In einer kleinen Runde
von Leistungserbringern ging es erneut um das Wiederaufstehen der
Rechtsverordnung nach § 131 Abs. 4 SGB IX für das Bundesland Schleswig-Holstein
(kurz LandVO). Man sieht in der Kündigungsklausel im Entwurf des
Landesrahmenvertrags eine Gefährdung der Anschlussfähigkeit von Leistungen zur
Sozialen Teilhabe. Was es mit der Anschlussfähigkeit wirklich auf sich hat,
wollte ich etwas näher betrachten. Dass so etwas als Argument taugt, ist meines
Erachtens eher zweifelhaft – dazu reicht schon die Debatte aus dem letzten
Beitrag (siehe Quellenangabe unten).
Trotzdem kann man sich mit der Frage einmal befassen und einen Blick herum werfen. Diese Idee des Anschlusses taucht nämlich an manchen Stellen im SGB IX auf. Ganz besonders interessant ist da eine Verwendung in Bezug auf die Leistungen im Arbeitsbereich, zumal dort die Idee der Durchlässigkeit auftritt. Über so manche Störungen (des Anschlusses) gibt es ebenfalls was zu berichten / zu wiederholen. Und wenn man sich dann wieder auf den Landesrahmenvertrag besinnt, findet sich ein Weg zurück zum Argument von oben, allerdings klingt es besser.
Nahtlose Versorgung und Teilhabe
Bei der Anschlussfähigkeit ist im Grunde genommen der
Wechsel von Ansprüchen aus einem Bereich an Leistungen (z.B. Berufsbildung; §
57 SGB IX) in einen anderen Bereich (z.B. Arbeit; § 58 SGB IX) gemeint.
Leistungsberechtigte Menschen, die beispielsweise am Übergang von der Schule in
den Beruf stehen, sollen gemäß § 58 SGB IX eine Rechtsanspruch zuerkannt
bekommen, wonach ihnen weiterhin soziale Leistungen zustehen. Die
Leistungsberechtigung entsteht in diesem Fall allerdings erst dann, wenn einige
besondere Faktoren nicht eingetreten sind und wenn „wenigstens ein Mindestmaß
an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung“ von den Menschen erbracht
werden kann (vgl. dazu Abs. 1 S. 1). Die Anschlussfähigkeit wird an dieser
Stelle näher konkretisiert, was also zeigt, dass zwei Leistungsbereiche auf diese Weise zu einer nahtlosen Versorgung oder Teilhabe führen.
Bei diesem Passus ist übrigens auch sehr schön die Durchlässigkeit
geregelt worden, da der Rechtsanspruch auf Leistungen im Arbeitsbereich gewährt
werden müssen, wenn wegen Art und Schwere der Behinderung die Beschäftigung und
weiteres „nicht, noch nicht oder noch nicht wieder in Betracht kommt“. Der
Gesetzgeber hat damit also Vorsorge getroffen, dass derartige Leistungen zu späteren
Zeiten ebenfalls möglich sind. Zwar müssen die tatsächlichen Gründe vielleicht
näher erforscht werden, sofern es einen Wechsel vom ersten Arbeitsmarkt in die
Werkstatt für behinderte Menschen geben soll, aber es findet sich in dieser
Regelung keinen Grund für den Ausschluss.
Mit dem Prinzip der Anschlussfähigkeit soll es keine
Versorgungslücken geben. Die Lebensqualität darf nicht gestört werden, oder sie
darf nicht in unverhältnismäßiger Weise beeinträchtigt werden (ein Beispiel:
eine Wartezeit von bis zu vier Wochen bei ergänzenden Leistungen zum
Lebensunterhalt wäre wiederum hinzunehmen; § 69 SGB IX). Störungen kann es
allerdings immer wieder geben, weil nun mal das Dreiecksverhältnis zwischen
Leistungsträgern, Leistungserbringern und den beeinträchtigten Menschen vorhanden
ist. Irgendwo und irgendwie kann das Ziel auf nahtlose Versorgung schlicht und
ergreifend verfehlt werden.
Störung der Anschlussfähigkeit
Leistungsträger errichten häufig genug bürokratische Hürden,
wenn ihnen die Wünsche der leistungsberechtigen Personen bei Antragstellung übertrieben
erscheinen. Grundsätzlich richtet sich die Prüfung nach dem
Wirtschaftlichkeitsgebot auf die Ausführung der Leistungen und nicht auf das
Wunsch- und Wahlrecht behinderter Menschen (§ 8 SGB IX). Natürlich müssen die
Anträge klar, sachdienlich und vollständig sein (§ 16 SGB I), doch bei
behinderten Menschen sind der Inhalt von Rechten (und Pflichten) näher bestimmt
und müssen nicht durch die Erforschung der persönlichen Verhältnisse auf ein
notwendiges Maß reduziert werden (§ 33 SGB I). Die Regelungen in § 104 Abs. 2
SGB IX stehen dem nicht entgegen, da sich das Wirtschaftlichkeitsgebot
lediglich auf das Verhältnis von gewünschter Leistung zu vergleichbarer
Leistung bezieht. Die Anschlussfähigkeit könnte von daher vereitelt werden,
sofern von der Bestimmung des Hilfebedarfs abgewichen wird.
