Dienstag, 27. Juni 2017

Leistungsbescheide der Hamburger Sozialbehörde an Menschen mit dem Bedarf an Eingliederungshilfe

Leistungsbescheide an Menschen, die aufgrund ihrer besonderen Einschränkungen einen dauerhaften Bedarf an Eingliederungshilfe haben, sind von Landkreis zu Landkreis und Bundesland zu Bundesland höchst „individuell“. In vielen Fällen scheint man sich es einfach zu machen und versendet einen zweiseitigen Verwaltungsakt. Doch die Hamburger machen es anders, denn da werden sehr häufig 7 Seiten Text verschickt.  

Aus datenschutzrechtlichen Gründen schickt die Hamburger Sozialbehörde Bescheide über bewilligte Sozialleistungen (speziell jetzt zu Leistungen der Eingliederungshilfe) nicht an die Träger von Einrichtungen im Hamburger Stadtgebiet – den sogenannten Leistungserbringern. In einigen (und doch vielen) Fällen kommt es dennoch vor.

Was sich im Leistungsbescheid findet

Der Leistungsbescheid stellt einen Verwaltungsakt dar, der klar benennt, bis wann eine Leistung von der Behörde bewilligt wird. Allerdings kommt es häufig genug vor, dass das Ablaufdatum im Bescheid auf dem Monatsletzten des Folgemonats liegt. Das bedeutet zwar nicht, dass in einem solchen Fall die Bewilligung tatsächlich endet, vielmehr will die Behörde nur herausstellen, dass die Bewilligung automatisch enden kann, wenn der Hilfebedarf des Leistungsberechtigten nicht mehr besteht. Ein Leistungsberechtigter soll nicht erwarten, dass die Hilfeleistung bis in alle Ewigkeit so weitergeht.

Es gibt allerdings auch Leistungsbescheide, die über einen sehr langen Zeitraum ausgestellt worden sind. Warum hier die Praxis eine andere ist, hat wohl mit vielen Faktoren zu tun, die dem Außenstehenden nicht bekannt gemacht werden sollen. Man kann vermuten, dass die bewilligende Stelle eine gewisse Dauerhaftigkeit sieht und sich so den Papierkram erspart.

Parallel zum Leistungsbescheid wird eine Fristenmitteilung an den Leistungserbringer versendet, damit klar gestellt wird, wann ein Sozial- und Verlaufsbericht (SVB) / Entwicklungs- und Teilhabebericht von diesem eingereicht werden muss. Üblicherweise liegt die Frist bei sechs Wochen vor dem eigentlichen Ablaufdatum der Leistungsbewilligung. Letzteres ist aber nicht zwingend bekannt und es kann sogar sein, dass das Ablaufdatum auf dem Leistungsbescheid quasi „unmittelbar“ endet, während das Berichtsdatum weit in der Zukunft liegt.

Mitwirkung im Verfahren

Im Leistungsbescheid steht, dass der Leistungsberechtigte zur Mitwirkung gesetzlich verpflichtet ist und eine Kopie des Bescheids an den Leistungserbringer geben soll. Und tatsächlich benötigt der Leistungserbringer den Leistungsbescheid, weil nur aus dem der Umfang der Leistungserbringung abgelesen werden kann bzw. sich im Vergleich zum Gesamtplan (§ 58 SGB XII) bestätigt. Es kann schließlich vorkommen, dass trotz Kenntnis des Gesamtplans – aus vielleicht technischen Gründen – eine Änderung in der Hilfebedarfsgruppe / Leistungsstufe stattgefunden hat.

Der Leistungsbescheid ist als die entscheidende Unterlage anzusehen für den „Geldfluss“. Wurde ein Ablaufdatum erreicht oder gab es eine Änderung im bewilligten Leistungsumfang, reduziert sich prompt die Zahlung an die Leistungserbringer (bei AWG und klassisch stationär). Weil sich dann aus solchen Begebenheiten viele Rückfragen ergeben, müssen die Leistungserbringer „hinterher“ sein und ständig die Leistungsbescheide abfordern.

