Mittwoch, 4. Oktober 2017

Notizen aus Diskussionen rund um Inklusion an Schulen

Kommt man mit Eltern von Kindern mit einem Begleitungsbedarf ins Diskutieren über das Thema „Inklusion“, ergeben sich manchmal ganz neue Einsichten. Inklusion soll zwar an Schulen stattfinden, doch viele Eltern scheinen da ganz andere Erfahrungen gemacht zu haben. Man berichtet manchmal jedenfalls von sehr eigenartigen Gesprächen.

Was sich aber auch jetzt vermehrt zeigt, ist ein Bewusstsein für dieses Thema. Es hat sich da etwas entwickelt und das kann vielleicht sogar mit der Diskussion um das Bundesteilhabegesetz zu tun haben.

Im Folgenden eine Sammlung meiner Notizen zu allerlei Stichworten.



Was heißt Inklusion?

Inklusion heißt nicht, eine Behinderung zu ignorieren oder zu verschweigen. Inklusion ermöglicht es, über Behinderung zu sprechen und das, was für eine gelungene Teilhabe am Leben benötigt wird, auszusprechen.

Inklusion funktioniert anscheinend nur, wenn sie "gelebt" wird. Jeder Mensch ist nun mal anders und hat trotzdem ein Recht auf einen Platz in der Gemeinschaft - nicht am Rande der Gemeinschaft und auch nicht in einem "geschützten" Bereich!

Es gibt auch andere Ansichten. Für viele steht der Mangel an ausreichenden staatlichen Ressourcen als Hinderungsfaktor im Weg zu einer inklusiven Gesellschaft. Darum finden sich manchmal solche Erwiderungen.

Inklusion ist eine Ideologie. Und eine solche nützt dem behinderten Kind nicht. Man sollte pragmatisch denken und mit dem auskommen, was man hat.

Inklusion ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die aber vom Staat vorangebracht werden muss. Es müssen Ressourcen bereitgestellt werden, die Schulen brauchen eine bessere Ausstattung und es wird dringend ein spezielles Konzept benötigt.

Statt Gießkannenprinzip sollten "Schwerpunktschulen" diese Ressourcen gebündelt erhalten. Statt die wenigen Sonderpädagogen auf lange Reisen von Schule zu Schule zu schicken, können sie an diesen Schulen ihre Zeit mit den Kindern verbringen.

Wäre das nicht eine Art „Inklusion Light“?


Wie funktioniert Inklusion an den Schulen?

Inklusion funktioniert nur dann, wenn die Bedingungen stimmen – das ist eigentlich eine stimmige Grundannahme. Man muss sich allerdings in eine Lehrkraft hineinversetzen, die bisher noch nie ein behindertes Kind in der Klasse sitzen hatte, damit man herausarbeiten kann, was benötigt wird.

Bedingungen für ein gutes Gelingen sind u.a.:

- Klassenleitungsteams d.h. Doppelbesetzung aus Fachlehrer und Sonderpädagoge.

- I-Klassen mit nicht mehr als 26 Kindern, und davon nicht mehr als 6 Kindern mit gemischten Schwerpunkten.

- I-Klassen sind freiwillig, d.h. Lehrkräfte möchten eine solche Klasse leiten, Eltern von nicht behinderten Kindern und die Schüler melden sich bewusst dafür an.

In der Studie „Schulbegleitung: Eine deskriptive Analyse der Rahmenbedingungen“ (Lindemann und Schlarmann, 2016) finden sich Kritikpunkte zum Rollenverständnis und einer fehlenden Weisungsstruktur zwischen den Funktionsträgern (Fach-) Lehrer, Sonderpädagoge und Schulbegleitung. Man wünscht sich eine bessere Abstimmung zwischen den direkt Beteiligten und den jeweils übergeordneten Ebenen. Schulbegleitungen sollen nicht zu pädagogischen / schulischen Assistenten bzw. Hilfslehrern werden. Es geht nun mal vorrangig um das Kind mit seinem Teilhabebedarf und nicht um die Beschulung von mehreren Kindern.

Was es braucht, sind Sonderpädagogen, die nicht für wenige Stunden zu Besuch kommen, sondern „da“ sind. Derzeit allerdings werden Sonderpädagogen viel zu oft als Austauschlehrer eingesetzt, weil die Personaldecke an den Schulen nicht ausreicht. Solange dies nämlich der Fall ist, werden Schulbegleitungen zeitweise auch pädagogische Aufgaben übernehmen.

Und was ist, wenn sich nichts verändert?

Passiert hier nichts, wird die Lehrkraft überfordert und fühlt sich dann verlassen und hilflos. Zwar mag es eine positive "Grundhaltung" oder "Einstellung" zur Inklusion gegeben haben, doch die kann jetzt verloren gehen. Eine solche Lehrkraft wird sich zu Grunde arbeiten, den Klassenzusammenhalt verlieren oder das Kind mit seinen besonderen Bedürfnissen ignorieren. Besser wäre es aber, wenn eine solche Lehrkraft ihre Schulleitung zur Rede stellt, damit sich die Bedingungen ändern.


Elternverständnis

Den hilflosen Lehrkräften helfen, und Verständnis aufbringen, wenn es mal nicht klappt, weil es einfach nicht genügend Lehrer gibt – den Eltern behinderter Kinder wird viel abverlangt.

Lehrer, die mit unseren besonderen Kindern überfordert sind? Und was ist mit uns, den Eltern? Wurden wir gefragt, ob wir bereit sind für ein Kind mit Behinderung? Wir hatten keine Fortbildung, keine Schulung. Wir hatten keine Wahl.

