Mittwoch, 20. Dezember 2017

BTHG in Schleswig-Holstein - Der Entwurf zum 1. Teilhabestärkungsgesetz wurde überarbeitet und könnte jetzt Gesetz werden

Der erste Entwurf zum neuen „1. Teilhabestärkungsgesetz“ wurde überarbeitet, wobei es sich eher um eine Ergänzung handelt und nicht wirklich um eine Überarbeitung. Die Anmerkungen der Betroffenenverbände und der Leistungserbringer wurden jedenfalls nicht berücksichtigt.

Vielmehr hat es eine Verschärfung gegeben, so dass man sich fragen muss, wie sich die weitere Zusammenarbeit zwischen Leistungsträgern und Leistungserbringern überhaupt gestalten soll. Es wird damit begründet, dass schließlich Aufsicht und Kontrolle stattzufinden haben, weil es schließlich um öffentliche Mittel geht und die Qualität der Leistungserbringung sichergestellt sein muss. Doch man kann diesen Punkt auch anders verstehen.

Und dann fehlt es nach wie vor an einer wirklichen Teilhabe der Betroffenen und ihrer Verbände. Das stellt aber ein Problem dar, weil es schlichtweg „zu viele“ Interessenvertretungen gibt und die sich in der Regel aus Ehrenamtlichen zusammensetzt.


Warum ein anlassunabhängiges Prüfrecht gebraucht wird

Neu hinzugekommen ist ein „anlassunabhängiges Prüfrecht“ (vgl. Ziff. 1.3, S. 5, neuer Entwurf; § 5):

„Abweichend von § 128 Absatz 1 Satz 1 SGB IX [n.F.] kann … eine Prüfung der Qualität und Wirtschaftlichkeit einschließlich der Wirksamkeit der vereinbarten Leistungen auch ohne tatsächliche Anhaltspunkte für eine Verletzung vertraglicher oder gesetzlicher Pflichten durchgeführt werden.“ (Fettdruck von mir).

Begründet wird dies damit, dass die Prüfung von Qualität und Wirtschaftlichkeit bald nicht mehr Gegenstand vertraglicher Vereinbarungen sein wird. Bisher gab es noch im Landesrahmenvertrag nach § 79 SGB XII eine Prüfungsvereinbarung. Doch das soll nicht mehr sein, Prüfungsvereinbarungen wird es nicht mehr geben. Von daher sieht man eine Lücke und braucht eine Regelung, damit zum einen die „Verantwortung für die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen besser [offengelegt]“ und zum anderen eine „höhere Transparenz und Nachvollziehbarkeit bei der Verwendung öffentlicher Mittel im Rahmen bestehender Verträge“ ermöglicht wird (S. 6).

Und weiter wird erläutert, dass das Land und seine Kommunen für die Leistung Eingliederungshilfe im Jahr 2016 „rd. 655 Mio. Euro“ ausgegeben hatten. Ein anlassunabhängiges Prüfrecht ist alleine schon deswegen notwendig, weil man ansonsten auf jegliche Steuerungsmöglichkeiten verzichten würde „mit Blick auf die Ziele der Teilhabe als auch auf die Stabilität öffentlicher Haushalte zulasten der Träger der Eingliederungshilfe“ (S. 7). Man hat also nicht nur Sorge, dass eine Teilhabe der Leistungsberechtigten vielleicht nicht stattfindet und die Gelder damit nutzlos ausgegeben werden, man glaubt auch, dass hier eine sehr gefährdende Ausgabendynamik unterschwellig vorhanden ist.


Warum ein solches Prüfrecht überzogen ist

Diese neue Regelung wird aber von den Leistungserbringern als eine Verschärfung angesehen, weil im neuen § 128 Abs. 1 S. 1 SGB IX n.F. die Rede von „tatsächlichen Anhaltspunkten“ ist:

Soweit tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein Leistungserbringer seine vertraglichen oder gesetzlichen Pflichten nicht erfüllt, prüft der Träger der Eingliederungshilfe oder ein von diesem beauftragter Dritter die Wirtschaftlichkeit und Qualität einschließlich der Wirksamkeit der vereinbarten Leistungen des Leistungserbringers.“ (Fettdruck von mir).

Es muss also ein Bezug zu einem tatsächlichen Fehlverhalten bestehen. Alles andere wäre ein reines kontrollieren, dass schließlich auch seinen Niederschlag in den weiteren Verhandlungen zwischen Leistungserbringern und Leistungsträgern finden wird. Dass es mal zu einem unwirtschaftlichen Verhalten kommen kann, weil die Entscheider in den sozialen Unternehmen in dem Moment keine Alternativen erkannten, darf nicht zu einem Rechtfertigungs-Kampf führen.

Anlassunabhängig bedeutet auch, dass eine Prüfung ausgeweitet werden kann auf alle Bereiche. Und ein soziales Unternehmen muss sich dann damit auseinandersetzen, wird aber nicht gleichzeitig seine anderen Aufgaben wahrnehmen können?

