Sozialen
Unternehmen gelingt das nicht. Gerade weil ihre Entgelte nach dem
Selbstkostenprinzip ausgehandelt wurden, denn nach wie vor fehlt es an einem
Wagniszuschlag, sind freie Rücklagen mal eben so und in ausreichendem Maße
nicht vorhanden (mit Ausnahmen).
Mit anderen Worten:
Einrichtungen müssen angesichts der Krise erhalten bleiben.
Und wie das gelingen
soll, zeigt sich nachfolgend am Beispiel von Hamburg.
Der Bund schafft die gesetzliche Grundlage
Die Erbringung „fürsorgerischer
und sozialer Dienste“ wurde mit einem Gesetz-Entwurf, dass man für die
Absicherung sozialer Dienstleister ins Auge gefasst hat, am 24.3.2020 ins
Parlament gebracht und sehr schnell verabschiedet (vgl. dazu BT-Drucksache
19/18107 zum Gesetz für den erleichterten Zugang zur sozialen Sicherung und zum
Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Corona-Virus
SARS-CoV-2 – sogenanntes Sozialschutz-Paket bzw.
Sozialdienstleister-Einsatzgesetz, SodEG). Im Entwurfstext heißt es zum
Beispiel, dass die „pandemiebedingten Einschränkungen“ die Leistungserbringung
beeinträchtigen und sogar den „Bestand der sozialen Dienste und Einrichtungen
in diesem Zeitraum“ gefährden (S. 1).
Ebenfalls festgestellt wurde,
dass es „derzeit keine gesetzliche Grundlage“ gibt, „die es den
Leistungsträgern ermöglicht, ihre Zahlungen … fortzusetzen“. Und in der Tat ist
es ja so, dass gem. dem Erforderlichkeitsprinzip nur die Leistungen zu bezahlen
sind, die am leistungsberechtigten Menschen erbracht werden. Weil es aber
Allgemeinverfügungen in Hamburg gab (woanders wären es Landeserlasse), die die
Schließung verschiedener Standorte zur Folge hatte (z.B. Werkstätten für
behinderte Menschen, Beschäftigungsprojekte und Tagesförderstätten), wäre jetzt
eine unerträgliche Verlustsituation eingetreten für die Träger dieser
Einrichtungen (Leistungserbringer).
Folgerichtig wurde im Entwurf
des Gesetzes herausgestellt, dass „besonders schwer“ die freien
Wohlfahrtsverbände betroffen sind, weil sie „als gemeinnützige Träger – anders
als kommerzielle Anbieter – kaum Risikorücklagen bilden und … oftmals keine
Kredite aufnehmen“ können (S. 2). Kredite wären zwar eine Möglichkeit, um die
Strukturen und Angebote zu erhalten. Doch die Zinszahlungen und Tilgungen
müssten aus den Einnahmen bezahlt werden, in denen für solche Sachen keine
Wagnis- oder Risikozuschläge (Unternehmergewinne) einkalkuliert wären. Würde
man jetzt dafür keine Lösung finden, spätestens bei den nächsten Verhandlungen
zu einer auskömmlichen Vergütung würde man seitens der Leistungserbringer sehr
hart eine Entschädigung verlangen.
Konsequenterweise erkannte die
Bundesregierung somit an, dass diese Organisationen „nicht die für die
Wirtschaft vom BMF geplanten finanziellen Hilfen in Anspruch nehmen können. Ziel ist, dass die Leistungsträger im
Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeit den Bestand der sozialen Dienstleister in
diesem Zeitraum sicherstellen“ (S. 2; Fettdruck von mir). Und das zielt auf
das Strukturbildungsgebot im SGB IX ab.
