In einem früheren Beitrag ging es noch um die
Begrifflichkeiten rund um Behandlungspflege, insbesondere ging es um solche
Pflegeleistungen, die in vollstationären Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe
(besondere Wohnformen) erbracht werden könnten. Der Gemeinsame Bundesausschuss
(G-BA) hatte vor einiger Zeit zu seiner Häuslichen Krankenpflege-Richtlinie
(HKP) einen neuen Beschluss gefasst und damit die Verantwortlichkeiten, die
es zwischen den verschiedenen Leistungsbereichen gibt, etwas geklärt.
In stationären Wohneinrichtungen gibt es auch eine
Behandlungspflege, zu der die Leistungserbringer verpflichtet sein können – es
muss nicht zwingend so sein, dennoch ist es sehr wahrscheinlich, weil
pflegerische Aktivitäten ebenfalls zum Tätigkeitsbild von Fachkräften in diesem
Leistungsbereich gehören. Wenn in den Leistungsvereinbarungen dies mit
aufgeführt ist, muss eine solche Hilfe, die so nicht der Kernkompetenz der
Leistungserbringer entspricht, trotzdem geleistet werden.
Leistungsträger können die Pflegekassen nur bis zu einem
Höchstbetrag von 266 Euro (Stand 2018) mit einbeziehen – egal wie hoch der
Pflegebedarf ist. Doch mit steigendem Pflegebedarf könnten sich die
Fachleistungen verteuern. Für Leistungsberechtigte, die vollstationär versorgt
werden sollen, von daher ein weiterer Aspekt, der zu hinterfragen ist – ganz einfach,
um die Konzepte besser zu verstehen.
Pflegebedarf in
stationären Einrichtungen angestiegen, aber es ändert nichts an den Leistungen
In
2014 veröffentlichte die Bundesvereinigung der Lebenshilfe e.V. eine Umfrage zur
„Eingliederungshilfe / Pflege und Interne Tagesstruktur“. Eine Minderheit der Befragten
gab an, dass der Pflegebedarf in den letzten fünf Jahren „gleich geblieben“ sei.
Daraus konnte man folgern, dass der Pflegebedarf in 9 von 10 Fällen gestiegen war.
Weiter hieß es, dass es bei vielen Menschen mit einem Pflegebedarf zu keiner Höherstufung
beim Pflegegrad (früher Pflegestufe) gekommen sei (vgl. dazu S. 2 der
Umfrageergebnisse).
Dies
überrascht nicht, denn eine Höherstufung ist eigentlich bürokratisch unnütz.
Aufgrund der Vorgabe in § 43 a S. 2 SGB XI sind die Aufwendungen der
Pflegekasse begrenzt auf 266 Euro im Monat (Stand 2018). Empfänger der
Leistungen wären aber nicht die Bewohner einer stationären Wohneinrichtung,
sondern die Kostenträger – also Sozialhilfe bzw. Eingliederungshilfe. Von daher
ändert sich nichts an den Leistungen. Selbst wenn es zu einer Höherstufung
kommen sollte, es würden damit erhebliche Verwaltungskosten entstehen ohne
weitere, materielle Auswirkungen.
Bei
diesem Geldbetrag handelt es sich um einen „ambulanten Leistungsbeitrag“, der
die Träger der Eingliederungshilfe um „rund 200 Millionen Euro“ entlasten sollte.
In der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Gesundheit ging
man noch von 60.000 pflegebedürftigen Personen aus, die „zusätzlich in den
Anwendungsbereich des § 43 a SGB XI kommen“ würden (S. 4, Drucksache 18/6688
des Deutschen Bundestags, 11.11.2015).
Die
fünf Fachverbände in der Behindertenhilfe, Caritas, Lebenshilfe, Anthropei BV,
BEB (Diakonie) und BPVK kritisierten, dass diese Regelung zusammen mit § 71
Abs. 4 S. 1 Nr. 3 SGB XI überhaupt nicht im Einklang stehe mit dem Bundesteilhabegesetz.
Statt die Leistungen unabhängig vom Ort der Leistungserbringung zu machen und
wirklich eine Abtrennung der Eingliederungshilfe von allen anderen
Leistungsbereichen hinzubekommen, entsteht damit eine Schnittmenge zwischen
Pflege und Eingliederungshilfe.
Dieses
Problem wurde seinerzeit auch in der Arbeitsgruppe zum BTHG diskutiert. Einige
Teilnehmer sahen sich allerdings mit erheblichen, nicht refinanzierten
Mehrkosten konfrontiert, wenn man dem Wunsch nach ambulanten Pflegeleistungen
entsprechen würde (GKV und BDA). Nicht den Bewohnern würde die Aufgabe dieser
Regelung zugute kommen, sondern den den (damaligen) Trägern der Sozialhilfe.
