Montag, 7. April 2014

BGB-Eingliederungshilfe (Teil 2)

Wie muss man sich eine Leistungsvereinbarung vorstellen, die „nicht“ einer Leistungsvereinbarung nach § 75 Abs. 2 SGB XII entspricht? – Also eine BGB-Gesamtvereinbarung, in der Leistung und Vergütung geregelt sind, und eventuell sogar irgendeine Form der Prüfung.

Im Grund genommen gibt es gar nicht so viele Unterschiede, wenn man den Charakter von BGB-Verträgen und SGBXII-Gesamtvereinbarungen grob betrachtet. In beiden Fällen handelt es sich um Verträge, in denen eine gemeinsame Willenserklärung sowie Leistung und Gegenleistung bestimmt sind. Der SGBXII-Gesamtvereinbarung ist allerdings ein Landesrahmenvertrag vorgeschaltet, und häufig genug existieren Rahmen- oder Muster-Leistungsvereinbarungen, welche eine formelle Grundlage bilden für die Definition der Leistungen. Da sich letztere aber ständig weiterentwickeln, sind alle existieren und bestandskräftigen Leistungsvereinbarungen zwar ähnlich, aber nicht gleich. Und wenn man jetzt noch auf die einrichtungsspezifischen Unterschiede eingeht, die sich aber nicht nur in den verschiedenen betrieblichen Anlagen erschöpfen dürfen, dann wäre ein externer Vergleich erheblich erschwert – aber das nur am Rande.

BGB-Verträgen wird ein Leistungsverzeichnis zugrunde liegen, in dem der Auftrag in irgendeiner Form umschrieben ist. Es werden ggf. gesetzliche Rahmenbedingungen wie z.B. ein Tariftreue-Gesetz o.ä. genannt, aber im Grunde sehe ich keine großen Unterschiede. Auch die Benennung einer Schiedsstelle ist nicht unüblich, um teure und langwierige zivilrechtliche Streitigkeiten zu vermeiden. Die Freiheit der Vertragsgestaltung ermöglicht Mischformen aus Werks- und Dienstleistungsverträgen, so dass auch eine SGBXII-Gesamtvereinbarung in einem BGB-Vertrag ihre Ausgestaltung findet.

Wenn der BGB-Vertrag die ursprünglichste und am weitesten verbreitete Form aller Verträge darstellt, dann ist die SGBXII-Gesamtvereinbarung eine sehr spezielle, an den Bedürfnissen eines öffentlich-rechtlichen Sozialhilfeträgers ausgerichtete Vertragsform. Warum sollte man überhaupt versuchen, wegzukommen vom SGB XII?

Zuerst einmal ergibt sich aus der Vertragskonstellation ein Leistungsdreieck, in dem sich die verschiedenen Vertragsparteien wiederfinden. Problematisch daran ist allenfalls, dass dieses Leistungsdreieck zwischen zwei der drei Parteien konkret vereinbart wird. Die dritte Partei ist lediglich Leistungsempfänger, aber hat ansonsten keine Rechte, die sich aus dem Vertrag unmittelbar ergeben. Denkbar wäre jetzt, dass man versucht, diese dritte Partei ganz und gar auszuschließen aus dem Leistungsdreieck. Doch da diese Partei, nämlich der Leistungsempfänger bzw. Leistungsberechtigte sowieso keine Möglichkeit der aktiven Mitwirkung oder Beteiligung an der Ausgestaltung der Leistungsvereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII hat, ganz zu schweigen von der SGBXII-Gesamtvereinbarung, obliegt die vertragliche Festlegung von Leistung und Gegenleistung dem Sozialhilfeträger und dem Einrichtungsträger. Gewonnen wäre mit dem Aufbrechen des Leistungsdreiecks erst einmal gar nichts.

Dann stellt sich die Frage, ob nicht doch der Sozialhilfeträger gesetzlich verpflichtet ist, eine Gesamtvereinbarung auf Basis des SGB XII abzuschließen. Und hier heißt es in § 75 Abs. 2 Satz 1 SGB XII:

„… (2) Zur Erfüllung der Aufgaben der Sozialhilfe sollen die Träger der Sozialhilfe eigene Einrichtungen nicht neu schaffen, soweit geeignete Einrichtungen anderer Träger vorhanden sind, ausgebaut oder geschaffen werden können. …“

Sofern also „geeignete“ Einrichtungen vorhanden sind, darf der Sozialhilfeträger keine eigenen Einrichtungen schaffen, sondern muss bestrebt sein, eine Vereinbarung  über die Erbringung von Sozialhilfe-Leistungen abzuschließen. Dabei ist der Begriff „Einrichtung“ gem. Absatz 1 wie folgt zu verstehen:

