Freitag, 13. März 2020

Betriebliche Pandemieplanung (2)

Grafik 1
Die WHO spricht jetzt von einer Pandemie. Amerika verweigert die Einreise aus Europa. In Deutschland wird noch eine Eindämmungsstrategie verfolgt, bei der die Schutzmaßnahmen aus der Quarantäne und Isolierung der Infizierten bestehen. Immer mehr wird allerdings auch von der „sozialen Distanzierung“ gesprochen, was aber in vielen Fällen, gerade in der Behindertenhilfe und in der pflegerischen Betreuung von Menschen mit besonderen Bedarfen eigentlich nicht geht.

Weil jetzt eine Flut an Informationen auf uns einprasselt, wird es wohl (fast) jeder kapieren, dass es diesmal sehr ernst wird. Hier ein paar Grafiken und ein paar weitere Informationen, die die Runde machen.


+++ Nachtrag vom 13.3.2020 +++

Die Hamburger Gesundheitsbehörde hatte nun für die Wohnstätten, die dem hamburgischen Wohn- und Betreuungsgesetz (HmbWBG) unterliegen und mit Hinweis auf Landesrahmenverträge nach dem SGB XI (Pflege), etwas zum Personaleinsatz klargestellt. Dies wäre analog anwendbar für die Wohnstätten der Behindertenhilfe.

Ausgangspunkt für die Vorschrift zur Einhaltung einer Fachkraftquote (Personalrichtwerte) wären neben §§ 4 und 5 WBPersVO-HH (Wohn- und Betreuungspersonalverordnung der Stadt Hamburg) auch die jeweiligen Landesrahmenverträge nach SGB XI (Pflege) oder Eingliederungshilfe (vormals SGB XII, jetzt SGB IX). Grundsätzlich sind die vorhandenen Personalressourcen so einzusetzen, dass der Betreuungsbedarf abgedeckt wird und die Betreuungsqualität eingehalten wird (§ 4 Abs. 3). Der Anteil der Fachkräfte an den Beschäftigten für betreuende Tätigkeiten muss nach der Verordnung mindestens die Hälfte betragen; also 50 % (§ 5 Abs. 3). Weitere Vorgaben würden sich gem. § 4 Abs. 5 aus den Landesrahmenverträgen ergeben.

Die Behörde stellt nun fest, dass die Grundlage für diese Berechnung sich aus den „vereinbarten Arbeitszeiten“ ergibt. Und sie sagt: „Beschäftigte werden also auch dann in die Berechnung der Personalkennzahlen berücksichtigt, wenn sie erkrankt sind und sich in der Lohnfortzahlung befinden oder sich auf Anordnung des Gesundheitsamtes in häuslicher Quarantäne befinden.“ (Schreiben vom 10.3.2020).

Einrichtungsfremdes Personal, wie z.B. Leiharbeitnehmer, dürfen nur begrenzt gem. § 9 WBPersVO-HH eingesetzt werden.

+++ Nachtrag vom 14.3.2020 +++

Durch die Schulschließungen wird auch der Einsatz der Schulbegleitungen / Integrationshelfer beendet werden – beendet vor Ort in den Schulräumen. Das bedeutet jetzt aber nicht, dass der Bedarf an Begleitung „beendet“ ist. Der Bedarf an Begleitung verlagert sich nun lediglich an einen anderen Ort.

Aber es geht nicht mehr um Hilfen zur angemessenen Schulbildung – und das ist kritisch! Von daher sollten alle, ganz besonders diejenigen Eltern, die über ein Persönliches Budget zum Arbeitgeber geworden sind, schnellstens eine Klärung mit dem bewilligenden Leistungsträger (Fachdienst oder Fachamt Eingliederungshilfe / Soziales) unternehmen. Vermutlich wird man in dieser Situation seitens der Kommunen keine Sperenzchen machen; aber man erinnert auch andere Zeiten. Die Regierungen haben zwar schon finanzielle Hilfen für alle (!) Unternehmer angekündigt, weil es eben ganz besondere Zeiten sind. Es fehlt allerdings derzeit an behördlichen Richtlinien, um akut helfen zu können.

Solidarität.

Oder anders gesprochen: Der Sozialraum wird gebraucht, um zu schützen.

+++ Nachtrag vom 16.3.2020 +++

Es finden derzeit Beratungen auf Landesebene für Schleswig-Holstein statt, die darauf hinzielen, sämtliche Ausfälle an Leistungen im Bereich der Eingliederungshilfe zu decken. Darunter fallen I-Kitas, WfbMs und Tagesförderstätten bzw. Beschäftigungsprojekte. Schulbegleitungen (Integrationshelfer) werden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch darunter fallen, wobei aber an diesem Punkt noch unklar ist, ob es auch Leistungen der Jugendhilfe umfasst (man könnte es aber vermuten).

