Dienstag, 18. Juni 2019

BTHG: Umsatzsteuerpflicht vielleicht doch nicht

Die obersten Landessozialbehörden sehen eine mögliche Umsatzsteuerpflicht für den Bereich der Versorgung, heißt es in den Empfehlungen der Länder-Bund-Arbeitsgruppe zur Umsetzung des BTHG vom 18. Oktober 2018 (S. 8): „[… Es] bedarf einer intensiven Prüfung auf Landes- und Bundesebene mit dem Ziel, dass keine steuerrechtliche Benachteiligung aufgrund der Personenzentrierung erfolgt“, so der letzte Satz in dieser Unterlage.

Das Ganze Thema noch einmal von vorne, weil diese Frage wirklich schwierig zu handhaben ist. Und der Versuch von Lösungen.


Umsatzsteuerpflicht, weil es eine Anerkennung oder einen Vertrag nach Sozialrecht braucht?

Von der Umsatzsteuer befreit sind „die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbundenen Leistungen" (§ 4 Nr. 16 UStG). Im Weiteren finden sich 12 Einrichtungstypen oder Körperschaftsformen, die von dieser Begünstigung profitieren; zum Beispiel im Buchstabe h), wonach es sich um Einrichtungen handeln soll, „… mit denen eine Vereinbarung nach § 123 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch oder nach § 76 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch besteht“ – also Eingliederungshilfe und Sozialhilfe.

Im Satz 2 folgt dann diese Einschränkung: „Leistungen … sind befreit, soweit es sich ihrer Art nach um Leistungen handelt, auf die sich die Anerkennung, der Vertrag oder die Vereinbarung nach Sozialrecht oder die Vergütung jeweils bezieht“.

Und genau dies kann als ein bedeutendes Kriterium verstanden werden, warum auf einmal der Lebensunterhalt nicht mehr umsatzsteuerbefreit sein soll. Die Vergütung, um die es geht, bezieht sich nur noch auf die Eingliederungshilfe. Die Grundsicherungsleistung ist dagegen eine Zahlung an den Leistungsberechtigten, welcher selbstbestimmt und eigenmächtig entscheiden kann, wofür das Geld ausgegeben werden soll. Kein Vertrag oder eine sonstige Vereinbarung nach Sozialrecht bezieht sich auf den Lebensunterhalt (oder das Wohnen). Und damit würde diese Einschränkung im Satz 2 zur Umsatzsteuerpflicht führen.

Hilfreich wäre es, wenn die BTHG-Macher diesen Punkt noch schnell nachbessern könnten. Doch wirklich damit rechnen, wäre riskant. Von daher braucht es eine Entscheidung, wie man als Leistungserbringer damit umgeht. Leistungsberechtigte Verbraucher haben an dieser Stelle übrigens keine Möglichkeit der Gestaltung oder Willensbekundung – wozu auch?


Umsatzsteuervoranmeldungen als Ergebnis der Fachleistungstrennung?

Das muss jedoch nicht zwingend zum Nachteil des Verbrauchers sein. Der in Rechnung gestellte Netto-Warenwert für den erbrachten Lebensunterhalt könnte mit einer Umsatzsteuer von 7 % belegt werden (§ 12 Abs. 2 Nr. 8a UStG). Umgekehrt würde man nun gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG einen Vorsteuerabzug tätigen auf Leistungen, die vielleicht zuvor mit 19 % oder einem anderen Steuersatz in Rechnung gestellt wurden. Die Befürchtung, dass es jetzt für die Leistungsberechtigten teurer wird, ist so nicht erkennbar (es gibt auch eine andere Sicht darauf, bei der vielleicht ein wenig übertrieben wird).

