Mittwoch, 25. Oktober 2017

BTHG in Schleswig-Holstein - Ein erstes Teilhabestärkungsgesetz entsteht

In Schleswig-Holstein, aber natürlich auch in den anderen Bundesländern, wird an der Umsetzung des BTHGs intensiv gearbeitet. Nun soll ein „1. Teilhabestärkungsgesetz“ in den Landtag gebracht werden. Ein erster Entwurf davon wurde jetzt an verschiedene Verbände verteilt und zu einer Stellungnahme eingeladen. Das ist sehr positiv zu bewerten, denn damit bekommen neben den staatlichen Stellen und Kommunen auch die vom BTHG übrigen Betroffenen Gelegenheit zur (eventuellen) legislativen Teilhabe.

(Nachtrag vom 30.11.2017: Es ist ein Entwurf nun dem Landtag zur Befassung zugeleitet worden. Ob es sich dabei um die Version handelt, die noch vor einem Monat vorgestellt wurde, wird sich zeigen.)


Federführend ausgearbeitet wurde dieser Entwurf vom schleswig-holsteinischen Ministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren. Und weil mit dem Bundesteilhabegesetz eine umfassende Reform der Eingliederungshilfe stattfindet, immerhin gab es sogar eine Neubestimmung des Behinderungsbegriffs, ergeben sich zudem weitreichende Anforderungen an die Länder und Kommunen. Schon zum 1.1.2017 traten erste Veränderungen in Kraft. Zum 1.1.2018 geht es weiter bei den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Doch es müssen auch Landesrahmenverträge zwischen den Leistungsträgern und Leistungserbringern neu verhandelt werden, welche die Grundlage bilden für die Bereitstellung und Vergütung von Leistungen. Gerade vor dem Hintergrund steigender Kosten (insbesondere dank des Ziels der EZB, die Inflation auf 2 % jährlich anzukurbeln), werden die Verbände der Leistungserbringer auf Lösungen dringen. Bis 2020 zu warten und dann eine „Hauruck“-Lösung zu erleben, ist nicht tragbar.

Mit diesem Landesgesetz wird, wie es der Namen vermuten lässt, ein erster Anfang gemacht. Man sieht notwendige Regelungsgegenstände in den Bereichen der „allgemeinen Zuständigkeits- und Teilhabeplanverfahrensbestimmungen zur Verbesserung der Zusammenarbeit der Rehabilitationsträger (Teil 1 SGB IX), die Herauslösung der Eingliederungshilfe aus dem Recht der Fürsorge in einen neuen Teil 2 des SGB IX und Änderungen im Schwerbehindertenrecht (Teil 3 des SGB IX)“ (siehe S. 2 des Gesetzentwurfs).

Das 1. Teilhabestärkungsgesetz zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes besteht aber nicht nur aus einer recht überschaubaren Paragrafen-Sammlung, mit der Einbringung in den Landtag soll es auch eine Änderung beim bereits bestehenden Landes-Gesetz zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (AG-SGB XIII) geben (siehe hierzu auch meinen Beitrag vom 21.11.2014, Quellenangaben weiter unten).

Oberste Ziele sind „die Effektivität und Zielgenauigkeit der Teilhabeleistungen besser zu steuern und den … Ausgabeanstieg in der Eingliederungshilfe zu dämpfen“, so das Fachministerium (S. 4). Von Teilhabemöglichkeiten wird aber derzeit nicht viel gesprochen. Damit muss der vorliegende Entwurf vor genau diesem Hintergrund kritisch geprüft werden.


Was man sich überlegt – Trägerschaft

Weil die Eingliederungshilfe aus dem Leistungskatalog der Sozialhilfe herausgelöst werden soll, verändern sich nun auch die Zuständigkeiten. Damit einher geht nicht nur die Entscheidungsgewalt, sondern auch die Notwendigkeit zur Vereinbarung von Landesrahmenverträgen (bisher § 79 SGB XII), Vereinbarungen über die Leistungserbringung, Prüfung (Aufsicht) und Vergütung (bisher §§ 75 ff. SGB XII).