Assistenzleistungen, als anderes Beispiel, können nicht
versagt werden, wenn notwendige Fahrkosten von einem ganz anderen Leistungsträger
übernommen werden müssen (vgl. § 78 Abs. 4 SGB IX; ein leistungsberechtigter
Mensch, welcher mit Wohnort in Schleswig-Holstein eine Tagesförderstätte in
Hamburg besuchen wollte, und der Fahrdienst von der Hamburger Schulbehörde
gestellt worden wäre). Verschiedene Zuständigkeiten mögen vielleicht ein behörden-internes
Problem darstellen, doch sobald verschiedene Trägern der Eingliederungshilfe
eine Aufgabe wahrnehmen, die die Lebenssituation von behinderten Menschen
betrifft, müssen sie zusammenarbeiten (vgl. § 96 SGB IX und die Regelungen zu
Zuständigkeiten u.a. § 14 f. SGB IX).
Leistungserbringer erleben gerade einen gravierenden Personalmangel.
Unzureichende Schulung und organisatorische Probleme bei der Kontinuität der
Leistungen sorgen ebenso für Beeinträchtigungen. Erst kürzlich verhandelten die
Verbände der Leistungserbringer und die Hamburger Sozialbehörde eine neue Liste
zu Berufsabschlüssen und eine mögliche Anerkennung als Assistenzfachkräfte. Die
Umsetzung kommt nun aber ins Stocken, da beide Seiten in Bezug auf die
Fachkraftquote eine Unstimmigkeit entdeckt haben. Und ein anderes Problem
entsteht ganz einfach beim vorhandenen Personal, was sich als „ausgebrannt“ und
„unterdrückt“ vorkommt und in die Krankheit oder sogar vorzeitige Altersrente
flüchtet (Nachwuchs fehlt und die Alten gehen, beschreibt es ein Betriebsrat). Die
Arbeit wieder attraktiver zu machen, ist für viele Anbieter eine große
Herausforderung: neue Tarifwerke und verkürzte Aufstiegsmöglichkeiten, Jobrad
und Firmen-Fitness, Zeitguthaben versus Altersteilzeitarbeit.
Auch Leistungsberechtigte können durch unklare Bedarfsäußerungen,
wechselnde Bedürfnisse und fehlende Mitwirkung zur Störung der Anschlussfähigkeit
beitragen (vgl. §§ 60 f. SGB I).
Sicherstellung von Assistenzleistungen
Das Außerkrafttreten eines Landesrahmenvertrags nach § 131
SGB IX kann sich ebenfalls auf diese Sache mit der Anschlussfähigkeit von Assistenzleistungen
auswirken. Ohne einen gültigen Rahmenvertrag können durchaus Verzögerungen bei
der Bereitstellung von Leistungen und eine erschwerte Bedarfsdeckung für die
Leistungsberechtigten die Folge sein. Um eine solche Lücke zu schließen, wäre
der Erlass einer Rechtsverordnung nach § 131 Abs. 4 SGB IX auf alle Fälle
sinnvoll. Eine solche Verordnung kann jedenfalls klare Regelungen zur
Finanzierung, Zuständigkeiten und Qualitätsstandards festlegen sowie Übergangsregelungen
schaffen, um Versorgungslücken zu vermeiden, aber sie kann nicht ein Angebot an
leistungserbringenden Diensten und Einrichtungen schaffen.
Nicht die Leistungserbringer tragen den gesetzlichen
Sicherstellungsauftrag aus § 95 SGB IX für eine personenzentrierte Unterstützung
unabhängig vom Ort der Leistungserbringung (siehe dazu nochmal § 78 Abs. 4 SGB
IX), sondern es sind die staatlichen Akteure, die vom Bundesgesetzgeber als
Leistungsträger bestimmt worden sind (vgl. § 6 SGB IX). Die Aufgaben des
Sozialrechts können nur dadurch bewirkt werden, dass die erforderlichen Dienste
und Einrichtungen „rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen“ (vgl. § 1
Abs. 2 SGB I sowie § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB I).
Dieser Gedanke geht jedoch viel weiter. Das „zur
Verfügung stehen“ gewinnt zusammen mit der Bestimmung im Recht der Eingliederungshilfe
über das Vorhandensein von geeigneten Leistungserbringern und der Vorgabe, dass
ein Leistungsträger „zur Erfüllung seiner Aufgaben eigene Angebote nicht neu
schaffen [soll]“ einen interessanten Aspekt (§ 124 Abs. 1 S. 1 SGB IX). Es sind
nämlich nicht nur die Investitionskosten zu übernehmen, sondern es ist auch
Vorsorge zu treffen zum strukturellen Erhalt der Einrichtungen. Die
Stellschrauben dafür sind, wenn die Pauschalen für Instandsetzung und
Instandhaltung nicht ausreichen, kurze Abschreibungsdauern.
In Hamburg hat es mittlerweile zur Erkenntnis geführt, dass
Kapazitäten im Leistungsbereich von Tagesförderstätten fehlen. Mit den Mitteln
des Vertragsrechts aus dem Teil 2 des SGB IX finden zwar bereits Gespräche über
entsprechende Projekte statt, inwieweit Kostenkalkulationen als angemessen und
wirtschaftlich betrachtet werden, braucht Zeit (Stichwort: Motivationsversuche
des Landes). Mit einem Landesrahmenvertrag oder einer Landesverordnung gelingen
solche Sachen nicht.
Gelingt das alles nicht, bleibt es bei der Lücke, muss ein
Bundesland selber für ein Angebot sorgen. So gesehen ist das Wiederauferstehen
einer LandVO kein Grund zur Sorge, das Nicht-Miteinander-Umgehen dagegen schon.
CGS
Eigener Beitrag vom 16.6.2024:
Die (mögliche) Kündigungsklausel im kommenden LRV-SH
Bild zum Beitrag Bing Image Creator.
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Die Anschlussfähigkeit von Leistungen im
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