„… (1) Einrichtungen sind stationäre und teilstationäre Einrichtungen im Sinne von § 13. Die §§ 75 bis 80 finden auch für Dienste Anwendung, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist. …“

Wenn Wohneinrichtungen und Tagesförderstätte somit nicht zur Verfügung stehen, könnte auch ein ambulanter Dienst die erforderlichen Leistungen übernehmen. Zu prüfen wäre dann allerdings, was mit Satz 2 tatsächlich gemeint ist und wo man die „nähere Bestimmung“ suche müsste. Ganz sicherlich nicht gemeint ist, dass zwingend eine SGBXII-Gesamtvereinbarung abgeschlossen werden muss. Der Gesetzgeber ist nämlich im weiteren Wortlaut des § 75 SGB XII auf die Frage eingegangen, was zu tun wäre, wenn eine Vereinbarung nach Absatz 3 nicht zustande kommen würde.

„… (4)1 Ist eine der in Absatz 3 genannten Vereinbarungen [d.h. Leistungsvereinbarung, Vergütungsvereinbarung und Prüfungsvereinbarung] nicht abgeschlossen, darf der Träger der Sozialhilfe Leistungen durch diese Einrichtung nur erbringen, wenn dies nach der Besonderheit des Einzelfalls geboten ist. …3Vergütungen dürfen nur bis zu der Höhe übernommen werden, wie sie der Träger der Sozialhilfe am Ort der Unterbringung oder in seiner nächsten Umgebung für vergleichbare Leistungen nach den nach Absatz 3 abgeschlossenen Vereinbarungen mit anderen Einrichtungen trägt.“

Hier werden ganz enge Grenzen für den Sozialhilfeträger gesetzt, aus denen er sich nicht befreien kann. Er kann eine Vereinbarung abschließen, die sich auf eine andere Rechtsgrundlage bezieht, zum Beispiel dem BGB in der Annahme, dass der Bedarfsfall ein Einzelfall ist. Würde es sich nicht um einen Einzelfall handeln, käme womöglich sogar das Vergaberecht zum Einsatz. Eine solche Entwicklung wäre denkbar, wenn der Gesamtbereich der Eingliederungshilfe neu organisiert und finanziert werden soll, da durch öffentliche Ausschreibungsverfahren dem Träger der Sozialhilfe meiner Ansicht nach höhere Bürden aufgelastet werden. Doch ein solcher Schritt wäre eben nur dann möglich, wenn weder Strukturen ausreichend vorhanden sind, noch SGBXII-willige Leistungsanbieter am Markt bestehen. Träger „teurer“ Einrichtungen würden mit einem nicht zu unterschätzenden Risiko konfrontiert werden, da das öffentliche Vergaberecht verkürzt gesagt das Ziel verfolgt, den günstigsten Leistungsanbieter ohne Bevorzugung Einzelner zu filtern. Diejenigen Träger, die weiterhin SGBXII-konforme Angebote unterbreiten, müssen bevorzugt werden, alle anderen Vertragslösungen folgen.  Ansonsten bliebe als einzige Alternative, eigene Strukturen zu schaffen.

Nochmal: Der Rechtsanspruch des Leistungsempfängers bzw. Leistungsberechtigten steht nicht in Frage. Kann aber eine der beiden anderen Parteien verlangen, dass das BGB als alleinige Rechtsgrundlage für die Leistungserbringung herangezogen wird? – Faktisch „Nein!“ Der Sozialhilfeträger müsste in der Konsequenz eigene Strukturen schaffen bzw. mit denjenigen Einrichtungsträgern Vereinbarungen zu schließen, welche nach Absatz 4 ein Leistungsangebot unterbreiten. Der Einrichtungsträger hat, wenn er Geld verdienen will, nur die Möglichkeit, sich auf die Bedingungen, die sich aus dem SGB XII ergeben, einzulassen. Eine BGB-Lösung käme nur in Betracht, wenn Strukturen zur Bedarfsdeckung nicht ausreichend vorhanden sind.

Über das Thema „BGB-Eingliederungshilfe“ wird sich womöglich eine Debatte entwickeln, wie ich zuletzt wieder beobachten konnte. Ich denke, dass die BGB-Eingliederungshilfe keine Lösung ist, und schon gar nicht gewollt. Warum sonst hat der Gesetzgeber überhaupt ein Lex Specialis geschaffen?  In meinem letzten Beitrag hatte ich noch resümiert, dass die Leistungsvereinbarung eine zentrale Bedeutung einnimmt. Diese Bedeutung hat sie, wie wir nun wieder sehen, weil sie ihr vom Gesetzgeber gewollt zuerkannt worden ist.


CGS