Donnerstag, 15. September 2022

Die Energiekrise als Krise für die Leistungserbringer

 

Zuerst waren es einige Geschäftsführer, dann die Verbände. Schließlich kam eine Antwort der Politik. Und nun geht es wieder zurück über die Verbände an die Geschäftsführungen – und schließlich zum leistungsberechtigten Menschen als Verbraucher – ein Ping-Pong-Spiel.

Die Energiekrise hat sich in allen Energiemärkten breit gemacht: Öl, Gas, Strom und Atomkraft. Alle im Land müssen sparen und wirtschaften, es wird früher und länger dunkel, kalt und teuer. Die Verbände fragen, wie sich die Mitglieder auf den Winter vorbereiten. Und sie wollen die Gasversorgung der Menschen sichergestellt sehen, die bei den sozialen Dienstleistern leben. Von der Politik hört man, dass die Wärmezufuhr unter Umständen unterbrochen werden muss; in öffentlichen Gebäuden müssen zudem die Temperaturen deutlich reduziert werden. Müssten dies die Leistungserbringer nicht auch tun?

Wie soll man überhaupt mit diesen hohen Kosten umgehen? Wie kann man die finanzielle Not bewältigt bekommen, als ein gemeinnütziges Unternehmen?

Zuerst einmal der Reihe nach.


Historische Höchstpreise an den Energiemärkte

Nachdem es Ende 2018 mit der Teuerung bei den Ölpreisen zum abrupten Verfall kam, eine Erholung sich nur schwer in Gang setzte und schließlich mit dem Corona-Ausbruch Anfang 2020 einen deutlichen Dämpfer erlitt, ging es stetig aufwärts mit den Versorger-Einkaufspreisen. Der Ukraine-Konflikt wirkte dann noch wie eine Beschleunigung und führte zu historischen Höchstpreisen. Zurzeit, muss man sagen, gibt es wieder eine leichte Erholung beim Öl und anderen Ölprodukten (z.B. RBOB), was aber beim Endkunden nicht wirklich spürbar geworden ist. Gas und Heizöl kamen dagegen nur zum Stillstand, allerdings betrifft dies lediglich die Produzentenpreise und nicht die Endkunden-Verträge.

Strom erreichte ebenfalls neue, bedeutende Höchststände. Ende August 2022 zeigten sich enorme Übertreibungen im kurzfristigen Lieferbereich (Spot-Markt, Peak-Load) mit einer Verzehnfachung der Preise. In den übrigen Laufzeiten und Basis-Leistungen war die Verteuerung zwar nicht so ausgeprägt, aber weil alle Versorgungstarife in der Regel mit einer mittelfristigen Bindung ausgestattet waren, sind die Kostensteigerungen auch an dieser Stelle erheblich. Bei neuen, langfristigen Verträgen über zwei und drei Jahre wird die Steigerung eher „normal“ ausfallen. Alte langlaufende Verträge wurden dagegen schon zum Jahresende gekündigt (Beispiel: E.ON).

Fast die Hälfte aller Wohnungen in Deutschland wird mit Gas beheizt, etwa ein Viertel mit Heizöl. Da man bei Letzterem die Versorgung gut sichergestellt hat (oder glaubt zu haben), fällt dem Energieträger Gas eine größere Bedeutung zu (Quelle: BDEW und BMWI mit leicht unterschiedlichen Angaben). Man kann also behaupten, dass Leistungserbringer und Anbieter von Wohnraum für behinderte Menschen zu den Betroffen gehören. Und wie sich mehr und mehr zeigt, beherrscht die Energiekrise die Gespräche auf den Verbandstreffen; wobei man nach wie vor darauf achten soll, sich nicht von den Schlagzeilen beherrschen zu lassen.


