Kommt man mit Eltern von Kindern mit einem
Begleitungsbedarf ins Diskutieren über das Thema „Inklusion“, ergeben sich
manchmal ganz neue Einsichten. Inklusion soll zwar an Schulen stattfinden, doch
viele Eltern scheinen da ganz andere Erfahrungen gemacht zu haben. Man
berichtet manchmal jedenfalls von sehr eigenartigen Gesprächen.
Was sich aber auch jetzt vermehrt zeigt, ist ein
Bewusstsein für dieses Thema. Es hat sich da etwas entwickelt und das kann
vielleicht sogar mit der Diskussion um das Bundesteilhabegesetz zu tun haben.
Im Folgenden eine Sammlung meiner Notizen zu allerlei
Stichworten.
Was heißt Inklusion?
Inklusion
heißt nicht, eine Behinderung zu ignorieren oder zu verschweigen. Inklusion
ermöglicht es, über Behinderung zu sprechen und das, was für eine gelungene
Teilhabe am Leben benötigt wird, auszusprechen.
Inklusion
funktioniert anscheinend nur, wenn sie "gelebt" wird. Jeder Mensch
ist nun mal anders und hat trotzdem ein Recht auf einen Platz in der
Gemeinschaft - nicht am Rande der Gemeinschaft und auch nicht in einem
"geschützten" Bereich!
Es gibt auch andere Ansichten.
Für viele steht der Mangel an ausreichenden staatlichen Ressourcen als
Hinderungsfaktor im Weg zu einer inklusiven Gesellschaft. Darum finden sich
manchmal solche Erwiderungen.
Inklusion
ist eine Ideologie. Und eine solche nützt dem behinderten Kind nicht. Man
sollte pragmatisch denken und mit dem auskommen, was man hat.
Inklusion
ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die aber vom Staat vorangebracht werden
muss. Es müssen Ressourcen bereitgestellt werden, die Schulen brauchen eine
bessere Ausstattung und es wird dringend ein spezielles Konzept benötigt.
Statt
Gießkannenprinzip sollten "Schwerpunktschulen" diese Ressourcen
gebündelt erhalten. Statt die wenigen Sonderpädagogen auf lange Reisen von
Schule zu Schule zu schicken, können sie an diesen Schulen ihre Zeit mit den
Kindern verbringen.
Wäre das nicht eine Art
„Inklusion Light“?
Wie funktioniert
Inklusion an den Schulen?
Inklusion funktioniert nur dann,
wenn die Bedingungen stimmen – das ist eigentlich eine stimmige Grundannahme.
Man muss sich allerdings in eine Lehrkraft hineinversetzen, die bisher noch nie
ein behindertes Kind in der Klasse sitzen hatte, damit man herausarbeiten kann,
was benötigt wird.
Bedingungen für ein gutes
Gelingen sind u.a.:
-
Klassenleitungsteams d.h. Doppelbesetzung aus Fachlehrer und Sonderpädagoge.
- I-Klassen
mit nicht mehr als 26 Kindern, und davon nicht mehr als 6 Kindern mit
gemischten Schwerpunkten.
- I-Klassen
sind freiwillig, d.h. Lehrkräfte möchten eine solche Klasse leiten, Eltern von
nicht behinderten Kindern und die Schüler melden sich bewusst dafür an.
In der Studie „Schulbegleitung:
Eine deskriptive Analyse der Rahmenbedingungen“ (Lindemann und Schlarmann,
2016) finden sich Kritikpunkte zum Rollenverständnis und einer fehlenden Weisungsstruktur
zwischen den Funktionsträgern (Fach-) Lehrer, Sonderpädagoge und
Schulbegleitung. Man wünscht sich eine bessere Abstimmung zwischen den direkt Beteiligten
und den jeweils übergeordneten Ebenen. Schulbegleitungen sollen nicht zu
pädagogischen / schulischen Assistenten bzw. Hilfslehrern werden. Es geht nun
mal vorrangig um das Kind mit seinem Teilhabebedarf und nicht um die Beschulung
von mehreren Kindern.