Die Lösung des Bundes und die Umsetzung bei den
Ländern
Als Lösung findet sich somit:
„Die Leistungsträger sollen dafür ab sofort den Bestand der sozialen
Dienstleister sicherstellen“. (Leistungsträger sind in der Regel die in § 12
SGB I i.V.m. §§ 18 bis 29 SGB I aufgeführten Institutionen, für die
Eingliederungshilfe bestimmt dies § 28a SGB I; soziale Dienstleister wären dann
die vertraglichen Kontrahenten der jeweiligen Sozial-Leistungsbereiche)
Doch das Ganze erfolgt nicht
bedingungslos. Die zu schützenden Leistungserbringer sollen sich erklären und
„alle ihnen nach den Umständen zumutbaren und rechtlich zulässigen
Möglichkeiten [ausschöpfen], um zur Bewältigung der Auswirkungen der Pandemie
beizutragen“ (S. 3). Und dazu gehört zum Beispiel die Übernahme von Personal
aus Bereichen, die geschlossen werden mussten aufgrund der aktuellen Ansteckungsgefahren.
Die zuständigen Leistungsträger können zu einer Erklärung auffordern über die
konkreten Beiträge zur Krisenbewältigung. Und diese Beiträge sollen dem
sozialhilferechtlichen Erforderlichkeitsprinzip entsprechen: Geeignetheit,
Zumutbarkeit und rechtliche Zulässigkeit.
Es gibt also Grenzen, die man
als Leistungserbringer beachten kann / sollte. Nicht in jedem Unternehmen kann
mal eben so das Personal in andere Bereiche versetzt werden – dazu aber später
etwas mehr.
Ergibt sich also der Wille beim
Leistungserbringer, Hilfen / Unterstützungsleistungen zur Bewältigung der Krise
beisteuern zu wollen (z.B. weil die Tagesförderstätte geschlossen wurde und
damit Raum und Personal verfügbar wären, gleichzeitig aber eine
Verlustsituation eintritt), entsteht ein Sicherstellungsauftrag. Erst dann
werden die Leistungsträger in die Lage versetzt, „sachlich subsidiäre und
zeitlich begrenzte monatliche Zuschüsse“ an die Leistungserbringer zu leisten.
Weitere Punkte betreffen das Arbeitszeitgesetz,
dass per Verordnung in außergewöhnlichen Notfällen ausgesetzt wird, sowie die
Möglichkeit auf Weiterarbeit oder Wiederaufnahme einer Beschäftigung nach
Renteneintritt. Man kann dann auf Ehemalige zugehen, um wertvolles Fachwissen
und auch geübte Einsatzbereitschaft wiederzugewinnen. Um aber auch
kurzarbeitendes, jedoch fachfremdes Personal zu erhalten, soll als Anreiz die
Anrechnung auf das Kurzarbeitergeld für diesen Personenkreis bei einer
befristeten Beschäftigung in einem systemrelevanten Bereich verzichtet werden.
Man kann also sagen, dass die Bundesregierung den gesetzlichen Rahmen stark erweitert
für die Beschaffung von Ressourcen und für die dauerhafte Sicherung der
sozialen Strukturen – letzteres ganz im Sinne des bekannten
Strukturbildungsgebots.
Die Umsetzung der gesetzlichen Grundlage in Hamburg
Hamburgs Sozialbehörde
informierte am 30.3.2020 über das neue Sozialdienstleister-Einsatzgesetz
(SodEG) und fügte eine Sonder-Vereinbarung nach § 3 S. 6 SodEG an (dazu
gleich mehr).
Gemäß § 5 S. 1 zweiter Halbsatz
SodEG besteht die Möglichkeit nämlich, die Höchstgrenze für die Zuschusshöhe
höher festzulegen. Dieser Zuschuss ergibt sich aus § 3 und beträgt „höchstens
75 %“ von 1/12 der geleisteten Zahlungen in einem Jahreszeitraum vor dem
Zeitpunkt der Krankheitsbekämpfung (gem. BMAS wird aktuell der 16.3.2020 dafür
bestimmt). Oder anders gesagt, was im Jahr vorher tatsächlich gezahlt worden
ist von der Behörde, soll zu einem Monatsdurchschnitt gerechnet werden. Wäre
der Zeitraum kürzer, würde die Berechnung anteilig erfolgen. Diese Leistungen
wären zahlbar nach Antragstellung durch einen Verwaltungsakt oder, wie jetzt in
Hamburg geschehen, auf der Grundlage eines „öffentlich-rechtlichen Vertrages“.
Befristet ist das Ganze zum
30.9.2020, es sei denn, es findet eine Verlängerung bis zum 31.12.2020 statt.
