Sonntag, 14. Januar 2024

Das mit dem Anspruch auf Feststellung der Schwerbehinderung ist ganz schön durchdacht (Teil 1)

Der folgende Fall ist vielleicht doch nicht so selten.

Eine Person mit einem möglichen Anspruch auf Feststellung eines Grads der Behinderung (GdB) verstirbt noch vor der Feststellung. Die Angehörigen, die das Einkommen der verstorbenen Person steuerlich erklären müssen, würden gerne den GdB festgestellt haben, um wenigstens im letzten Jahr die Steuerfreibeträge zu nutzen. Das Versorgungsamt erklärt aber, dass mit dem Tod des Menschen der Anspruch auf eine Feststellung erlischt und mit dem Wegfall des Anspruchs auch die weitere Bearbeitung endet. Zudem haben Dritte kein Antragsrecht.

Auch wenn das recht eindeutig klingt, das mit dem Verfahren und die Gründe, die für so eine Entscheidung sprechen, sind schon recht interessant. Interessant ist aber auch das Weitere – also das, was die Angehörigen nun unternehmen werden. Von daher entwickelt sich mit diesem Fall eine ziemlich ausschweifende Sinnsuche, die in vier Beitragsteile gegliedert wurde. Im ersten Beitrag geht es wie gesagt um das Verfahren und die Feststellung. Im zweiten und dritten Beitrag wird es dagegen sehr viel philosophischer: die Sinnsuche. Im vierten Teil findet die Bodenständigkeit zurück, in dem das Vorgehen mit Muster-Texten beschrieben wird.

Alle Quellen und weitere Notizen befinden sich im vierten Beitrag.

Und dann noch ein wichtiger Hinweis: Das ist alles meine Recherche und mein Verständnis von den Dingen. Vielleicht klingt es gut und logisch, muss es aber nicht sein.

Und ein weiterer Hinweis: Seit dem 1.1.2024 gibt es eine etwas geänderte Fassung des Schwerbehindertenrechts, da das soziale Entschädigungsrecht in das SGB XIV überführt wurde. Mit der sozialen Entschädigung sollen Menschen unterstützt werden, die durch ein schädigendes Ereignis, für das die staatliche Gemeinschaft eine besondere Verantwortung trägt, eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben, bei der Bewältigung der dadurch entstandenen Folgen (vgl. § 1 Abs. 1 SGB XIV). Die im Beitrag enthaltenen Paragraphen beziehen sich auf die neuen Regelungen.

 

+++ Teil 1 +++

Vom anhängigen Verfahren

Das Versorgungsamt, als zuständige Behörde für die Bearbeitung von Anträgen zur Feststellung einer Schwerbehinderung (§ 152 Abs. 1 S. 1 und Abs. 4 SGB IX), prüft, ob es überhaupt einen Antrag gegeben hat. Anträge im Nachhinein sind grundsätzlich nicht möglich, weil die Antragstellung an die Person des behinderten Menschen gebunden ist (Persönlichkeitsrecht, Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG). Bei einem Antrag, der zu Lebzeiten von einem Dritten gestellt worden wäre, müsste eine klare Bevollmächtigung vorliegen, um diesen als eine Willenserklärung für die betroffene Person anzunehmen.

Ist der Antrag wirksam eingegangen, kann von einem anhängigen Verwaltungsverfahren gesprochen werden. Von diesem Punkt an wird unter Mitwirkung der betroffenen Person (§ 60 ff SGB I) und weiterer Parteien der medizinische Sachverhalt ermittelt. Zum medizinische Sachverhalt gehören unter anderem Berichte von Haus- und Fachärzten, Krankenhäuser und Reha-Zentren, Gutachten anderer Sozialleistungsträger (u.a. Rentenversicherung), Bescheide der Berufsgenossenschaften sowie das klassische Pflegegutachten. Ob eine Behinderung vorliegt, kann aber kein Arzt oder Gutachter feststellen, sondern diese handeln lediglich als „Berater ohne Entscheidungsbefugnis“. Nur die Behörde wird die Auswirkungen des medizinischen Sachverhalts auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft entscheiden (§ 152 Abs. 1 SGB IX, wenn nicht Abs. 2 vorliegt).

