So viel Normalität wie möglich, aber auch so viel
Rücksichtnahme wie nötig.
Dies sollte der Leitspruch
sein, den die erstangegangenen Leistungsträgern bei der Prüfung von Anträgen
auf Schulbegleitung und anderen Hilfen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben
berücksichtigen müssten. Doch offenbar gilt ein anderer: Ich bin nicht
zuständig.
Weil im
schleswig-holsteinischen Landesschulgesetz es heißt: „Das Ziel einer inklusiven
Beschulung steht dabei im Vordergrund“ (§ 4 Abs. 13 S. 2 SchulG-SH), sehen sich
die Leistungsträger nicht mehr in der Pflicht, irgendwelche Kosten zu
übernehmen. Dabei hätten Sie die Möglichkeit, sich bei den tatsächlich
Verantwortlichen für die Kostenübernahme sozusagen schadlos zu halten.
Natürlich muss zuerst einmal
abgeklärt werden, ob eine antragstellende Person überhaupt leistungsberechtigt
ist. Für geistig behinderte Menschen wird dies in § 53 SGB XII beschrieben, für
Kinder mit einer seelischen Einschränkung dagegen in § 35 a SGB VIII.
§
53 Abs. 1 und Abs. 2 SGB XII
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§ 35 a Abs. 1 und Abs. 1 a SGB VIII
|
(1)
Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des
Neunten Buches wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft
teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung
bedroht sind, erhalten Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange
nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere
der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe
erfüllt werden kann. Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder
seelischen Behinderung können Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten.
(2)
Von einer Behinderung bedroht sind Personen, bei denen der Eintritt der
Behinderung nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu
erwarten ist. Dies gilt für Personen, für die vorbeugende Gesundheitshilfe
und Hilfe bei Krankheit nach den §§ 47 und 48 erforderlich ist, nur, wenn
auch bei Durchführung dieser Leistungen eine Behinderung einzutreten droht.
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(1)
Kinder oder Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn
1.
ihre
seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von
dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und
2.
daher
ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine
solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Von
einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne dieses Buches sind Kinder oder
Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der
Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu
erwarten ist. § 27 Absatz 4 gilt entsprechend.
(1a)
Hinsichtlich der Abweichung der seelischen Gesundheit nach Absatz 1 Satz 1
Nummer 1 hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Stellungnahme
1.
eines
Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie,
2.
eines
Kinder- und Jugendpsychotherapeuten oder
3.
eines
Arztes oder eines psychologischen Psychotherapeuten, der über besondere
Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen
verfügt,
einzuholen.
Die Stellungnahme ist auf der Grundlage der Internationalen Klassifikation
der Krankheiten in der vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation
und Information herausgegebenen deutschen Fassung zu erstellen. Dabei ist
auch darzulegen, ob die Abweichung Krankheitswert hat oder auf einer
Krankheit beruht. Die Hilfe soll nicht von der Person oder dem Dienst oder
der Einrichtung, der die Person angehört, die die Stellungnahme abgibt,
erbracht werden.
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Sobald die
Leistungsberechtigung nämlich feststeht (vgl. auch § 40 SGB I), prüfen die
erstangegangenen Leistungsträger zwar die Anträge auf ihre eigene sachliche
Zuständigkeit, doch sie müssen auf Antrag des Leistungsberechtigten ggf.
vorläufige Leistungen erbringen (vgl. § 43 SGB I). Leider wird letzteres
vielfach nicht beantragt, so dass die Leistungspflicht auch in streitigen
Anspruchsverfahren nicht umgesetzt wird.
In den Landkreisen Stormarn und
Herzogtum-Lauenburg wird zudem abgelehnt, weil man sich grundsätzlich nicht
zuständig sieht, obwohl die Leistungspflicht besteht. Bislang wurde meiner
Kenntnis nach von den Sozialhilfeträgern nicht unter Verweis auf § 2 SGB XII
die Ablehnung ausgesprochen, aber es könnte sein, dass hier doch ein Bezug
irgendwie hergestellt wird – ganz nach der Überlegung, Sozialhilfe erhält
nicht, „wer die erforderlichen Leistungen von anderen, insbesondere … von
Trägern anderer Sozialleistungen, erhält“ (§ 2 Abs. 1 letzter Teilsatz SGB
XII).