Träger der Eingliederungshilfe sind die Kreise und kreisfreien Städte. Diese sollen beraten und eine Gesamtplanung unternehmen. Und sie sollen die bekannten Vereinbarungen zur Leistung, Vergütung und Prüfung verantworten, was aber sehr wahrscheinlich die bestehenden Strukturen nicht wesentlich verändert (§ 1 Abs. 1). Bisher finden sich zwei Formen, was diese Strukturen anbelangt: die kreisfreien Städte und die Koordinierungsstelle für soziale Hilfen der schleswig-holsteinischen Kreise (KOSOZ). Eine solche Parallelität entspricht eigentlich nicht dem Gedanken der Effektivität.

Auch das Land wird Träger der Eingliederungshilfe, allerdings will man an dieser Stelle lediglich „übergeordnete, zentrale Steuerungs- und Koordinierungsaufgaben“ wahrnehmen (S. 4). Damit gemeint sind Ausgestaltung von Landesrahmenvereinbarungen, eine Mitwirkung an der Erprobung und Weiterentwicklung bestehender Leistungs- und Finanzierungsstrukturen, Schiedsstelle und die Sicherstellung einheitlicher Angebotsstrukturen. Zusammen werden Land, Kreise und kreisfreie Städte Empfehlungen für das Leistungsrecht erarbeiten, die Rahmenbedingungen für „andere Leistungsanbieter“ entwickeln und das Budget für Arbeit konzeptionell weiterentwickeln (§ 1 Abs. 2).

Soll die KOSOZ damit abgeschafft werden? Oder werden Land, kreisfreie Städte und Kreise genau die vielen Aufgaben in der KOSOZ bündeln?

Was diese „Mitwirkung“ anbelangt, muss man ebenfalls hinterfragen, wie verbindlich sie ausfallen darf. Eine Mitwirkung gibt es bereits, wenn ein Vertreter des Landes bei Treffen einer Arbeitsgruppe dabei ist und sich ab und an zu Wort meldet. Es geht aber um viel mehr: Teilhabeleistungen sollen zielgenau erbracht werden, damit nicht zu wenig bedarfsdeckende Leistung angeboten und nicht zu viel erbracht wird. Und das verlangt ein sehr umfassendes Bedarfsfeststellungsverfahren, eine angemessene Angebotsauswahl und die ordnungsgemäße Berichterstattung (idealerweise einem bestimmten Qualitätsstandard entsprechend).


Was man sich überlegt – Umsetzungsbegleitung und Interessenvertretung

Schon zum 1. Januar 2018 ist eine Arbeitsgemeinschaft zum Zwecke der Umsetzungsbegleitung mit Vertretern der (neuen) Träger der Eingliederungshilfe (Land, kreisfreie Städte und Kreise), den Leistungserbringern, dem Landesbehindertenbeauftragten und Interessenvertreter der Menschen mit Behinderungen zu besetzen (§ 2).

Hier muss man schon kritisch nachfragen, ob man zu dieser Arbeitsgemeinschaft Vertreter von Allen (Leistungsträgern und Leistungserbringern) einladen will, oder meint man stattdessen Vertreter von Verbänden? Die Formulierung erscheint ein wenig verunglückt.

Der Landesbehindertenbeauftragte soll anscheinend zusammen mit Vertretern der Verbände von Menschen mit Behinderungen in dieser Arbeitsgemeinschaft über das neue Leistungsrecht sowie das Gesamtplanverfahren mitberaten dürfen, aber nicht mitbestimmen (§ 2 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2). Was also auf den ersten Blick eine interessante Neuerung darstellt, entpuppt sich als ein Forum, in dem viel gesprochen und nichts entschieden wird.