Im Leistungsbescheid findet sich der Hinweis, dass eine weitere Bewilligung  eine „erneute Antragstellung“ voraussetzt. Der Antrag soll zusammen mit dem Bericht über den Leistungsbezug (Leistungsnachweis) bzw. einem Bericht „hinsichtlich der mit der Hilfe erreichten (Teil-) Ziele“ (das ist der Sozial- und Verlaufsbericht bzw. Entwicklungs- und Teilhabebericht) eingereicht werden. Auch wenn dieser Bericht vom Leistungsberechtigten mit unterschrieben wird, es handelt sich nicht um einen gemeinsamen Antrag! Antragsteller ist ausschließlich der Leistungsbezieher, also der behinderte Mensch, welcher bestenfalls von seinem rechtlichen Betreuer vertreten wird, aber keinesfalls der Leistungserbringer.

Der Antrag soll gestellt werden „spätestens 6 Wochen vor Ablauf des Bewilligungszeitraums“. Das ist eine Standard-Floskel, die eigentlich mit der Fristenmitteilung (von oben) an den Leistungserbringer übereinstimmen soll. Wenn der Bericht vom Leistungserbringer erstellt worden ist, hat der Leistungsberechtigte bzw. sein rechtlicher Betreuer diesen zu unterschreiben und einzuschicken (in einigen Fällen geschieht das Verschicken durch den Leistungserbringer, hin und wieder sogar ohne Einsichtnahme und Unterschrift des Leistungsberechtigten).

Das Hin- und Herschicken erfolgt manchmal direkt an den Leistungserbringer, wobei im Adressfeld häufig nur „c/o“ eingetragen ist, der Empfänger aber – ganz oben – der Leistungsberechtigte ist. Hier ist das Briefgeheimnis  zu beachten (§ 202 StGB). Ein behördliches Schreiben darf keinesfalls von Mitarbeitern der Einrichtung ohne ausdrückliches Einverständnis des Leistungsberechtigten oder des rechtlichen Betreuers geöffnet und eingesehen werden.

Die formlose Weiterbewilligung?

Wenn neue Leistungsbescheide mit abweichenden Daten erstellt werden, müssten die alten Bescheide, bei denen es sich auch um Verwaltungsakte handelt, formal aufgehoben werden. Weil aber übergeordnet immer der Bedarf zu sehen ist und die Bewilligung somit nicht „automatisch“ enden darf, handelt es sich in der Praxis um einen Formfehler ohne wesentliche Auswirkungen. Allenfalls bei Änderungen, die sich auf den Umfang der Leistungen beziehen, wäre ein solcher Formfehler vielleicht relevant.

Dass überhaupt neue Leistungsbescheide ausgestellt werden, ist nicht zwingende Voraussetzung für die kontinuierliche Leistungserbringung. Nach § 33 SGB X können Verwaltungsakte schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise (z.B. „stillschweigend“) erlassen werden. Was es dazu braucht, ist lediglich ein berechtigtes Interesse und ein unverzügliches Verlangen des Betroffenen (Abs. 2). Doch auch selbst das wird häufig genug in der Praxis ganz einfach angenommen.

Auf der letzten Seite findet sich dann endlich der Leistungsumfang, der eigentlich keine verständlichen Informationen bereithält. Bei ambulanten Leistungen, die auf Stundenbasis erfolgen, wird noch ein Stundensatz und die Anzahl der wöchentlichen Stunden bekannt gegeben, doch bei Leistungen, die monatlich abgerechnet werden, findet sich allenfalls die Hilfebedarfsgruppe oder eine Leistungsstufe. Was diese Angaben konkret bedeuten, kann nur jemand einschätzen, der den Gesamtplan und die Kalkulationsgrundlagen kennt.

Der Gesamtplan enthält zwar Angaben zu den Leistungsarten, bestenfalls auch etwas zur Intensität der Leistungsbemessung, wie viele Stunden wöchentlich wirklich bewilligt sind, kann man höchsten durch Kenntnis der Kalkulationsgrundlagen ableiten. Da aber die Leistung immer personenzentriert und bedarfsorientiert erbracht werden muss, ist dieses Hintergrundwissen nicht wirklich hilfreich.