Die „Hamburger SodEG-Vereinbarung“
bietet einen Zuschuss von 100 % der „durchschnittlich im Jahr 2019“ erbrachten
Leistungen an. Damit bezieht man sich im Grunde genommen auf das alte, mit dem
BTHG abgelöste, Vergütungssystem. Voraussetzung dafür ist aber eine Vereinbarung
nach § 123 SGB IX, was wiederum als eine formale Grundlage verstanden werden
kann. Effektiv geht es um die alten Gelder. Und weil die Tagesförderstätten und
ambulante Dienste Fachleistungen bezahlt bekamen, spielt diese Besonderheit
keine große Rolle.
Erster wichtiger Punkt daran
ist nun allerdings, dass die Leistungserbringer, die eine solche Hilfe erlangen
wollen, sich zuerst einmal verpflichten, ihr Personal und andere Sachmittel im
Zusammenhang mit der nicht vergüteten Leistung an anderer Stelle einzusetzen. Personal
soll gem. § 1 SodEG im Rahmen der arbeitsrechtlichen Regelungen für den Einsatz
woanders zur Verfügung gestellt werden. Die arbeitsrechtlichen Regelungen sind,
wie man erinnert, nunmehr erweitert worden – es braucht allerdings noch die
Freiwilligkeit der jeweiligen Arbeitnehmer. Vermittler dieser nicht benötigten
Ressourcen und möglicher angemeldeter Bedarfe soll eine
Fremdpersonal-Zeitarbeits-GmbH bzw. ein „Personalpool“ sein.
Zweiter wichtiger Punkt ist
der, dass der Erstattungsanspruch in Höhe des unabweisbaren Verlustes begrenzt
ist. Ein Leistungserbringer muss sich zuerst darum kümmern, „vorrangige Mittel“
geltend zu machen, um die eigene Krise bewältigen zu können. Die Vorrangigkeit
ergibt sich zum Beispiel daraus, dass eine Leistungserbringung „weiterhin
möglich“ ist und demzufolge auch entgeltlich abgerechnet werden kann trotz der
hoheitlichen Anordnung der Schließung. Im Prinzip geht es lediglich darum, dass
die Entschädigung keine doppelte Einnahme sein darf (§ 4 S. 1 Nr. 1 SodEG). Und
demzufolge müssen auch Entschädigungen nach dem Infektionsschutzgesetz berücksichtigt
werden (Nr. 2) wie auch Zuschüsse des Bundes und der Länder aufgrund anderer
gesetzlicher Regelungen (Nr. 4). Wird zudem Kurzarbeit angemeldet, wären die
Leistungen bzw. Einsparungen dann auch anzurechnen (Nr. 3).
Die Entscheidung daran teilzunehmen
Man kann das wie einen Tausch
ansehen. Was an Personal und Sachmitteln (auch Räume) nicht gebraucht wird,
soll dem Leistungsträger zur Verfügung gestellt werden. Dafür erhält der
Leistungserbringer einen Monatsdurchschnitt als Bezahlung (wird aber als Zuschuss
deklariert). Dieser Betrag wäre zu erstatten, wenn der Leistungserbringer von
anderer Stelle her entsprechende Vergütungen erhalten würde.
In den Bedingungen dieser
Sondervereinbarung findet sich genau dafür eine Verpflichtung (Ziffern 3 und 4
zu § 6 der Sonder-Vereinbarung). Das bedeutet wohl, dass man
Entschädigungsleistungen nach anderen Regelungen beantragen soll, was
verständlich ist. Doch soll man sich gezwungen sehen, Kurzarbeit anzumelden?
Strukturhilfen erhält man jedenfalls
dann, wenn die eigenen Ressourcen nicht anderweitig eingesetzt werden können.
Bei Kurzarbeit würde man diese Ressourcen aufgeben und bräuchte dann eigentlich
keinen Entschädigungsanspruch. Die Schwelle dafür ist ja nun auf 10 % des
Personals abgesenkt worden. Doch mit den ersten Überlegungen in dieser Richtung
begannen auf Seiten der Tarifparteien entsprechende Verhandlungen, die zum Ziel
hatten, einen ganz eigenen Tarifvertrag herzustellen. Im TV-L zum Beispiel käme
Kurzarbeit überhaupt nicht in Frage. Und damit wäre ein guter Grund für eine
Entschädigung gegeben, selbst wenn das eigene Personal nicht woanders
eingesetzt werden kann (doch dann bleiben ja noch immer die Räumlichkeiten und
Sachmittel).