Man rechnete mit Mehrkosten von über „1,5 Mrd. Euro …, ohne dass damit
Leistungsverbesserungen für die Betroffenen verbunden wären“ (S. 35,
Abschlussbericht des BMAS über die Tätigkeit der AG BTHG, Teil A, 14.4.2015).
Pflegebedarf
durch einen Pflegedienst abdecken
Während
also in vollstationären Wohneinrichtungen für behinderte Menschen wahrscheinlich
nichts geschieht, würde in einem ambulanten Setting ein Pflegedienst diesen
speziellen Leistungsbedarf erfüllen. Die ambulanten Betreuungsleistungen für
die Eingliederungshilfe müssen sich dabei jedoch nicht zwangsläufig reduzieren.
Es kann zwar unterstellt werden, dass der Pflegedienst nun einen höheren Zeitanteil
übernimmt, allerdings gibt es einen derartigen Automatismus nicht. Über die
Zielsetzungen, wie sie im Teilhabeplanverfahren formuliert sind (vgl. § 19 SGB
IX, seit 2018 geltende Fassung), würde es eine Änderung beim Bedarf geben, was
sich dann durchaus auf den Umfang der Betreuungsleistungen auswirken könnte.
In
einer vollstationären Wohneinrichtung müsste es zuerst eine ärztliche
Verordnung geben, die jedoch von der genehmigenden Pflege-/Krankenkasse zu
prüfen wäre. Entsprechend der überarbeiteten HKP-Richtlinie müssten dazu die
Kriterien „ständige Überwachung und Versorgung“ vorliegen, damit eine gewisse
Notwendigkeit unterstellt werden kann. Wenn die Träger der Wohneinrichtung per
Leistungsvereinbarung (ehemals nach § 75 Abs. 3 SGB XII) verpflichtet sind zur Übernahme
einer Behandlungspflege, wären die zusätzlich benötigten Pflegeleistungen durch
einen Pflegedienst nicht mehr möglich.
In
der Praxis wird es sehr wahrscheinlich dennoch eine Pflegeleistung geben, weil man
den Menschen, der diese Hilfen braucht, nicht alleine läßt. In großen
Einrichtungen würde es beispielsweise Kranken-/Gesundheits- oder
Altenpflegekräfte geben, die das übernehmen. Aber auch gelernte Heilpädagogen
können „pflegerische Aktivitäten bei Patienten und Patientinnen mit schwerster
Behinderung und chronischen Krankheiten durchführen“ (siehe dazu die Tätigkeitsinhalte
zum Berufsbild auf berufenet.arbeitsagentur.de). Auf Dauer kann es schon sein,
dass sich ein Leistungserbringer als ungeeignet sieht und dann für diese
Bewohner ein Pflegeheim suchen muss (siehe unten dazu einige Notizen).
Pflegebedarf
jetzt in den Landesrahmenverträgen bestimmen
Leistungserbringer
der Eingliederungshilfe können sich nicht abgrenzen von diesen pflegerischen
Aufgaben. Es wird darauf ankommen, was später in den Leistungsvereinbarungen
formuliert sein wird. Die Fachverbände, die aktuell über die
Landesrahmenverträge verhandeln, werden schon wichtige Hinweise geben und eine
Muster-Leistungsvereinbarung erarbeiten wollen. Es darf aber nicht vergessen
werden, dass Pflege keine Kernkompetenz der Leistungserbringer darstellt.
„Hilfen
aus einer Hand“ sollte nichtsdestotrotz ein Grundsatz bleiben, der angestrebt
werden muss. Leistungsträger werden genau damit kommen wollen, um die
Leistungserbringer von einer solchen Pflicht zu überzeugen – jedoch würden sie gleichzeitig
mit dem Risiko zu tun bekommen, dass die Fachleistung in den Wohneinrichtungen teurer
werden kann. Die Einbeziehung der Pflegekassen als vorrangige Leistungsträger
ist nun mal nicht möglich. Um aus dieser Kostenfalle wieder herauszukommen,
müsste man die vermehrt pflegebedürftigen Leistungsberechtigten „zwangsweise“
in ein Pflegeheim abschieben (siehe unten dazu einige Quellen).
Eine
solche Aussicht kann schon beängstigend sein für Menschen in einer
Wohneinrichtung. Man darf jetzt nicht annehmen, dass es eigentlich egal ist für
diese Leistungsberechtigte, weil sie es nicht wirklich verstehen können. Sehr
viele sind durchaus eigenwillig, selbstbestimmt und aktiv. Trotzdem ist für sie
eine Wohneinrichtung die richtige Lösung, weil sie die Gemeinsamkeit in einer
Wohngemeinschaft für sich schlichtweg brauchen. Gerade deswegen müssen die Verhandlungen über die
Landesrahmenverträge unter Einbeziehung der Betroffenen-Verbände transparent stattfinden.
CGS
Quellen:
change.org – zugehörig zum gemeinnützigen Verein Change.org e.V.
