Mittwoch, 26. April 2023

Eine kurze Nachlese zur vergangenen Tarifrunde im Öffentlichen Dienst

Am Tag danach reibt man sich schon ganz erstaunt die Augen. Was da passiert ist, steht irgendwie nicht im Einklang mit dem, was man eigentlich so erwartet hatte. War es das oder kommt da noch was? Die Gewerkschaften einigten sich jedenfalls mit den Arbeitgebern, weil man vielleicht mit der Befürchtung umgehen musste, hohe Steigerungen würden sich auf die Preise durchschlagen – die Inflation würde nicht zum Stillstand kommen, sozusagen.

Eine sogenannte Lohn-Preis-Spirale ist durchaus denkbar. Aber lässt sie sich aus den vorhandenen Daten irgendwie ableiten? Oder muss man vielleicht sogar eingestehen, dass es nicht wirklich eine Kopplung dieser beiden Dinge gibt?  


Ist das Tabellenentgelt wirklich so entscheidend?

In den nächsten Tagen wird es redaktionelle Verhandlungen geben, um die großen Entscheidungen nun in klare Worte und Werte zu fassen. Und zusätzlich noch wird sich die Hamburger Linie der Tarifpartner in separate Verhandlungen auf regionaler Ebene verstricken müssen, weil es in den Entgelttabellen der Hamburger Version (TV-AVH) etwas andere Zahlen gibt. Es braucht also Zeit, bis man damit arbeiten kann. An manchen Stellen könnte man sich wiederum etwas mehr Zeit lassen, weil zuerst der Inflationsausgleich (§ 3 Nr. 11c EStG) gezahlt wird und dann im kommenden Jahr die Tabellenentgelte steigen werden. Aber dem wird nicht so sein: schon bald braucht es eine gemeinsame Grundlage fürs Handeln.

Überhaupt liegt das mit der linearen Steigerungsrate vielen im Magen. Dass die Laufzeit des Ganzen 24 Monaten beträgt und die Verhandlungen der Tarifrunde 2025 wieder ein knappes halbes Jahr beanspruchen könnten, ist wie Salz in der Wunde. Das Schlagwort der „Nullrunden“ macht da schon die Runde. Gesetzt den Fall, dass es Mitte 2025 wieder eine neue Steigerung geben wird, wo steht die Inflation, fragt man sich – doch dann sollte man sich zuvor die Frage stellen, ob es nun in den Vorjahren überhaupt eine Reallohnerhöhung oder sogar Vernichtung gegeben hat?

Und genau mit diesem letzten Punkt geht es in die Schwierigkeiten, denn das Tabellenentgelt, um das ständig gerungen wird, macht vielleicht nur 70 % des Gehalts aus: der Rest setzt sich zusammen aus Zuschlägen und Zulagen. Diese Extra-Entgelte muss man sich zwar erarbeiten, und in mancher Ausgestaltung handelt es sich durchaus um Festbeträge, wie z.B. die altbekannte Schichtzulage (§ 8 Abs. 6 TVÖD-B-VKA. Es gibt daneben allerdings auch Prozente von einem Stundensatz und andere Zusätze, und seit Mitte letzten Jahres zudem etwas ganz Neues: SuE-Zulage über 130 oder 180 Euro je Monat und Vollzeitstelle (§ 15 Abs. 2.4 TVÖD-B-VKA). Das sind eher „verdeckte“ Lohnerhöhungen, die so ganz und gar nicht in den verschiedenen Vergleichsrechnungen auftauchen; höchstens in den Vergütungsverhandlungen, wo kräftig über eine daraus resultierende Steigerungsrate gestritten wird (130 Euro bei einer S8b Stufe 3 in 2022 = 3,8 %).


Wie verhalten sich Lohnsteigerungen und Verbraucherpreise?

Nichtsdestotrotz kann man darüber hinwegschauen, weil so etwas nicht andauernd oder regelmäßig passiert; so etwas kann man als eine Art „Grundrauschen“ wegdenken. Interessant ist der Vergleich der Tabellenentgelte der letzten Jahre. Am 3.3.2021 lag das Tabellenentgelt einer S8b Stufe 3 bei monatlich 3.351,85 Euro. Ein Jahr später, am 1.4.2022 waren es 3.463,08 Euro (+ 3,3 %). Am 1.3.2024 geht es weiter auf voraussichtlich 3.803,08 Euro (+ 9,8 % zum 1.4.2022).

Ganz anders die Entwicklung der Verbraucherpreise (VPI). Laut dem statistischen Bundesamt stieg der Index vom März 2021 zum April 2022 von 102,1 auf 108,8 Punkte (+ 6,6 %). Bis heute stieg der Index sogar auf 116,1 Punkte, was von daher die Forderungen der Gewerkschaften untermauert und den Inflationsausgleich bestätigt. Die weitere Entwicklung wird zwar nun zur Spekulation, aber glaubt man einigen Finanzexperten, wird sich in 2023 die Teuerung um weitere 5 bis 6 Prozent erhöhen (d.h. von 113,2 im Dezember 2022 auf geschätzte 118,9 bis 120,0 Punkte). Für das Jahr 2024 wird die Teuerung auf 2 bis 4 Prozent geschätzt (d.h. im besten Fall würden die 118,9 nur um 2 % auf 121,3 Punkte steigen, im schlechtesten Fall wären es die 120,0 plus 4 % = 124,8 Punkte).