Wir mussten uns selber fortbilden, uns selber schulen - und belehren lassen von den vielen Experten. Wir mussten unseren Weg finden durch den Paragrafen-Dschungel der Behörden, Kranken- und Pflegekassen. Wir haben uns den Aufgaben gestellt, weil es sein musste und weil unsere Kinder ein Recht auf ein Leben haben, wie jeder andere auch.

Warum können das nicht auch die Lehrer und ihre Schulleitungen?

Eltern sollen immerzu Verständnis zeigen und haben für die armen Lehrer, Erzieher und Behörden. Doch wer von diesen zeigt Verständnis für die Eltern?

Viele sehen das Problem in der persönlichen Einstellung der Lehrkräfte. Wenn diese sich nicht einmal um Regel-Schulkinder kümmern, wie soll das dann noch bei den Inklusionskindern gelingen?


Das Umfeld behindert

Die Kritik ist berechtigt, denn es mangelt an Ressourcen und vielfach fehlt es an fachlicher-personeller Unterstützung an den Schulen. Muss man dann nicht sagen, dass nicht das Kind mit Behinderung das Problem ist, sondern es ist das Umfeld, das behindert?

Zeigt sich eine (Grund-) Schule ablehnend, nicht persönlich nehmen, sondern dies als Zeichen für eine gewisse Rückständigkeit im Konzept dieser Schule verstehen. Selbst wenn sie einen "guten Ruf" hat diese „tolle“ Schule, eine gute Förderung würde das eigene Kind dann doch nicht erhalten.

Behinderungen zum Thema im Unterricht machen, damit Verständnis und Entgegenkommen geweckt werden. Teambildung als Maßnahme, um ein Netzwerk für das behinderte Kind zu entwickeln.

Übrigens wird sich der sogenannte „Behinderungsbegriff“ ändern und die Umweltfaktoren in seiner gesetzlichen Begriffsdefinition mit aufnehmen. Dazu hatte das BMAS in seinem Pamphlet „Häufige Fragen zum Bundesteilhabegesetz (BTHG)“ vom 12.4.2017 geschrieben:

„Im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes wird der Behinderungsbegriff im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) neugefasst. Denn gemäß der UN-BRK entsteht eine Behinderung aus der Wechselwirkung zwischen dem Menschen mit seiner Beeinträchtigung und den einstellungs- und umweltbedingten Barrieren.“ (S. 7). 

Stärken statt Schwächen und voneinander Lernen

Was sonst kann man richtig machen, damit das gemeinsame Lernen ein Erfolg wird und Menschen mit und ohne Behinderung zusammen etwas erleben können?

Eine wirklich "inklusive Schule" nimmt jedes Kind, egal ob geistig behindert oder hochbegabt. Kinder mit und ohne Behinderung lernen voneinander und damit auch etwas fürs Leben.

Auf Stärken setzen und nicht die Schwächen suchen. Jedes Kind soll motiviert werden, um seine Grenzen auszutesten und Neues zu entdecken. In diesen Schulen werden keine "Defizite" betont, sondern die Talente eines jeden Kindes gefördert.

Viele Fachleute sprechen davon, dass die bisherigen Unterrichtsinhalte noch einmal hinterfragt werden müssen. Immerhin ergeben sich durch die Gemeinsamkeit von diesen sehr heterogenen Klassen ganz neue Herausforderungen. Alle sind gefordert, so dass die alten Lernziele überdacht werden müssen, denn es gilt: "Zusammenhalt statt Trennung. Vielfalt statt Einfalt.“

Kinder mit geringeren intellektuellen Leistungsvermögen in der Klasse zu haben, heißt nicht, dass sich der Lern-Standard absenkt für alle. Gerade Kinder mit hohen intellektuellen Leistungsvermögen können so ihr Wissen und ihre sozialen Fähigkeiten stärken.

Was ist das mit diesem Standard? Geht es um einen hohen IQ? Was ist mit „Emotionaler Intelligenz“? Emotionale Intelligenz, heißt es in der Wikipedia, ist ein von John D. Mayer (University of New Hampshire) und Peter Salovey (Yale University) im Jahr 1990 eingeführter Terminus. Es wird damit die Fähigkeit beschrieben, „eigene und fremde Gefühle (korrekt) wahrzunehmen, zu verstehen und zu beeinflussen“.

Die Lehrer sollten den Kindern sagen, was sie gut können, und nicht immer nur darauf verweisen, was sie nicht können. Kinder, die immer nur auf Leistung getrimmt werden, werden später zu Leistungsträger in einer Leistungsgesellschaft. Sie stehen im Wettbewerb und wollen das Defizit der anderen zu ihrem Vorteil ausnutzen. Mit solchen Menschen gelingt keine Inklusion.


Schlusswort

Es hat sich sehr viel getan, und es geschieht noch viel mehr. Man kann somit sagen, dass das Thema „Inklusion“ nicht nur die Schule betrifft, sondern die gesamte Gesellschaft verändern wird. Es geht weg von der Leistungsgesellschaft mit ihrem Credo: „And the winner takes it all“.

Natürlich werden behinderte Menschen ab jetzt mehr gefordert sein. Das bisherige Fürsorge-System soll verschwinden und durch ein höheres Maß an Selbstbestimmung und Selbstverantwortung ersetzt werden. Der Staat wird mit verschiedenen Maßnahmen unterstützen. Die behinderten Menschen werden nicht mehr aus der Mitte der Gesellschaft entfernt, man bringt sie zurück.

Statt Exklusion, nun Inklusion!?

CGS




Quellen:

BMAS: „Häufige Fragen zum Bundesteilhabegesetz (BTHG)“ vom 12.4.2017

(letzter Aufruf am 19.9.2017)




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