Freitag, 29. Juli 2016

Schulassistenten und Schulbegleiter - Schon wieder werden Anträge abgelehnt – Teil 2

So viel Normalität wie möglich, aber auch so viel Rücksichtnahme wie nötig.

Dies sollte der Leitspruch sein, den die erstangegangenen Leistungsträgern bei der Prüfung von Anträgen auf Schulbegleitung und anderen Hilfen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben berücksichtigen müssten. Doch offenbar gilt ein anderer: Ich bin nicht zuständig.

Weil im schleswig-holsteinischen Landesschulgesetz es heißt: „Das Ziel einer inklusiven Beschulung steht dabei im Vordergrund“ (§ 4 Abs. 13 S. 2 SchulG-SH), sehen sich die Leistungsträger nicht mehr in der Pflicht, irgendwelche Kosten zu übernehmen. Dabei hätten Sie die Möglichkeit, sich bei den tatsächlich Verantwortlichen für die Kostenübernahme sozusagen schadlos zu halten.

Natürlich muss zuerst einmal abgeklärt werden, ob eine antragstellende Person überhaupt leistungsberechtigt ist. Für geistig behinderte Menschen wird dies in § 53 SGB XII beschrieben, für Kinder mit einer seelischen Einschränkung dagegen in § 35 a SGB VIII.

§ 53 Abs. 1 und Abs. 2 SGB XII
§ 35 a Abs. 1 und Abs. 1 a SGB VIII
(1) Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, erhalten Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung können Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten.

(2) Von einer Behinderung bedroht sind Personen, bei denen der Eintritt der Behinderung nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Dies gilt für Personen, für die vorbeugende Gesundheitshilfe und Hilfe bei Krankheit nach den §§ 47 und 48 erforderlich ist, nur, wenn auch bei Durchführung dieser Leistungen eine Behinderung einzutreten droht.
(1) Kinder oder Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn

1.
ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und

2.
daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne dieses Buches sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. § 27 Absatz 4 gilt entsprechend.

(1a) Hinsichtlich der Abweichung der seelischen Gesundheit nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Stellungnahme

1.
eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie,

2.
eines Kinder- und Jugendpsychotherapeuten oder

3.
eines Arztes oder eines psychologischen Psychotherapeuten, der über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen verfügt,
einzuholen. Die Stellungnahme ist auf der Grundlage der Internationalen Klassifikation der Krankheiten in der vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information herausgegebenen deutschen Fassung zu erstellen. Dabei ist auch darzulegen, ob die Abweichung Krankheitswert hat oder auf einer Krankheit beruht. Die Hilfe soll nicht von der Person oder dem Dienst oder der Einrichtung, der die Person angehört, die die Stellungnahme abgibt, erbracht werden.

Sobald die Leistungsberechtigung nämlich feststeht (vgl. auch § 40 SGB I), prüfen die erstangegangenen Leistungsträger zwar die Anträge auf ihre eigene sachliche Zuständigkeit, doch sie müssen auf Antrag des Leistungsberechtigten ggf. vorläufige Leistungen erbringen (vgl. § 43 SGB I). Leider wird letzteres vielfach nicht beantragt, so dass die Leistungspflicht auch in streitigen Anspruchsverfahren nicht umgesetzt wird.

In den Landkreisen Stormarn und Herzogtum-Lauenburg wird zudem abgelehnt, weil man sich grundsätzlich nicht zuständig sieht, obwohl die Leistungspflicht besteht. Bislang wurde meiner Kenntnis nach von den Sozialhilfeträgern nicht unter Verweis auf § 2 SGB XII die Ablehnung ausgesprochen, aber es könnte sein, dass hier doch ein Bezug irgendwie hergestellt wird – ganz nach der Überlegung, Sozialhilfe erhält nicht, „wer die erforderlichen Leistungen von anderen, insbesondere … von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält“ (§ 2 Abs. 1 letzter Teilsatz SGB XII).

