Montag, 6. April 2020

Der Schutzschirm für die Behindertenhilfe (Forts.)

Im Sozialdienstleister-Einsatzgesetz (SodEG) hatte man einen Zuschuss als Strukturhilfe im Rahmen eines Sicherstellungsauftrags definiert. Und zeitgleich auch klar gestellt, dass dieses Geld nicht „doppelt“ zur Auszahlung kommt. Es handelt sich um eine nachrangige Hilfe, die zurückzuzahlen wäre, wenn von anderen Stellen ebenfalls Entschädigungszahlungen geleistet worden sind, zum Beispiel solche nach dem Infektionsschutzgesetz oder Einsparungen aus Kurzarbeitergeld (§ 4 S. 1 Nr. 1 bis Nr. 4 SodEG).

Und an dieser Stelle tun sich vier Rückfragen auf.


Ist man als sozialer Dienstleister, der eine solche Strukturhilfe beziehen will (aus welchen Gründen auch immer), verpflichtet, vorrangige Mittel einzutreiben?

Grundsätzlich ja. Doch aufgrund der akuten Krisenbewältigung kann kein Leistungsträger erwarten, dass jetzt entsprechende Aktivitäten zur Sicherung solcher Leistungen von dritter Seite her verfolgt werden. Das Versäumen von Fristen wäre von daher durchaus begründet.

Ein Leistungsträger könnte von sich aus auf die Einholung solcher vorrangigen Mittel hinweisen und damit einem späteren „Das haben wir nicht wissen können“ begegnen können. Das wäre dann rechtssicherer für den Leistungsträger. Und es wäre hilfreich für den Leistungserbringer, denn er kann dann ganz gezielt, ohne weitere Recherche, die vorgetragenen Quellen abfragen.

Wichtig ist aber, dass man aufgrund der Landeserlasse und Rechtsverordnungen Einnahmeausfälle hat und zur Bewältigung der Krise etwas beitragen will. Was beizutragen wäre, muss für den sozialen Dienstleister zumutbar und rechtlich zulässig sein. Man müsste konkret benennen, wie man unterstützen will, z.B. mit Arbeitskräften, Sachmitteln und Räumlichkeiten. Und mit der konkreten Benennung würde man die Glaubhaftmachung fördern, die dann von einem Leistungsträger nicht penibel überprüft werden soll.


Muss man Kurzarbeit anmelden, um diese Strukturhilfen zu erhalten?

Ein sozialer Dienstleister kann bei einem Arbeitsausfall einen „Kurzantrag auf Kurzarbeitergeld (Kug) und pauschalierte Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge für die Bezieher von Kug für die Geltungsdauer der Kurzarbeitergeld-VO“ bei der Bundesagentur für Arbeit stellen. Dies würde insbesondere dann schon möglich sein, wenn ein Beschäftigungsprojekt oder eine Tagesförderstätte komplett geschlossen wären aufgrund der staatlichen Schutzmaßnahmen. Doch Voraussetzung für die Antragstellung sind folgende Bedingungen:

-        In einem Tarifvertrag findet sich eine Regelung zur Kurzarbeit. Fehlt es dagegen an einer solchen Regelung oder unterliegt der soziale Dienstleister nicht unmittelbar einem Tarifvertrag, braucht es…

-        eine Betriebsvereinbarung (§§ 77 Abs. 2 und 4, 87 Abs. 1 Ziffer 3 BetrVG), damit eine einheitliche Regelung zur Anordnung von Kurzarbeit im Betrieb erfolgen kann. Der Betriebsrat ist hier mitbestimmungspflichtig. Fehlt es an einer solchen Grundlage, braucht es…

-        eine Vereinbarung mit dem einzelnen Arbeitnehmer. Dieser müsste also der Kürzung der Arbeitszeit und der damit verbundenen Lohnkürzung zustimmen. Wenn eine solche Vertragsänderung aber nicht möglich ist, muss …

-        die Änderungskündigung ausgesprochen werden. Doch in einem solchen Fall sind die üblichen Kündigungsfristen zu beachten, wenn nicht sogar noch weitere Besonderheiten, wie zum Beispiel bei schwerbehinderten Arbeitnehmern.

Es kann zwar nun sein, dass der Zuschuss einen möglichen Zufluss an Kurzarbeitergeld berücksichtigt und deswegen gemindert worden ist. Doch wenn es zum Zeitpunkt der Antragstellung die o.g. Hinderungsgründe gibt, wäre es eine unzulässige Kürzung. Oder drastischer gesagt: Die Kürzung des Zuschusses ohne Anerkennung der Hinderungsgründe des sozialen Dienstleisters wäre nicht im Sinne des Sicherstellungsauftrages, der mit Hilfe des SodEG bewerkstelligt werden muss.

Das BMAS hatte bereits mit der Festlegung der „75 %“ im § 3 SodEG pauschal die Inanspruchnahme von anderen, vorrangigen Mitteln unterstellt. Die Länder können jedoch von dieser Höchstgrenze abweichen, wenn „bestimmte typisierend Annahmen“ oder „die Kenntnis der örtlichen Umstände“ eine ganz andere Entschädigungshöchstgrenze nahelegen. In Hamburg war es das Fehlen einer tariflichen Einigung zur Kurzarbeit.