Für den Leistungserbringer wird es dagegen aufwändiger, weil sich die Verwaltungsarbeit schwieriger gestaltet. Die eigene Buchhaltung muss so ausgestaltet werden, dass bei der Erfassung von Rechnungen ein Umsatzsteuer-Schlüssel zugeordnet werden kann. Wenn es Rechnungen gibt, die gleichzeitig den umsatzsteuerpflichtigen und den umsatzsteuerbefreiten Bereich betreffen, sollte eine Aufteilung erfolgen (§ 15 Abs. 4 S. 1 UStG), notfalls kann dies aber auch im Wege einer nachvollziehbaren Schätzung erfolgen (S. 2). Im Anschluss daran brauchte es aber jemanden in der Abteilung, welcher die Umsatzsteuervoranmeldung übernimmt. Wird dies alles nicht beachtet, drohen Bußgelder gegen das geschäftsführende Organ (§ 26a UStG).

Was folgt wäre die Frage nach einer besseren Personalausstattung. Die Leistungsträger werden sich aber nicht darauf einlassen wollen, da sie nur für die Eingliederungshilfe „zuständig“ sind und nicht für den Lebensunterhalt (das Wohnen wäre wiederum eine umsatzsteuerbefreite Leistung mit Ausnahme der gastweisen Unterbringung, vgl. dazu § 4 Nr. 12 S. 2 UStG).


Ändert sich das Wesen des Leistungserbringers durch das BTHG?

Bei der Auslegung der fraglichen UStG-Vorschrift geht es nicht um den Begriff der „Einrichtung“. Der Betrieb einer Einrichtung ist nicht die Grundlage der Anwendbarkeit, sondern die mit der „Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbundenen Leistungen“ sind es, aber im Zusammenhang mit (1.) der Anerkennung, dem Vertrag oder der Vereinbarung nach Sozialrecht, oder (2.) der Vergütung für die Leistungen.

Wesen, Konzept oder Zweck der Leistungserbringer werden durch das BTHG nicht geändert (auch schon mal gut hinsichtlich des Status der Gemeinnützigkeit). Die Arbeit bleibt weiterhin die gleiche. Was sich lediglich geändert hat, ist eine Unterscheidung innerhalb der Sozialleistungen. Von daher sollte man seitens der Verbände der Leistungserbringer mit den Leistungsträgern im jetzt abzuschließenden Landesrahmenvertrag nach § 131 SGB IX (ehem. § 79 SGB XII) eine entsprechende Formulierung einbauen bezüglich des Lebensunterhalts. Es geht dabei nicht um einen Versuch, diese Teil-Leistung in die Vergütung aufzunehmen. Ziel sollte es sein, dass eine „Anerkennung“ geschieht, so dass die enge Verbundenheit mit der Betreuung hergestellt wird.

Um ganz sicher zu gehen, sollten ebenso die Finanzverwaltungen der Länder involviert werden, damit die Steuerbefreiung bestätigt wird. Noch besser wäre es, wenn seitens des Bundesfinanzministeriums ein Anwendungserlass diesen Punkt aufnehmen würde (so wie der vom 2.7.2008).

Hinsichtlich des zweiten Punkts, der Vergütung der Leistungen, besteht bekanntermaßen bei dem Entgelt für den Lebensunterhalt keine Unmittelbarkeit. Begünstigt wäre also nur die Vergütung, welche direkt und eben „unmittelbar“ vom Leistungsträger an den Leistungserbringer gezahlt wird. Im Falle des Lebensunterhalts ist dies aber nicht der Fall, da der Mensch selbstbestimmt entscheiden soll, von wem oder wie er sich versorgen lassen will.

Im Falle von Leistungen der Jugendhilfe (§ 4 Nr. 25 UStG) findet sich übrigens eine Formulierung, die zeigt, dass der soziale Charakter des Leistungserbringers maßgeblich ist. In Satz 1 geht es um die Begünstigung der Leistungen, die erbracht werden von einer „Einrichtung mit sozialem Charakter“. Und in Satz 2 wird beispielsweise herausgestellt, dass es ausreicht, wenn die Vergütung „zum überwiegenden Teil“ von einer öffentlichen Stelle bzw. einem anerkannten Träger der Jugendhilfe erfolgt.


