Und gleichzeitig diskutiert man schon über Möglichkeiten,
in der Behindertenhilfe wieder zurück zur Normalität zu kehren. Doch was ist
denn „Normalität“? Wie gelangt man da überhaupt wieder hin?
Schaut man sich die Vorschläge an, klingt es wie ein erster
Aufschlag, aber ohne Retournierung. Viele Fragen ergeben sich und können an
diesem Punkt nicht geklärt werden. Vielmehr müssen sie jetzt diskutiert werden,
auch wenn man an anderer Stelle die „Öffnungsdiskussionsorgien“ kritisiert.
Doch dabei geht es nicht in den Papieren, die jetzt im Umlauf sind. Vielmehr
will man einen Fahrplan hinbekommen, an den sich alle halten können. Sowas
bietet Orientierung und Planungssicherheit; das eliminiert das wilde
Spekulieren, was es noch Anfang März gegeben hatte.
Das ist Umsichtigkeit.
Arbeitsstand mit dem SodEG in Hamburg
Am 23.4.2020 vermeldete die
Hamburger Sozialbehörde, dass nun „mit fast allen Hamburger Leistungserbringern
der Eingliederungshilfe eine Vereinbarung gem.
Sozialdienstleister-Einsatzgesetz (SodEG) geschlossen hat“. In diesen Fällen
wird es zur Zahlung eines Zuschusses kommen:
-
für Betreuungsangebote
in besonderen Wohnformen (ehem. Stationäre Wohneinrichtungen),
-
für Einrichtungen nach
§ 134 SGB IX (Einrichtungen für Minderjährige),
-
für ambulante
Wohnangebote (jetzt Wohnen mit Assistenzbedarf),
-
und für die Leistungen
„Ambulante Sozialpsychiatrie (ASP)“ und „Teilhabe im arbeitsrechtlichen Kontext
(TaK)“.
Der Zuschuss basiert auf den „laufenden
Bewilligungen mit den für 2020 vereinbarten Kostensätzen“, so dass die
Leistungserbringung abgesichert ist. Das bedeutet aber auch, dass jeglicher
Mehrbedarf damit nicht abgerechnet werden kann. Und das Ganze bekommt den Hauch
eines „Trägerbudgets“.
Im Falle der teilstationären
Hilfen (z.B. WfbM, Tagesförderstätte und Beschäftigungsprojekte) sowie allen
ambulanten Leistungen (aber nicht die Monatspauschalen der AWG-Leistungen)
beläuft sich der Zuschuss auf einen Durchschnitt der geleisteten Zahlungen des
Jahres 2019. Man schaut hier nicht auf die jetzige Leistungserbringung, sondern
rein auf die Beträge des Vorjahres.
Diese Regelungen greifen auch
für „auswärtige Leistungsberechtigte, die Angebote eines Hamburger
Leistungserbringes wahrnehmen“, erklärt die Hamburger Sozialbehörde, da die Hamburger
Vereinbarungen für „alle übrigen Träger der Eingliederungshilfe bindend“ sind
(§ 123 Abs. 2 S. 1 SGB IX).
Arbeitsstand mit dem SodEG in Schleswig-Holstein
Im nördlichsten Bundesland geht
es jetzt ein wenig mehr zur Sache. Aktuell ist ein Entwurf für ein Gesetz im
Umlauf, dass unter anderem das „Finanzausgleichsgesetz aufgrund der Corona-Pandemie“
einführen will (es werden übrigens sehr viele Themen in diesem Entwurf
behandelt, aber es geht an dieser Stelle um das Gesetz zur Ausführung des
Sozialdienstleister-Einsatzgesetzes, nachfolgend auch als SodEG-Ausführungsgesetz
bzw. SodEG-AusfG abgekürzt).