Es kommen somit vier Blatt Papier zusammen, auf dem viel steht und sehr viel sich stets wiederholt. Allerdings findet sich auf einer der vielen Seiten ein kleiner Absatz, der vielleicht den Grund bekannt gibt, warum ein neuer Leistungsbescheid notwendig war. Betitelt ist dieser Absatz mit dem Hinweis: „Bitte die nachstehenden Angaben unbedingt beachten“. Und das sollte man dann auch tun.


CGS



PS:

Die o.g. „datenschutzrechtlichen Gründe“ sind mir im Detail unbekannt – und damit auch nicht so richtig schlüssig – muss man vielleicht auch nicht wirklich verstehen, denn letztlich kommt es doch auf Hilfeleistung an, oder?

Wer sich aber unter dem Stichwort „Sozialdatenschutz“ etwas zusammenlesen möchte, wird mit Sicherheit auf diese Normen stoßen: §§ 35 SGB I und 78 SGB X.


Und noch ein PS:

Das Thema Gesamtplan wird im nächsten Beitrag behandelt.





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Mittwoch, 21. Juni 2017

In anderer Sache - Fachlichkeit und Risiko-Betrachtung in der Wirtschaftsprüfung

Und wieder geht es um ein Thema, das anscheinend so gar nichts mit der Eingliederungshilfe zu tun hat. Es geht um eine Pflicht, die gerade von sozialen Unternehmen, die als eine Körperschaft (z.B. im Sinne des GmbHG) eingetragen sind, jährlich erfüllt werden muss: dem Jahresabschluss.

Hier mal ein paar Gedanken dazu, wie man sich dieser Pflicht ein wenig entledigen kann und wen man dazu braucht – vielleicht kann damit auch ein wenig Verständnis generiert werden für die Leute, die offenbar „nur mit Zahlen“ arbeiten und „nie mit Menschen“ im Kontakt stehen - denn es geht schließlich auch um sehr viel!

Pflicht der Geschäftsführung

In der Rechtsform einer GmbH ist ein soziales Unternehmen verpflichtet, einen Jahresabschluss aufzustellen und diesen zu veröffentlichen. Doch dieser Pflicht entledigt man sich nicht so ohne weiteres, sondern man muss die Hilfe verschiedener Fachleute einholen, damit dies gelingt - z.B. Bilanzbuchhalter und Wirtschaftsprüfer.

Die Geschäftsführung ist verantwortlich für die Richtigkeit des Jahresabschlusses. Um für die Prüfung (auch „Audit“ genannt) gut vorbereitet zu sein, müssen unternehmensinterne Ansprechpartner bereitstehen und Nachweise zusammentragen, mit denen dann qualifiziert und uneingeschränkt eine Auskunft an Prüfer erteilt werden kann (§ 320 HGB). Als interne Ansprechpartner eignen sich sehr gut ausgebildete Bilanzbuchhalter, doch auch andere Fachkräfte des Rechnungswesens mit Wissen über die anwendbaren Rechtsgebiete und Gesellschaftsvertrag / Satzung können die Wirtschaftsprüfer bei ihrer Arbeit zur Verfügung stehen.

Die Wirtschaftsprüfer prüfen die im Jahresabschluss befindlichen Behauptungen und vergeben einen Bestätigungsvermerk darüber, dass die gemachten Angaben plausibel sind. Weil am Ende der Prüfung die Veröffentlichung steht, auf die sich dann Behörden und sonstige Stellen beziehen wollen, ist ein „relativ“ hohes Maß an Genauigkeit vonnöten – „relativ“ deswegen, weil ein Wirtschaftsprüfer keine Total-Prüfung mit 100 %iger Genauigkeit leisten kann, sondern sich auf „wesentliche“ Angaben konzentriert.

Ein System der internen Kontrollen

Ganz besonders wird man sich auf Seiten der Wirtschaftsprüfer für das genutzte System von Kontrollen, Methoden und Grundsätzen interessieren. Von daher ist zu diesen Punkten Auskunft zu erteilen:

- Vorhandenseins eines rechnungslegungsbezogenen, internen Kontrollsystems, mit dem unter Einhaltung der Grundsätze ordnungsgemäßen Buchführung (GOB) Maßnahmen zur Verhinderung und Aufdeckung wesentlicher Täuschungen und Vermögensschädigungen möglich sind.

- mögliche Störungen oder wesentliche Mängel eines solchen internen Kontrollsystems.