Die Leistungen koppeln

Auf eine Lösung im Landesrahmenvertrag kann man nicht bauen. Was es wirklich bräuchte, wäre eine bundesweite Klarstellung, die es vielleicht nicht geben wird.

Geht man vom Begriff der „eng verbundenen Leistungen“ aus, sollte im Vertrag über die Überlassung von Räumlichkeiten zu Wohnzwecken eine Koppelung der vielen Einzelleistungen geschehen. Würde eine Entkoppelung stattfinden und zum Beispiel wäre es dem Bewohner freigestellt, von welchem Leistungserbringer auch immer die Betreuungstätigkeit kommt, müsste man in der Gesamtbetrachtung davon ausgehen, dass ein strikt getrenntes Angebot an Leistungen verfolgt wird. Die Verbindung wäre somit aufgehoben zwischen dem Wohnen und Lebensunterhalt auf der einen Seite sowie der (umsatzsteuerlich begünstigten) Fachleistung auf der anderen Seite. Daran würde eine Anerkennung im Landesrahmenvertrag nichts mehr ändern.

Es wäre von daher hilfreicher, eine Zusammenhangsleistung im Vertrag über die Wohnraum-Überlassung herzustellen. Das würde zwar die Anwendung des WBVG verursachen, aber die enge Verbundenheit mit den anderen, „zum überwiegenden Teil“ begünstigten Leistungen wäre anzunehmen.


Kriterium ist das bereitgestellte Angebot unabhängig von der tatsächlichen Inanspruchnahme

Am 1.1.2020 wird es nach wie vor die gleichen Leistungen geben, wie noch einen Tag, ein Jahr oder eine Dekade zuvor. Die leistungsberechtigten Menschen, die nun zu Mietern werden, leben am gleichen Ort, der für sie einen Schutzraum darstellt und in dem sie Leistungen am Leben in der Gemeinschaft (Eingliederungshilfe) erhalten. Die Gesamtversorgung wird weiterhin angeboten und kann entsprechend abgerufen bzw. verlangt werden. Betrachtet man also das Neue, zeigen sich keine wesentliche Abweichung zum Alten.

Treten Wohnraum-Überlassungsverträge an die Stelle von Wohnstätten-Verträge, das übergeordnete Ziel des Angebotes an die Verbraucher bleibt die Eingliederungshilfe – nicht das Wohnen und nicht der Lebensunterhalt. Schon alleine die Bereitstellung eines Katalogs an Einzelleistungen zeigt, dass es Ähnlichkeiten zu einer vollstationären Einrichtung gibt (vgl. dazu § 71 Abs. 4 SGB XI in der Fassung bis 2019).

Die tatsächliche Inanspruchnahme der angebotenen Leistungen durch die Bewohner kann dagegen nicht als Maßstab herangezogen werden; schon in früheren Jahren konnten Bewohner eine Selbstversorgung versuchen mit Hilfe eines kleinen Budgets für eigene Lebensmitteleinkäufe (und überhaupt wird der Wert für eine solche Versorgung auch in Zukunft höchst wahrscheinlich einen niedrigstelligen Prozentsatz ausmachen). Selbst wenn die Versorgung letztendlich durch einen Dritten übernommen wird, Organisation und Verantwortung trägt der Leistungserbringer gegenüber dem Verbraucher.

Es spricht nach wie vor viel dafür, dass die Umsatzsteuerpflicht nicht zum Tragen kommt, sollten die Wohnraum-Überlassung, die Lebensmittelversorgung und der sonstige Unterhalt vertraglich gekoppelt werden mit der Betreuungsleistung. In allen anderen Fällen müsste ein Leistungserbringer den dann geltenden Landesrahmenvertrag prüfen, ob eine Anerkennung hineinformuliert wird.  

CGS



Weitere Informationen:

(letzter Aufruf am 15.6.2019)




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BTHG: Umsatzsteuerpflicht für die neuen Leistungen?