Sozialhilfe ist nachrangig,
wenn ausreichend Einkommen und Vermögen vorhanden ist oder wenn man die
Leistung anderweitig „erhält“. Doch genau dies ist das Problem der
anspruchsberechtigten Kinder. Sie würden trotz Vorhandensein von
Schulassistenten ihren Bedarf nicht abgedeckt bekommen, weil die
Schulassistenten nicht für sie persönlich da sind. Die Schulassistenten
arbeiten für die Klasse und unterstützen die Lehrkräfte, aber sie sind nicht
ausschließlich für die Bedarfsdeckung der behinderten Kinder zuständig.
Im Bereich der Jugendhilfe gibt § 10 SGB VIII das Verhältnis zu anderen Leistungen und Verpflichtungen vor. Demnach bleiben die Verpflichtungen anderer aufgrund der Leistungspflichten, die sich aus diesem Gesetz ergeben, unberührt (Abs. 1). Es wird zudem klargestellt, dass die Jugendhilfe den Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII vorgehen (Abs. 3 und Abs. 4) mit Ausnahme der Eingliederungshilfe (Abs. 4 S. 2). Doch eine Leistungspflicht bleibt grundsätzlich bestehen, selbst wenn in anderen Gesetzen die Zuständigkeiten anders bzw. näher bestimmt sind.
Wenn also die Zuständigkeiten
bei anderen liegen, aber diese nicht zahlen wollen oder leisten können, gibt es
dann gar nichts?
Weil der Schutzgedanke allem
anderen vorgeht, muss die Leistung wie auch immer erbracht werden. Doch die
leistenden Träger der Jugend- oder Eingliederungshilfe könnten sich ihre Kosten
erstatten lassen von denjenigen, die letztlich zuständig sind. In § 93 SGB XII
heißt es z.B., dass bei einer leistungsberechtigten Person, bei der ein „Anspruch
gegen einen anderen, der kein Leistungsträger im Sinne des § 12 des Ersten
Buches [SGB I] ist, kann der Träger der Sozialhilfe durch schriftliche Anzeige
an den anderen bewirken, dass dieser Anspruch bis zur Höhe seiner Aufwendungen
auf ihn übergeht“ (Abs. 1). Und weiter heißt es, dass die schriftliche Anzeige „den
Übergang des Anspruchs für die Zeit, für die der leistungsberechtigten Person
die Leistung ohne Unterbrechung erbracht wird“, bewirkt (Abs. 2). Den Hinweis
auf § 12 SGB I kann man getrost überspringen, weil sich aus dieser Regelung
eine grundsätzliche Kostenerstattungspflicht ergibt.
Konkret würde dies bedeuten,
dass die Sozialhilfeträger zuerst einmal die Schulbegleitung stellen und
bezahlen, sich aber dann einen Teil der Kosten durch die Schulverwaltungen bzw.
die Schulträger gem. § 93 SGB XII zurückerstatten lassen (vgl. auch Rz. 17 zu §
93, S. 733, aus Münder et al in LPK-SGB XII, 8. Auflage).
Familien mit schwerbehinderten
Kindern sind in einer besonderen Art und Weise hoch belastet. Zwar gibt es
Hilfenetze und verschiedene Angebote, doch sie müssen sich alles selbst
erarbeiten und, wie man sieht, nun auch noch erstreiten. Es ist leider sehr
bedauerlich, dass die Landkreise hier nicht unterstützend eingreifen.
CGS
PS:
Am 7.9.2016 findet eine
Veranstaltung der schleswig-holsteinischen Wohlfahrts- und Fachverbände sowie
der Diakonie zum Thema „Familien am Limit“ im Landeshaus in Kiel statt. Die
Veranstalter wollen mit dieser Veranstaltung ein besonderes Augenmerk auf die
Bedarfslagen von Kindern mit Behinderung im Alter von 0 bis 6 Jahren sowie ihre
Familien richten. Es geht ganz besonders auch um die Diskrepanz zwischen
Anspruch und erlebter Wirklichkeit. Geklärt werden sollen die Fragen, welche
Angebotsstrukturen es gibt, wo sich Lücken im System aufzeigen und wie man
Weiterentwicklung anstößt.
Das obige Thema
Schulassistenten und Schulbegleiter betrifft allerdings nur diejenigen Kinder,
die sich im (Grund-) Schulalter befinden. Dennoch ist eine solche Veranstaltung
wichtig und führt zu einer Aufmerksamkeit, die dann auch diejenigen begünstigt,
die schon älter sind.
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