Mittwoch, 13. Mai 2015

Noch mehr Störfeuer zum BTG

Am 19.3.2015 hatte ich über ein Vorhaben aus dem Bundesfinanzministerium (BMF) geschrieben, was wohl allen politischen Aktivitäten zu einem Bundesteilhabegesetz (BTG) ein Ende bereiten könnte. In der Folge sahen sich einige Interessenverbände aufgerufen, den politischen Willen zur Entstehung eines solchen Gesetzes zu beschwören. Und tatsächlich bereitet wohl das Bundesarbeitsministerium (BMAS) einen ersten Gesetzentwurf vor. Nun schreibt der Tagesspiegel unter der Überschrift „Wolfgang Schäuble rückt vom Koalitionsvertrag ab“ (Quellenangabe weiter unten):

„Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist von einem sozialpolitischen Kernpunkt des Koalitionsvertrages abgerückt. Es geht dabei um die Eingliederungshilfe für Behinderte. In einem Positionspapier des Finanzministeriums, das als Verhandlungsgrundlage für die laufenden Bund-Länder-Gespräche zu einem neuen Finanzausgleich dient, heißt es, die 'Finanzierungsverantwortung für die Eingliederungshilfe bleibt vollständig dezentral bei Ländern und Kommunen'. Zudem schlägt Schäuble vor, dass die Länder eine 'beschränkte Gesetzgebungskompetenz' bei der Eingliederungshilfe und anderen Sozialleistungen bekommen, bei denen sie Finanzierungsverantwortung haben, wie es in dem Papier weiter heißt.“

Dazu schreibt der Autor weiter, dass der Koalitionsvertrag damit „konterkariert“ wird, und zwar in mehrfacher Hinsicht: Erstens wollte die Koalition die Eingliederungshilfe in ein eigenes Gesetz einbringen und grundlegend neu organisieren (immerhin finanzierten die Länder und Kommunen die Ausgaben hierfür), und zweitens wird eine wenn auch „beschränkte“ Gesetzgebungskompetenz den Wert eines Bundesgesetzes „deutlich mindern“. Dass die angepeilte finanzielle Entlastung von 5 Mrd. Euro noch nicht gelaufen ist, hat anscheinend verwaltungstechnische Gründe. Man plant eine „zielgenaue“ Entlastung, was aber bei der Vielzahl unterschiedlicher Finanzierungskonstruktionen in den Ländern und Kommunen problematisch erscheint. Und weil hier nichts passiert, gibt es aus einigen Ländern entsprechende Kritik.

Am Beispiel von Schleswig-Holstein (Beitrag vom 21.11.2014) hatte ich schon einmal über die gesetzliche Finanzierung der Eingliederungshilfe berichtet. Im Ausführungsgesetz zur Sozialhilfe (AG-SGB XII-SH) ist geregelt, wer in Schleswig-Holstein örtlicher oder überörtlicher Träger der Sozialhilfe ist (§ 1 AG-SGB XII-SH), wer wofür sachlich zuständig ist (§ 2 AG-SGB XII-SH). Dass das aber so ist, hängt ganz entscheidend mit § 3 SGB XII zusammen, in dem steht, dass die Sozialhilfe von Örtlichen und Überörtlichen Trägern zu leisten ist. Hierzu gehören kreisfreie Städte und Kreise, „soweit nicht nach Landesrecht etwas anderes bestimmt wird“ (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1 SGB XII).

Im Bereich der Leistungen nach dem 4. Kapitel SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) gibt es eine finanzielle Erstattungsregelung. In § 46 a Abs. 1 SGB XII ist bestimmt, dass der Bund ab 2014 jeweils 100 % der geldlichen Nettoausgaben für Grundsicherungsleistungen erstattet. Die Länder gewährleisten, dass die Ausgaben „begründet und belegt“ sind und sie liefern einen Nachweis an das BMAS.

Damit stellt sich die Frage, was in dem Vorschlag des BMF stehen wird. Plant man eine Regelung analog zu den Bestimmungen im 4. Kapitel? Und was spricht denn gegen eine völlige Herauslösung aus dem SGB XII?

Noch immer wird argumentiert, dass die Eingliederungshilfe eine „hohe Kostendynamik“ entfalte. Der Artikel verweist auf den Deutschen Städtetag, welcher die Kosten bis 2020 auf 21,6 Mrd. Euro einschätzt – in 2012 zahlten Länder und Kommunen insgesamt 16,5 Mrd. Euro, d.h. im Durchschnitt wurden pro Leistungsberechtigten 16.000 Euro im Jahr aufgewendet (Bandbreite 9.000 bis 25.000 Euro).

Schätzungen sind legitim, doch keiner kann derzeit sagen, ob sich die Zahlen wirklich so entwickeln. Schon vor langer Zeit hatte ich mir diese Frage gestellt und eigene Berechnungen angestellt (nachfolgend nur die groben Ergebnisse aus meinem Beitrag vom 21.8.2014: „Die Kosten der Eingliederungshilfe steigen. Stimmt das?“). Betrachtet man die Gesamtausgaben von 2000 und 2010, ergibt sich eine Ausgabensteigerung um knapp 50 %. Doch weil gleichzeitig auch der Kreis der Leistungsberechtigten um 52 % gestiegen ist, hat man im Durchschnitt eine Kostensenkung – und die Auswirkungen von Inflation und Gehaltssteigerungen sind in den Ergebnissen noch gar nicht berücksichtigt worden!

Könnte also an dem kommenden Vorschlag möglicherweise etwas „Gutes“ sein oder handelt es sich um den letzten Versuch, die Debatte um ein Bundesgesetz, welches möglicherweise die Umsetzung der Forderungen aus der UN-BRK beschleunigt, abzuschaffen? Ein Störfeuer.

CGS