Ist im anhängigen Verfahren erkennbar, dass die Beeinträchtigungen nur unwesentlich sind (Gesamt-GdB unter 20), wird die Feststellung abgelehnt. Ist dagegen die Funktionsstörung nur vorübergehend, kann im Sinne einer Heilungsbewährung unter Beachtung der 6-Monats-Befristung ein GdB für eine bestimmte Zeit festgestellt werden (vgl. § 2 Abs. 1 SGB IX). 

 

Zur Feststellung

Die Beeinträchtigungen im Einzelnen und im Gesamten werden schließlich im Feststellungsbescheid zusammengefasst zu einem Punkt-Wert der „verlorenen Fähigkeiten“ (= GdB). Dieser Wert besagt jedoch nichts zum Ausmaß der verbliebenen Leistungsfähigkeit oder erlaubt einen Rückschluss auf eine mögliche Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit; blinde Menschen mit einem GdB von 100 können ja weiterhin voll berufstätig sein.

Der Feststellungsbescheid hilft dem behinderten Menschen, einen Schwerbehinderten-Ausweis ausgestellt zu bekommen sowie je nach seinem Bedarf oder Wunsch den GdB einem Dritten zu offenbaren (z.B. dem Arbeitgeber für den Zusatzurlaub § 208 SGB IX, eine Eintrittsvergünstigung für einen Tierpark). Mit dem Bescheid können dazu noch andere Nachteilsausgleiche eingefordert werden, wie eben der Steuerfreibetrag beim Finanzamt oder ein Parkausweis bei einer Verkehrsbehörde. Auch wenn es sich nach Vorteilsnahme anhört, es geht vielmehr darum, dass behinderten Menschen eine Chancengleichheit gewährt werden soll und diese Nachteilsausgleiche vielfach von der Art und dem Grad der Behinderung abhängig sein können; soll heißen: ein Mensch mit einem GdB von 50 wird nicht die gleichen Leistungen erhalten, wie ein Mensch mit GdB 70.

Man kann zwar sagen, dass mit einem Feststellungsbescheid eine Kopplung zu begünstigenden Leistungen (Nachteilsausgleichen) hergestellt wird, dieser Zusammenhang allerdings nur mittelbar zustande kommt; also nur über Umwege und Zwischenstufen. Die vorzeitige Einstellung des Verfahrens würde daher die Verhinderung eines Vermögensvorteils bedeuten.

Genau in diesem Verfahrenslauf kann ein Antragsteller versterben und das Versorgungsamt erklärt das weitere Feststellungsverfahren für beendet, noch bevor ein Grad der Behinderung beschieden wurde. Um die Gründe dafür besser zu verstehen, muss man sich mit dem eigentlichen Sinn und Zweck des Sozialrechts näher auseinandersetzen.

 

[Fortsetzung folgt]

CGS

 

 

Bild zum Beitrag vom BING Image Creator erzeugt.

Das hier ist keine Rechtsberatung oder Aufforderung zur Vornahme eines Rechtsgeschäftes. Der Beitrag stellt nur meine Sicht auf die Dinge dar. Und eine solche Sicht kann sich immer ändern. Brauchen Sie rechtliche Unterstützung, wenden Sie sich an die zuständigen Behörden, Sozial- und Betroffenenverbände oder rechtskundige Dritte. Lesen Sie bitte ebenfalls die Hinweise zum Rechtsstatus der Webseite, Urheberrechtsbestimmungen und Haftungsausschluss sowie die Datenschutzerklärung.

Hat Ihnen der Beitrag gefallen?

Empfehlen Sie ein//gegliedert weiter oder klicken Sie gleich reihum auf die übrigen Seiten dieses Blogs – ersetzt das Applaudieren und ist ein guter Motivator für mich.

Möchten Sie was sagen?

Schreiben Sie mir eine E-Mail – Ihre Meinung hilft mir, meine Sichtweise neu zu überdenken. Meine E-Mail-Adresse finden Sie auf der Seite Über mich.

 

Das mit dem Anspruch auf Feststellung der Schwerbehinderung ist ganz schön durchdacht