Mittwoch, 27. Juli 2016

Schulassistenten und Schulbegleiter - Schon wieder werden Anträge abgelehnt

Das Thema Schulassistenz und Schulbegleitung (Integrationsassistenz) nimmt rechtzeitig zu Beginn der Schulferien wieder an Fahrt auf. In den schleswig-holsteinischen Landkreisen Herzogtum-Lauenburg und Stormarn werden jetzt Anträge auf Schulbegleitungen negativ beschieden. Die Kreise verweisen auf die neu eingeführten Schulassistenten, sehen somit die Schulverwaltungen in der Pflicht und nicht mehr die Kreise als Träger der Jugend- oder Eingliederungshilfe.

Die Landesregierung von Schleswig-Holstein bekennt sich zur Umsetzung der UN-BRK und hat einen Landesaktionsplan erstellt, an dem sich jedes Ressort beteiligen soll. Chancengleichheit, Akzeptanz, Respekt und Teilhabe müssen sich Schritt für Schritt entwickeln, so die Landesregierung in ihrem Landesaktionsplan 2016. Vielfach bestehen noch „unreflektierte Vorstellungen über Menschen mit Behinderungen“ in den Köpfen der Bürgerinnen und Bürger, wie auch in den Köpfen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltungen. Nachhaltige Veränderung gelingt nur durch Veränderungen in der Gesamtgesellschaft.

Alle schön und gut, doch die Bürokratie orientiert sich nach „klaren“ Richtlinien und nicht nach Bekenntnissen.

Am 20.7.2016 teilte der Bürgerbeauftragte in einer Pressemitteilung mit, dass die beiden o.g. Kreise die Schulbegleitung (Integrationsassistenz) für Kinder mit Behinderung ablehnen, soweit sich der Bedarf auf Selbst- / Fremdaggression, Schutz vor Eigengefährdung durch mangelndes Gefahrenbewusstsein oder zum Beispiel auch Weglaufen bezieht. Diese Bedarfe müssen nach Ansicht der Kreise durch die Schulverwaltungen abgedeckt werden. Grund dafür sei einerseits die Entscheidung des Landessozialgerichts aus 2014 (Az. L9 SO 222/13 B ER; siehe auch meinen Beitrag vom 27.5.2014) und andererseits die Aufgabenbeschreibung für die Schulischen Assistenten der Landesregierung (Quellenangaben weiter unten).

Hintergrund ist der, dass im Landesschulgesetz von Schleswig-Holstein bestimmt ist, dass zu den „pädagogischen Zielen“ der Schule auch die Unterstützung von Schülerinnen und Schüler mit Behinderung gehört. In § 4 Abs. 13 S. 2 SchulG-SH heißt es: „Das Ziel einer inklusiven Beschulung steht dabei im Vordergrund“.

Das LSG hatte damals im Gesetz eine Aufgabe der Schule gesehen, die über die reine Wissensvermittlung hinausging. Die Schule sollte erziehen, fördern und „insbesondere behinderungsbedingte Defizite ausgleichen“, so das LSG in seiner damaligen Begründung. Und weiter erklärte das Gericht: „Hilfen, die gesetzlich vom Schulträger zu erfüllen sind, können nicht vom Sozialhilfeträger verlangt werden (OVG Bremen, Beschluss vom 10. Dezember 1998 – 2 BB 421/98; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 3. Juli 1997 – 6 S 9/97)“. Zwar gibt es im Landesschulgesetz einen Ressourcenvorbehalt in § 5 Abs. 2, doch das Gericht erklärte, dass die Inklusion ein übergeordnetes Ziel darstellt und somit dieser Ressourcenvorbehalt nicht gilt.

Während viele Fachleute diesen Beschluss des Gerichtes als fehlerhaft und nicht kongruent mit dem Bundesgesetz sahen, erarbeitete die Landesregierung das Konzept der schulischen Assistenten, um wenigstens eine personelle Unterstützung an den Schulen zu etablieren. In einer Stellungnahme vom 12.5.2015 beschrieb das Bildungsministerium die „Eckpunkte zur Zielsetzung zu den Aufgaben Schulischer Assistenz“. Darin steht, dass die Assistenzkräfte „für alle Kinder in einer Klasse die Lernbedingungen“ verbessern und dadurch die Lehrkräfte entlasten sollten (Ziffer 1, S. 1). Diese Zielsetzung richtet sich an die Gesamtheit aller Schülerinnen und Schüler, aber sie ist nicht, wie bei den Schulbegleitungen, einzelnen behinderten Kindern vorbehalten.

In der Stellungnahme wurden dann auch einzelne Aufgaben- und Einsatzfelder aufgelistet und beispielhaft aufgeführt. Darin heißt es u.a., dass eine Unterstützung erfolgen soll „in Konfliktsituationen (z.B. bei Selbst- und Fremdaggression, Verweigerungen, Weglaufsituationen oder Rückzugserfordernissen) durch Kontakt-, Gesprächs- und Handlungsangebote“ (Ziffer 3, S. 1). Bei manchen Kindern mit Behinderung entsteht in Überforderungssituationen ein solches selbst- oder fremdaggressives Reaktionsverhalten. Bisher konnten Schulbegleiter, weil sie sich permanent in der Nähe dieser Kinder aufhalten oder sie im Blick haben, dann steuernd eingreifen. Nun sollen, nach Ansicht der Kreise, die Schulassistenten diese Tätigkeit ausführen.

Damit entsteht wieder ein klassisches Schnittstellenproblem, was aber auch in anderen Bereichen immer wieder vorkommt. Aus Gründen der Ressourcenknappheit oder weil bislang noch gar kein Bedarf von den öffentlichen Stellen festgestellt worden ist, werden Maßnahmen zur Inklusion und Integration behinderter Menschen seitens der primär verantwortlichen Leistungsträger nicht in ausreichendem Maß bereitgestellt. Doch weil der Bedarf bei einem behinderten Menschen vorhanden ist, hat er das Recht auf fachliche Assistenzleistungen (z.B. §§ 53, 54 SGB XII); und dann muss der Sozialhilfeträger (bzw. der Jugendhilfeträger) einspringen und die Kosten übernehmen.

Wenn also die Ressourcen in den Schulen zu knapp bemessen sind, der Bedarf aber unstrittig vorhanden ist, dürfen die Kreise sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Sie sind kraft Gesetzes dazu sogar ausdrücklich verpflichtet, Leistungen zur Teilhabe (und dazu gehört auch der Besuch an einer Schule) „unabhängig von der Ursache der Behinderung“ zu erbringen (§ 4 SGB IX). Denn wenn die Ressourcen nicht ausreichend vorhanden sind, könnten Menschen mit Behinderung am Leben nicht teilhaben – sie wären ausgegliedert.

Die Richtlinien der beiden Landkreise basieren also noch auf dem Gedanken des Ressourcenvorbehalts, der Unterstützung und Teilhabe erst dann ermöglicht, wenn entsprechende Mittel bereitgestellt worden sind. Damit erzielt man aber keine soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit. Ein menschenwürdiges Dasein wird damit überhaupt nicht gesichert und die freie Entfaltung der Persönlichkeit, insbesondere auch für junge Menschen, wird nicht geschaffen (§ 1 Abs. 1 SGB I).

Ich hoffe, dass der Widerstand gegen diese Entscheidungen der Landkreise wächst und endlich zu dem führt, was die Landesregierung in ihrem Landesaktionsplan zum Ziel gemacht hat: Chancengleichheit, Akzeptanz, Respekt und Teilhabe.

CGS



Quellen:







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