Dreigeteilte Interessenlage

Und man muss die dreigeteilte Interessenlage in den Blick nehmen. Leistungserbringer müssen mit Vergütungen auskommen, die vor einem knappen Jahr vereinbart wurden (z.B. 3 % p.a.). Angesichts der akut hohen Inflation (etwa 8 % im Jahresvergleich) droht ein Fehlbetrag, der aus dem Ersparten, sofern vorhanden, gegenfinanziert werden muss. Leistungsberechtigte brauchen es warm und trocken, die Leistungsträger wiederum wollen den staatlichen Sicherstellungsauftrag (Daseinsvorsorge) gewährleistet sehen und müssen eine Energie-Sparsamkeit durchsetzen.

Mit der Gassicherungsverordnung (GasSV), zuletzt geändert am 20.5.2022, ist hier einiges bestimmt worden. Zuerst einmal wird Gas als etwas erklärt, was zum „lebenswichtigen Bedarf“ zählt. Zuständige Stellen werden dagegen zu „Lastverteiler“ erklärt, die Verfügungen erlassen können an Unternehmen und Betriebe sowie an Verbraucher (§ 1 Abs. 1 GasSV). Gerade diese Ermächtigung erlaubt es, dass die zuständigen Stellen die Änderung von bestehenden oder den Abschluss von neuen Verträgen über die Gasversorgung von diesen Parteien verlangen und sogar Entgelte festsetzen können (Abs. 1). Das wiederum geht dann, wenn die Erforderlichkeit vorhanden ist (Abs. 2) und eine Frist bestimmt wurde (Abs. 1).

Die Gassicherungsverordnung fußt auf dem Energiesicherungsgesetz (EnSiG), mit dem also bundesgesetzlich „die Abgabe, der Bezug oder die Verwendung von (lebenswichtigen) Gütern zeitlich, örtlich oder mengenmäßig beschränkt oder nur für bestimmte vordringliche Versorgungszwecke vorgenommen werden darf…“ (§ 1 Abs. 3 EnSiG). Begünstigt werden dabei sogenannte „durch Solidarität geschützte Kunden in Deutschland“, für die eine Versorgung einfach unerlässlich ist. Zu diesem Kreis gehören auch Privathaushalte und Kunden, die „grundlegende soziale Dienste“ erbringen (Rz. 23 und 24 in der EU-Verordnung 2017/1938 vom 25.10.2017). Das bedeutet somit, dass mögliche Einschränkungen bei den vielen anderen Unternehmen und Betrieben nicht zu einer Gefahr werden für die Seite der Leistungsberechtigten, da sie bei einer Versorgung im eigenen Wohnraum (Stichwort Ambulante Dienste) zu den Privathaushalten zählen und beim Wohnen in einer Wohnstätte (Stichwort besondere Wohnform) mittelbar zu den „grundlegenden sozialen Diensten“ gehören.


Nachverhandlungen statt Prospektivität

Weil die Landschaft der Leistungsanbieter somit privilegiert ist, stellt sich die Frage, wie die finanzielle Notlage gegebenenfalls umgangen werden kann. Einen „Rettungsschirm“ des Bundes wird es nicht geben. Der Gesamtverband des Paritätischen berichtete hierzu, dass sich die einzelnen Bundesländer darum kümmern müssen, was nun in Niedersachsen zu Nachverhandlungen führt, in Sachsen-Anhalt eine nachträgliche Anhebung um 6,6 % einbrachte und das Land Thüringen eine „Basisbereinigung“ von 5 % unternahm (Quelle: Parität-HH); Hamburg hat sich hierzu noch nicht geäußert. Denkbar ist jetzt, dass man sich als Leistungserbringer auf § 127 Abs. 3 SGB IX berufen kann.

