Am 23.3.2017 gab es
ein Urteil des 6. Senats beim Bundesarbeitsgericht in Bezug auf die Zahlung von
Zuschlägen für Überstunden. Der Kläger war als Teilzeitkraft in Wechselschicht
(Schichtarbeit) beschäftigt bei einem Arbeitgeber, der den TVöD anwendet. Man
stritt um Zuschläge für Überstunden, die nach dem Tarif dann zu zahlen sind,
wenn ein zeitlicher Ausgleich für diese Mehrarbeit nicht stattgefunden hat.
Das Besondere an
diesem Urteil ist aber, dass es zu einer Verteuerung der Leistungserbringung
führt, die wiederum so von den Verhandlungspartnern bzw. Leistungsträgern nicht
übernommen wird. Es geht dabei auch nicht um ein paar kleine Beträge, sondern
es kann hier zu einem dauerhaften Verlustrisiko führen, was die Handlungsfähigkeiten
der leistungserbringenden Arbeitgeber schmälert.
Was ist Mehrarbeit? Und was sind Überstunden?
Im Tarif wird zuerst einmal die Mehrarbeit definiert.
Dies sind Arbeitsstunden, die über die vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit von
Teilzeitkräften bis hinaus zur regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit eines
Vollbeschäftigten gehen. Wenn eine Teilzeitkraft im Arbeitsvertrag eine
regelmäßige Wochenarbeitszeit von 29,25 Stunden stehen hat, ein
Vollbeschäftigter dagegen 39 Wochenstunden zu arbeiten hätte, zählen alle
geleisteten Arbeitsstunden in einer Woche ab 29,25 und bis 39,00 Stunden zur
Mehrarbeit (vgl. § 7 Abs. 6 TVöD-K; nachfolgend wird auf den allgemein
bekannten TVöD-VKA verwiesen).
Die eben genannten 39 Wochenstunden können sich in
bestimmten Fällen ändern (vgl. hierzu § 6 Abs. 1 S. 1).
Das Besondere am TVöD ist allerdings, dass die
Mehrarbeitsstunden einer Teilzeitkraft erst dann zu Überstunden werden, wenn
die „regelmäßige Arbeitszeit von Vollbeschäftigten … für die Woche …“
überschritten wird (vgl. § 7 Abs. 7 S. 1). Die Anordnung an sich führt somit
noch nicht zu einer Anerkennung als Überstunde – und damit werden auch keine
besonderen Zuschläge ausgelöst. Der Freizeitausgleich oder eine reguläre
Stundenvergütung für solche Mehrarbeit bleibt aber bestehen.
Zweites Kriterium ist, dass wenn eine solche
Überschreitung „nicht bis zum Ende der folgenden Kalenderwoche ausgeglichen“
wird (vgl. § 7 Abs. 7 S. 1, zweiter Halbsatz), diese Mehrarbeitsstunden als wie
Überstunden anzusehen sind. Das bedeutet, dass in dem Moment ein
Überstundenzuschlag fällig wird, wenn diese Zeit vergangen ist. Der Zuschlag
selbst beläuft sich auf 15 oder 30 % des Tabellenentgelts je Stunde; und selbst
wenn später noch ein Freizeitausgleich stattfindet, wird er gezahlt (vgl. § 8
Abs. 1 Buchst. a).
Mehrarbeit ist jede Zeit bis zum Erreichen einer
Vollbeschäftigung, die auch ein festgelegter Arbeitszeitkorridor oder eine
Rahmenzeit sein kann. Überstunden müssen entweder angeordnet sein und über die
Wochenstunden eines Vollbeschäftigten hinausgehen (Abs. 7) oder über die
vereinbarte Obergrenze eines Arbeitszeitkorridors (Abs. 8 Buchst. a), außerhalb
einer Rahmenzeit (Abs. 8 Buchst. b) oder im Falle von Wechselschicht- oder
Schichtarbeit über die im Schichtplan festgelegte tägliche Arbeitszeit anfallen
und im wöchentlichen Schichtplanturnus nicht ausgeglichen wurden (Abs. 8
Buchst. c). Das heißt: Selbst wenn die im Schichtplan eingetragene Arbeitszeit
überschritten wird, handelt es sich so lange um einfache Mehrarbeit, bis die
regelmäßige Wochenarbeitszeit eines vollbeschäftigten Mitarbeiters erreicht
ist.