- Zugriffsmöglichkeiten auf sämtliche Bücher und Schriften des Unternehmens in Bezug auf die Geschäftsvorfälle, die zum Jahresabschluss geführt haben - hierzu gehören auch IT-gestützte Datenbestände.

- Änderungen des Buchführungssystems und der Anwendung von Buchungsregeln / Methoden / Rechnungslegungsgrundsätzen sowie auch Darlegung, welche Mitarbeiter (und sonstigen Dienstleister) mit dem Buchführungssystem gearbeitet bzw. Einfluss auf die Daten gehabt haben.

Das System der internen Kontrollen bildet eine Grundlage, auf der sich dann ein Vertrauen in die Zahlen des Jahresabschlusses ergeben kann. Für die Wirtschaftsprüfer ist dies sehr wichtig, weil ein erheblicher Anteil an Prüfungsarbeit nicht mehr detailliert und exakt zu erfolgen hat, sondern mit analytischen Methoden unternommen werden kann. Analytisch bedeutet, dass man z.B. die im Lagebericht enthaltenen Informationen für die Plausibilisierung von umfangreichen Datenbeständen verwendet. Man unterstellt sozusagen eine Kausalität zwischen den einzelnen Berichtsteilen.

Rahmenbedingungen und eigentümliche Geschäftsvorfälle

Im Lagebericht sollten dann die wirtschaftlichen Grundlagen dargestellt werden. Es ist hilfreich für Dritte, wenn dabei auch die Rahmenbedingungen, sozusagen der Wirtschaftsbereich bzw. die makroökonomische Vorgaben, beschrieben werden. Doch es ist auch wichtig, den betrieblichen Fortbestand auf der Grundlage der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage darzustellen (§ 264 Abs. 2 HGB) - sowohl für das Berichtsjahr, wie auch im Hinblick auf Zeiten nach dem Abschlussstichtag (aber nur bis zum Beginn der Prüfung geht das).

Vielfach ergeben sich Geschäftsvorfälle, die mit sehr eigentümlichen, aber völlig legalen Mitteln, vertraglich ausgestaltet werden. Es wird in solchen Momenten leider häufig vergessen, dass solche Gestaltungen den Wirtschaftsprüfern zu berichten sind. Es müssen dann umfangreiche Nachweise und ggf. sogar Berechnungen durchgeführt werden, um den Geschäftsvorfall und seine Auswirkungen auf den Jahresabschluss besser zu erläutern. Von daher sollten die internen Ansprechpartner hierüber gut Bescheid wissen:

- relevante Ereignisse nach Abschlussstichtag.

-  verbundene Unternehmen und sonstige Personen.

-  Ausleihungen, Forderungen und Verbindlichkeiten (sogar Eventualverbindlichkeiten) ggü. sowie Geschäfte mit verbundenen Unternehmen und Personen (dazu zählen dann auch Gesellschafter).

-  nicht zu marktüblichen Bedingungen zustande gekommene (wesentliche) Geschäfte.

-  Bürgschaften, Wechsel und Gewährleistungen

-  Sonstige Verträge (auch zugunsten Dritter), die nicht aus dem Jahresabschluss ersichtlich sind (und die Finanzlage betreffen können).

-  Besicherungen und Pfandrechte auf Vermögensgegenstände.

-  Sonstige Haftungsverhältnisse (vgl. § 285 HGB) und Verträge mit Vertragsstrafen.

-  Rückgabeverpflichtungen auf Vermögensgegenstände (auch Leasing).

-  (Derivative) Finanzinstrumente, auch mit Fremdwährungen (vgl. auch § 254 HGB).

-  Rechtsstreitigkeiten (auch solche, die sich dazu entwickeln können).

-  Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften und Satzungen von Mitarbeitern, des Unternehmens oder seiner Organe.

-  Inanspruchnahme der Schutzklausel nach § 286 HGB bzw. § 160 Abs. 2 AktG.

-  Angaben zu erwarteten Entwicklungen nach § 289 HGB.

-  weitere wesentliche Chancen und Risiken.

Sind die vom sozialen Unternehmen benannten, Auskunft gebenden Personen nicht in der Lage, über diese vorgenannten Punkte zu informieren und zu belegen, würde dies das Risiko für den Prüfer deutlich erhöhen. Und je höher das Risiko oder je vorsichtiger die Risikoeinschätzung, umso höher der Prüfungsumfang und die Kosten.

