In ihrer Mitgliederzeitschrift
„Südring Aktuell – das Magazin von Leben mit Behinderung Hamburg - April 2014“
hat Leben mit Behinderung Hamburg Elternverein e.V. eine Erklärung des
Einrichtungsträgers Leben mit Behinderung Hamburg Sozialeinrichtungen (verkürzt
LMBH) abgedruckt, mit dem ich mich an dieser Stelle auseinandersetzen möchte.
Diese Erklärung kommt nicht alleine
von LMBH, sondern wurde formuliert und verbreitet von zwei anderen „Großen
Trägern“ (der Eingliederungshilfe in Hamburg): Behindertenhilfe Hamburg
Sozialkontor (BHH) und Evangelische Stiftung Alsterdorf (ESA). Sie
befasst sich mit dem Abschluss von Trägerbudgets.
Dem vorausgegangenen waren
schwierige Verhandlungen über mögliche (aber notwendige) Vergütungssteigerungen
wie auch übergeordnet die Steuerung der Eingliederungshilfe in Hamburg. Ohne
die Kündigung aller Gesamtvereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII (d.h.
Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarung) wäre das bestehende System
nicht aufgebrochen worden – hätte man nicht im Verlauf des letzten Jahres ein
neues Kalkulationsverfahren entwickeln können. Ob das neue
Kalkulationsverfahren aber alle Seiten glücklich machen wird, das muss sich
wohl leider erst noch zeigen.
Man muss sich das noch einmal
deutlich machen: Die Kündigung entzog allen Leistungserbringern die
wirtschaftliche und rechtliche Grundlage für die Leistungserbringung. Es stand
zu befürchten, dass Vergütungen abgesenkt worden wären auf sogenannte „ortsübliche
Entgelte“ nach § 75 Abs. 4 SGB XII, was eine erhebliche wirtschaftliche
Existenzbedrohung für alle diejenigen Träger bedeutet hätte, die mit ihren
Entgelten darüber liegen. Über kurz oder lang wäre die Eingliederungshilfe in
Hamburg zusammengebrochen (die Gefahr ist aber m.E. noch nicht gebannt!).
Es ist somit nicht verwunderlich,
dass LMBH wie auch die anderen beiden großen Träger (möglicherweise verbandlich
unbegleitete) Verhandlungen mit der Sozialbehörde führten. Am Ende kam ein
Trägerbudget für jeden der drei „Großen Träger“ heraus. Viele der anderen Leistungserbringer
in Hamburg waren zutiefst schockiert, und vermutlich fielen auch die jeweiligen
Verbandsführungen aus „allen Wolken“. Wie immer man selbst dazu stehen mag, die
Vereinbarungen sind unterschrieben worden und müssen jetzt gelebt werden –
sowohl von den drei „Großen Trägern“ und der Sozialbehörde, wie auch den
behinderten Menschen (als Leistungsbezieher), den rechtlichen Betreuern,
Eltern, Mitarbeitern in den Einrichtungen sowie den konkurrierenden
Leistungserbringern.
Am 25. März 2014 diskutierten
Sozialsenator, Behördenvertreter und Bundespolitiker mit der Unternehmensführung
von LMBH über „Hamburger Trägerbudget“ und Bundesteilhabegeld. Zuvor wurde aber
die Erklärung zum Trägerbudget der drei „Großen Träger“ bekanntgegeben.
Es liegt nahe, dass ein
Informationsabend für Eltern und rechtliche Betreuer anberaumt wurde, um über
dieses schwierige Thema zu unterrichten. Schon zuvor gab es deutliche Kritik an
dem Verhalten der drei „Großen Träger“; hier musste nunmehr offen über die
neuen Vereinbarungen gesprochen werden, und die veröffentlichte Erklärung zum Trägerbudget
war ein Baustein.
Die vollständige Erklärung zum
Trägerbudget textkritisch zu untersuchen, würde diesen Beitrag noch um etliche
Absätze füllen. Vom Aufbau und der Struktur enthält die Erklärung zum
Trägerbudget alle Essenzen, die man in so einer Publikation erwartet. Herausgreifen
möchte ich allerdings die folgenden drei Sätze, da sie die Begründung für das
Handeln der drei „Großen Träger“ beinhaltet:
„…
Mit den Verträgen können wir die Hilfen für Menschen mit Behinderungen
wirkungsvoller ausgestalten und unnötige Bürokratie vermeiden. Die
Vereinbarungen schaffen Räume, die Hilfen noch stärker personenzentriert
weiterzuentwickeln. Wir sehen es dabei als unsere Aufgabe an, mit den aus dem
Sozialhaushalt zur Verfügung gestellten Mitteln Personen den Zugang zu
Eingliederungshilfe zu ermöglichen, die derzeit noch unversorgt sind. …“
Die vorgenannten Verträge und
Vereinbarungen beziehen sich nicht alleine auf das Trägerbudget, da das
Trägerbudget nur den Finanzierungsaspekt der Gesamtvereinbarung nach § 75 Abs.
3 SGB XII abbildet. Das Trägerbudget muss hier wie eine Vergütungsvereinbarung
gesehen werden, welche lediglich den finanziellen Rahmen näher bestimmt. Da
allerdings eine Vergütungsvereinbarung zwingend eine Leistungsvereinbarung
voraussetzt, beziehen sich die obigen Aussagen demzufolge auf die
Leistungserbringung.