Die
Petition wurde im Jahr 2017 beendet. Es ging dabei um den § 104 SGB IX in der
Fassung ab 2020, da manche Wünsche von Leistungsberechtigten nicht als
angemessen verstanden werden können.
Fernsehbeitrag beim SWR: „Im Breisgau lieber sterben als ins Pflegeheim“
Reporter:
Christof Gerlitz
Stand:
21.12.2016, 18.58 Uhr
"Der spastisch gelähmte
Dirk Bergen kann Dank eines Pflegedienstes zu Hause leben. Jetzt sollte er
gezwungen werden, in ein Heim zu gehen. Zu teuer sei die Betreuung. Doch er
weigert sich.“
Notizen:
1.
Krankenhausbegleitung sollte eine Leistung sein, die mit dem Platzfreihaltegeld
abgedeckt ist. Der Umfang der Leistungen muss aber geringer ausfallen, weil man
schließlich auch Zeiten für die Vorbereitung, Anfahrt, Rückfahrt und
Nachbereitung bedenken muss. Diese Leistung hätte zum Ziel, eine
Kommunikationshilfe und soziale Unterstützung im Krankenhaus anzubieten,
Gespräche mit Pflegehelfern und Ärzten zu erleichtern und bei der Annahme /
Einnahme von Medikamenten eine Vertrauensbasis zu schaffen.
Eingewöhnungsbegleitung für einen behinderten Menschen, der z.B. in ein für ihn
völlig neues Lebensumfeld wechseln muss, sollte dagegen mit dem Leistungsträger
separat vereinbart werden. Man könnte hier einen zeitlichen Rahmen vereinbaren,
bis zu dem (wie oben) Hilfen zur Kommunikation, soziale Interaktion und
Orientierung am neuen Ort stattfinden können. Ziel der Arbeit wäre somit, für
diesen Menschen einen Übergang in eine neue vertraulichere Umgebung
herzustellen (vgl. zum Beispiel mit der Schulbegleitung für behinderte Kinder
an Regelschulen, § 54 SGB XII). Die Vergütung wäre dann eine völlig neue, die
sich nicht an unserer Einrichtungs-Vergütung orientiert – man könnte auch
sagen, eine reine Maßnahmenpauschale.
2.
Zwischen
einem EGH-Leistungserbringer und einem regionalen Krankenhaus wurde eine Rahmenvereinbarung
im Jahr 2010 geschlossen zur Übernahme von Betreuungsleistungen für stationär
aufgenommene Patienten mit Behinderung. Gemeinsames Ziel war eine
zielgerichtete Versorgung sicherzustellen und gleichzeitig das Pflegepersonal
im Krankenhaus zu entlasten. Hierfür wurde dann eine Vergütung vereinbart, die
sich an den Personalkosten des EGH-Leistungserbringers richteten.
Für
Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 in einer vollstationären Einrichtung
der Hilfe für behinderte Menschen, in der die Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft, die
schulische Ausbildung oder die Erziehung behinderter Menschen im Vordergrund des Einrichtungszwecks
stehen (§ 71 Abs. 4), übernimmt die Pflegekasse zur Abgeltung der in § 43
Abs. 2 genannten Aufwendungen zehn vom Hundert des nach § 75 Abs. 3 des
Zwölften Buches vereinbarten Heimentgelts. Die Aufwendungen der Pflegekasse
dürfen im Einzelfall je Kalendermonat
266 Euro nicht überschreiten. Wird für die Tage, an denen die
pflegebedürftigen Behinderten zu Hause gepflegt und betreut werden, anteiliges
Pflegegeld beansprucht, gelten die Tage der An- und Abreise als volle Tage der
häuslichen Pflege.
Abs.
2
Stationäre
Pflegeeinrichtungen (Pflegeheime) im Sinne dieses Buches sind selbständig
wirtschaftende Einrichtungen, in denen Pflegebedürftige:
1.
unter ständiger Verantwortung einer ausgebildeten Pflegefachkraft gepflegt
werden,
2.
ganztägig (vollstationär) oder tagsüber oder nachts (teilstationär)
untergebracht und verpflegt werden können.
Abs.
4
Stationäre Einrichtungen, in
denen die Leistungen zur medizinischen Vorsorge, zur medizinischen Rehabilitation, zur
Teilhabe am Arbeitsleben oder am Leben
in der Gemeinschaft, die schulische Ausbildung oder die Erziehung kranker
oder behinderter Menschen im Vordergrund
des Zweckes der Einrichtung stehen, sowie Krankenhäuser sind keine Pflegeeinrichtungen im Sinne
des Absatzes 2.
(Fettdruck von mir)
(letzter Aufruf für alle Links am 4.12.2018)
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Pflegeleistungen in Einrichtungen der Behindertenhilfe
auf 266 Euro begrenzt