Audit-Risiko, engl. „Audit-Risk“

Ein Wirtschaftsprüfer wird sich zuerst einmal immer die Frage stellen, wie hoch das Risiko anzusetzen ist für eine "wesentliche, materielle" Fehleinschätzung in Bezug auf das Unternehmen (RMM). Dieses ergibt sich einerseits aus dem inhärenten Risiko (IR) der Vermögensgegenstände oder des Unternehmens und andererseits dem Kontrollrisiko (CR). Ein Beispiel: Bargeld hätte ein höheres IR, weil es begehrt ist und schnell mal gestohlen werden kann. Damit dies nicht passiert, müssen Kassenbestände immer von anderen nach dem Vier-Augen-Prinzip geprüft werden. Wenn eine solche Kontrolle zur Anwendung kommt, verringert sich das CR. Ansonsten hätte man in der Bilanz einen Betrag für die Position "Kasse" ausgewiesen, der nicht stimmt. Ein anderes Beispiel: Ein Produktionsbetrieb unterliegt einem höheren Risiko für Ausfälle und Schwund, als eine Verwaltungsgesellschaft oder ein soziales Unternehmen. Seitens der Prüfer wird also immer ein großes Interesse an den Tag gelegt, wenn es um Kontrollsysteme geht - und hier kann das Unternehmen aktiv an der Reduzierung des Risikos arbeiten, in dem es ein gut funktionierendes Kontrollsystem betreibt.

Die nächste Frage betrifft dann, wie ein möglicher Fehler aufgedeckt werden kann (DR). Hierzu wird der Prüfer einerseits analytisch vorgehen (AP) und andererseits sich Nachweise geben lassen (TD). Die erstere Prozedur ist recht schnell erledigt, weil man hier Annahmen zugrunde legt, Vergleiche zieht und Abweichungen plausibilisiert. Doch die zweite Prozedur ist sehr zeitaufwändig und erfordert eine erhöhte Prüfungstätigkeit, was sich sogleich auf dauerhaft höhere Prüfungsgebühren niederschlägt. In der Regel versucht man als Prüfer den Bedarf an solchen Prüfungshandlungen möglichst gering zu halten. In den ersten Gesprächen kristallisiert sich ohnehin heraus, welche Änderungen zum Vorjahr zu einem wesentlich veränderten Jahresabschluss geführt haben. Von daher sollte ein Unternehmen aktiv an einer verbesserten Belegbarkeit der Geschäftsvorfälle arbeiten und ein sehr gutes Fach- und Arbeitswissen der benannten, Auskunft gebenden Mitarbeiter ermöglichen.

Beides zusammen sollte dann unter dem noch tragfähigen Fehler der Wirtschaftsprüfer liegen (AR, Audit Risk). Ist dies nicht der Fall und wenn das Unternehmen nicht mitarbeiten sollte, wird es keinen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk geben.

Passiert so etwas, dann steht auch die „Gemeinnützigkeit“ auf dem Spiel.

CGS






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Mittwoch, 14. Juni 2017

Die Beratungspflicht für Pflegebedürftige mit einem Ausschlusskriterium

Im letzten Beitrag ging es um eine Klarstellung es BMAS. Das BMAS hatte zur Frage der Notwendigkeit von Führungszeugnissen für Mitarbeiter von Pflegediensten seine Rechtsauffassung vertreten, die meiner Meinung nach etwas "schieflagig" ausfiel. In meinem vorletzten Beitrag ging es dagegen um die Beratungspflicht, der seit kurzem die Pflegebedürftigen unterliegen. Beides zusammen könnte in einer gewissen Konstellation zu einem Ausschlusskriterium führen.

Wieso "schieflagig"?

Eine Altenpflegekraft benötigt in ihrer Tätigkeit für einen Pflegedienst kein Führungszeugnis. Die Leistungsempfänger können dabei Menschen jeder Altersgruppe sein, die allerdings einen Pflegebedarf haben. In gewisser Weise sind diese Menschen hilfebedürftig und benötigen eine die Würde nicht verletzende Leistungserbringung. In vielen Fällen sind diese Menschen allerdings sehr hilflos und verletzlich.

