Zuerst waren es einige Geschäftsführer, dann die Verbände.
Schließlich kam eine Antwort der Politik. Und nun geht es wieder zurück über
die Verbände an die Geschäftsführungen – und schließlich zum
leistungsberechtigten Menschen als Verbraucher – ein Ping-Pong-Spiel.
Die Energiekrise hat sich in allen Energiemärkten breit
gemacht: Öl, Gas, Strom und Atomkraft. Alle im Land müssen sparen und
wirtschaften, es wird früher und länger dunkel, kalt und teuer. Die Verbände
fragen, wie sich die Mitglieder auf den Winter vorbereiten. Und sie wollen die
Gasversorgung der Menschen sichergestellt sehen, die bei den sozialen
Dienstleistern leben. Von der Politik hört man, dass die Wärmezufuhr unter
Umständen unterbrochen werden muss; in öffentlichen Gebäuden müssen zudem die
Temperaturen deutlich reduziert werden. Müssten dies die Leistungserbringer
nicht auch tun?
Wie soll man überhaupt mit diesen hohen Kosten umgehen? Wie
kann man die finanzielle Not bewältigt bekommen, als ein gemeinnütziges
Unternehmen?
Zuerst einmal der Reihe nach.
Historische Höchstpreise an den Energiemärkte
Nachdem es Ende 2018 mit der Teuerung bei den Ölpreisen
zum abrupten Verfall kam, eine Erholung sich nur schwer in Gang setzte und
schließlich mit dem Corona-Ausbruch Anfang 2020 einen deutlichen Dämpfer
erlitt, ging es stetig aufwärts mit den Versorger-Einkaufspreisen. Der
Ukraine-Konflikt wirkte dann noch wie eine Beschleunigung und führte zu historischen
Höchstpreisen. Zurzeit, muss man sagen, gibt es wieder eine leichte Erholung
beim Öl und anderen Ölprodukten (z.B. RBOB), was aber beim Endkunden nicht
wirklich spürbar geworden ist. Gas und Heizöl kamen dagegen nur zum Stillstand,
allerdings betrifft dies lediglich die Produzentenpreise und nicht die
Endkunden-Verträge.
Strom erreichte ebenfalls neue, bedeutende Höchststände.
Ende August 2022 zeigten sich enorme Übertreibungen im kurzfristigen
Lieferbereich (Spot-Markt, Peak-Load) mit einer Verzehnfachung der Preise. In
den übrigen Laufzeiten und Basis-Leistungen war die Verteuerung zwar nicht so
ausgeprägt, aber weil alle Versorgungstarife in der Regel mit einer
mittelfristigen Bindung ausgestattet waren, sind die Kostensteigerungen auch an
dieser Stelle erheblich. Bei neuen, langfristigen Verträgen über zwei und drei
Jahre wird die Steigerung eher „normal“ ausfallen. Alte langlaufende Verträge
wurden dagegen schon zum Jahresende gekündigt (Beispiel: E.ON).
Fast die Hälfte aller Wohnungen in Deutschland wird mit
Gas beheizt, etwa ein Viertel mit Heizöl. Da man bei Letzterem die Versorgung
gut sichergestellt hat (oder glaubt zu haben), fällt dem Energieträger Gas eine
größere Bedeutung zu (Quelle: BDEW und BMWI mit leicht unterschiedlichen
Angaben). Man kann also behaupten, dass Leistungserbringer und Anbieter von
Wohnraum für behinderte Menschen zu den Betroffen gehören. Und wie sich mehr und
mehr zeigt, beherrscht die Energiekrise die Gespräche auf den Verbandstreffen;
wobei man nach wie vor darauf achten soll, sich nicht von den Schlagzeilen
beherrschen zu lassen.
Dreigeteilte Interessenlage
Und man muss die dreigeteilte Interessenlage in den Blick
nehmen. Leistungserbringer müssen mit Vergütungen auskommen, die vor einem
knappen Jahr vereinbart wurden (z.B. 3 % p.a.). Angesichts der akut hohen
Inflation (etwa 8 % im Jahresvergleich) droht ein Fehlbetrag, der aus dem
Ersparten, sofern vorhanden, gegenfinanziert werden muss. Leistungsberechtigte
brauchen es warm und trocken, die Leistungsträger wiederum wollen den
staatlichen Sicherstellungsauftrag (Daseinsvorsorge) gewährleistet sehen und
müssen eine Energie-Sparsamkeit durchsetzen.