Was es
braucht, sind Sonderpädagogen, die nicht für wenige Stunden zu Besuch kommen,
sondern „da“ sind. Derzeit allerdings werden Sonderpädagogen viel zu oft als
Austauschlehrer eingesetzt, weil die Personaldecke an den Schulen nicht
ausreicht. Solange dies nämlich der Fall ist, werden Schulbegleitungen
zeitweise auch pädagogische Aufgaben übernehmen.
Und was ist, wenn sich nichts
verändert?
Passiert
hier nichts, wird die Lehrkraft überfordert und fühlt sich dann verlassen und
hilflos. Zwar mag es eine positive "Grundhaltung" oder
"Einstellung" zur Inklusion gegeben haben, doch die kann jetzt
verloren gehen. Eine solche Lehrkraft wird sich zu Grunde arbeiten, den
Klassenzusammenhalt verlieren oder das Kind mit seinen besonderen Bedürfnissen
ignorieren. Besser wäre es aber, wenn eine solche Lehrkraft ihre Schulleitung
zur Rede stellt, damit sich die Bedingungen ändern.
Elternverständnis
Den hilflosen Lehrkräften
helfen, und Verständnis aufbringen, wenn es mal nicht klappt, weil es einfach
nicht genügend Lehrer gibt – den Eltern behinderter Kinder wird viel
abverlangt.
Lehrer, die
mit unseren besonderen Kindern überfordert sind? Und was ist mit uns, den
Eltern? Wurden wir gefragt, ob wir bereit sind für ein Kind mit Behinderung?
Wir hatten keine Fortbildung, keine Schulung. Wir hatten keine Wahl.
Wir mussten
uns selber fortbilden, uns selber schulen - und belehren lassen von den vielen
Experten. Wir mussten unseren Weg finden durch den Paragrafen-Dschungel der
Behörden, Kranken- und Pflegekassen. Wir haben uns den Aufgaben gestellt, weil
es sein musste und weil unsere Kinder ein Recht auf ein Leben haben, wie jeder
andere auch.
Warum können
das nicht auch die Lehrer und ihre Schulleitungen?
Eltern
sollen immerzu Verständnis zeigen und haben für die armen Lehrer, Erzieher und
Behörden. Doch wer von diesen zeigt Verständnis für die Eltern?
Viele sehen
das Problem in der persönlichen Einstellung der Lehrkräfte. Wenn diese sich nicht
einmal um Regel-Schulkinder kümmern, wie soll das dann noch bei den
Inklusionskindern gelingen?
Das Umfeld
behindert
Die Kritik ist berechtigt, denn
es mangelt an Ressourcen und vielfach fehlt es an fachlicher-personeller
Unterstützung an den Schulen. Muss man dann nicht sagen, dass nicht das Kind
mit Behinderung das Problem ist, sondern es ist das Umfeld, das behindert?
Zeigt sich
eine (Grund-) Schule ablehnend, nicht persönlich nehmen, sondern dies als
Zeichen für eine gewisse Rückständigkeit im Konzept dieser Schule verstehen.
Selbst wenn sie einen "guten Ruf" hat diese „tolle“ Schule, eine gute
Förderung würde das eigene Kind dann doch nicht erhalten.
Behinderungen
zum Thema im Unterricht machen, damit Verständnis und Entgegenkommen geweckt
werden. Teambildung als Maßnahme, um ein Netzwerk für das behinderte Kind zu
entwickeln.