Sozialhilfe ist nachrangig, wenn ausreichend Einkommen und Vermögen vorhanden ist oder wenn man die Leistung anderweitig „erhält“. Doch genau dies ist das Problem der anspruchsberechtigten Kinder. Sie würden trotz Vorhandensein von Schulassistenten ihren Bedarf nicht abgedeckt bekommen, weil die Schulassistenten nicht für sie persönlich da sind. Die Schulassistenten arbeiten für die Klasse und unterstützen die Lehrkräfte, aber sie sind nicht ausschließlich für die Bedarfsdeckung der behinderten Kinder zuständig.

Im Bereich der Jugendhilfe gibt § 10 SGB VIII das Verhältnis zu anderen Leistungen und Verpflichtungen vor. Demnach bleiben die Verpflichtungen anderer aufgrund der Leistungspflichten, die sich aus diesem Gesetz ergeben, unberührt (Abs. 1). Es wird zudem klargestellt, dass die Jugendhilfe den Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII vorgehen (Abs. 3 und Abs. 4) mit Ausnahme der Eingliederungshilfe (Abs. 4 S. 2). Doch eine Leistungspflicht bleibt grundsätzlich bestehen, selbst wenn in anderen Gesetzen die Zuständigkeiten anders bzw. näher bestimmt sind.

Wenn also die Zuständigkeiten bei anderen liegen, aber diese nicht zahlen wollen oder leisten können, gibt es dann gar nichts?

Weil der Schutzgedanke allem anderen vorgeht, muss die Leistung wie auch immer erbracht werden. Doch die leistenden Träger der Jugend- oder Eingliederungshilfe könnten sich ihre Kosten erstatten lassen von denjenigen, die letztlich zuständig sind. In § 93 SGB XII heißt es z.B., dass bei einer leistungsberechtigten Person, bei der ein „Anspruch gegen einen anderen, der kein Leistungsträger im Sinne des § 12 des Ersten Buches [SGB I] ist, kann der Träger der Sozialhilfe durch schriftliche Anzeige an den anderen bewirken, dass dieser Anspruch bis zur Höhe seiner Aufwendungen auf ihn übergeht“ (Abs. 1). Und weiter heißt es, dass die schriftliche Anzeige „den Übergang des Anspruchs für die Zeit, für die der leistungsberechtigten Person die Leistung ohne Unterbrechung erbracht wird“, bewirkt (Abs. 2). Den Hinweis auf § 12 SGB I kann man getrost überspringen, weil sich aus dieser Regelung eine grundsätzliche Kostenerstattungspflicht ergibt.

Konkret würde dies bedeuten, dass die Sozialhilfeträger zuerst einmal die Schulbegleitung stellen und bezahlen, sich aber dann einen Teil der Kosten durch die Schulverwaltungen bzw. die Schulträger gem. § 93 SGB XII zurückerstatten lassen (vgl. auch Rz. 17 zu § 93, S. 733, aus Münder et al in LPK-SGB XII, 8. Auflage).

Familien mit schwerbehinderten Kindern sind in einer besonderen Art und Weise hoch belastet. Zwar gibt es Hilfenetze und verschiedene Angebote, doch sie müssen sich alles selbst erarbeiten und, wie man sieht, nun auch noch erstreiten. Es ist leider sehr bedauerlich, dass die Landkreise hier nicht unterstützend eingreifen.

CGS


PS:

Am 7.9.2016 findet eine Veranstaltung der schleswig-holsteinischen Wohlfahrts- und Fachverbände sowie der Diakonie zum Thema „Familien am Limit“ im Landeshaus in Kiel statt. Die Veranstalter wollen mit dieser Veranstaltung ein besonderes Augenmerk auf die Bedarfslagen von Kindern mit Behinderung im Alter von 0 bis 6 Jahren sowie ihre Familien richten. Es geht ganz besonders auch um die Diskrepanz zwischen Anspruch und erlebter Wirklichkeit. Geklärt werden sollen die Fragen, welche Angebotsstrukturen es gibt, wo sich Lücken im System aufzeigen und wie man Weiterentwicklung anstößt.

Das obige Thema Schulassistenten und Schulbegleiter betrifft allerdings nur diejenigen Kinder, die sich im (Grund-) Schulalter befinden. Dennoch ist eine solche Veranstaltung wichtig und führt zu einer Aufmerksamkeit, die dann auch diejenigen begünstigt, die schon älter sind.




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