Dieser Einsatz in anderen
Bereichen oder sogar bei ganz anderen Unternehmen wäre im Öffentlichen Dienst
keine Versetzung, sondern eine Abordnung. Wenn beispielsweise die
Tagesförderstätte geschlossen wurde, kann der Arbeitgeber ohne weiteres vom
Arbeitnehmer die Tätigkeit in einer Besonderen Wohnform / stationären
Einrichtung verlangen. Eine Abordnung ist nämlich eine zeitlich befristete
Tätigkeit in einer anderen Dienststelle oder einem anderen Betrieb (auch eines
anderen Arbeitgebers). Das Arbeitsverhältnis wird fortgesetzt, die Bezüge
verändern sich nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers (mit Ausnahme der
besonderen Zuschläge). Die Tätigkeit wäre die gleiche.
Die Glaubhaftmachung der
Bereitstellung wäre ausreichend, um die Entschädigungsleistungen zu verlangen. Monatlich
wäre ein Bericht anzufertigen.
CGS
Quellen:
BMAS
Einsatz und Absicherung sozialer Dienstleister
Soziale Dienstleister und Einrichtungen sind infolge der
Coronavirus-Pandemie von schwerwiegenden finanziellen Einbußen bis hin zur
Insolvenz bedroht. Die Beschäftigten, die sonst diese wichtige Arbeit leisten,
können jetzt in der Krise mithelfen.
(letzter Aufruf für alle Links am 3.4.2020)
Notizen:
1.
In früheren Jahren gab es ein sogenanntes
Strukturbildungsgebot (vgl. § 75 Abs. 2 S. 1 SGB XII-alt), in dem folgendes
stand: „Zur Erfüllung der Aufgaben der Sozialhilfe [als die Eingliederungshilfe
noch Bestandteil der Sozialhilfe nach dem SGB XII war, eig. Anmerkung] sollen
die Träger der Sozialhilfe eigene Einrichtungen nicht neu schaffen, soweit
geeignete Einrichtungen anderer Träger vorhanden sind, ausgebaut oder
geschaffen werden können.“
Nun heißt es in § 36 Abs. 1 S. 1 SGB IX: „Die
Rehabilitationsträger [das sind i.d.R. die öffentlichen Leistungsträger] wirken
gemeinsam unter Beteiligung der Bundesregierung und der Landesregierungen
darauf hin, dass die fachlich und
regional erforderlichen Rehabilitationsdienste und -einrichtungen in
ausreichender Anzahl und Qualität zur Verfügung stehen.“ (Fettdruck von
mir)
Siehe auch dazu meinen Beitrag vom 6.3.2016:
Das Strukturbildungsgebot abgeleitet für die
Eingliederungshilfe
2.
Die Deutsche Rentenversicherung hat ebenfalls ein
„bürokratiearmes“ Verfahren beschlossen, um ihrem Sicherstellungsauftrag unter
anderem in Bezug auf Bildungseinrichtungen und Werkstätten für behinderte
Menschen (WfbM) nachzukommen. Dazu gibt es ein Schreiben vom 1.4.2020 von der Abteilung
Versicherung, Rente und Rehabilitation – Service und Steuerung aus
Düsseldorf.
3.
In Schleswig-Holstein scheint es Beratungen für die
Eingliederungshilfe zu geben, die zur Stunde noch nicht abgeschlossen sind.
Das hier ist keine Rechtsberatung oder Aufforderung zur
Vornahme eines Rechtsgeschäftes. Der Beitrag stellt nur meine Sicht auf die
Dinge dar. Brauchen Sie rechtliche Unterstützung, wenden Sie sich an die
zuständigen Behörden, Sozial- und Betroffenenverbände oder rechtskundige
Dritte. Lesen Sie bitte ebenfalls die Hinweise
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