Nun gibt es ein
höchstrichterliches Urteil dazu. Es hat gedauert. Vor fast genau drei Jahren
hatte ich zu diesem Thema bereits einen kleinen Beitrag verfasst. Von daher,
halt eben aus aktuellem Anlass, gibt es den Beitrag mit wenigen Änderungen hier
noch einmal.
Aktueller Anlass
ist jetzt das Urteil vom heutigen Tag (Az. 2 BvR 309/15 und 2 BvR 502/16) über
die Fixierung von Patienten in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung. Weil
die Freiheit einer Person als „unverletzlich“ anzuerkennen ist, diese ein „hohes
Rechtsgut“ darstellt, muss eine richterliche Abwägung stattfinden. Eine
fehlende Einsichtsfähigkeit bei einer Person erlaubt noch nicht, dass ein
solcher Eingriff erlaubt ist. Eine kurzfristige, höchstens halbstündige
Maßnahme wurde von den Verfassungsrichtern noch nicht als ein Freiheitsentzug angesehen.
Menschen ruhig
stellen heißt, sie zu fixieren
Es gibt Bestrebungen, dass die Anzahl der sogenannten
„freiheitsentziehenden Maßnahmen“ (abgekürzt FEM) bzw. die Fixierung von
Menschen zu ihrem eigenen „Schutz“ reduziert werden sollen. Es kommen Zweifel
an der Notwendigkeit solcher Maßnahmen auf und man plädiert für Alternativen.
Zu schnell, so die Kritik, wird zu Fixierhilfen gegriffen, um unter dem
Anschein des Helfens und Vorsorgens Menschen ruhig zu stellen.
Eine Fixierung von Menschen kann zum Beispiel schon mit
einem Seitengitter am Bett erfolgen. Besonders schwache Menschen, die sich aus
eigener Kraft nur mit Mühen hochstemmen können, würden durch ein entsprechend
hohes Seitengitter nicht aus dem Bett gelangen. Gemeint ist mit Fixierung aber
nicht die Barriere, mit der man z.B. ein unbeabsichtigtes Fallen aus dem Bett
verhindert, sondern jede Art der Festsetzung eines Menschen – also die
Verhinderung der freien Körperbewegung, oder mit anderen Worten: der
Freiheitsentzug, die freiheitsentziehende Maßnahme (vgl. dazu auch Art. 2 Abs.
2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 GG).
Eine andere Form der Fixierung wäre z.B. die
Ruhigstellung mittels Medikamentengabe. Diese Form des medikamentösen
„Freiheitsentzugs“ muss natürlich unter strengsten Auflagen geschehen. Doch
erfolgt sie im Sinne des Betroffenen? (Wer kann bei einer Person mit fehlender
Einsichtsfähigkeit dies überhaupt qualifiziert bestimmen?)
Verletzungsgefahr
durch Unfall oder Gegenwehr
Mit dem Grad der Behinderung wie auch dem Alter steigt
natürlich die Gefahr eines Unfalls. Doch die Fixierung fördert Stress und
erhöht die Gefahr der Selbstverletzung aufgrund von Gegenwehr und Widerstand
gegen die Fixierungsmaßnahme. Was man einerseits nicht will, nämlich die
Verletzung durch Unfall, wird andererseits durch die Festsetzung des Menschen
billigend in Kauf genommen.
Fixierungsmaßnahmen sind gerade für Träger von
Einrichtungen äußerst kritisch zu sehen. Die entsprechende Ausstattung kostet
natürlich Geld. Und schon das Vorhandensein von Mitteln zur Fixierung von
Bewohnern könnte den „guten Ruf“ nachhaltig beschädigen. Davon abgesehen
spricht es nicht für die Ergebnisqualität, wenn Fixierungsmaßnahmen vom
Personal vorgeschlagen werden.
Vielmehr sollten Träger von Einrichtungen dazu übergehen,
Konzepte der Entscheidungsfindung zu erarbeiten und mögliche
Schnittstellenprobleme zwischen Angehörigen und Betreuern, Pflege-Personal und Ärzten
auszuloten *). Ein schönes (Entwicklungs-) Thema, mit dem sich Träger von
Einrichtungen in Verhandlungen mit den Leistungsträgern profilieren könnten. Die
Schaffung einer sicheren Umgebung und „sanfte“ (aber überwindbare?) Barrieren
würden dem Bewegungsdrang der Menschen nicht entgegenstehen, gleichzeitig aber
eine hohe Fachlichkeit und Wertschätzung gegenüber den Bewohnern und Besuchern
signalisieren.
Endlich ein
Urteil vom höchsten deutschen Gericht – kurz gesagt: Richtervorbehalt
Das Bundesverfassungsgericht hat nunmehr in zwei Urteilen
Grundsätze aufgestellt, die nun in den weiteren, untergeordneten Gesetzen (bzw.
sogar in eine Verfassung) eingearbeitet werden müssen. Die Freiheit einer
Person stellt ein „hohes Rechtsgut“ dar. Die Verletzung eines solchen
Grundrechts muss vorab durch einen Richter geprüft und dann bestimmt werden
(Richtervorbehalt). Selbst wenn die Einsichtsfähigkeit bei einer Person fehlt
oder schlichtweg eingeschränkt ist, kann dies nicht zu einer Aushebelung dieses
Grundrechts der Person führen. Gerade Menschen mit Behinderungen oder ältere
Menschen, die sich vielleicht nicht entsprechend ausdrücken können, dürfen
ihrer Grundrechte nicht beraubt werden.
Eine kurzfristige, höchstens halbstündige Maßnahme, wird
von den Verfassungsrichtern noch nicht als ein Freiheitsentzug angesehen.
Dennoch muss dabei die vorübergehende Dauer von vornherein gegeben sein. Die
vollständige Bewegungsunfähigkeit stellt nun mal einen schwerwiegenden Eingriff
dar, was nun durch einen Richter als unabhängige und nicht-parteiliche Instanz festgelegt
wird.
Dem Richtervorbehalt.
CGS
Quellen:
Pressemitteilung 62/2018 des Bundesverfassungsgerichts
vom 24.7.2018
„Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die
Fixierung von Patienten in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung“
ReduFix
Reduktion von Fixierungen
(letzter Aufruf für alle Links am 24.7.2018)
*) = Im früheren Beitrag stand hier noch der Verweis „und
sogar Richtern“. Es sind jetzt die Richter, die über eine solche Maßnahme zu
bestimmen haben. Die übrigen Beteiligten dürfen allerhöchstens Begründungen
liefern, warum ein Freiheitsentzug stattfinden sollte.
Ein anderer früherer Beitrag:
„Bettgitter anstelle eines Niederflurbettes stellt einen
heimrechtlichen Mangel dar (VG Würzburg)“
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