So etwas findet sich auch im TV-L.
Worüber hatte das Bundesarbeitsgericht zu entscheiden
und was wurde festgestellt?
Die Parteien stritten nicht über die Stunden selbst. Sie
wurden per Freizeitausgleich wieder entgolten. Doch weil es sich nach Meinung
des Arbeitgebers nur um Mehrarbeitsstunden im Sinne des § 7 Abs. 6 handelte und
nicht um Überstunden (sie wären sonst nicht fristgemäß ausgeglichen worden),
war der verlangte Überstunden-Zuschlag nicht berechtigt (Streitwert 414,10 Euro
zzgl. Zinsen).
Das Gericht missbilligte die sprachliche Verständlichkeit
der Norm und nahm eine eigene Lesart vor (Rn. 14 und 16). Es könnte also sein,
dass hier noch einmal von den Tarifparteien verhandelt werden muss, um mehr
Klarheit zu gewinnen.
Festgestellt wurde allerdings, dass mit der sogenannten
Wechsel-/Schichtzulage ein Ausgleich vorgenommen wird für das besondere
Erschwernis durch die Störung des gleichmäßigen Tagesrhythmus (vgl. BAG 25.
April 2013 - 6 AZR 800/11 - Rn. 35; und hier Rn. 32). Wenn nun auch noch eine
arbeitgeberseitige Anordnung erfolgt, den im Dienstplan vereinbarten
Schichtdienst „ungeplant“ zu verlängern, muss dies zusätzlich entgolten werden
(Rn. 33).
Das Gericht unterschied dabei zwischen einer „geplanten“ Überschreitung
der regelmäßigen Wochenarbeitszeit im Schichtplan und einer „ungeplante“
Überschreitung der täglichen Arbeitszeit. Im ersten Fall kann unterstellt werden,
dass ein späterer Freizeitausgleich berücksichtigt ist und somit darauf hin
gearbeitet wird. Doch im zweiten Fall hat es eine unvorhergesehene Änderung
gegeben, die nun den guten Willen des Arbeitnehmers fordert.
Damit ergibt sich ein Anspruch für Arbeitnehmer auf einen
Zuschlag für geleistete „ungeplante“ Überstunden, und zwar für jede
Arbeitszeit, die „über die im
Schichtplan festgesetzte tägliche Arbeitszeit hinaus geleistet“ wird (Rn.
11, Fettdruck von mir). Ob ein Freizeitausgleich stattgefunden hat oder nicht,
spielt keine Rolle.
Und dann soll mit dem Überstundenzuschlag „allein der
Umstand belohnt werden, dass der Arbeitnehmer ohne Freizeitausgleich mehr als vertraglich vereinbart arbeitet und
dadurch planwidrig die Möglichkeit einbüßt, über seine Zeit frei zu verfügen“
(Rn. 59, Fettdruck von mir).
Auch wenn Verspätungen passieren, gerade bei Übergaben,
so sei dies darauf zurückzuführen, dass
die Übergabezeiten „zu kurz“ bemessen sind und Arbeitgeber dem „ggf. mit
ausgleichsfähigen eingeplanten Überstunden“ begegnen könnten (Rn. 40).
Das Gericht sieht zudem eine Ungleichbehandlung zwischen
Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten. Während Vollbeschäftigte sofort bei jeder
Form der Mehrarbeit einen Überstundenzuschlag erhalten, müssen Teilzeitbeschäftigte
zuerst einmal an die Stunden eines Vollbeschäftigten kommen. Die „individuelle
Belastungsgrenze“ ist höher, weil die „Grenze der Entstehung [eines] Anspruchs
nicht proportional zu [der] Arbeitszeit“ verläuft (Rn. 51).
Um wie viel könnte sich nun die Leistungserbringung
verteuern?
Müssen nun alle Überschreitungen der täglichen
Arbeitszeit bei Mitarbeitern in Wechselschicht- und Schichtarbeit jetzt mit dem
Überstundenzuschlag zusätzlich entgolten werden?
Solche Mehrarbeitsstunden können schnell passieren.
Gerade wenn die Personaldecke sehr dünn ist und keine zweite Kraft im
Gruppendienst eingesetzt wird, kann jede Verspätung eine Verteuerung
verursachen. Man kann der jeweiligen Betriebsführung und ihrer
Arbeitsorganisation durchaus „die“ Schuld zuweisen, weil z.B. der Umgang mit
den Mitarbeitern überhaupt nicht wertschätzend erfolgte (Stichworte:
„präsidialer“ Herrschaftsanspruch, Selbstvergegenständlichung, Führen durch
Unruhe-Stiften), aber es gibt auch den Fall, dass mit den Vertragspartnern, d.h.