Ein Erzieher und eine Erzieherin benötigen für ihre Tätigkeit in einem Dienst oder einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe oder der Behindertenhilfe (Leistungen der Eingliederungshilfe) ein Führungszeugnis. Leistungsempfänger sind Kinder, Jugendliche und / oder Menschen mit einer wesentlichen Behinderung. Auch hier gibt es hilfebedürftige Menschen, die schnell zu Opfern von entwürdigen Handlungen Anderer werden können (man erinnere nur an die Veröffentlichung des Wallraff-Teams).

In beiden Konstellationen geht es um die Leistungserbringung an Menschen, die sehr schutzbedürftig sind. Doch ein Führungszeugnis, in dem steht, ob die Fachkraft wegen einer Straftat nach diversen Paragrafen des Strafgesetzbuches verurteilt worden ist, wird für Pflegedienste nicht verlangt - es gibt natürlich einige Besonderheiten bei den jeweiligen Vorschriften, doch in vielen Punkten halt identisch.

§ 44 AsylG:
Straftat nach den §§ 171, 174 bis 174c, 176 bis 180a, 181a, 182 bis 184g, 184i, 184j, 225, 232 bis 233a, 234, 235 oder 236 des Strafgesetzbuchs

§ 72a SGB VIII:
Straftat nach den §§ 171, 174 bis 174c, 176 bis 180a, 181a, 182 bis 184g, 184i, 201a Absatz 3, den §§ 225, 232 bis 233a, 234, 235 oder 236 des Strafgesetzbuchs

§ 75 SGB XII:
Straftat nach den §§ 171, 174 bis 174c, 176 bis 180a, 181a, 182 bis 184g, 225, 232 bis 233a, 234, 235 oder 236 des Strafgesetzbuchs

Im Bereich der Sozialen Pflegeversicherung gibt es eine solche Vorschrift nicht (vgl. § 71 SGB XI).

Man kann jetzt argumentieren, dass ein Krankenhaus-Patient ebenfalls schutzbedürftig und hilflos ist, aber die Krankenpflegekraft deswegen kein Führungszeugnis benötigt, weil die Leistungserbringung nicht in einer Atmosphäre der Entwürdigung und Abhängigkeit passieren wird. Zudem ist die Dauer der Leistungserbringung recht kurz, so dass hier eine erhöhte Dauer-Gefährdung kaum anzunehmen ist.

Andererseits erhalten Kinder, Jugendliche und auch wesentlich behinderte Menschen andere "Leistungen" von Dritten, die keineswegs über ein Führungszeugnis verfügen: Pädagogen, Therapeuten, Busfahrer. Wenn dies akzeptabel ist, warum soll man dann für Pflegedienste eine solche Nachweispflicht einführen?

Zu einem solchen Fall zählt auch die Pflicht der Pflegebedürftigen, sich halb- oder vierteiljährlich beraten zu lassen. Nach § 37 Abs. 3 SGB XI sollen „Pflegebedürftige, die Pflegegeld nach Absatz 1 beziehen, … eine Beratung in der eigenen Häuslichkeit … durch eine von der Pflegekasse [beauftragten], jedoch von ihr nicht [beschäftigten] Pflegefachkraft [abrufen].“

Die beratende Pflegefachkraft soll über eine „besondere Beratungskompetenz“ und ein „spezifisches Wissen“ verfügen (Abs. 4), damit eine zielführende Beratung in Bezug auf das jeweilige Krankheits- und Behinderungsbild erfolgen kann. Da sich die Beratungsleistung auf den pflegebedürftigen Menschen bezieht, entsteht ein enger Kontakt. Doch gerade beim Kontakt zu Kindern und Menschen mit geistiger Behinderung, die zum Kreis der Leistungsberechtigten nach  § 35 a SGB VIII oder § 53 SGB XII gehören, sind ein ganz besonderes Wissen und eine sehr besondere Kompetenz gefordert. Es handelt sich hier um Menschen, die eine hohe Schutzbedürftigkeit aufweisen.