Strukturhilfen sind aber nicht zwingend an einen Antrag auf Kurzarbeit gekoppelt. In § 1 SodEG heißt es:

„Die Gewährung von Zuschüssen nach diesem Gesetz ist davon abhängig, dass der soziale Dienstleister mit der Antragstellung erklärt, alle ihm nach den Umständen zumutbaren und rechtlich zulässigen Möglichkeiten auszuschöpfen, um Arbeitskräfte, Räumlichkeiten und Sachmittel in Bereichen zur Verfügung zu stellen, die für die Bewältigung von Auswirkungen der Coronavirus SARS-CoV-2 Krise geeignet sind. In der Erklärung nach Satz 1 hat der soziale Dienstleister Art und Umfang dieser zumutbaren und rechtlich zulässigen Unterstützungsmöglichkeiten anzuzeigen und seine tatsächliche Einsatzfähigkeit glaubhaft zu machen.“ (Fettdruck von mir)


Was wäre, wenn das eigene Personal sich weigert, mitzuwirken bei der Krisenbewältigung?

Man muss schon zuerst einmal hinterfragen, ob das eigene, frei einsetzbare Personal verfügbar, qualifiziert und nicht selbst Teil einer Risikogruppe wäre für den Einsatz an einem anderen Ort. Wenn dies alles kein Problem ist, stellt sich die Frage, ob der Arbeitnehmer das überhaupt will. Zwingen kann man die Menschen ja nicht.

Der Einsatz in anderen Bereichen oder sogar bei ganz anderen Unternehmen wäre im Öffentlichen Dienst keine Versetzung, sondern eine Abordnung. Gemäß TVöD-VKA wäre eine Abordnung „die Zuweisung einer vorübergehenden Beschäftigung bei einer anderen Dienststelle oder einem anderen Betrieb desselben oder eines anderen Arbeitgebers unter Fortsetzung des bestehenden Arbeitsverhältnisses“ (Protokollerklärung zu § 4 Abs. 1). Der Arbeitnehmer würde weiterhin sein Entgelt erhalten (dazu aber gleich noch ein Wort), der abgebende Arbeitgeber würde entweder den Zuschuss nach §§ 3 und 4 SodEG erhalten, der annehmende Arbeitgeber hätte seine Krise damit bewältigt.

Und daran sieht man schon, dass ein Arbeitsverhältnis, welches unter dem Dach dieses Tarifvertrags geschlossen wurde, genau diese Direktive gegenüber dem Arbeitnehmer ermöglicht. Der Arbeitgeber könnte es so bestimmen, dass beispielsweise ein Mitarbeiter der Tagesförderstätte nunmehr in einer stationären Einrichtung (vielleicht sogar eines anderen Arbeitgebers) zum Einsatz kommt. Es sei denn, es gibt besondere Gründe, die das verhindern (siehe oben noch einmal).

Das Arbeitsverhältnis würde fortgesetzt werden, die Bezüge des Arbeitnehmers dürften sich nicht verschlechtern. Man könnte jetzt sogar behaupten, dass sich die Bezüge verbessern würden, weil erstens nach dem Tarifvertrag (aber nur für TVöD-VKA bzw. TV-L) eine Heimzulage zu gewähren ist, wenn in einer stationären Einrichtung die Tätigkeit fortgesetzt wird. Und zweitens ein Tag-Dienstler bei einer Tätigkeit im Schichtbetrieb einen Anspruch auf Wechselschicht- oder Schichtzulage hätte. Dies aber nur, wenn der Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag mit Tarifbindung hat.


Muss man als überlassender Arbeitgeber nicht doch ein Entgelt verlangen?

Arbeitnehmerüberlassungen sind eigentlich eine umsatzsteuerpflichtige Leistung. Selbst wenn die Überlassung entgeltfrei vereinbart worden ist, handelt es sich um eine Wertabgabe, die umsatzsteuerrechtlich zu berücksichtigen ist (Ziffer 10 der Häufigen Fragen zum SodEG, BMAS, vom 30.3.2020). Und weil sich die Umsatzsteuerpflicht auch auf den leistenden Unternehmer erstreckt, entsteht an dieser Stelle ein potentielles, weiteres Schadensereignis, welches den Zuschuss des Leistungsträgers erhöhen müsste.

Gemeinnützige Unternehmen, die dagegen steuerbefreit sind, könnten sich auf die Befreiung in § 4 Nr. 18 UStG berufen, wenn die Arbeitnehmerüberlassung nicht systematisch erfolgte und eine Gewinnerzielungsabsicht nicht zu vermuten ist. Die erbrachten Leistungen richten sich ja schließlich auf die Sozialfürsorge und die soziale Sicherheit von hilfebedürftigen Menschen, so dass mit einer umsatzsteuerlichen Behandlung von Entschädigungsleistungen nicht auszugehen ist.

CGS




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