Krankenkassen, Verbände und sogar Landesbehörden, eine zu geringe
Personalbesetzung vereinbart wurde. Der Bedarf der leistungsbedürftigen
Menschen verändert sich, dagegen beruhen vereinbarte Personalschlüssel auf
Festschreibungen, die uralt sind.
Eine erste Hochrechnung könnte durchaus 4
Mehrarbeitsstunden pro Woche ergeben, die dann, bei einem Stunden-Entgelt von
brutto 19,69 Euro (verwendet wird jetzt als Beispiel ein Stundenentgelt aus der
allgemeinen Tabelle, E8) etwa 102,40 Euro zzgl. SV-AG-Beiträge pro Monat
ausmachen könnten. Das klingt erst mal nicht viel.
Wie sehr kann sich nun die Leistungserbringung dank
des BAG verteuern?
Doch es gibt noch ein weiteres Problem, was sich
sicherlich einerseits aus dem vom BAG kritisierten Text im Tarif ergibt,
andererseits wiederum vom BAG selbst verursacht wurde. Am Text der Tarifnorm
des TVöD wird der Arbeitgeberverband VKA sicherlich ab kommenden Februar
arbeiten wollen. Vermutlich reicht eine Neuformulierung, um das Risiko für
Arbeitnehmer-Ansprüche auf Zahlung einer Überstundenzulage kleinzukriegen. Für
Anwender des TV-L in der Tarifgemeinschaft der Länder wird es dagegen noch
dauern. Das nun geschaffene Problem findet sich in der fehlenden Definition
darüber, was denn nun mit „angeordnet“ wirklich gemeint ist. Was ist mit
Diensten, die kurzfristig getauscht wurden, also ein Tausch, der zwischen den
jeweiligen Mitarbeitern besprochen und dann mit der Leitung vereinbart wurde? Oder
ein Mitarbeiter springt bei krankheitsbedingter Abwesenheit eines anderen
kurzfristig ein und übernimmt an seinem freien Tag?
Wenn ein Freizeitausgleich nicht mehr anerkannt wird und
jede Änderung bei den Diensten einen Anspruch begründen kann, dann muss man mit
einer Verdreifachung der Kosten rechnen oder die Arbeitszeit erheblich
fixieren. Wenn bisher ein Dienst-Tausch pro Woche stattfand, ergeben sich bei 8
Stunden pro Dienst x 4,345 = 34,76 Mehrarbeitsstunden im Monat – und somit
zusätzliche 205,33 Euro zzgl. SV-AG-Beiträge.
Und was ist wenn Mitarbeiter zum Zeitpunkt der
Dienstplanerstellung noch gar nicht eingestellt waren, sind dann diese Stunden
allesamt Überstunden? Bei einer neu eingestellten Teilzeitkraft mit z.B. 75 % einer
Vollzeitbeschäftigung (39 Wochenstunden) könnten so 127 Mehrarbeitsstunden
zusammenkommen, was wiederum 750,73 Euro zzgl. SV-AG-Beiträge ausmachen kann.
Rechnet man alles zusammen, ergeben sich in „normalen“
Monaten zusätzliche Kosten von 369,59 Euro, in Monaten mit neu eingestellten
Mitarbeitern dagegen schon 1.270,47 Euro (inkl. SV-AG-Beiträge). Passiert
letzteres auch nur einmal im Jahr, ergeben sich Personalkostensteigerungen bei
kleinen Gruppen von vielleicht sieben Mitarbeitern und einem Stellenumfang von
5,0 Vollzeitstellen Steigerungen bei den Aufwendungen von durchaus 2,2 %.
Natürlich kommt es immer auf den Stellenmix an. Doch
wesentlicher Punkt hier ist, dass diese Kosten seitens der Verhandlungspartner
bzw. der Leistungsträger nicht übernommen werden, weil sie ihren Ursprung in
der mangelhaften Arbeitsorganisation haben sollen – man vergleiche hierzu noch
einmal die Urteilsbegründung. Wenn aber die Anordnung einer Überstunde ihren
Grund in der Arbeit mit den leistungsbedürftigen Menschen hat, sollte hier eine
Kostenübernahme vereinbart werden, und sei es über eine Anhebung des
Stellenschlüssels. Alles andere wäre nur wieder Kostenpolitik.
