Immer weniger beherrschen die Corona-Viren die
Schlagzeilen, und doch gibt es hin und wieder Meldungen, die uns an die
Gefährlichkeit erinnern sollten, wie jetzt zuletzt bei Familienfeiern. Und wie
es nach den Groß-Demonstrationen, die in vielen Hauptstädten und Metropolen
stattfanden, nun weitergehen wird, zeigt sich – hoffentlich nicht. Ansonsten
haben wir Ende der Woche wieder ein weitreichendes Kontaktverbot.
Dazu stehen in Konkurrenz sozusagen die Themen
Wirtschaftshilfen und Arbeitslosigkeit. Natürlich haben die unmittelbar mit der
Corona-Krise zu tun, allerdings tut sich nebenbei die Erkenntnis auf, dass bei
manchen Geld und eigenes Wohlbefinden näher liegen als Unterstützung und
Verständnis für Menschen mit Hilfebedarfen und das Gemeinwohl. Eine solche
Krise schärft die Profile, wischt das Seichte hinfort und zeigt vieles ohne Maske.
Das hat schon was Erschreckendes; aber es hat auch sein Gutes, weil man
Prioritäten neu setzen muss, weil man sich dem Versuch der Fremdbestimmung
bewusst macht, weil man sich den eigenen Werten stellt.
Der Sommer soll mundschutzfrei kommen
Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die
Linke) erklärte, ab dem 6. Juni 2020 soll es mundschutzfrei zugehen. Er
vertraue auf die Einsicht der Bevölkerung. Darauf reagierten viele andere
Politiker in Bund und Ländern mit Erschrecken und Entsetzen – was natürlich
verständlich ist, weil es ja in verschiedenen Landkreisen viele Neu-Infizierungen
gab. Die auf Bundesebene vereinbarte 50er-Grenze wird immer wieder beeindruckend
gerissen.
Die 50er-Grenze verlangt eine Umrechnung auf 100.000
Einwohner. Im thüringischen Landkreis Sonneberg beispielsweise gibt es rd.
57/58.000 Einwohner. Zum 7.6.2020 hatte man an das RKI eine Zahl an Betroffenen
von 38 gemeldet. Damit ergeben sich „68“ pro 100.000 Einwohner in 7 Tagen – die
Grenze wurde überschritten. Der Landkreis steht nicht zum ersten Mal an erster
Stelle. Vielmehr zeigen sich schon seit Wochen „Grenzübertritte“ (z.B. 28
Personen am 27.5.2020), so dass man von einem andauernden Problem ausgehen
muss.
Es gibt daneben aber auch andere Landkreise und
kreisfreien Städte in Deutschland, die aus einer Top-10-Liste nicht wegzudenken
sind. Göttingen ist es, dank der Familienfeiern, nunmehr auch, der Landkreis
Coburg (Bayern) und Bremerhaven / Bremen dagegen etwas länger. Das Problem mit
dem Problem ist nun mal, dass die Erkrankung nicht sofort erkannt wird und
deswegen aufgrund der ungehemmten Kontakte eine Ausbreitung unbemerkt
stattfindet. In diesen Regionen müsste es ein intensives Testen geben. Das
bietet zwar keine absolute Sicherheit, immerhin könnten einige Unentdeckbare und
asymptomatisch Erkrankte gefunden und in Quarantäne geschickt werden. Der
Ausbreitung muss jetzt konsequent begegnet werden, damit die gefährdeten
Menschen (vulnerable Personen) geschützt sind.
Gefährdet heißt hier, dass es sich um Leute handelt, deren
Gesundheit sehr zerbrechlich ist oder die aufgrund einer Vor- oder
Grunderkrankung schnell in ein Krankenhaus müssen. Die stationäre Aufnahme wäre
an sich wohl kein Problem. Die Masse der aufzunehmenden Menschen wäre es. Wie
schnell es geht mit einer Erkrankungswelle, und wie schnell ein gesamtes
Versorgungssystem zusammen bricht, hat man unter anderem in Italien gesehen.
Wenn man zudem erleben muss, dass von allen Betroffenen in einem
funktionierendem System noch immer 5 % der Menschen sterben, oder anders
gesagt: Jeder 20. Patient wird nicht überleben, bezogen auf den Landkreis
Sonneberg wären es von den 38 Neu-Infizierten der letzten sieben Tage schon mal
zwei, in Bremerhaven dann schon 3, und in Göttingen ganze 6 Personen.