Übrigens wird sich der
sogenannte „Behinderungsbegriff“ ändern und die Umweltfaktoren in seiner
gesetzlichen Begriffsdefinition mit aufnehmen. Dazu hatte das BMAS in seinem
Pamphlet „Häufige Fragen zum Bundesteilhabegesetz (BTHG)“ vom 12.4.2017
geschrieben:
„Im Rahmen
des Bundesteilhabegesetzes wird der Behinderungsbegriff im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention
(UN-BRK) neugefasst. Denn gemäß der UN-BRK entsteht eine Behinderung aus der
Wechselwirkung zwischen dem Menschen mit seiner Beeinträchtigung und den
einstellungs- und umweltbedingten Barrieren.“ (S. 7).
Stärken statt
Schwächen und voneinander Lernen
Was sonst kann man richtig
machen, damit das gemeinsame Lernen ein Erfolg wird und Menschen mit und ohne
Behinderung zusammen etwas erleben können?
Eine
wirklich "inklusive Schule" nimmt jedes Kind, egal ob geistig
behindert oder hochbegabt. Kinder mit und ohne Behinderung lernen voneinander
und damit auch etwas fürs Leben.
Auf Stärken
setzen und nicht die Schwächen suchen. Jedes Kind soll motiviert werden, um
seine Grenzen auszutesten und Neues zu entdecken. In diesen Schulen werden
keine "Defizite" betont, sondern die Talente eines jeden Kindes
gefördert.
Viele Fachleute sprechen davon,
dass die bisherigen Unterrichtsinhalte noch einmal hinterfragt werden müssen.
Immerhin ergeben sich durch die Gemeinsamkeit von diesen sehr heterogenen
Klassen ganz neue Herausforderungen. Alle sind gefordert, so dass die alten
Lernziele überdacht werden müssen, denn es gilt: "Zusammenhalt statt
Trennung. Vielfalt statt Einfalt.“
Kinder mit
geringeren intellektuellen Leistungsvermögen in der Klasse zu haben, heißt
nicht, dass sich der Lern-Standard absenkt für alle. Gerade Kinder mit hohen intellektuellen
Leistungsvermögen können so ihr Wissen und ihre sozialen Fähigkeiten stärken.
Was ist das mit diesem
Standard? Geht es um einen hohen IQ? Was ist mit „Emotionaler Intelligenz“? Emotionale
Intelligenz, heißt es in der Wikipedia, ist ein von John D. Mayer (University
of New Hampshire) und Peter Salovey (Yale University) im Jahr 1990 eingeführter
Terminus. Es wird damit die Fähigkeit beschrieben, „eigene und fremde Gefühle
(korrekt) wahrzunehmen, zu verstehen und zu beeinflussen“.
Die Lehrer
sollten den Kindern sagen, was sie gut können, und nicht immer nur darauf
verweisen, was sie nicht können. Kinder, die immer nur auf Leistung getrimmt
werden, werden später zu Leistungsträger in einer Leistungsgesellschaft. Sie
stehen im Wettbewerb und wollen das Defizit der anderen zu ihrem Vorteil
ausnutzen. Mit solchen Menschen gelingt keine Inklusion.
Schlusswort
Es hat sich sehr viel getan,
und es geschieht noch viel mehr. Man kann somit sagen, dass das Thema
„Inklusion“ nicht nur die Schule betrifft, sondern die gesamte Gesellschaft
verändern wird. Es geht weg von der Leistungsgesellschaft mit ihrem Credo: „And
the winner takes it all“.
Natürlich werden behinderte
Menschen ab jetzt mehr gefordert sein. Das bisherige Fürsorge-System soll
verschwinden und durch ein höheres Maß an Selbstbestimmung und
Selbstverantwortung ersetzt werden. Der Staat wird mit verschiedenen Maßnahmen
unterstützen. Die behinderten Menschen werden nicht mehr aus der Mitte der
Gesellschaft entfernt, man bringt sie zurück.
Statt Exklusion, nun
Inklusion!?
CGS
Quellen:
BMAS: „Häufige Fragen zum
Bundesteilhabegesetz (BTHG)“ vom 12.4.2017
(letzter Aufruf am 19.9.2017)
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