Mittwoch, 14. Juni 2017

Die Beratungspflicht für Pflegebedürftige mit einem Ausschlusskriterium

Im letzten Beitrag ging es um eine Klarstellung es BMAS. Das BMAS hatte zur Frage der Notwendigkeit von Führungszeugnissen für Mitarbeiter von Pflegediensten seine Rechtsauffassung vertreten, die meiner Meinung nach etwas "schieflagig" ausfiel. In meinem vorletzten Beitrag ging es dagegen um die Beratungspflicht, der seit kurzem die Pflegebedürftigen unterliegen. Beides zusammen könnte in einer gewissen Konstellation zu einem Ausschlusskriterium führen.

Wieso "schieflagig"?

Eine Altenpflegekraft benötigt in ihrer Tätigkeit für einen Pflegedienst kein Führungszeugnis. Die Leistungsempfänger können dabei Menschen jeder Altersgruppe sein, die allerdings einen Pflegebedarf haben. In gewisser Weise sind diese Menschen hilfebedürftig und benötigen eine die Würde nicht verletzende Leistungserbringung. In vielen Fällen sind diese Menschen allerdings sehr hilflos und verletzlich.

Ein Erzieher und eine Erzieherin benötigen für ihre Tätigkeit in einem Dienst oder einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe oder der Behindertenhilfe (Leistungen der Eingliederungshilfe) ein Führungszeugnis. Leistungsempfänger sind Kinder, Jugendliche und / oder Menschen mit einer wesentlichen Behinderung. Auch hier gibt es hilfebedürftige Menschen, die schnell zu Opfern von entwürdigen Handlungen Anderer werden können (man erinnere nur an die Veröffentlichung des Wallraff-Teams).

In beiden Konstellationen geht es um die Leistungserbringung an Menschen, die sehr schutzbedürftig sind. Doch ein Führungszeugnis, in dem steht, ob die Fachkraft wegen einer Straftat nach diversen Paragrafen des Strafgesetzbuches verurteilt worden ist, wird für Pflegedienste nicht verlangt - es gibt natürlich einige Besonderheiten bei den jeweiligen Vorschriften, doch in vielen Punkten halt identisch.

§ 44 AsylG:
Straftat nach den §§ 171, 174 bis 174c, 176 bis 180a, 181a, 182 bis 184g, 184i, 184j, 225, 232 bis 233a, 234, 235 oder 236 des Strafgesetzbuchs

§ 72a SGB VIII:
Straftat nach den §§ 171, 174 bis 174c, 176 bis 180a, 181a, 182 bis 184g, 184i, 201a Absatz 3, den §§ 225, 232 bis 233a, 234, 235 oder 236 des Strafgesetzbuchs

§ 75 SGB XII:
Straftat nach den §§ 171, 174 bis 174c, 176 bis 180a, 181a, 182 bis 184g, 225, 232 bis 233a, 234, 235 oder 236 des Strafgesetzbuchs

Im Bereich der Sozialen Pflegeversicherung gibt es eine solche Vorschrift nicht (vgl. § 71 SGB XI).

Man kann jetzt argumentieren, dass ein Krankenhaus-Patient ebenfalls schutzbedürftig und hilflos ist, aber die Krankenpflegekraft deswegen kein Führungszeugnis benötigt, weil die Leistungserbringung nicht in einer Atmosphäre der Entwürdigung und Abhängigkeit passieren wird. Zudem ist die Dauer der Leistungserbringung recht kurz, so dass hier eine erhöhte Dauer-Gefährdung kaum anzunehmen ist.

Andererseits erhalten Kinder, Jugendliche und auch wesentlich behinderte Menschen andere "Leistungen" von Dritten, die keineswegs über ein Führungszeugnis verfügen: Pädagogen, Therapeuten, Busfahrer. Wenn dies akzeptabel ist, warum soll man dann für Pflegedienste eine solche Nachweispflicht einführen?

Zu einem solchen Fall zählt auch die Pflicht der Pflegebedürftigen, sich halb- oder vierteiljährlich beraten zu lassen. Nach § 37 Abs. 3 SGB XI sollen „Pflegebedürftige, die Pflegegeld nach Absatz 1 beziehen, … eine Beratung in der eigenen Häuslichkeit … durch eine von der Pflegekasse [beauftragten], jedoch von ihr nicht [beschäftigten] Pflegefachkraft [abrufen].“

Die beratende Pflegefachkraft soll über eine „besondere Beratungskompetenz“ und ein „spezifisches Wissen“ verfügen (Abs. 4), damit eine zielführende Beratung in Bezug auf das jeweilige Krankheits- und Behinderungsbild erfolgen kann. Da sich die Beratungsleistung auf den pflegebedürftigen Menschen bezieht, entsteht ein enger Kontakt. Doch gerade beim Kontakt zu Kindern und Menschen mit geistiger Behinderung, die zum Kreis der Leistungsberechtigten nach  § 35 a SGB VIII oder § 53 SGB XII gehören, sind ein ganz besonderes Wissen und eine sehr besondere Kompetenz gefordert. Es handelt sich hier um Menschen, die eine hohe Schutzbedürftigkeit aufweisen.

Der Gesetzgeber hatte mit seinem Bundesteilhabegesetz diese Sache mit dem Führungszeugnis eingeführt, um dem hohen Schutzbedürfnis Rechnung zu tragen. Doch jetzt wird die Sonderregelung aus § 75 Abs. 5 SGB XII dazu verwendet, Pflegedienste von dieser "Geeignetheit" nach Abs. 2 zu befreien.

Zwar handelt es sich bei dieser Beratung um eine Leistung der Sozialen Pflegeversicherung. Doch Leistungsempfänger können Kinder, Jugendliche und / oder Menschen mit einer wesentlichen Einschränkung sein, die einfach nur pflegebedürftig sind. Müsste man nicht annehmen, dass ein solches Führungszeugnis für einen solchen Personenkreis Bedingung ist, wenn eine sehr persönliche, u.U. die Schamgrenze betreffende Leistung erbracht wird? Es geht um ein grundgesetzliches Recht auf körperliche Unversehrtheit und Sicherung eines menschenwürdigen Daseins.

Fehlt ein Führungszeugnis, ist die „besondere Beratungskompetenz“ schlichtweg nicht vorhanden. Und damit würde ein Ausschlusskriterium vorliegen, was aber nicht viel nützen wird. Dank dieser Beratungspflicht aus § 37 SGB XI liegt nun eine Konfrontation mit dem "höheren" Schutzbedürfnis nach § 1 SGB I vor, die erst durch Urteil neu verstanden werden kann.

Schade.

CGS






Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Helfen Sie mit und bewerten sie diesen.

Wollen Sie mir Ihre Meinung sagen? Ihre Kritik interessiert mich. Vielleicht können Sie mir sogar eine neue Perspektive aufzeigen. Darüber würde ich mich freuen. Meine Email-Adresse finden Sie auf der Seite Über mich.

Und/Oder empfehlen Sie den Blog weiter.

Die Beratungspflicht für Pflegebedürftige mit einem Ausschlusskriterium – eingegliedert.blogspot.com