Der folgende Fall ist vielleicht doch nicht so selten.
Eine Person mit einem möglichen Anspruch auf Feststellung eines Grads der Behinderung (GdB) verstirbt noch vor der Feststellung. Die Angehörigen, die das Einkommen der verstorbenen Person steuerlich erklären müssen, würden gerne den GdB festgestellt haben, um wenigstens im letzten Jahr die Steuerfreibeträge zu nutzen. Das Versorgungsamt erklärt aber, dass mit dem Tod des Menschen der Anspruch auf eine Feststellung erlischt und mit dem Wegfall des Anspruchs auch die weitere Bearbeitung endet. Zudem haben Dritte kein Antragsrecht.
Auch wenn das recht
eindeutig klingt, das mit dem Verfahren und die Gründe, die für so eine
Entscheidung sprechen, sind schon recht interessant. Interessant ist aber auch
das Weitere – also das, was die Angehörigen nun unternehmen werden. Von daher
entwickelt sich mit diesem Fall eine ziemlich ausschweifende Sinnsuche, die in
vier Beitragsteile gegliedert wurde. Im ersten Beitrag geht es wie gesagt um
das Verfahren und die Feststellung. Im zweiten und dritten Beitrag wird es
dagegen sehr viel philosophischer: die Sinnsuche. Im vierten Teil findet die
Bodenständigkeit zurück, in dem das Vorgehen mit Muster-Texten beschrieben
wird.
Alle Quellen und
weitere Notizen befinden sich im vierten Beitrag.
Und dann noch ein
wichtiger Hinweis: Das ist alles meine Recherche und mein Verständnis von den
Dingen. Vielleicht klingt es gut und logisch, muss es aber nicht sein.
Und ein weiterer Hinweis:
Seit dem 1.1.2024 gibt es eine etwas geänderte Fassung des
Schwerbehindertenrechts, da das soziale Entschädigungsrecht in das SGB XIV überführt
wurde. Mit der sozialen Entschädigung sollen Menschen unterstützt werden, die
durch ein schädigendes Ereignis, für das die staatliche Gemeinschaft eine
besondere Verantwortung trägt, eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben,
bei der Bewältigung der dadurch entstandenen Folgen (vgl. § 1 Abs. 1 SGB XIV). Die
im Beitrag enthaltenen Paragraphen beziehen sich auf die neuen Regelungen.
+++ Teil 1 +++
Vom anhängigen Verfahren
Das Versorgungsamt, als zuständige Behörde für die
Bearbeitung von Anträgen zur Feststellung einer Schwerbehinderung (§ 152 Abs. 1
S. 1 und Abs. 4 SGB IX), prüft, ob es überhaupt einen Antrag gegeben hat. Anträge
im Nachhinein sind grundsätzlich nicht möglich, weil die Antragstellung an die
Person des behinderten Menschen gebunden ist (Persönlichkeitsrecht, Art. 1 Abs.
1 und Art. 2 Abs. 1 GG). Bei einem Antrag, der zu Lebzeiten von einem Dritten
gestellt worden wäre, müsste eine klare Bevollmächtigung vorliegen, um diesen
als eine Willenserklärung für die betroffene Person anzunehmen.
Ist der Antrag wirksam eingegangen, kann von einem anhängigen
Verwaltungsverfahren gesprochen werden. Von diesem Punkt an wird unter
Mitwirkung der betroffenen Person (§ 60 ff SGB I) und weiterer Parteien der
medizinische Sachverhalt ermittelt. Zum medizinische Sachverhalt gehören unter
anderem Berichte von Haus- und Fachärzten, Krankenhäuser und Reha-Zentren,
Gutachten anderer Sozialleistungsträger (u.a. Rentenversicherung), Bescheide
der Berufsgenossenschaften sowie das klassische Pflegegutachten. Ob eine
Behinderung vorliegt, kann aber kein Arzt oder Gutachter feststellen, sondern
diese handeln lediglich als „Berater ohne Entscheidungsbefugnis“. Nur die Behörde
wird die Auswirkungen des medizinischen Sachverhalts auf die Teilhabe am Leben
in der Gesellschaft entscheiden (§ 152 Abs. 1 SGB IX, wenn nicht Abs. 2
vorliegt).
Ist im anhängigen Verfahren erkennbar, dass die Beeinträchtigungen
nur unwesentlich sind (Gesamt-GdB unter 20), wird die Feststellung abgelehnt.
Ist dagegen die Funktionsstörung nur vorübergehend, kann im Sinne einer
Heilungsbewährung unter Beachtung der 6-Monats-Befristung ein GdB für eine
bestimmte Zeit festgestellt werden (vgl. § 2 Abs. 1 SGB IX).
Zur Feststellung
Die Beeinträchtigungen im Einzelnen und im Gesamten werden
schließlich im Feststellungsbescheid zusammengefasst zu einem Punkt-Wert der „verlorenen
Fähigkeiten“ (= GdB). Dieser Wert besagt jedoch nichts zum Ausmaß der
verbliebenen Leistungsfähigkeit oder erlaubt einen Rückschluss auf eine mögliche
Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit; blinde Menschen mit einem GdB von 100 können
ja weiterhin voll berufstätig sein.
Der Feststellungsbescheid hilft dem behinderten Menschen,
einen Schwerbehinderten-Ausweis ausgestellt zu bekommen sowie je nach seinem
Bedarf oder Wunsch den GdB einem Dritten zu offenbaren (z.B. dem Arbeitgeber für
den Zusatzurlaub § 208 SGB IX, eine Eintrittsvergünstigung für einen Tierpark).
Mit dem Bescheid können dazu noch andere Nachteilsausgleiche eingefordert
werden, wie eben der Steuerfreibetrag beim Finanzamt oder ein Parkausweis bei
einer Verkehrsbehörde. Auch wenn es sich nach Vorteilsnahme anhört, es geht
vielmehr darum, dass behinderten Menschen eine Chancengleichheit gewährt werden
soll und diese Nachteilsausgleiche vielfach von der Art und dem Grad der
Behinderung abhängig sein können; soll heißen: ein Mensch mit einem GdB von 50
wird nicht die gleichen Leistungen erhalten, wie ein Mensch mit GdB 70.
Man kann zwar sagen, dass mit einem Feststellungsbescheid
eine Kopplung zu begünstigenden Leistungen (Nachteilsausgleichen) hergestellt
wird, dieser Zusammenhang allerdings nur mittelbar zustande kommt; also nur über
Umwege und Zwischenstufen. Die vorzeitige Einstellung des Verfahrens würde daher
die Verhinderung eines Vermögensvorteils bedeuten.
Genau in diesem Verfahrenslauf kann ein Antragsteller
versterben und das Versorgungsamt erklärt das weitere Feststellungsverfahren für
beendet, noch bevor ein Grad der Behinderung beschieden wurde. Um die Gründe
dafür besser zu verstehen, muss man sich mit dem eigentlichen Sinn und Zweck
des Sozialrechts näher auseinandersetzen.
[Fortsetzung folgt]
CGS
Bild zum Beitrag vom BING Image Creator erzeugt.
Das hier ist keine Rechtsberatung oder Aufforderung zur
Vornahme eines Rechtsgeschäftes. Der Beitrag stellt nur meine Sicht auf die
Dinge dar. Und eine solche Sicht kann sich immer ändern. Brauchen Sie
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und Betroffenenverbände oder rechtskundige Dritte. Lesen Sie bitte ebenfalls
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Das mit dem Anspruch auf Feststellung der
Schwerbehinderung ist ganz schön durchdacht