Donnerstag, 21. Mai 2015

Kann Eingliederungshilfe verwehrt werden im Falle eines rechtlichen Betreuers (LSG NRW)?

Der im § 2 SGB XII verfasste „Nachrang der Sozialhilfe“, auch als Nachranggrundsatz oder Nachrangprinzip bekannt, stellt klar, dass Sozialhilfeleistungen erst dann erbracht werden müssen, wenn der Hilfebedarf nicht über andere Leistungsträger (z.B. Angehörigen, Unterhaltspflichtiger oder Trägern anderer Sozialleistungen) abgedeckt werden kann. Das bedeutet, dass diese anderen Leistungsträger immer zur Bedarfsdeckung vorrangig herangezogen werden müssen.

Das LSG NRW hat über die Frage zu entscheiden  gehabt, ob die Inanspruchnahme von Leistungen eines rechtlichen Betreuers Vorrang haben vor Leistungen der Eingliederungshilfe (Urteil vom 22.12.2014, Az. L 20 SO 236/13).

Nach Auffassung des beklagten Sozialhilfeträgers bestand kein Leistungsanspruch, weil nach  § 2 SGB XII Sozialhilfe derjenige nicht erhalte, welcher „die erforderlichen Leistungen vom Träger anderer Sozialleistungen oder von anderen Personen bzw. Organisationen erhalten könne.“ Damit bezieht sich der eigentlich zuständige Sozialhilfeträger auf den rechtlichen Betreuer und seinen Aufgabenbereich (vgl. hierzu auch §§ 1901 und 1902 BGB, aber auch BSG-Urteil vom 2.12.2010, Az. III ZR 19/10).

Weiter heißt es: „So sei seit Juli 2007 eine umfangreiche rechtliche Betreuung einschließlich eines Einwilligungsvorbehalts für Vermögensangelegenheiten angeordnet. Der Aufgabenkreis der Gesundheitsfürsorge umfasse die Unterstützung bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen einschließlich der ärztlichen Versorgung und Beratung. In den Aufgabenbereich des Betreuers falle zudem die Unterstützung des Klägers im Umgang mit Ämtern und Behörden sowie die Regelung von Formalitäten im Zusammenhang mit dem geplanten Schulbesuch. Wie im Hilfeplan beschrieben, nehme der Betreuer schließlich auch die Aufgabe wahr, den Umgang des Klägers mit seinen finanziellen Mitteln zu verbessern, indem er ihm das Geld einteile.“

Und dann wird seitens des Sozialhilfeträgers noch eins draufgesetzt: „Ein Motivationsbedarf zum regelmäßigen Schulbesuch oder eine Unterstützung bei den mit dem Schulbesuch verbundenen Formalitäten sei nicht erkennbar. Denn dem Kläger sei es schon in der Vergangenheit bei der Nachholung des Hauptschulabschlusses gelungen, die Formalitäten in Eigenregie zu bewältigen und selbständig eine Schule zu besuchen.“

Das erstinstanzliche Sozialgericht entschied dagegen, dass der Aufgabenkreis eines rechtlichen Betreuers ein ganz anderer sei. Für die Eingliederungshilfeleistung Betreutes Wohnen (abgekürzt „BeWo“) gelten ganz andere Zielsetzungen: „Der Betreuer sei im Rahmen seines Aufgabenkreises (nur) der gesetzliche Vertreter des Betreuten. Dabei habe er zwar den Wünschen des Betreuten zu entsprechen, soweit dies dessen Wohl nicht zuwiderlaufe (§ 1901 BGB). Motivationsgespräche, die Anleitung zu selbständigem Handeln, das Aufstellen von Reinigungsplänen u.ä.  gehörten allerdings nicht zum Aufgabenbereich eines Betreuers.“

Das zweitinstanzliche Landessozialgericht stellte dann fest, dass der „…Nachrang der Sozialhilfe nach § 2 SGB XII bei Bestellung eines gesetzlichen Betreuers nicht etwa ein genereller Vorrang der Betreuerleistungen gegenüber Leistungen des [Betreuten Wohnens]“ einzuräumen ist. Sofern es sich also nicht um eine „eigenständige Ausschlussnorm“ handelt, sind „… Aufgaben und Ziele der gesetzlichen Betreuung nach §§ 1896 ff. BGB einerseits und der Leistungen des [Betreuten Wohnens] anderseits grundsätzlich voneinander zu unterscheiden. Zwar mögen beide Leistungen ihrer Art nach ineinander übergehen und sich in Teilbereichen auch überlagern können; systematisch ergeben sich jedoch komplementäre, aber in der konkreten Zuordnung doch zu unterscheidende Leistungsbereiche.“

Und: „Im Falle des Klägers sind deshalb für die Abgrenzung zwischen dem [Betreuten Wohnens] zuzurechnenden Hilfestellungen (ebenso wie bei anderen, ggf. der Eingliederungshilfe zuzurechnenden Tätigkeiten) und solchen, die der rechtlichen Betreuung zuzuordnen sind, die jeweiligen Aktivitäten in den Blick zu nehmen, die mit bzw. für den Kläger tatsächlich durchgeführt wurden und in die Abrechnung der Beigeladenen eingeflossen sind (dazu sogleich). Weist insoweit die Betreuungsdokumentation der Beigeladenen nicht ausschließlich Tätigkeiten aus, welche allein der rechtlichen Unterstützung des Klägers dienten, so können von vornherein jedenfalls nicht sämtliche erbrachten Leistungen bereits über die rechtliche Betreuung abzudecken gewesen sein.“

Zusammenfassend kann man sagen, dass beide Gerichte unterschiedliche Aufgabenkreise ausmachten, die sich zwar berührten und gelegentlich überlappten, aber grundsätzlich unterschiedlichen Zielen dienten. Der rechtliche Betreuer „betreut“ nicht im Sinne der Eingliederungshilfe, sondern er kümmert sich um die rechtlichen Belange und um die rechtliche Vertretung seines Betreuten.

Interessant ist zudem die Fragestellung, dass es sich bei § 2 SGB XII nicht um eine „eigenständige Ausschlussnorm“ handelt. Darunter verstehe ich zuerst einmal einen Grundsatz, der aufgrund einer anders lautenden gesetzlichen oder vertraglichen Bestimmung durchbrochen werden muss. Also: Es ist alles grundsätzlich ausgeschlossen, aber ein bestimmter, konkreter Sachverhalt nicht. Oder mit anderen Worten: Wenn etwas nicht ausdrücklich geregelt ist, dann gibt es das nicht.

Was genau mit dem Begriff gemeint ist, muss wohl noch weiter herausgearbeitet werden.

Quellen:



(Aufruf am 21.5.2015)


CGS





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