Was wird weiter passieren?
Empfohlen wird seitens der VKA, Bund und kommunalen
Arbeitgeber-Verbände, geltend gemachte Ansprüche nicht abzulehnen. Doch man
soll darauf verweisen, dass höchstens nur das Stunden-Tabellenentgelt angesetzt wird, welches gem. der
Protokollerklärung zu § 8 Abs. 1 S. 1 TVöD-VKA (oder ähnlich) vereinbart ist –
nämlich der Stufe 4. Empfohlen wird auch, dass eine Anerkennung nur für
Überstunden aus der Arbeit in Schichtplänen von Teilzeitkräften möglich ist.
Die Verbände der Leistungserbringer haben sich in dieser
Sache noch nicht positioniert. Doch es wird auch hier etwas geschehen, wenn in
den folgenden Monaten die ersten Ansprüche geltend gemacht werden.
Gewerkschaften beginnen jetzt schon mal, ihre Mitglieder und Betriebsräte zu
informieren. Vermutlich wird man jegliche Bemühung hinsichtlich eines neuen Freizeitausgleichs
abwehren.
Am 26.4.2017 urteilte der 10. Senat des BAG, dass die
Praxis eines finanziellen Ausgleichs für Überstunden von Teilzeitbeschäftigten
erst nach Überschreiten der Arbeitszeit eines Vollbeschäftigten nicht gegen
höherrangiges Recht verstößt (Az. 10 AZR 589/15). Damit scheint sich hier ein
Widerspruch aufzutun, den der Große Senat beim BAG lösen muss. Dieser wäre
zuständig, wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines
anderen Senats abweicht. Doch dafür müsste Handlungsdruck aufgebaut werden von
den Verbänden der Arbeitgeber.
Alles in allem kann scheint die Sache ihre Kreise zu
ziehen.
CGS
Notizen zu § 8 TVöD-BT-V-VKA:
Nach dem Willen der Tarifparteien sollen Überstunden
grundsätzlich durch entsprechende Freizeit ausgeglichen werden (vgl. Protokollerklärung
zu Abs. 1 S. 2 lit. d). Dies soll geschehen „bis zum Ende des dritten
Kalendermonats – möglichst aber schon bis zum Ende des nächsten Kalendermonats
– nach deren Entstehen…“ (Abs. 1.1 S. 2). Der Freizeitausgleich soll im
Dienstplan besonders ausgewiesen und bezeichnet werden. Falls aber kein
Freizeitausgleich gewährt wird, wird das Stunden-Tabellenentgelt (höchstens
Stufe 4) zzgl. Überstundenzuschlags und eines möglichen weiteren
Feiertagsbedingten Zuschlags, aber maximal 235 % (des Stunden-Tabellenentgelts),
gezahlt.
Bei Mehrarbeitsstunden, die keine Überstunden sein
sollen, weil sie innerhalb der regelmäßigen Wochen-Arbeitszeit eines
Vollbeschäftigten anfallen, werden dagegen höchstens 100 % des
Stunden-Tabellenentgelts der jeweiligen Entgeltgruppe und Stufe (!) zur
Auszahlung kommen (Abs. 2). Dies betrifft aber nur die Zeiten, die nicht mit
Freizeit abgegolten wurden – also Überhangs-Zeiten.
Der Zeitraum für den Freizeitausgleich bei
Mehrarbeitsstunden soll sich nach den folgenden Vorgaben richten:
Für die Berechnung
des Durchschnitts der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ist ein Zeitraum
von bis zu einem Jahr zugrunde zu legen (§ 6 Abs. 2 S. 1 TVöD-VKA).
Abweichend von Satz
1 kann bei Beschäftigten, die ständig Wechselschicht- oder Schichtarbeit zu
leisten haben, ein längerer Zeitraum zugrunde gelegt werden (§ 6 Abs. 2 S. 2
TVöD-VKA).
Quelle:
BAG-Urteil vom 23.3.2017, Az. 6 AZR 161/16
(letzter Aufruf am 27.11.2017)
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Überstundenzuschläge als Risiko für Leistungserbringer -
Überlegungen zum BAG-Urteil vom 23.3.2017 –
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