Was mit „wirkungsvoller“
Ausgestaltung gemeint ist, bleibt offen. Richtig ist aber, dass eine
klientenbezogene Abrechnung von Leistungen vollständig entfällt. Und diese Form
des Bürokratieabbaus wirkt sich natürlich unmittelbar bei denjenigen aus, die
bisher an der Rechnungserstellung mitgewirkt haben.
Bei den Hilfen, die „noch stärker
personenzentrierter“ weiterentwickelt werden können, kann man kritisch
hinterfragen, ob dies eine qualitative Verbesserung für die Klienten bedeutet.
Da die drei „Großen Träger“ sehr wahrscheinlich keine Absenkung ihrer
Umsatzerlöse hinnehmen wollen, muss man mindestens von einem Einfrieren
finanzieller Mittel ausgehen. Und damit entsteht in meinem Verständnis erst
einmal keine Qualitätsverbesserung, es sei denn, die finanziellen Mittel wurden
auf einem ausreichenden und möglicherweise hohen Niveau eingefroren.
Zwar gab es für die
Leistungsberechtigten im bisherigen Vergütungssystem aufgrund der gestuften
Maßnahmenpauschalen eine Art vergütetes Budget an Personalstellen, doch dies
wurde so an die Leistungsberechtigten nicht kommuniziert. Leistung wurde immer
und wird auch bis auf weiteres dort und in dem Maße erbracht, wie es
erforderlich und notwendig ist. Faktisch ändert sich mit dem Trägerbudget nicht
die Praxis der Leistungserbringung, sondern nur die Abrechnungspraxis.
Problematischer erachte ich dagegen
die letzte Kernaussage, in der es heißt, dass man mit den Mitteln aus dem
Sozialhaushalt „unversorgten“ Personen einen „Zugang“ zur Eingliederungshilfe ermöglichen
will. Beabsichtigt der Leistungsträger, eine entsprechende Nachfrage zu
generieren (Push-Marketing)?
Die Erklärung zum Trägerbudget ist
damit natürlich noch nicht vollständig analysiert. Es zeigt sich allerdings
schon jetzt, dass man mit einer (eventuell „über“-) kritischen Perspektive ganz
neue Einsichten erlangen kann. Von daher lohnt sich auch noch einmal der Blick
auf eine weitere Aussage, welche auf das Selbstverständnis der drei „Großen
Träger“ deutet:
„…
2. Die drei Träger schlagen der Sozialbehörde, dem Fachamt und der
Landesarbeitsgemeinschaft vor, einen gemeinsamen Rahmen für regelmäßige
Gespräche über die Entwicklung von Angebot und Nachfrage in der
Eingliederungshilfe zu schaffen. …“
Ein Trägerbudget kann natürlich als
ein Sozialraumbudget konstruiert werden, bei dem sich ein oder mehrere Träger
verpflichten, die Versorgung für eine Region zu gewährleisten. Man könnte diese
Aussage so verstehen, als ob es sich tatsächlich um ein Sozialraumbudget
handelt. Immerhin werden hier drei Träger benannt, die sich gemeinschaftlich
für die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe im Rahmen eines Trägerbudgets
einsetzen wollen. Von anderen Leistungserbringern ist nicht die Rede,
bestenfalls finden sich deren Interessen wieder in der Landesarbeitsgemeinschaft.
Aber welche Mitsprache haben kleinere Einrichtungsträger tatsächlich?
Welche Konsequenzen ergeben sich,
wenn im „Dialog“ der drei „Großen Träger“ mit den drei anderen Organisationen „Chancen“
und „Fehlentwicklungen“ erkannt worden sind? Wieder drängt sich der Eindruck
auf, als ob es weder Verbände, die früher einmal die Interessen der Leistungserbringer
vertreten haben ggü. der Sozialbehörde, noch kleinere Einrichtungsträger gibt. Eine
Möglichkeit zur Mitsprache oder Beteiligung von gerade denjenigen Menschen, die
einen Anspruch auf Eingliederungshilfe geltend machen, scheint auch zu fehlen
oder ist in der Form nicht bedeutsam.
Die Erklärung zum Trägerbudget von
LMBH, BHH und ESA ist meines Erachtens nicht glücklich formuliert oder sie
offenbart tatsächlich ein bestimmtes Selbstverständnis. Trifft letzteres zu,
dann hat sich die Sozialbehörde ein Problem geschaffen.
Am Informationsabend war wie gesagt
neben der Sozialbehörde auch die Politik vertreten. Nach freundlichen,
einleitenden Worten mussten diese dann Rede und Antwort stehen. Was den vielen
rechtlichen Betreuern und Eltern wohl in Erinnerung bleiben wird ist, dass das
neue Trägerbudget nicht den Idealvorstellungen des Einrichtungsträgers
entsprach, aber es war ein Ausweg aus der ansonsten verfahrenen Situation, die
mit der Kündigung der Leistungsvereinbarungen zum 31.12.2013 eben durch die
Sozialbehörde einen Höhepunkt erreichte.
Nicht alle Fragen der (besorgten)
Eltern konnte der Sozialsenator an dem Abend des 25. März 2014 klären. Die hat
er dann aber zur „Bearbeitung“ mit in die Sozialbehörde genommen. Endlich kann
sich die Sozialbehörde nicht ihrer Verantwortung entziehen – für ein
Trägerbudget braucht es immer mindestens 2, und diesmal waren es sogar 4!
CGS