Das Spiel mit den Zahlen
Man kann zu Recht kritisieren, dass das nur ein Spiel mit
Zahlen ist. Wie es wirklich geschehen wird, kann man nicht sagen an dieser
Stelle. Die Wissenschaft hat in den letzten Wochen sehr viele neue Erkenntnisse
gewonnen, es gibt sogar medizinische Strategien, um den Betroffenen besser
helfen zu können. Dennoch kann man an den Daten ablesen, dass sich die Quote der
verstorbenen Menschen nach wie vor verschlechtert – nicht verbessert!
Auch wenn wir jetzt besser verstehen und das Risiko nicht
mehr so präsent ist, die Mortalität ist nicht gerade niedrig. Möchte man hier
etwas vergleichen, um es anschaulicher zu machen, könnte man herausfinden, dass
doppelt so viele Menschen in 2018 durch einen Sturz ums Leben kamen oder weniger
als die Hälfte zu den Verkehrstoten zählten in 2019 (vgl. destatis u.a. zum
Thema: Todesursachen).
Das Spiel wird allerdings auch anders betrieben. Es geht
sogar so weit, dass man auf verschiedenen Seiten der kommunalen Gesundheitsbehörden
Sachstände von 12 Uhr mittags liest, die sich ganz deutlich von denen des RKI
abheben. Das RKI meldet einen Sachstand von 0 Uhr. Weiß man das nicht, geht das
Vertrauen in das „gründliche System“ schnell verloren. Was wohl ebenso ein Manko
darstellt, ist die technische Vernetzung der unteren Behörden und Meldenden.
Nach wie vor müssen Meldungen von einem System in das andere (häufig per Fax)
übertragen werden, was sehr nach „stiller Post“ aussieht. Ist es dann noch ein
Wunder, wenn Tage später Korrekturen oder Nachmeldungspakete eingearbeitet
werden müssen vom RKI?
Das Meldewesen muss jedenfalls besser geführt werden, um
verlässliche Daten zu liefern, so dass eine bessere Risiko-Abschätzung und
Gefahren-Wahrscheinlichkeit erarbeitet werden kann. Das, was sich bisher
gezeigt hat, sind Angst-Szenarien, die bei vielen Menschen eine sinnlose
Überforderung ausgelöst haben. Die zuständigen Stellen auf allen Ebenen müssen
sich darüber klar sein, dass mit Zahlen gesteuert und verführt werden kann. Es
braucht eine vernünftige Datenlage und Interpretation, um den Menschen die
Angst zu nehmen. Immer dann, wenn die Situation der Menschen unverständlich ist
und unsteuerbar scheint, verringert sich die Hemmschwelle und es werden auf
einmal drastische Reaktionen und Gewalttätigkeiten rationalisiert (dazu gibt es
verschiedene Fachbeiträge, die ich leider nicht präsent habe).
Die Überforderung im eigenen Heim
Kommunikation ist wichtig. Verstehen-wollen und
Sinnhaftigkeit / Sinn-ergeben sind anscheinend zwei menschliche Bedürfnisse. In
den letzten Monaten hatten alle Nationen namhafte Virologen zu ihren Beratern
gemacht, um die Herausforderungen der Corona-Krise besser einordnen zu können.
Doch auch die Bevölkerung suchte nach Antworten, so dass man in täglichen
Talkshows und Polit-Runden diese Riege an Virologen und Fachexperten einberief.
Die Sprache war dabei zum Glück noch einigermaßen verständlich, aber die Suche
nach einer eigenen Strategie, wie man mit dem Risiko der möglichen Ansteckung
umgehen sollte, verlief meistens im Sande.
Zuerst ging es noch um Fallzahlen in den Bundesländern,
mittlerweile kann bis hinunter auf Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte differenziert
werden. Das hilft, um die „nahende“ Gefahr besser einordnen zu können. Und so
kann sich die Bevölkerung mehr und mehr beruhigen – und Mut fassen. Der Landkreis
in einem benachbarten Bundesland ist subjektiv betrachtet viel weiter weg, als
das benachbarte Bundesland selber.
