Freitag, 16. August 2024

Die Anschlussfähigkeit von Leistungen im Sozialrecht

In einer kleinen Runde von Leistungserbringern ging es erneut um das Wiederaufstehen der Rechtsverordnung nach § 131 Abs. 4 SGB IX für das Bundesland Schleswig-Holstein (kurz LandVO). Man sieht in der Kündigungsklausel im Entwurf des Landesrahmenvertrags eine Gefährdung der Anschlussfähigkeit von Leistungen zur Sozialen Teilhabe. Was es mit der Anschlussfähigkeit wirklich auf sich hat, wollte ich etwas näher betrachten. Dass so etwas als Argument taugt, ist meines Erachtens eher zweifelhaft – dazu reicht schon die Debatte aus dem letzten Beitrag (siehe Quellenangabe unten).

Trotzdem kann man sich mit der Frage einmal befassen und einen Blick herum werfen. Diese Idee des Anschlusses taucht nämlich an manchen Stellen im SGB IX auf. Ganz besonders interessant ist da eine Verwendung in Bezug auf die Leistungen im Arbeitsbereich, zumal dort die Idee der Durchlässigkeit auftritt. Über so manche Störungen (des Anschlusses) gibt es ebenfalls was zu berichten / zu wiederholen. Und wenn man sich dann wieder auf den Landesrahmenvertrag besinnt, findet sich ein Weg zurück zum Argument von oben, allerdings klingt es besser.

 

Nahtlose Versorgung und Teilhabe

Bei der Anschlussfähigkeit ist im Grunde genommen der Wechsel von Ansprüchen aus einem Bereich an Leistungen (z.B. Berufsbildung; § 57 SGB IX) in einen anderen Bereich (z.B. Arbeit; § 58 SGB IX) gemeint. Leistungsberechtigte Menschen, die beispielsweise am Übergang von der Schule in den Beruf stehen, sollen gemäß § 58 SGB IX eine Rechtsanspruch zuerkannt bekommen, wonach ihnen weiterhin soziale Leistungen zustehen. Die Leistungsberechtigung entsteht in diesem Fall allerdings erst dann, wenn einige besondere Faktoren nicht eingetreten sind und wenn „wenigstens ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung“ von den Menschen erbracht werden kann (vgl. dazu Abs. 1 S. 1). Die Anschlussfähigkeit wird an dieser Stelle näher konkretisiert, was also zeigt, dass zwei Leistungsbereiche auf diese Weise zu einer nahtlosen Versorgung oder Teilhabe führen.

Bei diesem Passus ist übrigens auch sehr schön die Durchlässigkeit geregelt worden, da der Rechtsanspruch auf Leistungen im Arbeitsbereich gewährt werden müssen, wenn wegen Art und Schwere der Behinderung die Beschäftigung und weiteres „nicht, noch nicht oder noch nicht wieder in Betracht kommt“. Der Gesetzgeber hat damit also Vorsorge getroffen, dass derartige Leistungen zu späteren Zeiten ebenfalls möglich sind. Zwar müssen die tatsächlichen Gründe vielleicht näher erforscht werden, sofern es einen Wechsel vom ersten Arbeitsmarkt in die Werkstatt für behinderte Menschen geben soll, aber es findet sich in dieser Regelung keinen Grund für den Ausschluss.

Mit dem Prinzip der Anschlussfähigkeit soll es keine Versorgungslücken geben. Die Lebensqualität darf nicht gestört werden, oder sie darf nicht in unverhältnismäßiger Weise beeinträchtigt werden (ein Beispiel: eine Wartezeit von bis zu vier Wochen bei ergänzenden Leistungen zum Lebensunterhalt wäre wiederum hinzunehmen; § 69 SGB IX). Störungen kann es allerdings immer wieder geben, weil nun mal das Dreiecksverhältnis zwischen Leistungsträgern, Leistungserbringern und den beeinträchtigten Menschen vorhanden ist. Irgendwo und irgendwie kann das Ziel auf nahtlose Versorgung schlicht und ergreifend verfehlt werden.

 

Störung der Anschlussfähigkeit

Leistungsträger errichten häufig genug bürokratische Hürden, wenn ihnen die Wünsche der leistungsberechtigen Personen bei Antragstellung übertrieben erscheinen. Grundsätzlich richtet sich die Prüfung nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot auf die Ausführung der Leistungen und nicht auf das Wunsch- und Wahlrecht behinderter Menschen (§ 8 SGB IX). Natürlich müssen die Anträge klar, sachdienlich und vollständig sein (§ 16 SGB I), doch bei behinderten Menschen sind der Inhalt von Rechten (und Pflichten) näher bestimmt und müssen nicht durch die Erforschung der persönlichen Verhältnisse auf ein notwendiges Maß reduziert werden (§ 33 SGB I). Die Regelungen in § 104 Abs. 2 SGB IX stehen dem nicht entgegen, da sich das Wirtschaftlichkeitsgebot lediglich auf das Verhältnis von gewünschter Leistung zu vergleichbarer Leistung bezieht. Die Anschlussfähigkeit könnte von daher vereitelt werden, sofern von der Bestimmung des Hilfebedarfs abgewichen wird.