Der Gesetzgeber hatte mit seinem Bundesteilhabegesetz diese Sache mit dem Führungszeugnis eingeführt, um dem hohen Schutzbedürfnis Rechnung zu tragen. Doch jetzt wird die Sonderregelung aus § 75 Abs. 5 SGB XII dazu verwendet, Pflegedienste von dieser "Geeignetheit" nach Abs. 2 zu befreien.

Zwar handelt es sich bei dieser Beratung um eine Leistung der Sozialen Pflegeversicherung. Doch Leistungsempfänger können Kinder, Jugendliche und / oder Menschen mit einer wesentlichen Einschränkung sein, die einfach nur pflegebedürftig sind. Müsste man nicht annehmen, dass ein solches Führungszeugnis für einen solchen Personenkreis Bedingung ist, wenn eine sehr persönliche, u.U. die Schamgrenze betreffende Leistung erbracht wird? Es geht um ein grundgesetzliches Recht auf körperliche Unversehrtheit und Sicherung eines menschenwürdigen Daseins.

Fehlt ein Führungszeugnis, ist die „besondere Beratungskompetenz“ schlichtweg nicht vorhanden. Und damit würde ein Ausschlusskriterium vorliegen, was aber nicht viel nützen wird. Dank dieser Beratungspflicht aus § 37 SGB XI liegt nun eine Konfrontation mit dem "höheren" Schutzbedürfnis nach § 1 SGB I vor, die erst durch Urteil neu verstanden werden kann.

Schade.

CGS






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Samstag, 10. Juni 2017

Eine (schieflagige) Klarstellung des BMAS zu Führungszeugnissen

In dieser Sache hat es kürzlich eine „Klarstellung“ gegeben. Verbände der Leistungserbringer diskutierten untereinander anscheinend sehr kontrovers, inwieweit Mitarbeiter von Pflegediensten und Pflegeeinrichtungen ein Führungszeugnis benötigen. Die Diskussion kam nun auf in Folge der neuen Vorschrift in § 75 Abs. 2 SGB XII und weil die Hilfen zur Pflege gem. SGB XII von Pflegediensten erbracht und von Sozialhilfeträgern (nicht Pflegekassen) gezahlt werden. Da eine gleichlautende Vorschrift im SGB XI (Soziale Pflegeversicherung) fehlt, wandte man sich an das BMAS und bat um Klarstellung.

(Das Folgende ist leider sehr §-lastig geworden. Ich bedaure, wenn sich dadurch das Lesen erschwert.)

Für den Rechtsbereich der Sozialhilfe hatte der Gesetzgeber mit dem Bundesteilhabegesetz den § 75 Abs. 2 SGB XII erweitert um den Anspruch eines Führungszeugnisses für Mitarbeiter und ehrenamtlich Tätige bei Leistungserbringern. Damit sollte der hohen Schutzbedürftigkeit von Menschen mit geistiger Behinderung, die zum Personenkreis nach § 53 SGB XII gehören, ausreichend Rechnung getragen werden; man erinnere sich nur an die Veröffentlichungen vom „Team Wallraff“.

Seitdem gibt es viel Verwaltungsaufwand, weil alle Beschäftigten, die irgendwie Kontakt zu diesen Menschen haben, sei es Mitarbeiter im Betreuungsdienst, Hauswirtschafter, Hausmeister oder sogar Ehrenamtliche, ein solches Führungszeugnis einholen müssen (vgl. auch meinen Beitrag vom 19.4.2017). Im Rechtsbereich der Pflegeversicherung fehlt dagegen eine solche Vorschrift (vgl. § 71 SGB XI).

Das BMAS hat jetzt ausgeführt, dass zugelassene Pflegedienste und andere Einrichtungen mit Vereinbarungen gem. § 72 SGB XI nicht von dieser Neuregelung betroffen sind. In der „Klarstellung“ des BMAS bezieht man sich auf die sogenannte Hilfen zur Pflege (§§ 61 bis 66 SGB XII), welche von Pflegediensten erbracht werden. Zu diesen Hilfen gehören u.a. die häusliche Pflegehilfe, Verhinderungspflege, Hilfsmittel und Verbesserungen des Wohnumfeldes, Kurzzeitpflege, Teil- und Stationäre Pflege wie auch div. Geldleistungen, mit denen man sich solche Leistungen quasi „einkaufen“ kann. Leistungsträger sind die Kommunen als Träger der Sozialhilfe, soweit für die vorgenannten Leistungen kein Anspruch aufgrund von anderen Rechtsvorschriften (z.B. der Sozialen Pflegeversicherung, SGB XI) gegen andere Leistungsträger (z.B. Pflegekassen) besteht - Sozialhilfe ist schließlich nachrangig.

