Das Thema
Schulassistenz und Schulbegleitung (Integrationsassistenz) nimmt rechtzeitig zu
Beginn der Schulferien wieder an Fahrt auf. In den schleswig-holsteinischen
Landkreisen Herzogtum-Lauenburg und Stormarn werden jetzt Anträge auf Schulbegleitungen
negativ beschieden. Die Kreise verweisen auf die neu eingeführten
Schulassistenten, sehen somit die Schulverwaltungen in der Pflicht und nicht mehr
die Kreise als Träger der Jugend- oder Eingliederungshilfe.
Die Landesregierung von Schleswig-Holstein bekennt sich
zur Umsetzung der UN-BRK und hat einen Landesaktionsplan erstellt, an dem sich
jedes Ressort beteiligen soll. Chancengleichheit, Akzeptanz, Respekt und
Teilhabe müssen sich Schritt für Schritt entwickeln, so die Landesregierung in
ihrem Landesaktionsplan 2016. Vielfach bestehen noch „unreflektierte
Vorstellungen über Menschen mit Behinderungen“ in den Köpfen der Bürgerinnen
und Bürger, wie auch in den Köpfen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
Verwaltungen. Nachhaltige Veränderung gelingt nur durch Veränderungen in der
Gesamtgesellschaft.
Alle schön und gut, doch die Bürokratie orientiert sich
nach „klaren“ Richtlinien und nicht nach Bekenntnissen.
Am 20.7.2016 teilte der Bürgerbeauftragte in einer
Pressemitteilung mit, dass die beiden o.g. Kreise die Schulbegleitung
(Integrationsassistenz) für Kinder mit Behinderung ablehnen, soweit sich der
Bedarf auf Selbst- / Fremdaggression, Schutz vor Eigengefährdung
durch mangelndes Gefahrenbewusstsein oder zum Beispiel auch Weglaufen
bezieht. Diese Bedarfe müssen nach Ansicht der Kreise durch die
Schulverwaltungen abgedeckt werden. Grund dafür sei einerseits die Entscheidung
des Landessozialgerichts aus 2014 (Az. L9 SO 222/13 B ER; siehe auch meinen
Beitrag vom 27.5.2014) und andererseits die Aufgabenbeschreibung für die
Schulischen Assistenten der Landesregierung (Quellenangaben weiter unten).
Hintergrund ist der, dass im Landesschulgesetz von
Schleswig-Holstein bestimmt ist, dass zu den „pädagogischen Zielen“ der Schule
auch die Unterstützung von Schülerinnen und Schüler mit Behinderung gehört. In
§ 4 Abs. 13 S. 2 SchulG-SH heißt es: „Das Ziel einer inklusiven Beschulung
steht dabei im Vordergrund“.
Das LSG hatte damals im Gesetz eine Aufgabe der Schule
gesehen, die über die reine Wissensvermittlung hinausging. Die Schule sollte
erziehen, fördern und „insbesondere behinderungsbedingte Defizite ausgleichen“,
so das LSG in seiner damaligen Begründung. Und weiter erklärte das Gericht: „Hilfen,
die gesetzlich vom Schulträger zu erfüllen sind, können nicht vom
Sozialhilfeträger verlangt werden (OVG Bremen, Beschluss vom 10. Dezember 1998
– 2 BB 421/98; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 3. Juli 1997 – 6 S 9/97)“.
Zwar gibt es im Landesschulgesetz einen Ressourcenvorbehalt in § 5 Abs. 2, doch
das Gericht erklärte, dass die Inklusion ein übergeordnetes Ziel darstellt und
somit dieser Ressourcenvorbehalt nicht gilt.
