Samstag, 3. Oktober 2020

Das Persönliche Budget im Sinne eines „Wer sich nicht wehrt…“ (Teil 2)

Der Anspruch auf ein Persönliches Budget ist anscheinend nicht „einfach mal so“ durchzusetzen. Im ersten Teil ging es um einige gerichtliche Verfahren, die ziemlich gut endeten für die Eltern von leistungsberechtigten Kindern. Der Weg dahin war für diese Menschen allerdings recht steinig. Der letzte von den beiden vorgestellten Fällen, der zwar mit einem gerichtlichen Erfolg endete, beendete nicht die Auseinandersetzung, sondern war vielmehr ein erster Akt in einem Drama.

Das Drama deutete sich schon im Verfahren selbst an, entspann sich allerdings in den Folge-Monaten und führte zu einer Reihe von weiteren Verfahren. Dass sich wehren der Sorgeberechtigten, führte an der Stelle zu nichts. Hätte man nun klein beigeben müssen? Was nämlich folgte, kann man gut als einen „Flächenbrand“ bezeichnen, der viel Zeit und Ressourcen verschlang, jedoch zu nichts weiter führte. Die Sorgeberechtigten, die den eigenen Rechtsanspruch und des leistungsberechtigten Kindes durchzusetzen versuchten, das Jugendamt, was seine eigenen Vorstellungen platziert sehen wollte, und die Justiz, die darüber verhandeln musste.

„Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.“ – das ist auch mein Motto, was zugegebenermaßen häufig genug ein steiniger Weg in so manche Sackgasse gewesen ist.  


 

Gebot der Zielgerichtetheit verlangt nach einem Hilfeplan

Die Sicherung der Ergebnisqualität ist wesentliches Element, damit eine Steuerung möglich ist, argumentierte einst der Gesetzgeber (S. 7, BR-Dr 262/04). Menschen mit einem Hilfebedarf können nur solche sozialen Leistungen beanspruchen, die geeignet und bemessen sind zur Überwindung der Notlage. Genau deswegen spricht man von zielgerichteten Leistungen, und zwar immer, auch im Fall der Ausführung als Persönliches Budget. Das bedeutet, dass die Ziele (zum Beispiel die Teilhabe am Schulunterricht in einer Regelschule) sowie die Leistungserbringung an sich (zum Beispiel mit Hilfe einer bekannten Person als Schulbegleitung) klar benannt und beschrieben werden in einer Zielvereinbarung (Leistungsvereinbarung).

Mit dem Recht auf Persönliches Budget kommt ebenfalls die Pflicht zur Berichterstattung. Die zweckentsprechende Verwendung der erhaltenen Mittel muss nachgewiesen werden, zum Beispiel anhand eines Zahlungsbelegs für die Schulbegleitung. Ebenso muss über die Arbeit an sich, was also die Leistungserbringung in ihrer Art, Umfang und Inhalt betrifft, eine Unterlage vorgebracht werden; das könnte man beispielsweise mit einer chronologischen Aufzählung der Schultage mit kurzer Beschreibung erreichen. Mit diesen Dingen kann der Leistungsträger jedenfalls dem gesetzlichen Gebot der Zielgerichtetheit und der Beobachtung des Rehabilitationsverlaufs nachkommen (vgl. S. 429, Rz. 11 zu § 57 SGB XII in Bieritz Harder, LPK-SGB XII, 8. Aufl.; neu wäre § 29 SGB IX).

Damit es überhaupt so weit kommt, braucht es einen Hilfeplan. In dieser Unterlage sollten, kurz gesagt, alle Ergebnisse und Feststellungen stehen, die die jeweiligen sozialen Leistungsträger (eine Schule gehört nicht dazu) ermitteln konnten. Der Hilfeplan stellt ein sehr individuelles Dokument dar, welches die Selbstbestimmung und Personenzentrierung in den Mittelpunkt rückt. Von daher beginnt es (in meiner Wahrnehmung allerdings) mit dem Antrag des leistungsberechtigten Menschen im Sinne eines: „Ich brauche Hilfen. Ich wähle aus. Ohne meine Zustimmung geht es nicht.“ Der Leistungsträger muss natürlich die Angemessenheit prüfen, aber mit dem Ziel der gemeinsamen Einigkeit, weil „Einigkeit stark macht“. Dass es bei der Prüfung über die Wünsche und das Wahlrecht des leistungsberechtigten Menschen unterschiedliche Meinungen geben kann, ist den unterschiedlichen Sichtweisen geschuldet (Stichwort: Selbstbild-Fremdbild-Diskrepanz) – das sind Dinge, die dokumentiert werden müssen. 

