Mittwoch, 30. April 2014

Die Gemeinsame Erklärung zum Trägerbudget der drei „Großen Träger“ in Hamburg

In ihrer Mitgliederzeitschrift „Südring Aktuell – das Magazin von Leben mit Behinderung Hamburg - April 2014“ hat Leben mit Behinderung Hamburg Elternverein e.V. eine Erklärung des Einrichtungsträgers Leben mit Behinderung Hamburg Sozialeinrichtungen (verkürzt LMBH) abgedruckt, mit dem ich mich an dieser Stelle auseinandersetzen möchte.

Diese Erklärung kommt nicht alleine von LMBH, sondern wurde formuliert und verbreitet von zwei anderen „Großen Trägern“ (der Eingliederungshilfe in Hamburg): Behindertenhilfe Hamburg Sozialkontor (BHH) und Evangelische Stiftung Alsterdorf (ESA). Sie befasst sich mit dem Abschluss von Trägerbudgets.

Dem vorausgegangenen waren schwierige Verhandlungen über mögliche (aber notwendige) Vergütungssteigerungen wie auch übergeordnet die Steuerung der Eingliederungshilfe in Hamburg. Ohne die Kündigung aller Gesamtvereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII (d.h. Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarung) wäre das bestehende System nicht aufgebrochen worden – hätte man nicht im Verlauf des letzten Jahres ein neues Kalkulationsverfahren entwickeln können. Ob das neue Kalkulationsverfahren aber alle Seiten glücklich machen wird, das muss sich wohl leider erst noch zeigen.

Man muss sich das noch einmal deutlich machen: Die Kündigung entzog allen Leistungserbringern die wirtschaftliche und rechtliche Grundlage für die Leistungserbringung. Es stand zu befürchten, dass Vergütungen abgesenkt worden wären auf sogenannte „ortsübliche Entgelte“ nach § 75 Abs. 4 SGB XII, was eine erhebliche wirtschaftliche Existenzbedrohung für alle diejenigen Träger bedeutet hätte, die mit ihren Entgelten darüber liegen. Über kurz oder lang wäre die Eingliederungshilfe in Hamburg zusammengebrochen (die Gefahr ist aber m.E. noch nicht gebannt!).

Es ist somit nicht verwunderlich, dass LMBH wie auch die anderen beiden großen Träger (möglicherweise verbandlich unbegleitete) Verhandlungen mit der Sozialbehörde führten. Am Ende kam ein Trägerbudget für jeden der drei „Großen Träger“ heraus. Viele der anderen Leistungserbringer in Hamburg waren zutiefst schockiert, und vermutlich fielen auch die jeweiligen Verbandsführungen aus „allen Wolken“. Wie immer man selbst dazu stehen mag, die Vereinbarungen sind unterschrieben worden und müssen jetzt gelebt werden – sowohl von den drei „Großen Trägern“ und der Sozialbehörde, wie auch den behinderten Menschen (als Leistungsbezieher), den rechtlichen Betreuern, Eltern, Mitarbeitern in den Einrichtungen sowie den konkurrierenden Leistungserbringern.

Am 25. März 2014 diskutierten Sozialsenator, Behördenvertreter und Bundespolitiker mit der Unternehmensführung von LMBH über „Hamburger Trägerbudget“ und Bundesteilhabegeld. Zuvor wurde aber die Erklärung zum Trägerbudget der drei „Großen Träger“ bekanntgegeben.

Es liegt nahe, dass ein Informationsabend für Eltern und rechtliche Betreuer anberaumt wurde, um über dieses schwierige Thema zu unterrichten. Schon zuvor gab es deutliche Kritik an dem Verhalten der drei „Großen Träger“; hier musste nunmehr offen über die neuen Vereinbarungen gesprochen werden, und die veröffentlichte Erklärung zum Trägerbudget war ein Baustein.

Die vollständige Erklärung zum Trägerbudget textkritisch zu untersuchen, würde diesen Beitrag noch um etliche Absätze füllen. Vom Aufbau und der Struktur enthält die Erklärung zum Trägerbudget alle Essenzen, die man in so einer Publikation erwartet. Herausgreifen möchte ich allerdings die folgenden drei Sätze, da sie die Begründung für das Handeln der drei „Großen Träger“ beinhaltet:

„… Mit den Verträgen können wir die Hilfen für Menschen mit Behinderungen wirkungsvoller ausgestalten und unnötige Bürokratie vermeiden. Die Vereinbarungen schaffen Räume, die Hilfen noch stärker personenzentriert weiterzuentwickeln. Wir sehen es dabei als unsere Aufgabe an, mit den aus dem Sozialhaushalt zur Verfügung gestellten Mitteln Personen den Zugang zu Eingliederungshilfe zu ermöglichen, die derzeit noch unversorgt sind. …“

Die vorgenannten Verträge und Vereinbarungen beziehen sich nicht alleine auf das Trägerbudget, da das Trägerbudget nur den Finanzierungsaspekt der Gesamtvereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII abbildet. Das Trägerbudget muss hier wie eine Vergütungsvereinbarung gesehen werden, welche lediglich den finanziellen Rahmen näher bestimmt. Da allerdings eine Vergütungsvereinbarung zwingend eine Leistungsvereinbarung voraussetzt, beziehen sich die obigen Aussagen demzufolge auf die Leistungserbringung.