Mit der Gassicherungsverordnung (GasSV), zuletzt geändert
am 20.5.2022, ist hier einiges bestimmt worden. Zuerst einmal wird Gas als
etwas erklärt, was zum „lebenswichtigen Bedarf“ zählt. Zuständige Stellen
werden dagegen zu „Lastverteiler“ erklärt, die Verfügungen erlassen können an
Unternehmen und Betriebe sowie an Verbraucher (§ 1 Abs. 1 GasSV). Gerade diese
Ermächtigung erlaubt es, dass die zuständigen Stellen die Änderung von
bestehenden oder den Abschluss von neuen Verträgen über die Gasversorgung von
diesen Parteien verlangen und sogar Entgelte festsetzen können (Abs. 1). Das
wiederum geht dann, wenn die Erforderlichkeit vorhanden ist (Abs. 2) und eine
Frist bestimmt wurde (Abs. 1).
Die Gassicherungsverordnung fußt auf dem Energiesicherungsgesetz
(EnSiG), mit dem also bundesgesetzlich „die Abgabe, der Bezug oder die
Verwendung von (lebenswichtigen) Gütern zeitlich, örtlich oder mengenmäßig
beschränkt oder nur für bestimmte vordringliche Versorgungszwecke vorgenommen
werden darf…“ (§ 1 Abs. 3 EnSiG). Begünstigt werden dabei sogenannte „durch
Solidarität geschützte Kunden in Deutschland“, für die eine Versorgung einfach
unerlässlich ist. Zu diesem Kreis gehören auch Privathaushalte und Kunden, die
„grundlegende soziale Dienste“ erbringen (Rz. 23 und 24 in der EU-Verordnung
2017/1938 vom 25.10.2017). Das bedeutet somit, dass mögliche Einschränkungen
bei den vielen anderen Unternehmen und Betrieben nicht zu einer Gefahr werden
für die Seite der Leistungsberechtigten, da sie bei einer Versorgung im eigenen
Wohnraum (Stichwort Ambulante Dienste) zu den Privathaushalten zählen und beim
Wohnen in einer Wohnstätte (Stichwort besondere Wohnform) mittelbar zu den
„grundlegenden sozialen Diensten“ gehören.
Nachverhandlungen statt Prospektivität
Weil die Landschaft der Leistungsanbieter somit
privilegiert ist, stellt sich die Frage, wie die finanzielle Notlage
gegebenenfalls umgangen werden kann. Einen „Rettungsschirm“ des Bundes wird es
nicht geben. Der Gesamtverband des Paritätischen berichtete hierzu, dass sich
die einzelnen Bundesländer darum kümmern müssen, was nun in Niedersachsen zu
Nachverhandlungen führt, in Sachsen-Anhalt eine nachträgliche Anhebung um 6,6 %
einbrachte und das Land Thüringen eine „Basisbereinigung“ von 5 % unternahm
(Quelle: Parität-HH); Hamburg hat sich hierzu noch nicht geäußert. Denkbar ist
jetzt, dass man sich als Leistungserbringer auf § 127 Abs. 3 SGB IX berufen
kann.
Diese Regelung „durchbricht“ den Grundsatz der
Prospektivität von Vergütungen, dem eigentlich alle Vereinbarungen zur leistungsgerechten
Vergütung unterliegen. Zum Zeitpunkt der Verhandlungen „unvorhergesehene“ und
„wesentliche“ Änderungen der Annahmen, sind auf Verlangen einer Vertragspartei
„für den laufenden Vereinbarungszeitraum neu zu verhandeln“ (S. 1).