Assistenzleistungen, als anderes Beispiel, können nicht versagt werden, wenn notwendige Fahrkosten von einem ganz anderen Leistungsträger übernommen werden müssen (vgl. § 78 Abs. 4 SGB IX; ein leistungsberechtigter Mensch, welcher mit Wohnort in Schleswig-Holstein eine Tagesförderstätte in Hamburg besuchen wollte, und der Fahrdienst von der Hamburger Schulbehörde gestellt worden wäre). Verschiedene Zuständigkeiten mögen vielleicht ein behörden-internes Problem darstellen, doch sobald verschiedene Trägern der Eingliederungshilfe eine Aufgabe wahrnehmen, die die Lebenssituation von behinderten Menschen betrifft, müssen sie zusammenarbeiten (vgl. § 96 SGB IX und die Regelungen zu Zuständigkeiten u.a. § 14 f. SGB IX).

Leistungserbringer erleben gerade einen gravierenden Personalmangel. Unzureichende Schulung und organisatorische Probleme bei der Kontinuität der Leistungen sorgen ebenso für Beeinträchtigungen. Erst kürzlich verhandelten die Verbände der Leistungserbringer und die Hamburger Sozialbehörde eine neue Liste zu Berufsabschlüssen und eine mögliche Anerkennung als Assistenzfachkräfte. Die Umsetzung kommt nun aber ins Stocken, da beide Seiten in Bezug auf die Fachkraftquote eine Unstimmigkeit entdeckt haben. Und ein anderes Problem entsteht ganz einfach beim vorhandenen Personal, was sich als „ausgebrannt“ und „unterdrückt“ vorkommt und in die Krankheit oder sogar vorzeitige Altersrente flüchtet (Nachwuchs fehlt und die Alten gehen, beschreibt es ein Betriebsrat). Die Arbeit wieder attraktiver zu machen, ist für viele Anbieter eine große Herausforderung: neue Tarifwerke und verkürzte Aufstiegsmöglichkeiten, Jobrad und Firmen-Fitness, Zeitguthaben versus Altersteilzeitarbeit.

Auch Leistungsberechtigte können durch unklare Bedarfsäußerungen, wechselnde Bedürfnisse und fehlende Mitwirkung zur Störung der Anschlussfähigkeit beitragen (vgl. §§ 60 f. SGB I).

 

Sicherstellung von Assistenzleistungen

Das Außerkrafttreten eines Landesrahmenvertrags nach § 131 SGB IX kann sich ebenfalls auf diese Sache mit der Anschlussfähigkeit von Assistenzleistungen auswirken. Ohne einen gültigen Rahmenvertrag können durchaus Verzögerungen bei der Bereitstellung von Leistungen und eine erschwerte Bedarfsdeckung für die Leistungsberechtigten die Folge sein. Um eine solche Lücke zu schließen, wäre der Erlass einer Rechtsverordnung nach § 131 Abs. 4 SGB IX auf alle Fälle sinnvoll. Eine solche Verordnung kann jedenfalls klare Regelungen zur Finanzierung, Zuständigkeiten und Qualitätsstandards festlegen sowie Übergangsregelungen schaffen, um Versorgungslücken zu vermeiden, aber sie kann nicht ein Angebot an leistungserbringenden Diensten und Einrichtungen schaffen.

Nicht die Leistungserbringer tragen den gesetzlichen Sicherstellungsauftrag aus § 95 SGB IX für eine personenzentrierte Unterstützung unabhängig vom Ort der Leistungserbringung (siehe dazu nochmal § 78 Abs. 4 SGB IX), sondern es sind die staatlichen Akteure, die vom Bundesgesetzgeber als Leistungsträger bestimmt worden sind (vgl. § 6 SGB IX). Die Aufgaben des Sozialrechts können nur dadurch bewirkt werden, dass die erforderlichen Dienste und Einrichtungen „rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen“ (vgl. § 1 Abs. 2 SGB I sowie § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB I).

Dieser Gedanke geht jedoch viel weiter. Das „zur Verfügung stehen“ gewinnt zusammen mit der Bestimmung im Recht der Eingliederungshilfe über das Vorhandensein von geeigneten Leistungserbringern und der Vorgabe, dass ein Leistungsträger „zur Erfüllung seiner Aufgaben eigene Angebote nicht neu schaffen [soll]“ einen interessanten Aspekt (§ 124 Abs. 1 S. 1 SGB IX). Es sind nämlich nicht nur die Investitionskosten zu übernehmen, sondern es ist auch Vorsorge zu treffen zum strukturellen Erhalt der Einrichtungen. Die Stellschrauben dafür sind, wenn die Pauschalen für Instandsetzung und Instandhaltung nicht ausreichen, kurze Abschreibungsdauern.

In Hamburg hat es mittlerweile zur Erkenntnis geführt, dass Kapazitäten im Leistungsbereich von Tagesförderstätten fehlen. Mit den Mitteln des Vertragsrechts aus dem Teil 2 des SGB IX finden zwar bereits Gespräche über entsprechende Projekte statt, inwieweit Kostenkalkulationen als angemessen und wirtschaftlich betrachtet werden, braucht Zeit (Stichwort: Motivationsversuche des Landes). Mit einem Landesrahmenvertrag oder einer Landesverordnung gelingen solche Sachen nicht.

Gelingt das alles nicht, bleibt es bei der Lücke, muss ein Bundesland selber für ein Angebot sorgen. So gesehen ist das Wiederauferstehen einer LandVO kein Grund zur Sorge, das Nicht-Miteinander-Umgehen dagegen schon.

CGS

 

 

Eigener Beitrag vom 16.6.2024:

Die (mögliche) Kündigungsklausel im kommenden LRV-SH

 

 

Bild zum Beitrag Bing Image Creator.

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