Was mit „wirkungsvoller“ Ausgestaltung gemeint ist, bleibt offen. Richtig ist aber, dass eine klientenbezogene Abrechnung von Leistungen vollständig entfällt. Und diese Form des Bürokratieabbaus wirkt sich natürlich unmittelbar bei denjenigen aus, die bisher an der Rechnungserstellung mitgewirkt haben.

Bei den Hilfen, die „noch stärker personenzentrierter“ weiterentwickelt werden können, kann man kritisch hinterfragen, ob dies eine qualitative Verbesserung für die Klienten bedeutet. Da die drei „Großen Träger“ sehr wahrscheinlich keine Absenkung ihrer Umsatzerlöse hinnehmen wollen, muss man mindestens von einem Einfrieren finanzieller Mittel ausgehen. Und damit entsteht in meinem Verständnis erst einmal keine Qualitätsverbesserung, es sei denn, die finanziellen Mittel wurden auf einem ausreichenden und möglicherweise hohen Niveau eingefroren.

Zwar gab es für die Leistungsberechtigten im bisherigen Vergütungssystem aufgrund der gestuften Maßnahmenpauschalen eine Art vergütetes Budget an Personalstellen, doch dies wurde so an die Leistungsberechtigten nicht kommuniziert. Leistung wurde immer und wird auch bis auf weiteres dort und in dem Maße erbracht, wie es erforderlich und notwendig ist. Faktisch ändert sich mit dem Trägerbudget nicht die Praxis der Leistungserbringung, sondern nur die Abrechnungspraxis.

Problematischer erachte ich dagegen die letzte Kernaussage, in der es heißt, dass man mit den Mitteln aus dem Sozialhaushalt „unversorgten“ Personen einen „Zugang“ zur Eingliederungshilfe ermöglichen will. Beabsichtigt der Leistungsträger, eine entsprechende Nachfrage zu generieren (Push-Marketing)?

Die Erklärung zum Trägerbudget ist damit natürlich noch nicht vollständig analysiert. Es zeigt sich allerdings schon jetzt, dass man mit einer (eventuell „über“-) kritischen Perspektive ganz neue Einsichten erlangen kann. Von daher lohnt sich auch noch einmal der Blick auf eine weitere Aussage, welche auf das Selbstverständnis der drei „Großen Träger“ deutet:

„… 2. Die drei Träger schlagen der Sozialbehörde, dem Fachamt und der Landesarbeitsgemeinschaft vor, einen gemeinsamen Rahmen für regelmäßige Gespräche über die Entwicklung von Angebot und Nachfrage in der Eingliederungshilfe zu schaffen. …“

Ein Trägerbudget kann natürlich als ein Sozialraumbudget konstruiert werden, bei dem sich ein oder mehrere Träger verpflichten, die Versorgung für eine Region zu gewährleisten. Man könnte diese Aussage so verstehen, als ob es sich tatsächlich um ein Sozialraumbudget handelt. Immerhin werden hier drei Träger benannt, die sich gemeinschaftlich für die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe im Rahmen eines Trägerbudgets einsetzen wollen. Von anderen Leistungserbringern ist nicht die Rede, bestenfalls finden sich deren Interessen wieder in der Landesarbeitsgemeinschaft. Aber welche Mitsprache haben kleinere Einrichtungsträger tatsächlich?

Welche Konsequenzen ergeben sich, wenn im „Dialog“ der drei „Großen Träger“ mit den drei anderen Organisationen „Chancen“ und „Fehlentwicklungen“ erkannt worden sind? Wieder drängt sich der Eindruck auf, als ob es weder Verbände, die früher einmal die Interessen der Leistungserbringer vertreten haben ggü. der Sozialbehörde, noch kleinere Einrichtungsträger gibt. Eine Möglichkeit zur Mitsprache oder Beteiligung von gerade denjenigen Menschen, die einen Anspruch auf Eingliederungshilfe geltend machen, scheint auch zu fehlen oder ist in der Form nicht bedeutsam.

Die Erklärung zum Trägerbudget von LMBH, BHH und ESA ist meines Erachtens nicht glücklich formuliert oder sie offenbart tatsächlich ein bestimmtes Selbstverständnis. Trifft letzteres zu, dann hat sich die Sozialbehörde ein Problem geschaffen.

Am Informationsabend war wie gesagt neben der Sozialbehörde auch die Politik vertreten. Nach freundlichen, einleitenden Worten mussten diese dann Rede und Antwort stehen. Was den vielen rechtlichen Betreuern und Eltern wohl in Erinnerung bleiben wird ist, dass das neue Trägerbudget nicht den Idealvorstellungen des Einrichtungsträgers entsprach, aber es war ein Ausweg aus der ansonsten verfahrenen Situation, die mit der Kündigung der Leistungsvereinbarungen zum 31.12.2013 eben durch die Sozialbehörde einen Höhepunkt erreichte.

Nicht alle Fragen der (besorgten) Eltern konnte der Sozialsenator an dem Abend des 25. März 2014 klären. Die hat er dann aber zur „Bearbeitung“ mit in die Sozialbehörde genommen. Endlich kann sich die Sozialbehörde nicht ihrer Verantwortung entziehen – für ein Trägerbudget braucht es immer mindestens 2, und diesmal waren es sogar 4!


CGS