Die Weiterzahlung der Entgelte ist zwar noch nicht garantiert, aber das Land und die Kommunen möchten die vorhandenen Strukturen sichern (Strukturbildungsgebot?). Von daher wird empfohlen, dass alle Ausfallzeiten oder die Mehrbetreuungszeiten dokumentiert werden.

+++ Nachtrag vom 16.3.2020 +++

Gewerkschaften und Arbeitgeberverband pausieren mit den Verhandlungen zur neuen Tarifrunde 2020.

+++


Das Virus kommt näher

Grafik 2
Betrachtet man sich die Fallzahlen, die vom Robert-Koch-Institut (RKI) täglich veröffentlicht werden, erscheint das alles nicht sehr problembehaftet. Doch wenn man mal überlegt, dass es sich nur um die bestätigten Infektionen handelt, was glauben Sie wohl, wie viele Betroffene es wirklich gibt?

Da gibt es die unbestätigten Infektionen, die ganz bestimmt langfristig zu Bestätigungen werden. Da gibt es aber auch die nicht erfassten Fälle, die im Kommunikationsstrang von den örtlichen Behörden bis hinauf zum RKI einfach verloren gehen. Wie hoch dieser Fehler ist, wird sich noch zeigen müssen. Mittlerweile hat das RKI sein Berichtswesen umgestellt, um schneller die richtige Anzahl an Fällen zu publizieren (aber es dauert nach wie vor mit den Aktualisierungen). Mit dieser Maßnahme hat man vermutliche eine Fehlerquelle in der Vergangenheit abgestellt. 

Grafik 3
Doch weil jeder Infizierte ein potentieller „Spreader“ ist (ein „Gefährder“ im anderen Sinne), ist die Zahl der Betroffenen um ein Vielfaches höher. Mal angenommen, es hat einen engeren Kontakt zu vierzig, fünfzig anderen Menschen gegeben bis eine Quarantäne verhängt wurde, dann sprechen wir pro 1.000 Infizierter von 40 bis 50 Tausend weiteren Betroffenen. Deswegen muss man die bereits eingetretene Entwicklung als besorgniserregend erachten. 

Die nebenstehenden Grafiken basieren hauptsächlich auf den täglichen Meldungen des RKI. Daneben gibt es, sozusagen in Konkurrenz, eine Statistik des Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University (JHU). Die erkennbaren Abweichungen sind wahrscheinlich eher technisch bedingt und können vernachlässigt werden. Zurzeit kann man von einer gelungenen Eindämmung nicht sprechen – im Gegenteil: es hat sogar eine Beschleunigung gegeben am 12.3.2020 (Grafik 2).

+++ Nachtrag vom 14.3.2020 +++

Seit heute befinden sich die Menschen im Land definitiv im Krisen-Modus, aber nicht in Panik. Das ist schon mal gut. Wie sich die Zahlen jetzt weiterentwickeln werden, wo man großflächig Schulen und andere öffentliche Einrichtungen geschlossen sowie Versammlungen untersagt hat, wird mit großem Interesse beobachtet.

+++

Grafik 4
Erst wenn sich Zahl der täglich Infizierten ins Minus verkehrt, kann man von einem Erfolg sprechen. Bis dahin muss man leider konstatieren, dass es mittlerweile eine Person von (durchschnittlich) 35 Tausend Einwohnern treffen wird – wobei das natürlich nur ein deutschlandweiter Durchschnitt ist. Hoch-Risiko-Gebiet wäre zurzeit das Bundesland Bremen, gefolgt von Hamburg.


Was das für die Arbeit mit behinderten Menschen bedeutet

Vermehrt spricht man von Allgemeinverfügungen und Erlassen. Die jeweiligen Hoheitsträger empfehlen nicht mehr nur, sie verfügen jetzt Einschränkungen im sozialen Miteinander. Doch weil es Orte gibt, an denen anderen Menschen geholfen werden muss (z.B. Krankenhäuser, Pflegeheime und Wohnstätten für behinderte Menschen sowie Tagesstätten), sollen Arbeitgeber eine Risikoabwägung vornehmen zum Schutz der Arbeitnehmer. Und im besonderen Fall der sozialen Unternehmen als Dienstleister und Leistungserbringer in der Pflege und Behindertenhilfe wird noch ein wenig mehr erwartet.

Schon jetzt sind Nachbestellungen von Schutzmasken und Desinfektionsmitteln nicht möglich. Beispielsweise bemühen sich Leitungen von Wohnstätten zwar, ihre Bestände untereinander zu tauschen, damit alle im Fall des Falles ein wenig besser gewappnet sind. Doch es ist nicht so einfach. Die wichtigste Ressource wäre der Mensch vor Ort, der sich traut, den hilfebedürftigen Menschen zu helfen. Wie soll aber ein Arbeitgeber seine Mitarbeiter motivieren, einen Dienst auf sich zu nehmen, der womöglich mit einer gesundheitlichen Gefahr verbunden ist?