Damit endet auch diese legislative Teilhabe. Die Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung wird, was die Erarbeitung und Beschlussfassung der Rahmenverträge gem. § 131 SGB IX anbelangt (bisher § 79 SGB XII), dann nur noch vom Landesbehindertenbeauftragten wahrgenommen. Dieser ist zwar kraft seines entsprechenden Fachgesetzes dazu verpflichtet, die gleichberechtigte Teilhabe aktiv zu fördern, doch eine wirkliche Teilhabe der Menschen mit Behinderung gibt es dann nicht mehr (§ 3).

Darüber hinaus wäre es wünschenswert, wenn im Landesbehindertengleichstellungsgesetz (LBGG-SH) weitere Ressourcen zugunsten der Arbeit des Landesbehindertenbeauftragten eingebracht werden könnten. Wie sonst soll eine fachlich fundierte Beschlussfassung erfolgen, wenn dem Funktionsträger hier keine Zeitressourcen zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus wäre es ohnehin fraglich, inwieweit selbst ein Landesbehindertenbeauftragter die Bandbreite an verschiedensten Behinderungen und Teilhabeeinschränkungen kennen kann.


Was man sich überlegt – Sozialraumorientierte Leistungsgewährleistung ohne Mehraufwand

Sozialraumorientierte Leistungsgewährung soll es weiterhin geben, auch wenn es kein Mehr an personellen und finanziellen Ressourcen geben wird (S. 4). Doch es kommen schon jetzt die Dinge ins Stocken. Ganz aktuell scheint es einen Stopp bei der Bearbeitung von Bauanträgen bei der KOSOZ zu geben, weil man sich erst Klarheit verschaffen muss über die Zuständigkeiten ab dem Jahr 2020 (Abgrenzung zwischen Fachleistungen der Eingliederungshilfe und Grundsicherung). Bauprojekte, die zum Ziel haben, behinderten Menschen ein Mehr an privater Lebensführung und räumliche Rückzugsmöglichkeiten zu bieten oder ihnen ein Leben in einem städtischen Umfeld zu ermöglichen, stehen auf dem „sozialräumlichen Abstellgleis“ – aber nicht mehr lange, so die Aussichten.

Weil der Bund den Ländern einen Anteil an den Ausgaben für den Barbetrag zur persönlichen Verfügung (§ 27 b SGB XII) erstatten will („Barbetragserstattung“), sollen Meldepflichten eingeführt werden. Die örtlichen Träger der Sozialhilfe müssen jetzt die „Zahl der Leistungsberechtigen“ ermitteln, die Leistungen nach dem 4. Kapitel SGB XII (Hilfe zum Lebensunterhalt) beziehen und zugleich in einer stationären Einrichtung nach dem 6. Kapitel SGB XII (Eingliederungshilfe) leben. Dies außerdem je Kalendermonat, sofern „in einem Kalendermonat für mindestens 15 Kalendertage“ ein Barbetrag gezahlt worden ist (§ 12 AG-SGBXII-SH).

Es geht nicht um die tatsächliche Zahlungshöhe, sondern um die Zahl der Leistungsberechtigten. Wie viel dann wirklich erstattet wird, bleibt vorerst unbekannt. Doch am Ende wird es auf eine pauschale Abgeltung hinauslaufen, die sich die Kommunen erst einmal „erarbeiten“ müssen – nicht wirklich eine Form der Effizienz. Und dann auch noch ein Prüfungspunkt für Landesrechnungshöfe.

Alles „wie gehabt“ und kompliziert.

CGS


PS:
Die Frist zur Stellungnahme läuft übermorgen ab.



Quellen:

Eigener Beitrag vom 21.11.2014
„Verständigung zum Ausführungsgesetz zur Sozialhilfe und der Finanzierung der Sozialhilfe in Schleswig-Holstein“ – Labels: Eingliederungshilfe, Integrationsassistenz, Zuständigkeit, Finanzierung





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