Die Prüfung vornehmen könnte der Landesrechnungshof, wenn er hierzu ermächtigt wäre. Im Kommunalprüfungsgesetz (KPG-SH) hatte man unlängst einen entsprechenden Passus aufgenommen. Kommunale Körperschaften können, sofern ihnen aufgrund von Rechtsgeschäften oder Verträgen im „Zusammenhang mit dem SGB XII Prüfungsrechte gegenüber Dritten zustehen“, den Landesrechnungshof hierzu beauftragen (§ 6 Abs. 3 KPG-SH). Das wäre jetzt, würde man das Kleingedruckte lesen, nicht möglich sein. Es überrascht, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur (angeblichen) Teilhabestärkung dieser Passus nicht ebenfalls geändert worden ist.


Wie jetzt eine Steuerung und gemeinschaftliche Arbeit gelingen soll

Neu ist auch eine Regelung, mit der ein „Steuerungskreis Eingliederungshilfe“ (§ 2) definiert wird. Dieser Steuerungskreis setzt sich zusammen aus Vertretern der Leistungsträger Eingliederungshilfe und dem federführenden Ministerium. Es soll eine Abstimmung und die Koordinierung der Aufgaben aus dem vorliegenden Gesetz ermöglichen, was eigentlich auch folgerichtig ist und ggü. dem ersten Entwurf fehlte.

Dagegen abzusetzen ist die sogenannte „Arbeitsgemeinschaft“ (§ 3) zur Begleitung der Umsetzung des Rechts der Eingliederungshilfe. Dieses Gremium ist besetzt mit Vertretern der Leistungsträger, Leistungserbringer bzw. der jeweiligen Verbände und dem Landesbeauftragen für Menschen mit Behinderungen.

Im Verständnis der Landesregierung weist diese Arbeitsgemeinschaft einen eher unverbindlichen Charakter auf – also ganz anders, als die bisherige Vertragskommission SGB XII. Bindende Beschlüsse „für und gegen die nach dem SGB IX Verantwortlichen“, können von diesem Gremium nicht getroffen werden (S. 18).


Wie die neu gestärkten Teilhabenden ihre Interessen wahrnehmen können

Eine weitere Einschränkung wird darin gesehen, dass es eine Vielzahl „kleiner Interessenverbände mit überwiegend ehrenamtlichen Strukturen“ gibt. Dies wird als Hinderung für eine effektive Arbeitsstruktur angesehen (S. 18). Weil es an einer „Selbstvertretung der Verbände von Menschen mit Behinderungen“ fehlt, kann somit nur der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen an der Erarbeitung und Beschlussfassung von Rahmenverträgen mit Leistungserbringern mitwirken (S. 7).

Eine echte Beteiligung von Betroffenen und ihrer Verbände findet nicht statt. Allenfalls kann der Landesbeauftragen  für Menschen mit Behinderungen, den bei ihm gebildeten „Beratenden Ausschuss“ im Bedarfsfall hinzuziehen. Doch das verwundert ein wenig, weil schließlich die Bundesregierung mit ihrem Arbeitskreis zum Entwurf eines Bundesteilhabegesetzes (zuerst noch ein „Bundesleistungsgesetz“) einen viel größeren Betroffenenkreis eingeladen hatte. Wenn es aber um Rahmenverträge geht, die jeweils für sich genommen nur einen kleinen Kreis betreffen, könnte man die Anzahl der zugeladenen Interessenvertretungen überschaubar halten.

Und „überwiegend ehrenamtlichen Strukturen“ erscheint auch übertrieben. Gerade die Welle an Rückmeldungen zum ersten Entwurf dieses Teilhabestärkungsgesetzes zeigt, dass ausgesprochene Fachkräfte in diesen Verbänden tätig sind, u.a. dem Landesverband der Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung (Lebenshilfe-SH), dem Landesverband körper- und mehrfachbehinderte Menschen (LVKM-SH), dem Blinden- und Sehbehindertenverein Schleswig-Holstein e.V. ( BSVSH ) und erst recht dem Paritätischen Wohlfahrtsverband (PARI-SH).

Mitwirkung sieht anders aus. Gerade wenn es um die Stärkung einer Teilhabe bisher eingeschränkter Betroffener gehen soll. Dieser Gesetzentwurf liest sich dagegen wie ein „Instrument zur Stärkung der Leistungsträger“. Diejenigen allerdings, die nun wirklich teilhaben sollen, müssen mit dem altbekannten Gefühl des „Nicht-wirklich-beteiligt-seins“ auskommen und müssen darauf hoffen, dass die Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen trotz sehr eingeschränkter personeller Kapazitäten vertreten kann. Wenn deren Ressourcen nicht erheblich aufgestockt werden, stellt diese Form der Beteiligung lediglich ein Alibi dar. Und das geht nicht.

CGS




Quellen:

Drucksache 19/367 vom 28.11.2017
Gesetzentwurf der Landesregierung
1. Lesung im Landtag am 15.12.2017


Ministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren des Landes Schleswig-Holstein
Pressemitteilung / Medien-Information vom 28.11.2017


PARITÄTISCHER Wohlfahrtsverband Schleswig-Holstein e. V.
(letzter Aufruf am 16.12.2017)


Das neue Prüfungsrecht für den Landesrechnungshof in Schleswig-Holstein in Sachen Eingliederungshilfe
Eigener Beitrag vom 23.4.2017
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