In § 1 werden die
Zuständigkeiten und die Aufgabenwahrnehmung bestimmt. Wesentlicher Punkt ist
hier, dass nach Abs. 2 S. 2 bei der Ausführung des Gesetzes „Einvernehmen“
hergestellt werden muss zwischen den Kommunen und dem Sozialministerium. Damit
soll dem Ideenreichtum und der Verschiedenartigkeit mancher
Vorschriften-Auslegungen in den Kreisen, wie man es schon in der Vergangenheit
immer mal wieder erleben musste, ein Riegel vorgeschoben werden. Oberstes Ziel
ist nun mal die Krisenbewältigung. Und somit kann das Sozialministerium
(erneut) „im Einvernehmen“ mit dem Finanzministerium „abweichende Höchstgrenzen“
für soziale Dienstleistungen in der Eingliederungshilfe bestimmen (§ 2).
In § 3 SodEG-AusfG ist klar
geregelt, dass das Land den Kreisen und kreisfreien Städten für die Zeit ab dem
16.3.2020 die Ausgaben für Zuschüsse erstattet. Die Erstattungen beziehen sich
auf Leistungen nach dem SGB IX und SGB XII. Zuschüsse nach dem SGB VIII
(Jugendhilfe) finanzieren die „örtlichen Träger in eigener Zuständigkeit“. Erstattet
werden vom Land nur die Mehrausgaben, weil die Erstattungsansprüche, die sich
aus § 4 dann ergeben würden, nicht erstattungsfähig sind. Diese Krux löste man
in Hamburg damit, dass man eine Trägervereinbarung über bereitzustellende
Räumlichkeiten, Sachmittel und sogar Personal formulierte. Durch die erklärte
Eigenverpflichtung der Leistungserbringer konnten diese teilweise abschlagsfrei
Zuschüsse gewinnen.
Die Kreise und kreisfreien
Städte sollen ihre Ausgaben nun differenziert nachweisen und die Richtigkeit
durch die örtliche Rechnungsprüfung bestätigen lassen (§ 12b Abs. 3
Ausführungsgesetz SGB IX bzw. § 8a Ausführungsgesetz SGB XII und weitere
Änderungen im KiTaG / KiTa-Reform-Gesetz, aber mit anderslautenden Vorgaben mit
Einbeziehung des Finanzausgleichsgesetzes-SH).
Damit verbleibt jetzt die
Frage, zu welchen Mehrausgaben es kommen wird.
Zurück zur (neuen) Normalität in Schleswig-Holstein
Die Fallzahlen entwickeln sich stetig
zurück. Und schon seit einiger Zeit kann man sehen, dass die Zahl der Genesenen
die der Neu-Infizierten deutlich übersteigt. Man kann also davon sprechen, dass
die Krise sich einem Ende nähert, auch wenn mancherorts noch mit einer „zweiten
Welle“ gerechnet wird. Das verstehen die Beteiligten und wollen auch nicht die
Schutzmaßnahmen wieder ganz abschaffen. Vielmehr will man überlegen, wie eine
Öffnungsphase und die „neue“ Normalität gestaltet werden können.
Die Öffnungsphase soll einen
Vorlauf von zwei Wochen beanspruchen. In diesem Zeitraum soll die Informierung
sachte und zuvorkommend passieren, gleichzeitig braucht man diese Zeit für eine
umfassende Vorbereitung im Hinblick auf Hygiene-Planung,
Personaleinsatz-Planung und Absprachen mit anderen Stellen. Zu bedenken ist
nämlich, dass in vielen Fällen Kurzarbeit (z.B. Schulbegleiter) beantragt wurde und damit die
Kapazitäten abgesenkt wurden. Dies muss schrittweise rückgängig gemacht werden.
Während in den Tagesangeboten
die Kapazitäten wieder gestärkt werden, muss in den besonderen Wohnformen, in
denen man zuletzt die leistungsberechtigten Personen ganztägig betreute, ein
Kapazitäts-Abbau erfolgen. Bei einer schnellen Umstellung können
Ermattungstendenzen eintreten, ebenso ist ein geregelter Abbau von
Mehrarbeitsstunden erforderlich („nicht alle gleichzeitig“).
