Dienstag, 4. Dezember 2018

Pflegeleistungen in Einrichtungen der Behindertenhilfe auf 266 Euro begrenzt


In einem früheren Beitrag ging es noch um die Begrifflichkeiten rund um Behandlungspflege, insbesondere ging es um solche Pflegeleistungen, die in vollstationären Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe (besondere Wohnformen) erbracht werden könnten. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hatte vor einiger Zeit zu seiner Häuslichen Krankenpflege-Richtlinie (HKP) einen neuen Beschluss gefasst und damit die Verantwortlichkeiten, die es zwischen den verschiedenen Leistungsbereichen gibt, etwas geklärt.

In stationären Wohneinrichtungen gibt es auch eine Behandlungspflege, zu der die Leistungserbringer verpflichtet sein können – es muss nicht zwingend so sein, dennoch ist es sehr wahrscheinlich, weil pflegerische Aktivitäten ebenfalls zum Tätigkeitsbild von Fachkräften in diesem Leistungsbereich gehören. Wenn in den Leistungsvereinbarungen dies mit aufgeführt ist, muss eine solche Hilfe, die so nicht der Kernkompetenz der Leistungserbringer entspricht, trotzdem geleistet werden.

Leistungsträger können die Pflegekassen nur bis zu einem Höchstbetrag von 266 Euro (Stand 2018) mit einbeziehen – egal wie hoch der Pflegebedarf ist. Doch mit steigendem Pflegebedarf könnten sich die Fachleistungen verteuern. Für Leistungsberechtigte, die vollstationär versorgt werden sollen, von daher ein weiterer Aspekt, der zu hinterfragen ist – ganz einfach, um die Konzepte besser zu verstehen.



Pflegebedarf in stationären Einrichtungen angestiegen, aber es ändert nichts an den Leistungen

In 2014 veröffentlichte die Bundesvereinigung der Lebenshilfe e.V. eine Umfrage zur „Eingliederungshilfe / Pflege und Interne Tagesstruktur“. Eine Minderheit der Befragten gab an, dass der Pflegebedarf in den letzten fünf Jahren „gleich geblieben“ sei. Daraus konnte man folgern, dass der Pflegebedarf in 9 von 10 Fällen gestiegen war. Weiter hieß es, dass es bei vielen Menschen mit einem Pflegebedarf zu keiner Höherstufung beim Pflegegrad (früher Pflegestufe) gekommen sei (vgl. dazu S. 2 der Umfrageergebnisse).

Dies überrascht nicht, denn eine Höherstufung ist eigentlich bürokratisch unnütz. Aufgrund der Vorgabe in § 43 a S. 2 SGB XI sind die Aufwendungen der Pflegekasse begrenzt auf 266 Euro im Monat (Stand 2018). Empfänger der Leistungen wären aber nicht die Bewohner einer stationären Wohneinrichtung, sondern die Kostenträger – also Sozialhilfe bzw. Eingliederungshilfe. Von daher ändert sich nichts an den Leistungen. Selbst wenn es zu einer Höherstufung kommen sollte, es würden damit erhebliche Verwaltungskosten entstehen ohne weitere, materielle Auswirkungen.  

Bei diesem Geldbetrag handelt es sich um einen „ambulanten Leistungsbeitrag“, der die Träger der Eingliederungshilfe um „rund 200 Millionen Euro“ entlasten sollte. In der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Gesundheit ging man noch von 60.000 pflegebedürftigen Personen aus, die „zusätzlich in den Anwendungsbereich des § 43 a SGB XI kommen“ würden (S. 4, Drucksache 18/6688 des Deutschen Bundestags, 11.11.2015).

Die fünf Fachverbände in der Behindertenhilfe, Caritas, Lebenshilfe, Anthropei BV, BEB (Diakonie) und BPVK kritisierten, dass diese Regelung zusammen mit § 71 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 SGB XI überhaupt nicht im Einklang stehe mit dem Bundesteilhabegesetz. Statt die Leistungen unabhängig vom Ort der Leistungserbringung zu machen und wirklich eine Abtrennung der Eingliederungshilfe von allen anderen Leistungsbereichen hinzubekommen, entsteht damit eine Schnittmenge zwischen Pflege und Eingliederungshilfe.

Dieses Problem wurde seinerzeit auch in der Arbeitsgruppe zum BTHG diskutiert. Einige Teilnehmer sahen sich allerdings mit erheblichen, nicht refinanzierten Mehrkosten konfrontiert, wenn man dem Wunsch nach ambulanten Pflegeleistungen entsprechen würde (GKV und BDA). Nicht den Bewohnern würde die Aufgabe dieser Regelung zugute kommen, sondern den den (damaligen) Trägern der Sozialhilfe. Man rechnete mit Mehrkosten von über „1,5 Mrd. Euro …, ohne dass damit Leistungsverbesserungen für die Betroffenen verbunden wären“ (S. 35, Abschlussbericht des BMAS über die Tätigkeit der AG BTHG, Teil A, 14.4.2015).