Diese Regelung „durchbricht“ den Grundsatz der Prospektivität von Vergütungen, dem eigentlich alle Vereinbarungen zur leistungsgerechten Vergütung unterliegen. Zum Zeitpunkt der Verhandlungen „unvorhergesehene“ und „wesentliche“ Änderungen der Annahmen, sind auf Verlangen einer Vertragspartei „für den laufenden Vereinbarungszeitraum neu zu verhandeln“ (S. 1). Unvorhersehbar bedeutet, dass eine Änderung der Annahmen, die bei Abschluss der Vereinbarungen noch vorgeherrscht haben, stattgefunden hat (vgl. dazu BSG 7.10.2015, B 8 SO 1/14 R, Rn. 20). Wesentlich heißt, dass ein Festhalten an dieser Vereinbarung unzumutbar geworden ist (vgl. dazu von Boetticher in LPK-SGBXII zu § 77 a Rn. 8; Bieritz-Harder in LPK-SGB IX zu § 127 Rn. 4). Beides zusammen müsste nun herausgearbeitet werden von der Partei, die eine Anpassung verlangt. Und das heißt, dass man diese gravierende Entwicklung trotz prospektiver Herangehensweise an die Vergütungsverhandlungen nicht erkannte.

Der Paritätische Verband informierte, dass man in Hessen die Unzumutbarkeit in Frage gestellt hat und die finanzielle Kraft des Leistungsanbieters mit betrachten will. Der Aspekt der Wesentlichkeit aus Satz 1 der Regelung in § 127 Abs. 3 SGB IX bezieht sich von daher auf die Situation des Leistungserbringers. Und das wiederum müsste ggf. klar abgegrenzt werden zu den verschiedenen Leistungsbereichen (Stichwort: Quersubventionierung).


Doppelstrategie, um die Notlage zu mildern

Bevor es allerdings dazu kommt, müssen die Leistungserbringer eine Schadensbegrenzung unternehmen und neue Lieferverträge aushandeln – erst dann kann diese Sache mit der Wesentlichkeit beziffert werden. Wie immer werden Versorger einen Preis anbieten, der nicht im Einklang zu stehen scheint mit der Marktlage (man könnte auch sagen: die Nachrichtenlage dominiert dann den Preis). Es braucht also eine Doppelstrategie, um die Notlage zu mildern: Horrormeldungen und vernünftige Gesprächsangebote an die Leistungsträger, Gegenangebote und Planbarkeit von den Versorgern.

Am 8.9.2022 schlug der Gesamtverband des Paritätischen Wohlfahrtsverbands in Berlin Alarm und verbreitete die Schreckensnachricht, man rechne „teilweise mit einer Verzehnfachung der Kosten für Gas und Strom“ (Pressemitteilung „Brandbrief: Der Paritätische warnt vor Insolvenzwelle im Sozialen“ über www.paritaet.org). In den Landesverbänden reagiert man (sicherlich) mit Besonnenheit und versucht zum Beispiel die kommunalen Vertragspartner mit einer pauschalen, nachträglichen Steigerung oder pauschalen Grundanhebung oder befristeten Zuschlag oder, oder, oder zu interessieren. Statt mit Aufgebrachtheit loszupoltern, wird man mit Überlegung meines Erachtens viel mehr Wegstrecke hinter sich bringen. Der Weg über den § 127 Abs. 3 SGB IX würde jedenfalls sehr viele Ressource binden – auf allen Seiten.

Am besten wäre es, man kopiert die letzten Jahresrechnungen zu Strom, Gas und Öl (als kleiner Leistungsanbieter) oder erarbeitet eine Tabelle mit den Verbrauchsdaten aller Standorte über einen passenden Zeitraum. Dann wird ein möglicher Verbrauch ermittelt und mit den neuen Preisen hochgerechnet – aber Achtung: die EEG-Umlage in Höhe von 3,72 Cent pro Kilowattstunde Strom ist dauerhaft entfallen. Die Differenz zwischen den hochgerechneten Jahreskosten und den vergangenen Kalkulationsgrößen muss dann verhandelt werden. Möchte man noch einen „Anreiz“ zum Energiesparen mit einarbeiten, wird diese Kalkulationsgröße um eine Sparquote vermindert.

CGS

 

 

 

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