Unvorhersehbar bedeutet, dass eine Änderung der Annahmen, die bei Abschluss der
Vereinbarungen noch vorgeherrscht haben, stattgefunden hat (vgl. dazu BSG
7.10.2015, B 8 SO 1/14 R, Rn. 20). Wesentlich heißt, dass ein Festhalten an
dieser Vereinbarung unzumutbar geworden ist (vgl. dazu von Boetticher in
LPK-SGBXII zu § 77 a Rn. 8; Bieritz-Harder in LPK-SGB IX zu § 127 Rn. 4).
Beides zusammen müsste nun herausgearbeitet werden von der Partei, die eine
Anpassung verlangt. Und das heißt, dass man diese gravierende Entwicklung trotz
prospektiver Herangehensweise an die Vergütungsverhandlungen nicht erkannte.
Der Paritätische Verband informierte, dass man in Hessen
die Unzumutbarkeit in Frage gestellt hat und die finanzielle Kraft des
Leistungsanbieters mit betrachten will. Der Aspekt der Wesentlichkeit aus Satz
1 der Regelung in § 127 Abs. 3 SGB IX bezieht sich von daher auf die Situation
des Leistungserbringers. Und das wiederum müsste ggf. klar abgegrenzt werden zu
den verschiedenen Leistungsbereichen (Stichwort: Quersubventionierung).
Doppelstrategie, um die Notlage zu mildern
Bevor es allerdings dazu kommt, müssen die
Leistungserbringer eine Schadensbegrenzung unternehmen und neue Lieferverträge
aushandeln – erst dann kann diese Sache mit der Wesentlichkeit beziffert
werden. Wie immer werden Versorger einen Preis anbieten, der nicht im Einklang
zu stehen scheint mit der Marktlage (man könnte auch sagen: die Nachrichtenlage
dominiert dann den Preis). Es braucht also eine Doppelstrategie, um die Notlage
zu mildern: Horrormeldungen und vernünftige Gesprächsangebote an die
Leistungsträger, Gegenangebote und Planbarkeit von den Versorgern.
Am 8.9.2022 schlug der Gesamtverband des Paritätischen
Wohlfahrtsverbands in Berlin Alarm und verbreitete die Schreckensnachricht, man
rechne „teilweise mit einer Verzehnfachung der Kosten für Gas und Strom“
(Pressemitteilung „Brandbrief: Der Paritätische warnt vor Insolvenzwelle im
Sozialen“ über www.paritaet.org). In den
Landesverbänden reagiert man (sicherlich) mit Besonnenheit und versucht zum
Beispiel die kommunalen Vertragspartner mit einer pauschalen, nachträglichen
Steigerung oder pauschalen Grundanhebung oder befristeten Zuschlag oder, oder,
oder zu interessieren. Statt mit Aufgebrachtheit loszupoltern, wird man mit
Überlegung meines Erachtens viel mehr Wegstrecke hinter sich bringen. Der Weg
über den § 127 Abs. 3 SGB IX würde jedenfalls sehr viele Ressource binden – auf
allen Seiten.
Am besten wäre es, man kopiert die letzten
Jahresrechnungen zu Strom, Gas und Öl (als kleiner Leistungsanbieter) oder
erarbeitet eine Tabelle mit den Verbrauchsdaten aller Standorte über einen passenden
Zeitraum. Dann wird ein möglicher Verbrauch ermittelt und mit den neuen Preisen
hochgerechnet – aber Achtung: die EEG-Umlage in Höhe von 3,72 Cent pro
Kilowattstunde Strom ist dauerhaft entfallen. Die Differenz zwischen den
hochgerechneten Jahreskosten und den vergangenen Kalkulationsgrößen muss dann
verhandelt werden. Möchte man noch einen „Anreiz“ zum Energiesparen mit
einarbeiten, wird diese Kalkulationsgröße um eine Sparquote vermindert.
CGS
Das hier ist keine Rechtsberatung oder Aufforderung zur
Vornahme eines Rechtsgeschäftes. Der Beitrag stellt nur meine Sicht auf die
Dinge dar. Und eine solche Sicht kann sich immer noch ändern. Brauchen Sie
rechtliche Unterstützung, wenden Sie sich an die zuständigen Behörden, Sozial-
und Betroffenenverbände oder rechtskundige Dritte. Lesen Sie bitte ebenfalls die
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