Während viele Fachleute diesen Beschluss des Gerichtes
als fehlerhaft und nicht kongruent mit dem Bundesgesetz sahen, erarbeitete die
Landesregierung das Konzept der schulischen Assistenten, um wenigstens eine
personelle Unterstützung an den Schulen zu etablieren. In einer Stellungnahme
vom 12.5.2015 beschrieb das Bildungsministerium die „Eckpunkte zur Zielsetzung
zu den Aufgaben Schulischer Assistenz“. Darin steht, dass die Assistenzkräfte „für
alle Kinder in einer Klasse die Lernbedingungen“ verbessern und dadurch die
Lehrkräfte entlasten sollten (Ziffer 1, S. 1). Diese Zielsetzung richtet sich
an die Gesamtheit aller Schülerinnen und Schüler, aber sie ist nicht, wie bei
den Schulbegleitungen, einzelnen behinderten Kindern vorbehalten.
In der Stellungnahme wurden dann auch einzelne Aufgaben-
und Einsatzfelder aufgelistet und beispielhaft aufgeführt. Darin heißt es u.a.,
dass eine Unterstützung erfolgen soll „in Konfliktsituationen (z.B. bei Selbst-
und Fremdaggression, Verweigerungen, Weglaufsituationen oder
Rückzugserfordernissen) durch Kontakt-, Gesprächs- und Handlungsangebote“
(Ziffer 3, S. 1). Bei manchen Kindern mit Behinderung entsteht in
Überforderungssituationen ein solches selbst- oder fremdaggressives
Reaktionsverhalten. Bisher konnten Schulbegleiter, weil sie sich permanent in
der Nähe dieser Kinder aufhalten oder sie im Blick haben, dann steuernd
eingreifen. Nun sollen, nach Ansicht der Kreise, die Schulassistenten diese
Tätigkeit ausführen.
Damit entsteht wieder ein klassisches
Schnittstellenproblem, was aber auch in anderen Bereichen immer wieder
vorkommt. Aus Gründen der Ressourcenknappheit oder weil bislang noch gar kein
Bedarf von den öffentlichen Stellen festgestellt worden ist, werden Maßnahmen
zur Inklusion und Integration behinderter Menschen seitens der primär
verantwortlichen Leistungsträger nicht in ausreichendem Maß bereitgestellt. Doch
weil der Bedarf bei einem behinderten Menschen vorhanden ist, hat er das Recht
auf fachliche Assistenzleistungen (z.B. §§ 53, 54 SGB XII); und dann muss der
Sozialhilfeträger (bzw. der Jugendhilfeträger) einspringen und die Kosten
übernehmen.
Wenn also die Ressourcen in den Schulen zu knapp bemessen
sind, der Bedarf aber unstrittig vorhanden ist, dürfen die Kreise sich nicht
aus der Verantwortung stehlen. Sie sind kraft Gesetzes dazu sogar ausdrücklich
verpflichtet, Leistungen zur Teilhabe (und dazu gehört auch der Besuch an einer
Schule) „unabhängig von der Ursache der Behinderung“ zu erbringen (§ 4 SGB IX).
Denn wenn die Ressourcen nicht ausreichend vorhanden sind, könnten Menschen mit
Behinderung am Leben nicht teilhaben – sie wären ausgegliedert.
Die Richtlinien der beiden Landkreise basieren also noch
auf dem Gedanken des Ressourcenvorbehalts, der Unterstützung und Teilhabe erst
dann ermöglicht, wenn entsprechende Mittel bereitgestellt worden sind. Damit
erzielt man aber keine soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit. Ein
menschenwürdiges Dasein wird damit überhaupt nicht gesichert und die freie
Entfaltung der Persönlichkeit, insbesondere auch für junge Menschen, wird nicht
geschaffen (§ 1 Abs. 1 SGB I).
Ich hoffe, dass der Widerstand gegen diese Entscheidungen
der Landkreise wächst und endlich zu dem führt, was die Landesregierung in
ihrem Landesaktionsplan zum Ziel gemacht hat: Chancengleichheit, Akzeptanz,
Respekt und Teilhabe.
CGS
Quellen:
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