Dienstag, 24. Juli 2018

[RE-Post] Fixierungsmaßnahmen / FEMs – ein Qualitätsthema auch für die Behindertenhilfe


Nun gibt es ein höchstrichterliches Urteil dazu. Es hat gedauert. Vor fast genau drei Jahren hatte ich zu diesem Thema bereits einen kleinen Beitrag verfasst. Von daher, halt eben aus aktuellem Anlass, gibt es den Beitrag mit wenigen Änderungen hier noch einmal.

Aktueller Anlass ist jetzt das Urteil vom heutigen Tag (Az. 2 BvR 309/15 und 2 BvR 502/16) über die Fixierung von Patienten in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung. Weil die Freiheit einer Person als „unverletzlich“ anzuerkennen ist, diese ein „hohes Rechtsgut“ darstellt, muss eine richterliche Abwägung stattfinden. Eine fehlende Einsichtsfähigkeit bei einer Person erlaubt noch nicht, dass ein solcher Eingriff erlaubt ist. Eine kurzfristige, höchstens halbstündige Maßnahme wurde von den Verfassungsrichtern noch nicht als ein Freiheitsentzug angesehen.


Menschen ruhig stellen heißt, sie zu fixieren

Es gibt Bestrebungen, dass die Anzahl der sogenannten „freiheitsentziehenden Maßnahmen“ (abgekürzt FEM) bzw. die Fixierung von Menschen zu ihrem eigenen „Schutz“ reduziert werden sollen. Es kommen Zweifel an der Notwendigkeit solcher Maßnahmen auf und man plädiert für Alternativen. Zu schnell, so die Kritik, wird zu Fixierhilfen gegriffen, um unter dem Anschein des Helfens und Vorsorgens Menschen ruhig zu stellen.

Eine Fixierung von Menschen kann zum Beispiel schon mit einem Seitengitter am Bett erfolgen. Besonders schwache Menschen, die sich aus eigener Kraft nur mit Mühen hochstemmen können, würden durch ein entsprechend hohes Seitengitter nicht aus dem Bett gelangen. Gemeint ist mit Fixierung aber nicht die Barriere, mit der man z.B. ein unbeabsichtigtes Fallen aus dem Bett verhindert, sondern jede Art der Festsetzung eines Menschen – also die Verhinderung der freien Körperbewegung, oder mit anderen Worten: der Freiheitsentzug, die freiheitsentziehende Maßnahme (vgl. dazu auch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 GG).

Eine andere Form der Fixierung wäre z.B. die Ruhigstellung mittels Medikamentengabe. Diese Form des medikamentösen „Freiheitsentzugs“ muss natürlich unter strengsten Auflagen geschehen. Doch erfolgt sie im Sinne des Betroffenen? (Wer kann bei einer Person mit fehlender Einsichtsfähigkeit dies überhaupt qualifiziert bestimmen?)


Verletzungsgefahr durch Unfall oder Gegenwehr

Mit dem Grad der Behinderung wie auch dem Alter steigt natürlich die Gefahr eines Unfalls. Doch die Fixierung fördert Stress und erhöht die Gefahr der Selbstverletzung aufgrund von Gegenwehr und Widerstand gegen die Fixierungsmaßnahme. Was man einerseits nicht will, nämlich die Verletzung durch Unfall, wird andererseits durch die Festsetzung des Menschen billigend in Kauf genommen.

Fixierungsmaßnahmen sind gerade für Träger von Einrichtungen äußerst kritisch zu sehen. Die entsprechende Ausstattung kostet natürlich Geld. Und schon das Vorhandensein von Mitteln zur Fixierung von Bewohnern könnte den „guten Ruf“ nachhaltig beschädigen. Davon abgesehen spricht es nicht für die Ergebnisqualität, wenn Fixierungsmaßnahmen vom Personal vorgeschlagen werden.

Vielmehr sollten Träger von Einrichtungen dazu übergehen, Konzepte der Entscheidungsfindung zu erarbeiten und mögliche Schnittstellenprobleme zwischen Angehörigen und Betreuern, Pflege-Personal und Ärzten auszuloten *). Ein schönes (Entwicklungs-) Thema, mit dem sich Träger von Einrichtungen in Verhandlungen mit den Leistungsträgern profilieren könnten. Die Schaffung einer sicheren Umgebung und „sanfte“ (aber überwindbare?) Barrieren würden dem Bewegungsdrang der Menschen nicht entgegenstehen, gleichzeitig aber eine hohe Fachlichkeit und Wertschätzung gegenüber den Bewohnern und Besuchern signalisieren.


Endlich ein Urteil vom höchsten deutschen Gericht – kurz gesagt: Richtervorbehalt

Das Bundesverfassungsgericht hat nunmehr in zwei Urteilen Grundsätze aufgestellt, die nun in den weiteren, untergeordneten Gesetzen (bzw. sogar in eine Verfassung) eingearbeitet werden müssen. Die Freiheit einer Person stellt ein „hohes Rechtsgut“ dar. Die Verletzung eines solchen Grundrechts muss vorab durch einen Richter geprüft und dann bestimmt werden (Richtervorbehalt). Selbst wenn die Einsichtsfähigkeit bei einer Person fehlt oder schlichtweg eingeschränkt ist, kann dies nicht zu einer Aushebelung dieses Grundrechts der Person führen. Gerade Menschen mit Behinderungen oder ältere Menschen, die sich vielleicht nicht entsprechend ausdrücken können, dürfen ihrer Grundrechte nicht beraubt werden.

Eine kurzfristige, höchstens halbstündige Maßnahme, wird von den Verfassungsrichtern noch nicht als ein Freiheitsentzug angesehen. Dennoch muss dabei die vorübergehende Dauer von vornherein gegeben sein. Die vollständige Bewegungsunfähigkeit stellt nun mal einen schwerwiegenden Eingriff dar, was nun durch einen Richter als unabhängige und nicht-parteiliche Instanz festgelegt wird.

Dem Richtervorbehalt.

CGS



Quellen:

Pressemitteilung 62/2018 des Bundesverfassungsgerichts vom 24.7.2018
„Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Fixierung von Patienten in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung“


ReduFix
Reduktion von Fixierungen


(letzter Aufruf für alle Links am 24.7.2018)



*) = Im früheren Beitrag stand hier noch der Verweis „und sogar Richtern“. Es sind jetzt die Richter, die über eine solche Maßnahme zu bestimmen haben. Die übrigen Beteiligten dürfen allerhöchstens Begründungen liefern, warum ein Freiheitsentzug stattfinden sollte.


Ein anderer früherer Beitrag:
„Bettgitter anstelle eines Niederflurbettes stellt einen heimrechtlichen Mangel dar (VG Würzburg)“





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