Am 19.3.2015 hatte ich über ein Vorhaben aus dem Bundesfinanzministerium
(BMF) geschrieben, was wohl allen politischen Aktivitäten zu einem
Bundesteilhabegesetz (BTG) ein Ende bereiten könnte. In der Folge sahen sich
einige Interessenverbände aufgerufen, den politischen Willen zur Entstehung
eines solchen Gesetzes zu beschwören. Und tatsächlich bereitet wohl das
Bundesarbeitsministerium (BMAS) einen ersten Gesetzentwurf vor. Nun schreibt
der Tagesspiegel unter der Überschrift „Wolfgang Schäuble rückt vom
Koalitionsvertrag ab“ (Quellenangabe weiter unten):
„Bundesfinanzminister
Wolfgang Schäuble (CDU) ist von einem sozialpolitischen Kernpunkt des Koalitionsvertrages
abgerückt. Es geht dabei um die Eingliederungshilfe für Behinderte. In einem
Positionspapier des Finanzministeriums, das als Verhandlungsgrundlage für die
laufenden Bund-Länder-Gespräche zu einem neuen Finanzausgleich dient, heißt es,
die 'Finanzierungsverantwortung für die Eingliederungshilfe bleibt vollständig
dezentral bei Ländern und Kommunen'. Zudem schlägt Schäuble vor, dass die
Länder eine 'beschränkte Gesetzgebungskompetenz' bei der Eingliederungshilfe
und anderen Sozialleistungen bekommen, bei denen sie Finanzierungsverantwortung
haben, wie es in dem Papier weiter heißt.“
Dazu schreibt der Autor weiter, dass der
Koalitionsvertrag damit „konterkariert“ wird, und zwar in mehrfacher Hinsicht:
Erstens wollte die Koalition die Eingliederungshilfe in ein eigenes Gesetz
einbringen und grundlegend neu organisieren (immerhin finanzierten die Länder
und Kommunen die Ausgaben hierfür), und zweitens wird eine wenn auch „beschränkte“
Gesetzgebungskompetenz den Wert eines Bundesgesetzes „deutlich mindern“. Dass
die angepeilte finanzielle Entlastung von 5 Mrd. Euro noch nicht gelaufen ist,
hat anscheinend verwaltungstechnische Gründe. Man plant eine „zielgenaue“ Entlastung,
was aber bei der Vielzahl unterschiedlicher Finanzierungskonstruktionen in den
Ländern und Kommunen problematisch erscheint. Und weil hier nichts passiert,
gibt es aus einigen Ländern entsprechende Kritik.
Am Beispiel von Schleswig-Holstein (Beitrag vom 21.11.2014)
hatte ich schon einmal über die gesetzliche Finanzierung der
Eingliederungshilfe berichtet. Im Ausführungsgesetz zur Sozialhilfe (AG-SGB
XII-SH) ist geregelt, wer in Schleswig-Holstein örtlicher oder überörtlicher
Träger der Sozialhilfe ist (§ 1 AG-SGB XII-SH), wer wofür sachlich zuständig
ist (§ 2 AG-SGB XII-SH). Dass das aber so ist, hängt ganz entscheidend mit § 3
SGB XII zusammen, in dem steht, dass die Sozialhilfe von Örtlichen und
Überörtlichen Trägern zu leisten ist. Hierzu gehören kreisfreie Städte und
Kreise, „soweit nicht nach Landesrecht etwas anderes bestimmt wird“ (vgl. § 3
Abs. 2 Satz 1 SGB XII).
Im Bereich der Leistungen nach dem 4. Kapitel SGB XII
(Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) gibt es eine finanzielle Erstattungsregelung.
In § 46 a Abs. 1 SGB XII ist bestimmt, dass der Bund ab 2014 jeweils 100 % der geldlichen
Nettoausgaben für Grundsicherungsleistungen erstattet. Die Länder
gewährleisten, dass die Ausgaben „begründet und belegt“ sind und sie liefern
einen Nachweis an das BMAS.
Damit stellt sich die Frage, was in dem Vorschlag des BMF
stehen wird. Plant man eine Regelung analog zu den Bestimmungen im 4. Kapitel?
Und was spricht denn gegen eine völlige Herauslösung aus dem SGB XII?
Noch immer wird argumentiert, dass die
Eingliederungshilfe eine „hohe Kostendynamik“ entfalte. Der Artikel verweist
auf den Deutschen Städtetag, welcher die Kosten bis 2020 auf 21,6 Mrd. Euro
einschätzt – in 2012 zahlten Länder und Kommunen insgesamt 16,5 Mrd. Euro, d.h.
im Durchschnitt wurden pro Leistungsberechtigten 16.000 Euro im Jahr aufgewendet
(Bandbreite 9.000 bis 25.000 Euro).
Schätzungen sind legitim, doch keiner kann derzeit sagen,
ob sich die Zahlen wirklich so entwickeln. Schon vor langer Zeit hatte ich mir
diese Frage gestellt und eigene Berechnungen angestellt (nachfolgend nur die
groben Ergebnisse aus meinem Beitrag vom 21.8.2014: „Die Kosten der
Eingliederungshilfe steigen. Stimmt das?“). Betrachtet man die Gesamtausgaben
von 2000 und 2010, ergibt sich eine Ausgabensteigerung um knapp 50 %. Doch weil
gleichzeitig auch der Kreis der Leistungsberechtigten um 52 % gestiegen ist,
hat man im Durchschnitt eine Kostensenkung – und die Auswirkungen von Inflation
und Gehaltssteigerungen sind in den Ergebnissen noch gar nicht berücksichtigt
worden!
Könnte also an dem kommenden Vorschlag möglicherweise
etwas „Gutes“ sein oder handelt es sich um den letzten Versuch, die Debatte um
ein Bundesgesetz, welches möglicherweise die Umsetzung der Forderungen aus der
UN-BRK beschleunigt, abzuschaffen? Ein Störfeuer.
CGS
Quelle: http://www.tagesspiegel.de/politik/eingliederungshilfe-fuer-behinderte-wolfgang-schaeuble-rueckt-vom-koalitionsvertrag-ab/11714438.html
(letzter Aufruf am 13.5.2015)
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