 

Den Hilfeplan mit der Zielvereinbarung zum Wegweiser machen

Es muss dann nach Kompromissen und Lösungen gesucht werden. Meinungsverschiedenheiten begegnet man effektiv mit Einschätzungen von gemeinsam anerkannten Experten; der eigene Haus-Experte wird zum Beispiel nicht anerkannt, weil Befangenheit sehr wahrscheinlich vorliegt. Wenn es noch immer nicht klappt, muss ein Minimal-Kompromiss gesucht werden bzw. man verständigt sich über die einfachsten Streitpunkte und verkleinert somit das große Problem. Alles das sind ganz normale Bestandteile eines solchen Verfahrens, die zu dokumentieren sind. Am Ende erreicht man mit einer solchen Vorgehensweise ein hohes Maß an Vertrauen und Zuversicht, Verlässlichkeit und Bereitschaft. Eine Behörde muss zwar die wirklichen Bedarfe reflektierend herausarbeiten und Ressourcen aufzeigen, sie muss sich gleichzeitig zurückhalten und nicht von oben herab Entscheidungen treffen, die den Menschen entwürdigen (Grundsatz: „So wenig wie möglich, so viel wie nötig“). 

Ist der (lange) Weg gegangen (und möglichst in einer verständlichen, motivierenden Sprache), kann der Hilfeplan in eine Zielvereinbarung weiterentwickelt werden (vgl. § 3 Abs. 3 BudgetV, außer Kraft ab dem 31.12.2017). Das Leitziel wird formuliert, was wie ein Wegweiser für beide Seiten gelten wird, aber nicht schon zu konkret beschrieben wird – wie gesagt, es geht bei dieser Formulierung lediglich um eine Richtung. Gerade bei einem noch jungen Menschen steht das Werden und Entwickeln im Vordergrund, da kann es noch ganz viele Veränderungen geben. Im Weiteren Text wird es dann sogenannte Schwerpunktziele geben, die unter Umständen messbar, spezifisch und mit Terminen ausgestattet sein können. Weil aber in der Entwicklung des Menschen vieles unvorhersehbar ist, braucht es eine ständige Neu-Besprechung der Beteiligten, um ggf. unerreichbare Schwerpunktziele abzuschaffen oder ganz einfach neue Bedarfe zu bestimmen. Es ist absolut erforderlich und notwendig, dass eine stete und gemeinsame Abstimmung möglich ist. 

Sollte das nämlich nicht passieren und das Vertrauen geht verloren, verliert die Zielvereinbarung ihre Bestandskraft und muss gekündigt werden. *) 

Das Verwaltungsgericht ging seinerzeit davon aus, dass es nur noch eine simple Bedarfsfeststellung mit Hilfeplan benötigt, damit es zur Zielvereinbarung kommt und eine Beschulung des ohne Beistand unbeschulbaren Kindes gelingen kann. Als Zeitraum dafür wurde der Beginn der Weihnachtsferien ausgemacht vom Gericht, und keiner der anderen Beteiligten widersprach. Das Gerichte stoppte sozusagen an dieser Stelle, weil es dem Jugendhilfeträger einen Beurteilungsspielraum zugestand, welcher „nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegt“ (II. 3. d), VG-Beschluss Bremen; zum Az. siehe die untenstehende Bemerkung).

  

Der Hilfeplan scheitert, die Gerichtsverfahren nehmen ihren Lauf

Wie sich jedoch im weiteren Zeitablauf darstellte, war das keine Lösung, da die Jugendhilfe die Erforderlichkeit für eine Schulassistenz in einer Regelschule nicht anerkannte. Als Grund wurde schon im Verfahren selber gesagt, dass es eine Tagesschule mit besonderem Unterricht in der näheren Umgebung gab. Das Gericht nahm sich also mit Blick auf den Hilfeplan korrekterweise zurück, weil aber mit der Aussage der Behörde quasi eine Vorwegnahme des Hilfeplan-Verfahrens passierte, hätte es meines Erachtens die gerichtliche Kontrolle geben können. 

Mit dem Hilfeplan ging es jedenfalls nicht weiter voran. Die Sorgeberechtigten beschwerten sich, was ihnen ja auch so vom Verwaltungsgericht eingeräumt worden war, nahmen die Beschwerde allerdings wieder zurück – vermutlich im Zusammenhang mit (hoffnungsmachenden) Gesprächen beim Leistungsträger. Doch bei diesen Gesprächen konnte „keine Einigkeit über die Person des Schulassistenten und den Träger der Maßnahme erzielt werden“ (I. dritter Absatz in den Gründen im Beschluss des OVG Bremen; zum Az. siehe die untenstehende Bemerkung). Weder Schule noch Jugendamt akzeptierten die vorgeschlagene Person, weil sie bei keinem bekannten Leistungserbringer beschäftigt war – und das waren wohl die einzigen Gründe, denn andere wurden in einem späteren OVG-Verfahren nicht genannt. In zwei weiteren Eilanträgen (kurz vor Weihnachten und dann noch ein halbes Jahr später) scheiterten die Sorgeberechtigten erneut mit dem Wunsch nach einem Persönlichen Budget. 