Zwei Erkenntnisse kann man daraus schon ziehen. Erstens steigen die Löhne (der Entgeltgruppe S8b Stufe 3) in diesem Vergleichszeitraum um 13,5 % (17,3 % inkl. SuE-Zulage), die Inflation würde dagegen schon 22,2 % betragen. Zweitens sieht man an den Steigerungen zu den jeweiligen, markanten Daten nicht wirklich eine Kopplung: in 2021-2022 waren es 3,3 % bei den Löhnen und 6,6 % beim VPI, in 2022-2024 sprechen wir von 9,8 % (13,6 % inkl. SuE-Zulage) bei den Löhnen bzw. 11,5 bis 14,7 % beim VPI. Dieser kurze Vergleich zeigt meines Erachtens, dass es nicht allein die Löhne sind, die die Verbraucherpreise nach oben drücken (vgl. auch einen Meinungs-Beitrag vom MDR, Quelle unten). Vielmehr sind die Tarifbeschlüsse verglichen zur Teuerung ein „Bodensatz“. Was sich wiederum an den Börsen zeigt, sind beispielsweise recht hohe Gewinne bei verschiedenen Nahrungsmittelherstellern (siehe dazu den Vermerk weiter unten) oder der Rückgang bei einigen Rohstoffen (z.B. Soja, Weizen, Baumwolle, Kaffee, Holz; bei Zucker, Kakao und Orangen-Saft verteuern sich dagegen). Diese Sache mit der Lohn-Preis-Spirale verfängt jedenfalls bei mir nicht.

Was könnte aber nun passieren im Oktober 2024, wenn die Gewerkschaften die nächste Tarifrunde angehen? Wird man wieder mit 10 Prozentpunkten daherkommen? Oder bescheidet man sich und vereinbart magere 2 Prozente und denkt sich eine neue Zulage aus? Sekundär-Effekte könnte es zumindest dann geben, wenn die Inflation endlich an Fahrt verliert und die Tarifabschlüsse (wirklich weit) darüber liegen.

Was könnte passieren in der nächsten Tarifrunde um den TV-L? – Nach dem Tarifabschluss ist vor dem Tarifabschluss!

CGS

 

 

Quellen:

 

Der Mythos der Lohn-Preis-Spirale

von Torben Lehning, Hauptstadtkorrespondent MDR AKTUELL

Stand: 26. März 2023, 05:00 Uhr

 

Tagesschau vom 25.4.2023

Marktbericht von den Börsen

„Der Nahrungsmittelriese Nestlé macht dank Preiserhöhungen Kasse. Der Umsatz kletterte im ersten Quartal um 5,6 Prozent auf 23,5 Milliarden Franken. Das organische Wachstum lag bei 9,3 Prozent. Dabei habe die Tierfuttermarke Purina am meisten zum Wachstum beigetragen, ebenso Kaffee und Süßwaren. Die Preise erhöhte der Konzern über die gesamte Gruppe hinweg um 9,8 Prozent.

Die Fastfoodkette McDonald's hat zum Jahresauftakt weltweit mehr umgesetzt als erwartet. Der Gesamtumsatz wuchs im ersten Quartal um vier Prozent auf fast 5,9 Milliarden Dollar, wie der Dow-Jones-Konzern vor Börsenbeginn mitteilte. Analysten hatten einen Rückgang um 1,4 Prozent auf 5,6 Milliarden Dollar prognostiziert. Die Burgerkette setzte auf höhere Menüpreise und mehr Kundenbesuche, wodurch sie ihren Gewinn auf 1,8 Milliarden Dollar steigern konnte - im Vorjahr stand ein Plus von 1,1 Milliarden Dollar zu Buche. Das in Chicago ansässige Unternehmen strukturiert derzeit seine Organisation um, wodurch Hunderte von US-Angestellten ihren Job verlieren.“

 

Prognose der Inflationsrate in Deutschland bis 2024

Veröffentlicht von Statista Research Department, 05.04.2023

„Laut der Gemeinschaftsdiagnose der führenden Wirtschaftsinstitute in Deutschland wird die Inflationsrate im Jahr 2023 rund 6 Prozent betragen. Die Wirtschaftsinstitute rechnen mit einem Preisauftrieb durch staatliche Entlastungsmaßnahmen und Lohnanpassungen. Für das Jahr 2024 wird mit einer niedrigeren Inflationsrate von 2,4 Prozent gerechnet.“

 

Letzter Aufruf der Quellen am 26.4.2023

 

 

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