Dieses Gefühl der Erleichterung gab es eine lange Zeit
nicht. Die schnellen Schließungen führten zu einem Notstand an Betreuung bei
Menschen mit Behinderung und Pflegebedarfen. Die Versorgung dieser Menschen
erfolgte entweder in den Wohnstätten (mit Ausgangs- und Besuchsverboten),
eigenen Wohnungen oder bei ihren Angehörigen (z.B. den Eltern, und dazu noch im
alten Kinderzimmer). Die Versorger waren Personen, die das gelernt hatten und
jetzt vor dem gleichen Problem standen, oder Angehörige, die keine
professionelle Distanz und Fachlichkeit aufweisen konnten, und dazu auch noch
mit eigenen Existenzprobleme zu kämpfen hatten. In so einem Umfeld kann man
nicht entschleunigt und behütet miteinander leben – es gibt
Auseinandersetzungen.
Viele der Menschen mit Behinderung verstanden nicht,
warum sie ausgegrenzt und abgeschottet leben sollten. Für manche, so hört man,
war dieses Ausgegrenztsein kein unbekanntes Gefühl. Einige fühlten sich dagegen
pudelwohl und genossen diese „Corona-Ferien“. Doch in den meisten Fällen
vermissten sie die Freunde von der Arbeit oder der Lebensgemeinschaft. Die
soziale Distanzierung traf an dieser Stelle die Menschen sehr, weil sie auf
einmal wieder mal fremdbestimmt wurden – das ganze Inklusionsgehabe mit dem
hohen Anspruch auf ein selbstbestimmtes Leben löste sich auf.
Viele Angehörige hatten mit Existenz-Sorgen zu kämpfen,
und gleichzeitig mussten die Kinder bespaßt werden. Dort, wo es genügend Raum
gab und Ausweichmöglichkeiten, schien dies kein großes Problem gewesen zu sein.
In beengten Lebensräumen ist dies jedoch nicht der Fall.
Einige Hilfen
Die Krise war so eindringlich, dass man in kürzester Zeit
neue Wege gehen musste. Was man an Lösungen erfand, ist bemerkenswert. Diese
Ideen werden sehr wahrscheinlich bleiben und das weitere Handeln mitbestimmen.
-
Mit Symbolen aus der METACOM-Reihe die Nies-Etikette
und das richtige Händewaschen beibringen.
-
In Leichter Sprache über die Landesverfügungen
und die Abstandsregeln informieren.
-
Per YouTube und Video-Chat-Systemen die
Eingesperrten mit den Freunden verbinden.
-
Mit Anrufen, Postkarten und kleinen Nachrichten
für einen ständigen Kontakt sorgen.
-
Schulbegleitungen, die sich mit ihren
Schulkindern zum Fahrradausflug trafen.
Doch es fanden sich leider ebenso viele Grenzen und
technische Hürden. Schulkinder sollten per PC an einem E-Learning teilnehmen,
hatten aber nicht die entsprechende Ausstattung oder Zugänge dafür. Das
Lernmaterial gab es teilweise überhaupt nicht.
Wie viele Ideen können wir uns bewahren und für die
Zukunft verwenden? Was wird übrig bleiben, und was können wir noch besser
machen?
Nach der Krise, ist nach der Krise. Es kommt alles zum
Ende und wird vielleicht wieder ein paar Jahre brauchen, bis es wieder zu einer
Pandemie kommt, werden viele sagen (gerade da denke ich an eine
Meinungsmachende Klientel). Vielleicht kommt es aber ganz anders und wir werden
mit einer neuen Normalität konfrontiert, in der wir uns einfinden müssen.
Schaut man sich zum Beispiel Krankheiten wie Diphterie an, gibt es trotz
Impfstoff ein Fortsetzen der Krankheit, die nicht enden will. Und nun müssen
wir uns vor Augen führen, dass an einem Impfstoff gegen das SARS-2-Virus
gearbeitet wird, den es jedoch nicht gibt – es wird dauern, und es kann nach
wie vor eine zweite Welle geben.
CGS
Das hier ist keine Rechtsberatung oder Aufforderung zur
Vornahme eines Rechtsgeschäftes. Der Beitrag stellt nur meine Sicht auf die
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