Ganze 8 Monate nach dem ersten Beschluss auf vorläufige Leistungen kam ein Hilfeplan zustande, der von den Sorgeberechtigten unterzeichnet wurde. Doch dann rückten sie wieder davon ab, weil als Leistungserbringer eine Institution vorgesehen war, die man eigentlich nicht wollte. Es folgten ein Eilantrag beim Verwaltungsgericht, welches den Antrag ablehnte, und eine Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht, das der Beschwerde nicht stattgab. Das gesamte Verfahren kam nun zum Erliegen. 

Weil es in dieser gesamten Zeit kein Vorankommen gab, wurde eine Untätigkeitsklage gegen den Jugendhilfeträger beim Verwaltungsgericht eingereicht (mittlerweile das fünfte Verfahren?), und das eigentlich erste Schuljahr ging zu Ende ohne Schulbesuch des an sich schulpflichtigen Kindes. **) 

CGS

 

  

Fußnoten:

*) = Nach der alten Rechtslage war es so, dass auf der Grundlage der Ergebnisse des Bedarfsfeststellungsverfahren die jeweiligen Geld-Budgets „innerhalb einer Woche“ nach Abschluss des Verfahrens aufgestellt werden sollten (§ 3 Abs. 4 BudgetV; außer Kraft nach dem 31.12.2017). Der (beauftragte) Leistungsträger sollte dann den Verwaltungsakt erlassen, nachdem die Zielvereinbarung abgeschlossen wurde (Abs. 5).

Zielvereinbarung und Verwaltungsakt sind von daher eng verkoppelt. Wenn die weitere Ausführung eine Zumutung geworden ist für eine Partei, kann es zur Kündigung kommen, die dann allerdings den Verwaltungsakt betrifft. Beispiele für solche Unzumutbarkeiten wären ein Missbrauch der erhaltenen Geldmittel oder eine Überforderungssituation der budgetnehmenden Person. Der Verwaltungsakt würde dann aufgehoben werden. Ein begünstigender Verwaltungsakt wird jedoch nicht nur für die Zukunft, sondern er kann auch für eine vergangene Zeit zurückgenommen werden (vgl. dazu § 49 VwVfG, Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes).

 

**) = Auszug aus dem Bremisches Schulgesetz (BremSchulG)

§ 3 Allgemeines

(4) Bremische Schulen haben den Auftrag, sich zu inklusiven Schulen zu entwickeln. Sie sollen im Rahmen ihres Erziehungs- und Bildungsauftrages die Inklusion aller Schülerinnen und Schüler unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Staatsbürgerschaft, Religion oder einer Beeinträchtigung in das gesellschaftliche Leben und die schulische Gemeinschaft befördern und Ausgrenzungen Einzelner vermeiden.

§ 53 Beginn der Schulpflicht

(1) Die Schulpflicht beginnt für alle Kinder, die bis zum Beginn des 30. Juni eines Jahres das sechste Lebensjahr vollenden, am 1. August desselben Jahres. Schulpflichtige Kinder können aus erheblichen gesundheitlichen Gründen für ein Jahr zurückgestellt werden. Die Entscheidung trifft die Fachaufsicht auf der Grundlage eines schulärztlichen Gutachtens.

  

 

Quellen: 

Die Beschlüsse der o.g. Verwaltungsgerichte und Oberverwaltungsgerichte liegen mir nicht alle vor. Zitiert wird lediglich aus den beiden Unterlagen, die mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurden. Die Aktenzeichen können nach begründeter Bitte vorgebracht werden.

  

 

Das hier ist keine Rechtsberatung oder Aufforderung zur Vornahme eines Rechtsgeschäftes. Der Beitrag stellt nur meine Sicht auf die Dinge dar. Und eine solche Sicht kann sich immer noch ändern. Brauchen Sie rechtliche Unterstützung, wenden Sie sich an die zuständigen Behörden, Sozial- und Betroffenenverbände oder rechtskundige Dritte. Lesen Sie bitte ebenfalls die Hinweise zum Rechtsstatus der Webseite, Urheberrechtsbestimmungen und Haftungsausschluss sowie die Datenschutzerklärung.

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