Pflegebedarf durch einen Pflegedienst abdecken

Während also in vollstationären Wohneinrichtungen für behinderte Menschen wahrscheinlich nichts geschieht, würde in einem ambulanten Setting ein Pflegedienst diesen speziellen Leistungsbedarf erfüllen. Die ambulanten Betreuungsleistungen für die Eingliederungshilfe müssen sich dabei jedoch nicht zwangsläufig reduzieren. Es kann zwar unterstellt werden, dass der Pflegedienst nun einen höheren Zeitanteil übernimmt, allerdings gibt es einen derartigen Automatismus nicht. Über die Zielsetzungen, wie sie im Teilhabeplanverfahren formuliert sind (vgl. § 19 SGB IX, seit 2018 geltende Fassung), würde es eine Änderung beim Bedarf geben, was sich dann durchaus auf den Umfang der Betreuungsleistungen auswirken könnte.

In einer vollstationären Wohneinrichtung müsste es zuerst eine ärztliche Verordnung geben, die jedoch von der genehmigenden Pflege-/Krankenkasse zu prüfen wäre. Entsprechend der überarbeiteten HKP-Richtlinie müssten dazu die Kriterien „ständige Überwachung und Versorgung“ vorliegen, damit eine gewisse Notwendigkeit unterstellt werden kann. Wenn die Träger der Wohneinrichtung per Leistungsvereinbarung (ehemals nach § 75 Abs. 3 SGB XII) verpflichtet sind zur Übernahme einer Behandlungspflege, wären die zusätzlich benötigten Pflegeleistungen durch einen Pflegedienst nicht mehr möglich.

In der Praxis wird es sehr wahrscheinlich dennoch eine Pflegeleistung geben, weil man den Menschen, der diese Hilfen braucht, nicht alleine läßt. In großen Einrichtungen würde es beispielsweise Kranken-/Gesundheits- oder Altenpflegekräfte geben, die das übernehmen. Aber auch gelernte Heilpädagogen können „pflegerische Aktivitäten bei Patienten und Patientinnen mit schwerster Behinderung und chronischen Krankheiten durchführen“ (siehe dazu die Tätigkeitsinhalte zum Berufsbild auf berufenet.arbeitsagentur.de). Auf Dauer kann es schon sein, dass sich ein Leistungserbringer als ungeeignet sieht und dann für diese Bewohner ein Pflegeheim suchen muss (siehe unten dazu einige Notizen).


Pflegebedarf jetzt in den Landesrahmenverträgen bestimmen

Leistungserbringer der Eingliederungshilfe können sich nicht abgrenzen von diesen pflegerischen Aufgaben. Es wird darauf ankommen, was später in den Leistungsvereinbarungen formuliert sein wird. Die Fachverbände, die aktuell über die Landesrahmenverträge verhandeln, werden schon wichtige Hinweise geben und eine Muster-Leistungsvereinbarung erarbeiten wollen. Es darf aber nicht vergessen werden, dass Pflege keine Kernkompetenz der Leistungserbringer darstellt.

„Hilfen aus einer Hand“ sollte nichtsdestotrotz ein Grundsatz bleiben, der angestrebt werden muss. Leistungsträger werden genau damit kommen wollen, um die Leistungserbringer von einer solchen Pflicht zu überzeugen – jedoch würden sie gleichzeitig mit dem Risiko zu tun bekommen, dass die Fachleistung in den Wohneinrichtungen teurer werden kann. Die Einbeziehung der Pflegekassen als vorrangige Leistungsträger ist nun mal nicht möglich. Um aus dieser Kostenfalle wieder herauszukommen, müsste man die vermehrt pflegebedürftigen Leistungsberechtigten „zwangsweise“ in ein Pflegeheim abschieben (siehe unten dazu einige Quellen). 

Eine solche Aussicht kann schon beängstigend sein für Menschen in einer Wohneinrichtung. Man darf jetzt nicht annehmen, dass es eigentlich egal ist für diese Leistungsberechtigte, weil sie es nicht wirklich verstehen können. Sehr viele sind durchaus eigenwillig, selbstbestimmt und aktiv. Trotzdem ist für sie eine Wohneinrichtung die richtige Lösung, weil sie die Gemeinsamkeit in einer Wohngemeinschaft für sich schlichtweg brauchen.  Gerade deswegen müssen die Verhandlungen über die Landesrahmenverträge unter Einbeziehung der Betroffenen-Verbände transparent stattfinden.