Die Öffnungsphase selbst könnte
sechs Wochen Zeit beanspruchen. Überlegt wird, ob man hier eine flexible,
einrichtungsindividuelle Gestaltung vornimmt. Denkbar wäre aber auch, dass ein
Zeitfenster von zwei Wochen vereinbart wird, in denen die Rückkehr zur
Normalität geschehen muss.
Die altbekannte Normalität wird
es vielleicht nicht mehr geben. Gerade weil es jetzt enorme Anstrengungen
kostete, die Leistungserbringung zu sichern, müssen Einrichtungen und das
Bundesland für den nächsten Fall Vorsorge treffen. Und das bedeutet, dass
sämtliche Hygiene- und Schutzpläne überarbeitet werden müssten (siehe dazu auch
meinen Beitrag zur betrieblichen Pandemieplanung). Um also dahin zu kommen,
dass man vorbereitet ist für eine mögliche zweite Welle oder eine erneute
pandemische Erkrankungswelle, werden Investitionen nötig sein. Als Zeitrahmen
werden im Moment „mindestens“ 12 Monate angedacht, doch eigentlich müsste schon
in sechs Monaten der Entwicklungsprozess abgeschlossen sein.
Viele Fragen, die noch zu klären sind
Was es bisher so nicht gab,
waren spezielle Quarantäne- und Isolationslösungen auf breiterer Fläche. Gerade
weil die Ansteckungsgefahr in den alten Heimen aufgrund der Nähe zueinander
sehr groß ist, müssten einerseits Wohnräume „entzerrt“ und weiter „verzweigt“,
andererseits das ambulante Wohnen viel stärker gefördert werden. Dort, wo das
nicht möglich ist, wären isolierende Strukturen einzubauen (Beispiel:
Feuerschutztüren). Dass das aber sehr stark an dem Schutz der Menschen-Würde
kratzt, müsste im Einzelfall gut überlegt und besprochen werden. Von daher ist
dringend die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit öffentlichen Stellen und Interessenverbänden
angeraten.
Denkt man das jetzt weiter,
wird man sicherlich auf den Moment der „Auslösung“ kommen. Was wäre also, wenn
ein Verdachtsfall ausgesprochen wird und die Schutzkonzepte ausgelöst werden?
Was würde sein, wenn die isolierenden Strukturen plötzlich aktiviert werden?
Wer würde das tun, wer würde reagieren müssen, wie schnell würde man reagieren
und würde man die Angehörigen der isolierten Menschen informieren? – Die Einrichtungsleitungen
wären wahrscheinlich diejenigen, die die Isolation nach bestimmten Kriterien
veranlassen. Die Gesundheitsämter müssten dann entsprechend ausgestattet sein
mit Personal und anderen Ressourcen, um die Veranlassungsgründe zu prüfen. Die
Angehörigen müssten sofort Bescheid erhalten und in Kontakt treten können mit
dem eingesperrten Menschen.
Und wenn jemand keine
Angehörigen mehr hat? Wer kümmert sich dann?
Wird es wieder zu Betretungs-
und Besuchsverboten kommen, wenn den betroffenen Menschen ihre grundgesetzlich
geschützten, aber nicht mehr gewährten, Freiheitsrechte entzogen wurden?
Ist es richtig, sterbenden
Menschen ihren letzten Willen zu verweigern? Den letzten Blick auf die
Liebenden zu verwehren?
CGS
SoD = Soziale Dienstleister
Das hier ist keine Rechtsberatung oder Aufforderung zur
Vornahme eines Rechtsgeschäftes. Der Beitrag stellt nur meine Sicht auf die
Dinge dar. Brauchen Sie rechtliche Unterstützung, wenden Sie sich an die
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Den Schutzschirm für SoD soll es auch in
Schleswig-Holstein geben