur Verfügung haben soll (Zeile 26, S. 1). Das wären dann 66,00 Euro pro Monat, wenn man mit 20 Arbeitstagen rechnet. In einem bekannten Fall rechnet ein WfbM-Leistungserbringer derzeit monatlich für so ein Mittagessen knapp 79,00 Euro ab (also rd. 3,95 Euro werktäglich). In diesem Fall müsste eine Leistungskürzung von 16 % stattfinden.


Wie teuer ist die Versorgung mit Lebensmitteln?

Die Leistungsträger sehen hier kein Problem, da ein solcher Betrag schließlich aus dem Gesamten bezahlt werden kann, den ein leistungsberechtigter Mensch schließlich zur Verfügung hat. Von daher muss man sich fragen, wie teuer die Versorgung mit Lebensmitteln überhaupt ist. Und dazu wiederum muss man sich die Kosten ansehen, die von den Wohneinrichtungen (bald auch als besondere Wohnformen bezeichnet) verlangt werden.

In dem bekannten Fall berechnete die Wohneinrichtung für die übrigen Zeiten, d.h. inkl. Frühstück und Abendessen an den Tagen in der Woche und Vollverpflegung an den Wochenenden, Feiertagen und Krankheitstagen, genau 4,00 Euro täglich ab bzw. 121,80 Euro im Monat.

In 2013 fand in Hamburg eine Auswertung von Kostensätzen bei einer Vielzahl von Trägern von Wohneinrichtungen statt. Von den befragten Trägern gaben 13 einen Tagessatz von 3,13 Euro bis 6,60 Euro an; der Mittelwert lag bei 5,07 Euro, wobei der Median genau 4,84 Euro ergab. Bezog man die durchschnittliche Zusammensetzung der Bedarfsgruppen mit ein (HEG oder HBG, wobei „1“ = niedriger Bedarf und „5“ = hoher Bedarf bedeuten), zeigte sich eine Trendlinie von 4,52 Euro (HEG / HBG = 2,90) bis 5,56 Euro (HEG / HBG = 3,69).

Eine solche Rechnerei bestätigt zwar den Mittelwert von 5,07 Euro täglich, aber sie verschleiert die Problematik bei den „Übertreibern“; also denjenigen Leistungserbringern, die von diesem Durchschnitt relativ deutlich abweichen. Da in Hamburg mit durchschnittlich 30,44 Tagen pro Monat gerechnet wird, würde damit ein Betrag von 154,33 Euro erreicht werden – und das ohne eine Teuerungsrate. Bedenkt man, dass nun sechs Jahre vergangen sind, und man nimmt an, dass die Inflation in dieser Zeit vielleicht bei 1 % jährlich gelegen hat, müsste man heutzutage von 5,33 Euro täglich bzw. 162,20 Euro monatlich sprechen.

Wir sprechen an dieser Stelle über Beträge, die auf einen durchschnittlichen Bedarf zurückzuführen sind. Ein solcher Durchschnitt beinhaltet individuelle Mehrbedarfe, wie beispielsweise glutenfreie Nahrungsmittel. Für den Einzelnen könnten sich an dieser Stelle sehr hohe Zusatzkosten ergeben, für die meisten nur geringfügig niedrigere Kostensätze.


Die Kosten pro Monat insgesamt und im Vergleich zueinander

Der Anteil für Nahrungsmittel und alkoholfreien Getränken beläuft sich nach der letzten Auswertung des Statistischen Bundesamtes auf 168,00 Euro für Alleinlebende (Private Konsumausgaben 2016, Tabelle 6.1.3 im Statistischen Jahrbuch 2018). Auch hier wieder fehlt es an einer Teuerung, die jedoch bei jährlich 1 % Inflationsrate den Wert auf lediglich 171,38 Euro anheben würde. Und erneut fehlt es an einer Feststellung über den Anteil besonderer Nahrungsmittelbedarfe.

Man kann aber jetzt schon sehen, dass sich hier eine Diskrepanz auftut, die geklärt werden muss:

·       Im „günstigsten“ Fall, die bekannte WfbM und Wohnstätte, würde sich ein Bedarf von insgesamt 200,80 Euro ergeben (= 79,00 + 121,80), was einem Mehrbedarf von knapp 30,00 Euro im Monat entsprechen würde (die 168,00 Euro aus der Statistik hochgerechnet mit einer Inflation von 1% jährlich).

·       Im „schlimmsten“ Fall würden sich rd. 70,00 Euro pro Monat als Mehrbedarf ergeben (= 79,00 + 154,33).

Was an dieser Stelle als Mehrbedarf gemeint ist, bezieht sich nur auf die Regelsätze, nicht aber auf den tatsächlichen ernährungsbedingten Mehrbedarf.

Und damit zeigt sich, dass die Kritik der BAG-WfbM mehr als berechtigt ist. Die Verwendung des Regelsatzes ist höchst problematisch, weil zum einen die langjährigen Strukturen nicht abgeschafft werden können. Andererseits ist die Lebensmittel-Versorgung für behinderte Menschen nicht vergleichbar mit den Qualitätsansprüchen und den Beschaffungsmöglichkeiten für nicht-behinderte Menschen. Zwar kann man davon ausgehen, dass sich in den kommenden Jahren eine Angleichung ergeben wird, jetzt ist dies noch nicht der Fall. Von daher braucht es eine Klärung.

CGS



Quellen:

Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V. (BAG WfbM)

(letzter Aufruf am 31.7.2019)


Eigener Beitrag vom 5.2.2017








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