Ein Recht auf Leistungsverweigerung gibt es in dem Fall nicht, es sei denn, es ist augenscheinlich hoch riskant für Leib und Leben. Wenn Schutzbekleidung vorrätig ist, fehlt es am Grund dafür. Erkrankt der Mitarbeiter, ist der Arbeitgeber zur Übernahme der Lohnkosten verpflichtet – dazu finden sich im Infektionsschutzgesetz entsprechende Vorschriften. Vermutlich wird man seitens der Leistungserbringer die Quarantäne der Bewohner nicht favorisieren zum Schutze aller anderen. Vielmehr wird man erkrankte Bewohner gleich ins Krankenhaus verbringen.

Eine Lösung im Angesicht der UN-BRK erscheint es nicht zu sein. Doch was sonst kann getan werden?


Empfehlungen einer Task-Force in Hamburg

In „sensiblen Versorgungsbereichen“, wie eben Pflegeheime und Einrichtungen der Behindertenhilfe, muss man nach der Rückkehr aus einem Risiko-Gebiet an den Arbeitsplatz nicht 14 Tagen zuhause bleiben. Die Arbeitskraft des Rückkehrers wird gebraucht. Doch man sollte sich vorsichtshalber testen lassen und sehr bewusst auf mögliche Krankheitssymptome von sich oder bekannten Mitreisenden achten. Diese Sache mit den Risiko-Gebieten wird jedoch abnehmen.

Das Testen stellt nichtsdestotrotz eine Herausforderung dar, wenn Krankheitssymptome nicht sichtbar sind. Gesundheitsämter und Notdienste der Krankenversicherung sind derzeit hoffnungslos überlastet. Man arbeitet daran, dass im Stadtgebiet ganz spezielle Anlaufstellen eingerichtet werden für solche Tests. Diskutiert wird zum Beispiel die Idee, sogenannte „Drive-Thrus“ wie bei McDonalds auf großen Parkplätzen aufzubauen, damit eine Testung im Auto möglich ist. Selbsttests per Post oder Kurier wurden auch vorgeschlagen.

Sollte es zu Krankheitsausfällen in der Belegschaft kommen und man weicht im Bereich der Pflege von den vereinbarten Fachkraftquoten ab, soll dies natürlich nicht sanktioniert werden, so die Hamburger Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV).

Im Gegenteil: Es wird sogar überlegt, bei außergewöhnlich hohen Kosten für die Materialbeschaffung oder Personalausfällen eine finanzielle Entschädigung zu leisten. Dies betrifft aktuell jedoch nur die Leistungserbringer der Pflege, man kann eine Ausweitung auf die anderen Bereiche ganz bestimmt vermuten.

CGS




Notizen:

Zum Thema Sterblichkeit gibt es einen sehr interessanten Beitrag bei HEISE ONLINE.

Befasst man sich mit diesem Text, wird man schnell überrollt von den vielen Kennzahlen, die in der Wissenschaft genannt werden. In meiner Analyse habe ich mir schlichtweg die gemeldeten Todesfälle, die im bestätigten Zusammenhang mit der COVID-19-Erkrankung gesehen werden, verglichen mit den an das RKI gemeldeten Fallzahlen. Doch man kann auch andere Kennzahlen erarbeiten und darüber sprechen, um etwas anderes oder genaueres zu beschreiben. Wichtig zu verstehen ist aber, dass meine Kennzahl sich auf den gesamten Verlauf der Erkrankungs-Welle bezieht und somit nicht vergleichbar wäre mit Schätzungen, Dunkelziffern, dynamischen Abschätzungen oder zeitbezogenen Prozentwerten. Sie kann sich also deutlich unterscheiden von den anderen Kennzahlen.

Kolumnen-Beitrag bei HEISE ONLINE vom 10.3.2020, 13:37 Uhr
von Andreas Stiller


3,4 Prozent Fallsterblichkeit bei Corona meldet die WHO. Nicht nur der große Virus-Experte Trump bestreitet das, "that's a false number". Wer hat Recht?


  

Sonstige Quellen:



Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI)













Das hier ist keine Rechtsberatung oder Aufforderung zur Vornahme eines Rechtsgeschäftes. Der Beitrag stellt nur meine Sicht auf die Dinge dar. Brauchen Sie rechtliche Unterstützung, wenden Sie sich an die zuständigen Behörden, Sozial- und Betroffenenverbände oder rechtskundige Dritte. Lesen Sie bitte ebenfalls die Hinweise zum Rechtsstatus der Webseite, Urheberrechtsbestimmungen und Haftungsausschluss sowie die Datenschutzerklärung.

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