CGS



Quellen:

change.org – zugehörig zum gemeinnützigen Verein Change.org e.V.

Die Petition wurde im Jahr 2017 beendet. Es ging dabei um den § 104 SGB IX in der Fassung ab 2020, da manche Wünsche von Leistungsberechtigten nicht als angemessen verstanden werden können.


Fernsehbeitrag beim SWR: „Im Breisgau lieber sterben als ins Pflegeheim“
Reporter: Christof Gerlitz
Stand: 21.12.2016, 18.58 Uhr

"Der spastisch gelähmte Dirk Bergen kann Dank eines Pflegedienstes zu Hause leben. Jetzt sollte er gezwungen werden, in ein Heim zu gehen. Zu teuer sei die Betreuung. Doch er weigert sich.“



Notizen:

1.
Krankenhausbegleitung sollte eine Leistung sein, die mit dem Platzfreihaltegeld abgedeckt ist. Der Umfang der Leistungen muss aber geringer ausfallen, weil man schließlich auch Zeiten für die Vorbereitung, Anfahrt, Rückfahrt und Nachbereitung bedenken muss. Diese Leistung hätte zum Ziel, eine Kommunikationshilfe und soziale Unterstützung im Krankenhaus anzubieten, Gespräche mit Pflegehelfern und Ärzten zu erleichtern und bei der Annahme / Einnahme von Medikamenten eine Vertrauensbasis zu schaffen.

Eingewöhnungsbegleitung für einen behinderten Menschen, der z.B. in ein für ihn völlig neues Lebensumfeld wechseln muss, sollte dagegen mit dem Leistungsträger separat vereinbart werden. Man könnte hier einen zeitlichen Rahmen vereinbaren, bis zu dem (wie oben) Hilfen zur Kommunikation, soziale Interaktion und Orientierung am neuen Ort stattfinden können. Ziel der Arbeit wäre somit, für diesen Menschen einen Übergang in eine neue vertraulichere Umgebung herzustellen (vgl. zum Beispiel mit der Schulbegleitung für behinderte Kinder an Regelschulen, § 54 SGB XII). Die Vergütung wäre dann eine völlig neue, die sich nicht an unserer Einrichtungs-Vergütung orientiert – man könnte auch sagen, eine reine Maßnahmenpauschale.


2.
Zwischen einem EGH-Leistungserbringer und einem regionalen Krankenhaus wurde eine Rahmenvereinbarung im Jahr 2010 geschlossen zur Übernahme von Betreuungsleistungen für stationär aufgenommene Patienten mit Behinderung. Gemeinsames Ziel war eine zielgerichtete Versorgung sicherzustellen und gleichzeitig das Pflegepersonal im Krankenhaus zu entlasten. Hierfür wurde dann eine Vergütung vereinbart, die sich an den Personalkosten des EGH-Leistungserbringers richteten.



Für Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 in einer vollstationären Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen, in der die Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft, die schulische Ausbildung oder die Erziehung behinderter Menschen im Vordergrund des Einrichtungszwecks stehen (§ 71 Abs. 4), übernimmt die Pflegekasse zur Abgeltung der in § 43 Abs. 2 genannten Aufwendungen zehn vom Hundert des nach § 75 Abs. 3 des Zwölften Buches vereinbarten Heimentgelts. Die Aufwendungen der Pflegekasse dürfen im Einzelfall je Kalendermonat 266 Euro nicht überschreiten. Wird für die Tage, an denen die pflegebedürftigen Behinderten zu Hause gepflegt und betreut werden, anteiliges Pflegegeld beansprucht, gelten die Tage der An- und Abreise als volle Tage der häuslichen Pflege.



Abs. 2
Stationäre Pflegeeinrichtungen (Pflegeheime) im Sinne dieses Buches sind selbständig wirtschaftende Einrichtungen, in denen Pflegebedürftige:

1. unter ständiger Verantwortung einer ausgebildeten Pflegefachkraft gepflegt werden,

2. ganztägig (vollstationär) oder tagsüber oder nachts (teilstationär) untergebracht und verpflegt werden können.

Abs. 4
Stationäre Einrichtungen, in denen die Leistungen zur medizinischen Vorsorge, zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben oder am Leben in der Gemeinschaft, die schulische Ausbildung oder die Erziehung kranker oder behinderter Menschen im Vordergrund des Zweckes der Einrichtung stehen, sowie Krankenhäuser sind keine Pflegeeinrichtungen im Sinne des Absatzes 2.


(Fettdruck von mir)

(letzter Aufruf für alle Links am 4.12.2018)




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