Was dagegen die Pflegekassen übernehmen, findet sich in § 28 XI. Vieles erscheint in Bezug auf die vorgenannten Hilfen zur Pflege „doppelt“. Man muss jetzt allerdings vorausschicken, dass die Leistungen der Sozialen Pflegeversicherung eine Art Grundsicherung darstellen, während die Hilfen zur Pflege gem. SGB XII „bedarfsdeckend“ zu leisten sind. Zudem gab es in früheren Zeiten eine „Pflegestufe 0“ insbesondere für Menschen mit besonderen und dauerhaften Einschränkungen, die vielleicht noch zusätzlich Leistungen der Eingliederungshilfe in Anspruch nehmen konnten.

Für diese Leistungserbringung soll der Sozialhilfeträger nun keine eigenen Einrichtungen oder Dienste neu schaffen, sondern Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII mit Trägern von solchen abschließen. Doch entsprechende Vereinbarungen können nur dann abgeschlossen werden, wenn diese Träger als "geeignet" angesehen werden können; d.h. die Leistungsfähigkeit und die Einhaltung der Leistungsgrundsätze sind gesichert. Mit dem Bundesteilhabegesetz wurde an dieser Stelle die sogenannte Geeignetheit weiter ausgeführt und die Bedingung eines Führungszeugnisses eingeführt. Wenn also ein Pflegedienst Hilfen zur Pflege erbringen und abrechnen will, müsste vorher eine Vereinbarung nach diesen Grundsätze abgeschlossen werden mit dem Sozialhilfeträger.

Weil das jetzt nun eine zusätzliche Belastung darstellen würde, und weil man annehmen sollte, dass die Leistungserbringung wie auch die jeweilige Vergütung an sich identisch sein müssten, hatte man (lange vor dem BTHG) die Vorschrift in § 75 Abs. 5 SGB XII als eine Sonderregelung für Pflegedienste geschaffen. Diese Regelung diente der„Einheitlichkeit der Vergütung“; das heißt, die Vergütungsvereinbarung des Pflegedienstes wird jeweils zur Abrechnung der Leistungen herangezogen, damit man nicht von zwei unterschiedlichen Preisen für ein und dieselbe Leistung auszugehen hat (vgl. Münder in LPK-SGB XII, 8. Auflage, Rz. 40 zu § 75).

Doch nun nimmt das BMAS eine etwas andere Position ein, indem gesagt wird:

„Erfolgt die Zulassung und die Vergütung nach den Vorschriften des SGB XI, besteht daher auch keine Notwendigkeit, auf der Grundlage der § 75 Absatz 2 Satz 3 ff. SGB XII die Geeignetheit zu prüfen.“ …

„Soweit dagegen Leistungen der Hilfe zur Pflege durch Leistungserbringer erbracht werden, die nicht nach den Vorschriften des SGB XI zugelassen sind, ist deren Geeignetheit auf der Grundlage der Vorschriften des Zehnten Kapitels des SGB XII zu prüfen, d.h. in diesen Fällen sind die Bestimmungen zum erweiterten Führungszeugnis anzuwenden.“

(Quelle: Wortlaut einer weitergegebenen Email – ohne Datum – BMAS, Leiter Referat Vb 3).

Während alle anderen Leistungserbringer vorab ihre Geeignetheit nachweisen müssen, indem Führungszeugnisse einzuholen sind, kann dies für solche Dienste und Einrichtungen unterlassen werden, die eine Zulassung nach § 72 SGB XI aufweisen. Betroffen sind übrigens auch die Leistungserbringer in anderen Bereichen: z.B. § 72 a SGB VIII für Kinder- und Jugendhilfe,  § 44 AsylG für Asylrecht.

Mein Fazit: Hier ist eine gewisse Schieflage entstanden.

CGS






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Eine (schieflagige) Klarstellung des BMAS zu Führungszeugnissen  – eingegliedert.blogspot.com